Hier und dort: In Engonien und außerhalb des Kaiserreiches > Geschichten und Gespräche
Ein Dorf.
Mel:
"Und DU meinst, Du hast verloren? nein, die Geschichte kenne ich nicht und da es sich um Marius dreht, bin ich mir nicht sicher, ob ich sie hören möchte."
Trotzdem lehnte sie sich gemutlich zurück, die Beine ausgestreckt und wartete, das Vanion zu erzählen begann.
Vanion:
"Also, lass mich vorne beginnen. Sei mir nicht böse, wenn ich alten Lastern wieder Raum gebe und gegebenen Falles die Geschichte ein wenig strecke, mit einer Prise Flunkerei versehe und vortrage - das ist die Macht der Gewohnheit. Nun, wie ich Marius kennenlernte, weißt du?"
Auf Lorainnes Nicken fuhr Vanion fort. "Na, eines Tages bin ich bei der ganzen Umherzieherei mit ihm vor den Toren Ahrnburgs gelandet, am Abend nach einer Schlacht, wie wohl dort zu hören und auch zu sehen war. Man bestand darauf, dass wir, also er, kostenlos spielen solle, seine Kunst erklingen lassen solle für weniger als einen Kupfertaler, um die Herzen der kampesmüden Männer neu für den Krieg zu entflammen. Wenig froh waren die Leute nun darüber, dass er im Dienste der Lavinia stand, und so manchen Spruch musste er über sich ergehen lassen. Dennoch, er sang nicht vom Krieg und seinen blutigen Wundern, sondern vom Frieden und der rosigen Laune, die die warmen Hände eine Frau auf so manches Männerherz legen konnten. So manche Erinnerung ans Weib daheim ließ die ein oder andere Münze dann doch klingeln, was Marius mit einem wohlfeilen Zwinkern und einem wissenden Grinsen quittierte.
Nun - Marius war noch nie lammfromm. Er wusste immer, wie er ein ums andere Kupfer- oder Silberstück aus den Taschen der Leute hervorlocken und auf wundersame Weise in seine Hand bringen konnte. Er hatte damals schon viel Geld, ich hab ihn in stillen Momenten beobachtet, eine kleine Truhe voller Geld war sein steter Begleiter. Marius wusste immer genau, was er wann singen sollte, um sie zu füllen. Na, wie auch immer.
Dieser wohlfeile Sänger fühlte sich also berufen, im Dienste Lavinias dem Pilgerzug und der Rebellion beizustehen, mit Stimme und auch mit Heilkünsten magischer und handwerklicher Natur. Ich weiß tatsächlich nicht, ob er den Feuerschwur geleistet hat, aber das ändert nichts an seinen Taten. Er war lange Zeit aufrecht und standhaft, trotz seines Gelübdes, nie die Waffe gegen jemanden zu erheben, in vorderster Reihe bemüht, jeden noch so stark Verwundeten zu retten.
Doch ich glaube, dass ihn einiges verändert hat von dem, was er dort sah. Ganz so wie mich. Wir saßen immer seltener zusammen mit den Männern, immer seltener sang er von Fröhlichkeit und Leichtigkeit, immer öfter kamen schwermütige Balladen zum Vorschein. Irgendwann wurde er müde. Kriegsmüde. Er tat das, wozu er gekommen war, aber ohne Begeisterung. Er wünschte sich fern von diesem Ort, fern von Lavinia, fern von Engonien. Immer öfter sprach er, meist betrunken, davon, dass Lavinia ihn einschränke, ihm seine Freiheit nähme, er zweifelte gar an ihrer Hingabe und Liebe zu ihm und jedem anderen. Eines Tages nun lernte er nicht ganz so feine Herren kennen, in einer kleinen Spelunke in der Nähe von Fanada."
Vanion beschloss, dass es Zeit war, eine dramatische Pause einzulegen. Er wusste noch aus diesen Tagen, dass das Publikum einen Vortrag nicht verstand, einer langen Geschichte nicht zuhörte, irgendwann die Aufmerksamkeit sank. Doch mittendrin aufzuhören, dass fachte sie wieder an. Gespannt wartete er auf Lorainnes Reaktion.
Mel:
Lorainne hatte es sich gemtlich gemacht und lauschte.
Vanion war wahrlich ein guter Geschichtenerzähler und es war sehr angenehm, dem Fluss seiner Stimme zu lauschen.
Jacques und Bernard brachten neues Getränke und Essen und setzten sich dazu.
Als Vanion die Pause einlegte, kehrte Lorainne langsam in die Wirklichkeit zurück.
"Alors, Vanion, trink einen Schluck und erzähl weiter. So gute Geschichten habe ich schon lange nicht mehr gehört, seit... langer Zeit."
SIe lachte.
Vanion:
"Nun, Ihr alle müsst wissen, dass der große Marius und der tapfere Vanion, obschon mittlerweile bekannte Helden, nur durch den Schatten der Sagengestalten Kords und Kasimirs verhüllt und verdeckt, nicht immer in vorderster Reihe kämpften. Nein, geschickte Taktiker, hohe Generäle, Hauptmänner der Königin und schlaue Logistiker brauchten immer schlaue, flinke und ausgefuchste Boten, die rasch und unauffällig Aufträge wichtigster Natur in die hinteren Reihen brachten.
Kurz gesagt, wir brachten irgendeine Nachricht an irgendeinen Händler in Fanada, der sich nach dem Standhalten der Stadt am Tag des Wolfes bereit erklärt hatte, den Pilgerzug mit Waren, Waffen und Geld zu unterstützen.
Nachdem wir nun gewissenhaft unseren Auftrag erfüllt hatten und den fälligen Geldbetrag nur um ein geringes Entgeld für den mühseligen Botenweg erhöht und eingezogen hatten, zog es uns beide in die Kneipe, um unser schwer und nicht ganz rechtens verdientes Geld nun gleich wieder auf den Kopf zu hauen. Entgegen sonstiger Gewohnheit zückte Marius nicht gleich die Laute, sondern wir setzten uns an einen Tisch in der Ecke und tranken in Ruhe.
Nach ein paar Stunden wurde es ruhiger, das Feuer flackerte und drohte schon auszugehen, da wurde die Tür aufgestoßen. "Ho, ihr Weichflöten und Flachpfeifen!" hieß es, und halb erwartete ich ein Valkensteiner Korps oder ein Askarier-Rudel - aber in der Tür standen bärtige Gestalten mit Seemanshüten, langen Säbeln und diesen Pistolen, die zwar knallen, aber selten Treffen. Die Gesellschaft polterte an die Theke, bestellte Bier und Rum, und trank, laut und viel. Irgendwann wurde dann lautstark nach einem Barden verlangt, der "diese traurige Gesellschaft mal zum Lachen bringen" solle und ein paar "Zoten und Derbigkeiten allererster Güte" erzählen solle. Marius blieb erst sitzen, als die Seemänner, wie sie sich nannten, dann blankes Silber hervorzogen, ließ er sich jedoch nicht nochmal bitten.
Dieser Abend endete bitter, bitterer als jeder Abend zuvor. Zum ersten Mal geschah es, dass nicht die Zuhörer vom Barden fasziniert waren, sondern der Barde von den Zuhörern.
Mit steigender Zeche kamen die Geschichten. Das Leben auf See schien hoch herzugehen, so ruhig der Seegang auch sein mochte, und erst bei stürmischer See schien das Männerherz frei atmen zu können. Frei! Frei von Verpflichtungen, frei von Land und Lehen, hörig nur dem eigenen Wort und dem des Kapitäns. Auch frei von Moral, frei von Ehre wie es schien! Nur gebunden an die Notwendigkeit, Schiffe zu kapern, Beute zu machen, zu morden, plündern und zu vergewaltigen, gebunden daran, die eigenen Taten zu feiern und auch zu prahlen mit eben jenen Taten, die Marius hier in Engonien zu bekämpfen geschworen hatte.
Plötzlich war dieser Novize der Lavinia entflammt! Er hatte nie die Hand erhoben, nicht einmal in einer Prügelei! Doch nun galt ihm die "Freiheit" der See mehr als die Liebe zu Lavinia, der Rausch des Meeres ließ ihn den Blutrausch der blauen Wölfe des Lupus vergessen, die frischen, salzigen Seewinde wehten seinen blutigen Kummer ob all der toten Engonier hinfort."
Vanion legte erneut eine Kunstpause ein. Langsam griff er nach seinem Weinkrug, nur um festzustellen, dass dieser leer gegangen war. Erwartungsvoll schaute er in die Runde.
Mel:
"Tapferer Vanion, pah" Jacques verzog das Gesicht und füllte die Krüge wieder auf.
"Ja, der Tag des Wolfes.."Jacques schaute zu Lorainne; doch die grinste nur zurück und nickte.
"Qui, der bleibt mir sicher noch lange in Erinnerung, ausgerechnet Robert sollte auf mich aufpassen." Wieder lachte sie und wandte sich erklärend an Vanion: "In Simon war verschwunden, und ich hatte erst kurz zuvor von dem Verrat meines Vaters erfahren und wurde von der Reichgarde nur nicht festgenommen, weil sich für mich verbürgt wurde. Und ich wurde unter hausarrest gestellt und robert schwor bei seiner Ehre, auf mich aufzupassen. Manchmal glaube ich, dass es ihm leichter gefallen wäre, einen Sack Flöhe zu hüten. Aber bevor wir weiter abschweifen, Vanion, Du hast jetzt genug Deine Kehle befeuchtet, also erzähle weiter."
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