Die Gebiete in Caldrien > Das Caldrische Imperium

Das Laviniakloster in Blanchefleur

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Vanion:
Bis zu diesem Haus kam er überhaupt nicht. Eine helle Mädchenstimme rief "Papa!", und dann rannte ein kleines, strohblondes Bündel auf kurzen Beinchen freudestrahlend in die weit ausgebreiteten Arme seines Vaters. "Jeanne! Ich bin so froh, dich zu sehen", hauchte Vanion, und drückte seine Tochter an sich. Tief sog er ihren Duft ein. Die Brüder und Schwestern im Hofe hielten kurz inne, und auf so manches Gesicht schlich sich ein Lächeln: war doch der Ritter, angetan mit klimpernden Sporen und den dicken Reiseklamotten, auf die Knie gegangen und hielt nun ein in ein dünnes Kleidchen gehülltes Kind im Arm - sein Kind.

Sanft löste Vanion sich aus der Umarmung seiner Tochter, dann hielt er sie auf Armeslänge von sich entfernt und sah sie stolz an.
"Groß bist du geworden, ma chère! Und hübsch, eine wundervolle Dame wird aus dir werden, das seh ich jetzt schon!"
Die wundervolle Dame in spe wand sich rasch aus des Vaters sanftem Griff, dann stemmte sie trotzig die Arme in die Seiten.
"Wo bist du so lange gewesen, Papa? Was hast du gemacht? Hast du eine Heldentat begangen? Erzähl mir alles, na los, Papa! Rainne war hier und hat Geschichten erzählt! Nimmst du mich jetzt mit? Nach Hause?"
"Rainne?" Dann dämmerte es ihm, und er lachte laut. "Ah, Lorainne! War sie euch besuchen? Wo ist eigentlich Leah?"

Jeanne ließ sich nach kurzer Diskussion überzeugen, Leah zu suchen, und sie fanden die Tochter Savarics schon bald - natürlich in der Scheune, bedeckt von einem Haufen Stroh. "Ho, Nichte! Dass du schon jetzt so gut..." - und dann hatte er die Handvoll Stroh im Gesicht, und Leah machte sich einen Scherz daraus, sich von ihrem Onkel und Jeanne suchen zu lassen. Vanion genoss die Tollerei ein paar Minuten, und die Welt stand für eine kurze Zeit still.

"Genug! Arretez à cache-cache!"
Nicht nur die Kinder sahen ein wenig schuldbewusst drein, auch Vanion wirkte ertappt. Zum Glück hatten sie nur Verstecken gespielt und nicht einander durch das Stroh gejagt, denn sonst hätte der frisch gebackene Ritter wohl die Heugabel in die Hand nehmen müssen.
Gesprochen hatte die Mutter Oberin. Sie lächelte, als sie Vanion begrüßte, auch wenn ihrem Ton nicht mehr dasselbe Wohlwollen wie früher zu Eigen war.

"Chevalier Vanion, die Mutter zum Gruße! Ihr besucht Eure Tochter, wie schön! Sie macht sich ganz vorzüglich; die ersten Buchstaben kann sie schon lesen. Beim Benimm, da tut sie sich schwer, weit schwerer als Leah."
Der tadelnde Blick ließ Jeanne ein wenig näher an ihren Vater rücken und zaghaft nach seiner Hand greifen.
"Nun, husch, ab mit euch, geht noch ein wenig spielen. Euer Vater und Onkel wird gleich wieder bei euch sein."
Vanion ließ es sich nicht nehmen, Jeanne einen Kuss auf die Wange zu schmatzen ("Ihhhh, Papa!"), bevor er der Mutter Oberin wieder auf den Hof folgte.
Nach ein paar Schritten sagte sie:
"Lavinias Segen ruht auf ihr. Chevalier, sie wird zu einer wundervollen Frau heranwachsen. Sie ist gesund, stark und schlau, und sie ist hier in Sicherheit vor aller weltlichen Unbill." Unbill, die Jeanne drohen würde, so Vanion es jemals wagen würde, Anspruch auf Roquefort zu erheben. Es war nicht so, dass Jeanne ganz offiziell eine Geisel war, aber sie war eine Sicherheit für Blanchefleur, dass, solange Vanion lebte, kein Roquefort mehr Unfrieden stiften würde in Caldrien.
"Das freut mich sehr, Mutter Oberin. Ich bin mir sicher, dass der Segen der Göttin und auch Eure helfende Hand viel damit zu tun hat."
Sie tauschten noch einige Höflichkeiten und Neuigkeiten aus, aber schnell wurde klar, dass die Mutter Oberin durch Lorainnes noch nicht wirklich lange zurückliegenden Besuch den großen Teil der Neuigkeiten, den Vanion mitbrachte, bereits kannte - und manche Dinge durfte er schlicht nicht erzählen.
Nach einer Weile stießen die Kinder wieder zu ihnen, und die Schwester, die sich um sie kümmerte, scheuchte sie gleich weiter zum Waschen - denn das Abendessen war fertig. Auch Vanion bekam eine Schüssel voll guten, nahrhaften Eintopfs, und er löffelte emsig mit seiner Tochter um die Wette.

Nach dem Essen wurden die Kinder ins Bett gebracht - seit langer Zeit war es erneut ihr Vater, der Jeanne die Decke bis zum Hals zog und sie sanft küsste, bevor er das Nachtlicht löschte. Später saß er wieder mit der Mutter Oberin beisammen, und sie redeten viel über die Übel, die in dieser Welt umgingen. Bogumil, der Amabilis aus dem Spital bei Engonia, hatte Wort gesandt über Atos, den finsteren Lich, der sein Unwesen trieb, und die Mutter Oberin war in Sorge. Gerüchte waren aus Ahrnburg und Barebury gekommen, und die Mutter Oberin erzählte ihm gar von einem reisenden Magier des Konzils, der mit Brandwunden hier angekommen war und der hier versorgt worden war. Der Abend neigte sich endlich dem Ende zu, und anstelle einen weiteren Scheit in das Kaminfeuer zu legen, sah Vanion dem glühenden Holz zu, wie es knackend in sich zusammenfiel.
"Ich wünschte, ich könnte ein wenig länger an diesem Ort des Friedens verweilen. Aber gleich morgen muss ich wieder fort. Ich reite nach La Follye, Mutter Oberin - und mit Eurer Erlaubnis wird Jeanne mich begleiten."
"Ihr wollt Eure Tochter mit Euch nehmen? Ihr wisst, dass ich das nicht gestatten kann. Euer eigenes Wort bindet Euch."
Urplötzlich lag Misstrauen in ihrer Stimme, und ihre klaren Augen blickten Vanion durchdringend an.
"Natürlich tut es das, hohe Frau. Ich werde Jeanne nach meinem Besuch auf La Follye wieder hierhin bringen. Aber ich möchte sie einer alten Freundin vorstellen. Das Lehen liegt nicht weit von hier, wie weit ist es - eine, zwei Tagesreisen? Stellt mir einen oder zwei Eurer Mönche und Nonnen zur Seite, und macht einen Vater damit glücklich."
"Ich... weiß nicht, ob das angemessen ist, Chevalier." Zweifelnd zog sie eine Augenbraue hoch.
"Jeanne braucht nicht immer nur diese Mauern zu sehen, Mutter Oberin. Sie weiß so gut wie jedes andere Kind, dass hinter dem nächsten Hügel noch ein Hügel kommt. Es ist ihr kaum vergönnt, zu reisen, und sie hat einen Vater, der mehr gereist ist als gehaust hat. Lasst uns diese zwei, drei Tage miteinander - mein Wort als Chevalier Voranenburgs, dass ich sie zurückbringe."
Nun seufzte die Mutter Oberin vernehmlich.
"Eine Zwickmühle. Lege ich das Wort Blanchefleurs hart aus, müsst' ich Euch dies untersagen, doch handle ich damit nicht wider den Willen der Dame Lavinia? Chevalier, ich vertraue Euch. Nehmt Amélie und Matthis mit, und geht mit Lavinia."


Lorainne:
Herbstbeginn 267 nJ

Die Tage waren noch mild, doch die Nächte waren schon bitterkalt.
Zwar war Lorainne nicht im Gästetrakt des Klosters untergekommen, doch sie hätte eine kleines Quartier über der Armespeisung bezogen. Es war karg, das Bett war eher eine Unbequeme liege, doch es war warm und ruhig.
Lorainne schlief, als wäre sie auf den weichesten Daunen gebettet.

Sie hatte die Goldbacher Garde ein Stück begleitet, war dann aber zum Kloster weiter gereist, ohne ihre Tochter in Goldbach zu besuchen. Es dürfte keinen weiteren Aufschub mehr geben..

Die Wunde, die der Dämon ihr beigebracht hatte, schmerzte immer noch, die Strapazen der Reise hatten nicht gerade zu Heilung beigetragen.
Ihr Gesicht würde von einer weiteren Narbe geschmückt, fast kam es ihr so vor, als wollte Lavinia ihr ein Zeichen aufdrücken, damit jeder wusste, wer.. non, *was* sie war.

Man hätte sich um ihre Wunden gekümmert, sanft und vorsichtig, doch niemand hatte mit ihr gesprochen und die Mutter Oberin hatte sie nicht empfangen.
Plötzlich, im Morgengrauen, kam ihr dieser Ort kälter und kahler vor als Tailon Orikos.

Lorainne:
Nach drei Tagen wurde sie von der Mutter Oberin empfangen. Drei Tage, die sie wie eine gemeine Magd mit schwerer Arbeit verbrachte, um sich zu reinigen und Buße zu tun.

Wie eine Bittstellerin, im schlichten, kratzen Gewand, gesenktem Haupt, wartete sie, bis die Mutter Oberin das Wort an sie richtete.

"Hast du ein Testament geschrieben?" Die klare Stimme der alten Klostervorsteherin durchbrach jäh die Stille, so dass Lorainne unmerklich zusammen zuckte.
"Ja, Werte Mutter, das habe seit dem Pilgerzug. Dich gestern Abend habe ich noch einige Änderungen vorgenommen. Ich wäre sehr geehrt, wenn ihr diese bestätigen würdet."
Fast schüchtern reichte sie die Papiere weiter und die Mutter Oberin las es aufmerksam durch.
"Es ist dir also ernst mit Roquefort? Und der Bastard, was ist mit ihm?"
"Er ist Ritter in den Diensten des Grafen von Voranburg. Er wird keinen Anspruch erheben."
Die Oberin lächelte:"das meine ich nicht, halte mich nicht für dumm."
Röte schoss in Lorainnes Gesicht und sie suchte verlegen nach einer Antwort.
"Ich habe es selbst spät gemerkt, aber ich habe ihm längst verziehen. Ich kann auch seine Gründe nachempfinden. Möge Lavinia Admoneta mir verzeihen, aber ich hätte nicht anders gehandelt. Wir wissen voneinander, was in dem anderen vorgeht, wann der Zorn hervirbrechen kann, wir können ihn aneinander so schnell und heftig hervorholen, wie es kein anderer vermag.
Ich liebe ihn wie einen Bruder, er gehört zu meiner Familie und gerade in der Familie findet man die erbittersten Zwiste.
 Doch weil ihm- wie mir der Weg auf den Grund unserer Väter verwehrt ist, ist es nur Recht, wenn seine Tochter eines Tages dort eine Heimat findet. Vanion und ich führen die Fehde zwar nicht weiter, doch wir können noch keinen Frieden schließen.
Doch wir ebnen den Weg, damit unsere Söhne und Töchter in Frieden und Freundschaft miteinander leben."

Die Mutter Oberin strich ihr sanft über die Wange:"Mögen die Götter eure Kinder segnen. Doch nun bereite dich vor, Wache vor dem Schreibtisch, gehe in Dich und bereite dich auf Deine Beichte vor. Die geweihten wollen erfahren, was in Tailon Orikos geschehen ist, vor allem, was Du getan hast. Und dann wirst Du Deine Strafe empfangen. Und nun geh mein Kind."

Damit war sie entlassen.

Lorainne:
Und so war es geschehen, sie hatte alles erzählt, kein Detail ausgelassen und es schien ihr die Last zu erleichtern.

Als sie fertig war, spürte sie, wie die Stimmung umschlug und es war ihr, als tauchte die in Kälte Nebel ein, als sie das Urteil der Geweihten vernahm.

"...Von Szivar verführt.,.."
"...Eines Dieners Lavinias nicht würdig..."
"Von der Amabilis unterstützt.."
"...Dämon töten..."
"...Tapferkeit und Mut..."
"...Ritterlichkeit..."
"..musste getan werden..."
"..wer sonst sollte sich derart beschmutzen..."
"...Buße tun..."
"... Schweigen..."

Anders:
Es waren die ersten warmen Tage in diesem Jahr. Am Himmel war kaum noch eine Wolke zu sehen und zum ersten mal hatte er diesen schönen blau Ton, den sonst nur diese kleinen blauen Blumen hatten die manchmal am Wegrand links und rechts wuchsen. Hin und wieder war sie an vereinzelten Menschen vorbei gekommen, mal zu Fuß mal mit einem Esel der zwei Körbe links und rechts trug. Sie alle hatten mehr oder wenige merkwürdig geschaut, was wahrscheinlich ihrer Art zu reisen geschuldet war, aber welch schönere Art zu reisen konnte es an Tagen wie diesen gaben neben der ihren. Anders lag auf Springes Rücken und ließ sich von seinen Schritten hin und her schaukeln während er die Straße entlang trottete. Zwinschen drinn hielt er immer wieder an um am Rand zu grasen, aber lange gönnte die Kenderin ihnen keine Pause schließlich hatte sie ein Ziel. Auch wenn sie sich noch nicht wirklich sicher war, wie zu verfahren war wenn sie dort angekommen war. Mit einem Seufzen stützte sie sich auf Springers felliges Hinterteil und schaute nach vorne. Im Moment verlor er sein dickes Winterfell und verteilte überall Haare.
"Gleich sind wir da.", erklärte sie ihm und deutet zwischen seinen Ohren nach vorne.

Fulk hatte ihr gesagt, dass wenn sie sich wirklich auf die Suche machen wollte sie am besten hier anfing. Als sie ihn fragte ob er sich denn keine Sorgen mache, hatte er schwer geseufzt. Natürlich machte er sich Sorgen, genau so wie die kleine. Auch sie wusste nicht wo ihre Mutter war, aber niemand besaß genug Freiheit und Zeit um sie aufzuspühren. Zu lange hatte es keine Nachricht mehr gegeben.
Missmutig runzelte Anders die Stirn. Als sie Lorainne das letzte Mal gesehen hatte, ging es ihr nicht gut. Sie hatte ein bisschen krank gewirkt, entkräftet und müde. Und viel zu still. Hatte sie überhaupt etwas gesagt? Anders konnte sich nicht erinnern. In jedem Fall ging es nicht, dass jemand ihrer Freunde einfach so verschwand ohne das irgend wer wusste wohin.
Deshlab hatte sie sich auf den Weg zu Kloster gemacht. Egal ob ihr selber das passte oder nicht. Sie würden ihr schon sagen wo Lorainne war, ansonsten würde sie es selbst heraus finden. Immerhin war das etwas von dem sie sicher wusste, dass sie es konnte.

Vor dem Tor ließ sie sich von Springers Rücken gleiten und führte ihn am Hanfzügel die letzten Meter. Mit erhobener Faust pochte sie gegen die große Holztür und besah sich die hohe Mauer links und rechts. Am hellichten Tag um das Kloster zu reiten wäre zu auffällig gewesen. Wenn man sie nicht einließ würde sie bei Nacht wieder kommen und das Gelände auskundschaften. Sie wusste noch in etwa wie dieses Kloster aufgebaut war, aber in den Jahren konnte sich einiges verändert haben. Und sie würde nicht riskieren erwischt zu werden.
"Hallo? Jemand zu Hause?"

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