Der Städtebund von Tangara > Brega

Brega, 6. Tag des 10. Mondes, 263 n.J.

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Vanion:
"Offenheit?! Das nennst du offen? Wieviel wissen diese Leute? Wer ist dein Meister?"

Wütend fuhr Vanion Wassilij an. Er war von dem Tisch, an den er sich das Gespräch über gelehnt hatte, aufgesprungen und hatte dabei Anders angerempelt, die recht nah bei ihm gestanden hatte. Das bemerkte der Knappe jedoch gar nicht.

"Du bist auf Freunde angewiesen und spuckst auf deren Geheimnisse! Ich hatte dein Wort, Stillschweigen zu bewahren, und doch hast du deine, deine.. deine was auch immer eingeweiht! Und du verlangst von mir, dir alles zu erzählen und ganz nebenbei alles, was du mir sagst, für dich zu behalten? Hast du zuviel getrunken?!"

Mühsam zügelte Vanion sich. Er war zornig, und er hatte über das letzte Jahr kaum Gelegenheit gehabt, seinen tief sitzenden Zorn über die Ungerechtigkeit der Ereignisse, die unter anderem ihm widerfahren waren, zum Ausdruck zu bringen. Als er sah, dass Wassilij zum Sprechen anhob, kam er ihm zuvor.

"Nein, mein Freund." Er betonte das Wort und zog es unangenehm in die Länge. "Ich durfte mir schon im Forêt d'Artroux von Kassos anhören, was für ein Risiko du seist! Was meinst du, warum er wollte, dass du an seiner Schule unterrichtest?! Weil er dich im Auge behalten will! Gorix und Balerian haben mir davon abgeraten, dir zu vertrauen, doch hab ich mich gefreut als wär mein seliger Großvater aus seinem Grab gestiegen, als ich dich in diesem dreifach verfluchten Wald vor den Kultisten fliehen sah! Du hast viele Worte verloren, über Lorainne, über dich, über Simon, die Götter wissen, über wen noch! Was geht es deine seltsamen Freunde oder Lehrer an, was mit Lorainne geschieht? Es hat einen Grund, dass wir nicht an jede Tür klopfen und nach Neuigkeiten fragen! Es hat einen Grund, weshalb Damian mir fast das Gesicht zu Brei geschlagen hat, als ich ihm sagte, dass Lorainne tot ist! Du kannst nicht in caldrische Ehrenhändeln mit mysteriösen Attentätern eingreifen! Du kannst nicht, mögen die Götter verhüten, dass es tatsächlich so sei, dass Roquefort mit dem Täuscher im Bunde steht, einen Zwist mit dem Täuscher durch eben das verhüten - durch Täuschung, Verstecken und dergleichen mehr! Ich weiß, dass du Roquefort liebend gern ein stilles Messer zwischen die Rippen jagen willst, doch es hat Gründe, weshalb Simon und auch ich dagegen sind! Lorainnes Zustand erlaubt nicht den geringsten Hinweis darauf, dass Roquefort doch nicht gewonnen haben könnte - denn genau das glaubt er doch! Natürlich, der Söldnertrupp, der den Wald betrat, lebt noch - na und?! Es gibt keine Beweise für eine Schuld von irgendjemandem an irgendetwas! Es gibt bloß Menschen, die Schutz brauchen, Menschen, die noch nicht aus dem Schatten getreten sind, um für ihre Familie einzustehen! Die Mühlen drehen sich vielleicht langsam, Wassilij, aber sie drehen sich! Und jedes Lebewesen, dass von diesen Mühlen überhaupt erfährt, ist ein potenzieller Stein in dieser Mühle!"

Mit einem wütenden Schnauben drehte Vanion sich zu Anders um. Er hoffte nur, ihr nicht allzusehr wehgetan zu haben, als er sie beiseite gestoßen hatte. Bei den Göttern, Wassilij! Ich hätte eher erwartet, dass du mir ein Messer in den Rücken stößt und 'Heil Szivar' dabei brüllst, als dass du so etwas ..Dummes! tust. Kurz überlegte er, dann traf er eine Entscheidung.

"Wir reiten morgen los, Anders. Nach Blanchefleur. Und danach reiten wir zu Kassos' Burg. Ich muss dort jemanden besuchen."

Wassilij:
Wassilijs Miene blieb ausdruckslos. Als er sprach, war seine Stimme frei von jedwedem Gefühl und schnitt eiskalt durch den Raum.

"Was weißt du schon, Vanion. Du weißt nicht einmal, mit wem ich gesprochen habe und ich hab mit niemandem über die wahren Ereignisse im Foret d'Artroux gesprochen. Offensichtlich bin ich in euer aller Augen ein Attentäter. Aber wirklich, wisst ihr nichts darüber." Wassilij drehte sich zum Fenster um und öffnete die Läden, um die kühle Nachtluft herein zu lassen. Er nahm einen tiefen Zug, bevor er mit den Schultern zuckte und noch leiser sprach ohne sich um zu drehen.

Seine Stimme schien nun völlig gefühlskalt zu sein. " Ich hab nie jemanden verraten. Ich war länger dort, als nur ein Jahr. Hier war es ein Jahr. Dort eine halbe Ewigkeit. Trotz der Folter dort, habe ich nie nachgegeben und habe trotz aller Angebote nie 'Ja' gesagt."

Mit einem schnellen durchstrecken der Beine, zog er sie unter den auf dem Sims ruhenden Armen hindurch und sprang gewandt aus dem Fenster. Da sie im ersten Stock waren, war der Sprung problemlos. Unten angekommen, rollte Wassilij geübt ab und verschwand in den Schatten, bevor jemand wirklich begriff, was gerade geschah.

Anders:
Anders ging es soweit gut. Sie war zwar unsaft auf den Boden geplumpst hatte sich aber nichts getan. Wer hatte denn auch damit rechnen können, dass Vanion so Böse wurde. Sie sicher nicht.
Verwirrt beobachtete sie den Schlagabtausch der beiden Männer und dann Wassilijs verschwinden. Inzwischen hatte sie sich längst wieder aufgerappelt, aber auch das hatte nicht geholfen zu verstehen was gerade passiert war.

Hier griff nun wieder eine Tatsache, die oft vergessen wurde, vor allem von Anders selbst. Die Tatsache, dass sie vollkommen neu in Engonien war und dementsprechend keine Ahnung von seiner Geschichte hatte, oder den Ländern um es herum. Von daher war es nicht verwunderlich, dass sie nun nicht mehr mitkam.

Aber Wassilijs Stimme... er klang wie ein Stein, ganz leblos, oder wie Eis, ganz kalt. Zumindest wenn sie sich die Stimme von Eis und Stein vorstellte klangen sie so.

Kurz nachdem er gesprungen war, war sie schon am Fenster gewesen und hatte ihn verschwinden sehen.
"Jetzt hast du ihn verjagt!", sagte sie mit einer Stimme die sich nicht entscheiden konnte ob sie verwirrt, anklagend oder traurig klingen sollte. "Ich versteh überhaupt nicht was los ist! Ich dachte Jelena wäre sein Meister, zumindest haben die anderen gesagt sie sei seine Herrin und... hat er überhaupt was gesagt.?"
Ihre Stimme entschied sich für leicht hilflos und verwirrt.
Die großen Leute machten alles immer so furchtbar kompliziert. Hilfesuchend suchte ihr Blick Vanions. Vielleicht konnte er ihr erklären was passiert war.
So wie es sich abgespielt hatte, schien es ein großes Missverständnis gewesen zu sein aber sicher war sie sich nicht.

Vanion:
Auch Vanions Mund stand offen. Ja, er hatte Wassilij angefahren, aber diese Reaktion hatte er nicht erwartet.

"Ich habe ihn verletzt, mehr, als ich dachte, glaube ich. Ich weiß nicht und wusste nie, wie es nun geistig um ihn bestellt war, aber ich hätte mir denken können, dass er nicht alles hinnehmen würde, was ich sage."

Der Knappe schwieg, sein Zorn war verraucht. Es war fast, als hätte Wassilij ihn mitgenommen. Eine gewisse Leere erfüllte ihn. Das Vertrauen, das Wassilij ihm entgegen gebracht hatte, war zerstört, von jetzt auf gleich.

"Du bist noch nicht lange in Engonien, aber über Wassilij weißt du genau so viel oder wenig wie ich. Vielleicht habe ich ihn ein wenig besser kennengelernt, aber wirklich kennen - das tut niemand. Jelena vielleicht. Ich.. ich bin so wütend geworden, weil ich genug davon habe, dass über meinen Kopf hinweg Leute einbezogen werden. Lorainne ist lebendig, aber wer weiß, wie lange, in ihrem Zustand? Ich mache mir auch nur Sorgen, um sie, und auch um Rania. Und ich fühle mich nunmal machtlos, da Dinge geschehen, auf die ich keinen Einfluss habe." Vanion bemühte sich, nicht selbstmitleidig zu klingen. Er wollte Anders wirklich vermitteln, was los war, ihr erklären, dass die Dinge, die sie immer so einfach sah, unglaublich kompliziert waren.
"Fangen wir von vorne an. Wassilij war, als ich ihn kennenlernte, Jelenas Leibwächter, ja. Aber das ist er auch nicht immer gewesen. Er ist kein Engonier, hat seine Fähigkeiten woanders gelernt, in fremden Landen." Nach einer weiteren Pause fuhr er fort: "Frag mich einfach, was du nicht weißt. Das ist besser, als wenn ich versuche, Geschichten aus dem Blauen zu erzählen."

Anders:
Anders blickte Vanion an. Jetzt sah er nicht mehr wütend sondern niedergeschlagen aus.
"Hey.", sagte sie nun sanfter. "Ich bin sicher er wird dir vergeben wenn du dich entschuldigst."
Sie lächelte vorsichtig überlegte aber dann.
"Also er ist auch ein Fremder wie ich hier, also eigentlich. Ich verstehe nur nicht wieso du plötzlich so wütend geworden bist? Das ist alles. Ich meine... diese ganzen Dinge sind schließlich nicht passiert um dir eins auszuwischen. Wer wird über deinen Kopf hinweg einbezogen? Ich schätze Lorainne so ein, aus dem was ihr erzählt, dass sie ganz genau wusste was sie tut, aber nicht jeder Plan geht auf und...", sie unterbrach sich, da sie irgendwie befürchtete ihre Worte würden in die falsche Richtung gehen und fing von vorne an.
"Ich meine das ganze ist nicht deine, meine oder seine Schuld und wir machen uns alle Sorgen, aber im Moment können wir nichts für die beiden tun außer schweigen und das haben wir doch alle drei getan soweit ich das verstanden hab. Ich weiß nur nicht was grade der Auslöser für deine Wut war. "
Sie war wieder näher an ihn getreten und legte ihm vorsichtig die Hand auf die Schulter. "Weder du noch ich können im Moment etwas für Lorainne oder Rania tun, das ist Magier Sache und auf gegen Roqufort haben wir nichts außer Vermutungen. Was wir brauchen sind Beweise. Aber das hatten wir ja alles schon. Hey.... guck nicht so traurig. Es wird alles gut, das wird es am Ende immer sonst ist es noch nicht vorbei."
Sie drückte ihn vorsichtig und schwieg eine Weile.

"Ich bin keine wirklich große Hilfe was?", kam es irgendwann halb laut geseufzt von ihr. War sie nie bei großen Dingen, aber das war okay. Solange sie irgendwas tun konnte kam sie damit klar.

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