Hier und dort: In Engonien und außerhalb des Kaiserreiches > Gruppen auf Reisen im In- und Ausland
Wassilij und Jennas Geschwister auf dem Weg von Engonia nach Fanada (Sommer 264)
Lilac:
Nun war es an Jabucica, ihre Stirn zu runzeln.
"Das ist tatsächlich etwas vage, nicht?!"
Erneut bildeten die beiden Geschwister ein zwillingshaftes Bild.
"Naja," begann Dječak, "ich denke, uns ist schon klar, dass es da was geben muss. Etwas, das die Welt geschaffen hat, unser Schicksal bestimmt und das Katastrophen und Wunder geschehen lässt. Aber wie dieses Etwas genau funktioniert, weiß ich nicht. Das... das kann ich irgendwie nicht benennen..."
In dem Moment griff Jabucica ihren Bruder aufgeregt am Arm:
"Dječak, erinnerst du dich an die Geschichte, die Jenna uns erzählt hat? Von den beiden heiligen Männern, die auf Reisen sind?"
Der Blick der jungen Frau verschwand in der Ferne und sie wiederholte, was sie von der älteren Schwester gehört hatte:
"Es waren einmal zwei heilige, von den Göttern ausgesandte Männer. Der eine war alt und erfahren, der andere jung und unwissend. Am ersten Abend kamen sie zu einem großen Haus, in dem ein reicher Mann wohnte. Sie klopften an dessen Türe und baten um Unterkunft für die Nacht. Zunächst wollte der reiche Mann die beiden abweisen. Dann jedoch erkannte er die Gott-gesandten und da er sich dadurch einen Vorteil versprach, hieß er sie herein. Er führte sie in den Keller, in einen feuchten, kalten Raum und gab ihnen eine schimmelige und fadenscheinige Decke.
Die beiden Gesandten legten sich zur Nacht. Der jüngere schüttelte verwirrt den Kopf. Es wäre dem reichen Mann doch sicherlich nicht schwer gewesen, sie besser unterzubringen. Aber da der ältere nichts gesagt hatte, hielt auch er sich zurück.
Am folgenden Morgen erwachte der junge Gesandte gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie der ältere eine defekte Mauerstelle im Keller ausbesserte.
Wenig später - sie hatten ein Stück Brot vom Vortag zum Frühmahl erhalten - waren die beiden wieder auf dem Weg.
Der zweite Abend kam und sie waren in einer armen Gegend. Wieder klopften sie an eine Türe. Hier lebte eine kleine, arme Familie in einer sehr bescheidenen Behausung, kaum mehr als eine Bretterbude. Ihr wichtigster Besitz, eine Ziege, lebte mit im Haus. Den beiden Gesandten wurde ein herzlicher Empfang bereitet. Ihre Gastgeber teilten all ihr spärliches Essen mit ihnen, gaben ihnen die besten Plätze am Feuer und ließen sie in ihrem eigenen Bett schlafen.
Am nächsten Tag erwachte der junge Gesandte beim Wehklagen der Frau, die über der toten Ziege kniete.
Dennoch rissen sich alle Familienmitglieder zusammen, frühstückten mit den Gästen gemeinsam und schickten sie dann mit einem kärglichen Proviant wieder auf ihren Weg.
Als sie nun eine Weile gegangen waren, konnte der Jüngere nicht anders, er hinterfragte die Taten des Älteren. 'Warum hast du so gehandelt? Du bist doch mit einigen Mächten unseres Gottes ausgestattet! Im Hause des Geizhalses reparierst du das Fundament, und den armen, guten Leuten lässt du ihre einzige Ziege sterben!'
Der ältere ließ den Jungen in Ruhe aussprechen, nickte dann bedächtig und erklärte: 'Du darfst niemals vorschnell urteilen! Betrachte erst alle Seiten! Im Hause des Geizhalses habe ich hinter der Mauer ein kleines Goldversteck gefunden. Nun wird er es nicht finden, sondern erst sein enterbter Sohn in vielen Jahren. Und in der vergangenen Nacht kam der Schnitter eigentlich für das jüngste Kind in der Wiege. Ich habe ihn davon überzeugen können, stattdessen die Ziege mitzunehmen. Was glaubst du, wieviel größer der Gram der Familie gewesen wäre, wenn sie ihr Kind verloren hätten?!'
Da bedankte sich der Junge bei dem älteren. 'Ich sehe, mir fehlt deine umsichtige Weisheit. Ich hoffe, dass ich diese erlangen kann und verstehe nun, warum den sterblichen die Wege der Götter oft unerklärlich bleiben.'
Wassilij:
Wassilij nickte. "Ja eine weise Legende. Und es steckt viel Wahrheit darin. Nicht alles, was schlecht aussieht ist es auch wirklich und auch nicht immer das offensichtlich Gute."
Lilac:
"Ich hatte diese Geschichte völlig vergessen!", gestand Dječak.
Ein Kauz gab über ihnen Laut, eines der Pferde schnaubte entspannt, die Blätter der Bäume raschelten im Abendwind und das Feuer knisterte. Für einen Moment hing ein jeder der kleinen Reisegesellschaft seinen eigenen Gedanken nach.
Wassilij:
Der Krieger streckte sich längs aus und faltete die Hände hinter dem Kopf, während er das sich im Wind wiegende Laubdach anschaute. Mit zunehmender Dämmerung, flackterte der Feuerschein stärker im Laubspiel über ihren Köpfen.
Friede.
Wie lange hatte er das schon nicht mehr gekannt. Einfach nur Frieden und Ruhe. Kein Gedanke an Kampf, Krieg, Tod oder dunkle Götter. Aber die Wirklichkeit, würde wieder kommen. Er war nicht dafür geschaffen im Frieden zu leben. Diese eine Entscheidung wurde ihm in seiner Kindheit abgenommen. aber Jahre später, hatte er sie selbst gefällt und seinen Weg gewählt.
Der Sohn.
Der Sohn war sein Schicksal.
Unwillkürlich flüsterte Wassilij dieses eine Wort. Einen Moment unvorsichtig entglitt es seinen Lippen. "Sin." Der Sohn. Als es ihm bewusst wurde, hoffte er die Blätter und das knacken des brennenden Holzes hätte dieses Wort übertont.
Lilac:
Dječak und Jabucica hatten nun eine ganze Weile sehr intensiven Kontakt zu Wassilij gehabt, um zu bemerken, dass es für diesen offenbar nichts alltägliches war, sich entspannt nach hinten zu legen. Sie lächelten sich in einer dieser Zwillings-artigen Verbundenheits-Situationen zu und widmeten sich dann wieder jeder den eigenen Gedanken, auch wenn der jeweils andere durchaus spüren konnte, um was es beim anderen ging.
Die beiden jungen Menschen hatten ein seltsam ziehendes Gefühl im Bauch. Freiheit. Sie war erfleht worden, unerwartet gekommen und sorgte nun sogar gelegentlich für Unbehagen, weil sie auch eine Menge Unbekanntes beinhaltete.
Dječak malte sich aus, wie er und seine Schwester in Brega, das er sich als kleinere Version von Engonia vorstellte, einritten und gleich von Anfang an einen anderen Status hätten. Sie waren diejenigen auf Pferden, die nach dem Weg zu einem Mietstall fragen würden. Nicht diejenigen, die den Weg erklärten oder ehrfürchtig Platz machen würden. Er würde niemanden anrempeln oder einfach umreiten! Würde keinen armen Schlucker mit der Reitpeitsche fortscheuchen! Und niemand würde ihn scheel anblicken - er wäre einfach ein weiterer Reiter von vielen. Boten, Pagen, Knappen, Söhne reicher oder adeliger Häuser, Abenteurer... all jene ritten durch die ganze Welt und ließen somit Familie und andere Altlasten hinter sich...
Jabucica sah sich als weiblichen Stallknecht von Wassilij in die Zivilisation zurückkehren. Eine junge Frau, die etwas gut konnte und sich damit ihren Lebensunterhalt verdiente. Kein klassisches Mädchen, für das die Familie einen Ehemann fand, sondern eher eine Fachkraft, über die derjenige gebot, dem sie ihre Treue geschworen hatte.
Leise stimmte sie einen der Texte aus dem Liederzyklus, den die Geschwister schon zuvor erwähnt hatten, an und Dječak stieg bald ein....
"Ein weiter Weg und manch ein langes Jahr.
Ich ging auf Straßen, fremd und sonderbar.
Ich habe viele Länder schon bereist.
Mit Mächtigen hab ich am Tisch gespeist.
In kalten Nächten und in höchster Not
Teilte mit mir so mancher Knecht sein Brot
Doch nie war mir ein Freund, so wie ihr's wart
Was dich nicht umbringt, macht dich hart.
Das Schwarze Buch war bei mir alle Zeit.
Was ich begehrte, stand schon bald bereit.
Und leere Taschen sind kaum ein Problem
Wer zaubern kann, der liegt nie unbequem.
Selten allein, ich nahm es, wie es kam,
Verlor mein Mitleid und auch jede Scham.
Tat alles, wie's nie vorher meine Art
Was dich nicht umbringt, macht dich hart.
Verkaufte meine Kunst für teures Gold.
Wo Reichtum lockte, stand ich bald im Sold.
Am Hof von Fürsten ging ich ein und aus
Und lebte schon wie sie in Saus und Braus.
So manchem stand der Argwohn im Gesicht
Für meine Dienste liebten sie mich nicht.
Und doch, aus Furcht ging man mir um den Bart
Was dich nicht umbringt, macht dich hart.
Nur gegen eins war nicht mal ich gefeit.
Denn wo die Macht wächst, da wächst auch der Neid.
Gegen Intrigen und die Politik
Hilft nicht einmal der stärkste Zaubertrick.
Man schob mich ab, mit Geld und Ritterschlag,
Auf Gutsbesitz, der in der Heimat lag.
Der Rückzug blieb mir schließlich nicht erspart
Was dich nicht umbringt, macht dich hart.
Ein weiter Weg und manch ein langes Jahr.
Ich ging auf Straßen, fremd und sonderbar.
Ich habe viele Länder schon bereist
Mit Mächtigen hab ich am Tisch gespeist
In kalten Nächten und in höchster Not
Teilte mit mir so mancher Knecht sein Brot,
Und nie war mir ein Freund, so wie ihr's wart
Was dich nicht umbringt, macht dich hart."
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