Die Gebiete in Caldrien > Das Caldrische Imperium
Winter 265 n.J., Lager des grünen Ritters, nach dem Schützentunier
Anders:
Anders war mit etwas beschäftigt was in ihrem Schoß ruhte. Das Feuer knisterte leise vor sich hin und sie lauschte seinem Klang. Ihre Schulter verheilte gut und jeden Tag durfte sie sie mehr belasten, dennoch würde die Narbe bleiben. Aber das störte sie nicht. Auch die Narbe auf ihrer Wange machte ihr nicht wirklich etwas. Es war nur immer noch merkwürdig sich damit im Wasser zu sehen. Sie war halt neu. Aber Neu war nicht schlecht. Neu war anderes. Und anders... war sie noch Anders?
Die vielen Stunden die sie im Wald verbrachte und die anderen in denen Sie im Lager half wo sie konnte, lauschte sie doch immer auf den Klang den all ihre Aktivitäten in ihr auslösten. Wenn man alles wegnahm was passiert war... hatte sich im großen und ganzen nichts verändert, und doch... irgendwas war ganz anders. Irgendwas hatte sich verändert.
Sie schlief noch immer nicht sehr gut, auch wenn die Träume sie nicht mehr so heftig aufschrecken ließen. Sie verbrachte die Nächte lieber in einer Art dösigem Zustand, der ihr genug Erholung brachte aber keine Träume.
//Ich muss endlich aufhören mir darüber den Kopf zu zerbrechen.//
Aber wie konnte sie? Alles hier im Lager erinnerte sie daran. Nein. Das stimmte nicht ganz. Im Moment waren so viele Ausgeflogen das langsam auch Erinnerungen an das Lager vor dem Tunier wieder aufflammten. An den harten Winter und trotzdem das Lachen. Den Schnee und kopflose Hirsche, eine Gruppe Eichhörnchen, Rehe an einem kleinen Bach und eine geschützte Höhle die nach Rauch roch. An einen Taubengrauenhimmel, dunkle Tannennadeln, Pferde und die Feder im Haar ihres Ponys. Die Blicke zwischen den Männern und ihr raues Lachen.
Natürlich waren auch dort dunkle Flechen. Allains Grab, der kopflose Hirsch, der Beran, aber sie hatte eine sehr schöne Zeit hier im Wald gehabt. Und hier im Lager.
Anders merkte selbst wie sie einige Erinnerungen gezielt ausschloss und ließ den Kopf wieder leicht hängen. Immerhin ging es im besser und er konnte wieder rumlaufen.
Sie betrachtete das Geflochtene Band in ihrem Schoß. Es war aus allen möglichen bunten Schnüren gemacht, dick und fest. Immer wieder ließ sie es durch ihre Finger gleiten. Hinter sich hörte sie Schritte die sich vorsichtig näherten. Still blieb sie sitzen. Sie hatte auch eine Feder und überlegte ob sie sie daran befestigen sollte. Aber sie würde dort nur kaputt gehen.
Sie richtete ihren Blick wieder auf die Flammen und wartete ab. Auf was sie genau wartete... das wusste sie nicht.
Aber ihr war bewusst das sie seit einiger Zeit auf etwas wartete. So wie sie vorher nach irgendwas gesucht hatte. Aber was genau...
Das war in den Hintergrund gerückt.
Vanion:
Sanft legte Vanion Anders die Hand auf die Schulter. Halb war es ein Abstützen - das Hinsetzen war mit seiner offenen Hüfte nicht einfach. Langsam und vorsichtig ließ er sich neben ihr zu Boden sinken. Als er plötzlich abrutschte, war es ihre Hand, die ihn stützte und Schlimmeres verhinderte. Mit verzerrtem Gesicht rückte er seine Kleidung zurecht und raffte den Umhang fester um die Schultern.
Ihre Blicke trafen sich für seine Sekunde, und Vanion lächelte ihr unsicher zu. Vertrauen lag in seinem Blick, auch Liebe - wenn auch nicht die Art von Liebe, die sie sich wohl wünschte. Eher ein Blick, den der große Bruder der kleinen Schwester zu wirft. Er bemerkte das Band, das Anders immer noch festhielt, und dachte an ein fast gleiches Band, welches er um seinen Schwertgriff gewickelt hatte. Ihm fehlten die Worte. So vieles war vorgefallen, was ein Band einer ganz anderen Art zwischen Mensch und Kender geschmiedet hatte. Was vor zwei Wochen geschehen war, hatte dieses Band nicht erschüttern können. Und nichts würde das tun können.
Doch dann fiel ihm ein, dass er das schon einmal gedacht hatte. Rania. Wieder verscheuchte er die Gedanken an die Priesterin, wie so oft schon.
Noch immer fehlten ihm die Worte. Was würde er Anders sagen können? Alles wird wieder gut? Es kommen noch gute Zeiten? Du, das wird schon wieder? Noch nie zuvor war Vanion dem Tode so nah gewesen. Selbst vor Engonia - als Luthor panisch, blutverschmiert, mit einem wilden Feuer in den Augen zu ihm rannte, nur kurz mit den Schultern zuckte und "Das Bein ist verloren, Junge!" sagte und weiter rannte.. da hatte er Schmerz und Angst und Wut verspürt, doch nie diese Panik, diese - diese Urangst vor dem Sterben. Immer waren irgendwo Freunde um ihn herum gewesen, irgendeiner hatte sich immer auf den Beinen gehalten. Doch bei diesem Turnier - Jacques! Der Mann, der ihm so Vieles beigebracht hatte, hatte tot am Weg gelegen, sein Herz durchbohrt von kaltem Stahl. Er hatte gesehen, wie Lorainne fiel, und Silas.. Soviel Tod, soviel Schmerz. Wie konnte ein Mann das aushalten, ohne zu zerbrechen? Eine einzelne Träne rollte langsam seine Wange herunter, er bemerkte sie nicht einmal. Eine Wut kam in ihm auf. Savaric! Du Sohn einer Hure, Verräter vor Göttern und Menschen!
Früher war Vanion oft in Selbstmitleid und Zweifel versunken. Doch nun, da er so Vieles erreicht hatte, so weit gekommen war, flammte ein Feuer in seinem Herzen, dass alles, was schlecht und angstvoll war, zu ersticken drohte. Dieses Feuer hatte ihn dazu gebracht, Söldnern die Kehle durchzuschneiden, als sie betrunken ihren vermeintlichen Sieg feierten. Ohne solche Handlungen wäre Anders niemals gerettet worden. Doch Reue verspürte er nicht. Irgendwo wusste der Knappe, dass das Feuer, dass ihn Antrieb, zwar verhindern würde, dass er jemals aufgab, doch nach und nach alle Liebe, die er verspürte, seine Ideale und sein Wesen, verbrennen würde. Tief drin spürte er, dass es Lorainne genauso ging. Sie hatte so viel mehr durchgemacht als er, und sie schien für die Rache zu leben, nicht für - ja, für was? Frieden? Liebe? Nur noch Tod gab es in den letzten Jahren.
Anders:
Anders stützte Vanion als dieser sich setzte. Er hatte immer noch schmerzen, das sah sie und zum Glück hatte er ihre gesunde Schulter genommen. Kurz sah sie ihm in die Augen und schaute dann wieder auf das Feuer. Sie wusste nicht was in seinem Kopf vor ging, allerdings waren ihre Gedanken bei dem selben Thema angelangt.
Auch ihr war aufgefallen das Lorainne sich verändert hatte, manchmal erschien sie ihr dunkler und das schon vor dem Tunier. Und Vanion... er hatte diese Männer einfach so töten lassen. Einfach so! Aus heiterem Himmel!
Zuerst: Lasst uns mit ihnen reden und dann... Tötet sie.
Es hatte sie sehr, sehr befremdet.
Und doch. Nachher war er sie suchen gegangen, war Lorainne zurückgekommen.
Wieder drückte sie das Band zwischen ihren Fingern, schaute in die Flammen.
"Es tut mir leid."
Vanion:
"Meinem Onkel sollte es Leid tun. Auf ihn wartet der Strick." Bitterkeit und Hass sprang aus Vanions Mund. "Du.." Als sei er ein anderer, klang plötzlich Wärme aus seiner Stimme. "Dir sollte nichts Leid tun." Hilflos sah er ins Feuer. Seine Gefühle rangen miteinander. Kalter Hass gegen das Gefühl, Anders beschützen zu müssen. Ihre Schulter..
"Im Gegenteil. Ich hab geschworen, auf dich aufzupassen, und so oft davon gesprochen, dass dir nichts geschehen soll. Doch.. ich war wohl nicht besonders gut, oder?" Sein alter, unbeschwerter Humor blitzte auf, doch als sei es trockener Reisig, brannte er wieder aus. "Soviel Blut, und nichts davon hab ich verhindern können. Jacques.. und wir wissen immer noch nicht, ob Fulk überlebt hat." Ein Berg aus Sorgen drohte über Vanion hereinzubrechen: die Männer hier im Lager, von denen jeder einzelne wusste, wessen Neffe er war. Die Sorge um Lorainne und auch die Äxte. Vor allem Bran und Ulric waren ihm als Kameraden ans Herz gewachsen. Die Angst, dass Anders weglaufen könnte. Die Furcht vor dem Sterben, und die Hilflosigkeit und Haltlosigkeit seines Glaubens.
Doch er straffte sich. Er war nicht hier, um herum zu memmen. Er musste den Männern hier Kraft geben, und den Glauben daran, dass Lorainne nicht nur zurückkehren, sondern sie aus diesem Wald heraus und zurück nach La Follye führen würde. Lorainne wurde gewiss auch danach beurteilt, mit was für Männern sie sich umgab. Es war keine Zeit für Schwäche und Zweifel. Gib Anders den Glauben an das Gute zurück. Gib ihr Halt!
"Wir alle, jeder einzelne von uns, wusste, was geschehen konnte. Wenn man jeden Tag damit rechnet, dass irgendwann einmal jemand leidet, sogar stirbt - dann muss man verstehen, dass 'irgendwann' durchaus heute sein kann. Tod, Schmerz, Angst - und in deinem Fall völlige Hilflosigkeit, Ohnmacht - das sind ferne Begriffe, Worte, und Worte sind Wind. Erst durch die Tat werden sie lebendig. Und so oft wir davon sprechen, wie gefährlich unsere Hoffnung ist, wie gefährlich unsere Taten sind, wie klein unsere Chancen, genauso oft reden wir davon, wie wir alle einander lieben. Wie wir füreinander durch Elend und Tod waten, aber auch, wie wir miteinander singen und lachen. Die Götter geben nichts umsonst, einzig Szivar verspricht das. Doch selbst der Täuscher muss dereinst zahlen für alles, was er gibt. Wir geben unsere Tränen, unser Blut, und werden unsere Rache bekommen. Wir werden unseren Frieden haben, wenn Savaric erst tot ist. Das, was du getan hast, hat Savaric getan! Das war nicht Anders! Das war -" Er verstummte. Diesen Namen wollte er nicht aussprechen, niemals wieder. Sandrose war ein gebrochenes Wesen, ein Gefäß für jemanden, der Gift unter die Leute bringen wollte. "Was deine Familie dir angetan hat, was Savaric und Dorn dir angetan haben - das ist unentschuldbar. Dorn hat dafür gezahlt, und auf Savaric wartet der Schuldeneintreiber."
Es war klar, wer damit gemeint war. Die Frage lautete nicht, ob Savaric starb, sondern wer ihn umbrachte. Vor einem halben Jahr noch hattest du Zweifel, den eigenen Onkel abzuschlachten, Kleiner! Die kleine, hämische Stimme ins seinen Gedanken ließ den Knappen jedoch kalt. "Lorainne wird sich beeilen müssen."
Jetzt erst fiel ihm auf, dass er nicht grade den Glauben an das Gute hoch hielt, sondern eher ..tiorswürdige Gedanken.
Anders:
Sie schwieg und ließ Vanion ausreden, nahm die Worte auf betrachtete sie von allen Seiten und stellte sie zurück in den Kontext. "Das... das mein ich noch nichtmal.", murmelte sie schließlich kaum hörbar. "Aber ich hab sehr sehr viel Zeit mir Gedanken zu machen und... Ich glaube.... das ist der falsche Weg. Es ist ein Weg, natürlich und auch ein mächtiger aber..."
Sie schien zu überlegen. "Weißt du was mit versalzenem Boden ist? Da wächst nichts mehr. Garnichts! Nehmen wir mal an eure Rache ist das Salz und der Boden ihr selbst. Ein bisschen Salz ist gut, macht euch stark und hilft. Aber ... ich hab das Gefühl ihr versalzt euch. Lorainne verändert sich, du veränderst dich und ihr merkt es nicht mal. Ihr werdet bitter.... ihr sterbt."
Die letzten Worte waren sehr sehr leise so als traue sie sich das gar nicht zu sagen. Sie schaute fest auf das Feuer. "Und ich hab mich nicht für... für.. Die Taten der Anderen entschuldigt. Das auch. Ich hätte mich vielleicht früher trauen müssen... oder eindringlicher warnen... ach ich weiß es nicht. Kadegar hat mich noch gewarnt! Er hat gesagt sowas kann passieren."
Hilflos und auch wütend krallte sie die Hände in den Stoff ihrer Hose. "Ihr wart so sehr damit beschäftigt mich zu beschützen das ihr vergessen habt wie gefährlich ich bin. Und ich... ich hab es nicht gewusst. Nicht in dem Maße. Ihr habt einen Kuckuk beschützt. Denn nichts anderes war ich, aber ich weiß auch nicht wie ich es hätte verhindern können, außer mir die Trommelfelle zu zerstechen. Damit muss ich selbst klar kommen... irgendwie. Was ich meine..."
Jetzt schaute sie ihn an und wieder war da dieser Schmerz und die Unsicherheit die tief gingen.
".. was ich meine ist... Ich kann euch im Moment nicht helfen wie ich möchte. Lyra hat gesagt, ich bin wie Licht, ich leuchte oder so ähnlich. Und irgendwie helfe ich dadurch, aber ich glaube nicht das ich im Moment leuchten kann. Ich bin kein Licht, nicht mehr... nicht jetzt. Bald vielleicht wieder, aber... "
//Hilf mir. Ich liebe dich!//
Es war wie ein Stich in die Brust und sie schaffte es mit Mühe den Schmerz zu unterdrücken. "Ich bin nicht die die gebraucht wird.", endete sie schließlich. Sie wusste nicht wie sie sich erklärt hatte, gut oder schlecht. Da war so viel in ihrem Kopf, und in ihrem Herz.
Sie schluckte schwer.
"Und auch wenn es Dorn war, oder mein Onkel oder der Rest meiner Familie der nicht geholfen hat oder nicht helfen konnte. Dorn war mein Bruder, Vanion. Und er ist Tod. Sie haben ihm die Kehle durchgeschnitten. Und egal was war er war mein Bruder. Wir sind zusammen aufgewachsen. Wir haben gespielt und gezankt, meine Geschwister großgezogen, gelernt. Wir waren auf Touren...."
Sie rang nach Worten und knüllte das Band in ihrer Rechten Faust zusammen.
"Geschwister sollten so etwas nicht tun! Familien sollten so etwas nicht tun."
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