Hier und dort: In Engonien und außerhalb des Kaiserreiches > Geschichten und Gespräche

Einwände

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Vanion:
Als Stella am nächsten Morgen auf dem Hof auftauchte, fand sie Vanion nicht vor. Der steckte auf einer Weide und begutachtete ein totes Kalb, das irgendein Tier gerissen hatte. Mit einem Schulterzucken nahm er den Kadaver auf, irgendetwas würde sich gewiss noch verwerten lassen. Als er in die Gegend des Hofes kam, stutzte er - schon von weitem sah er ein Pferd, aufgezäumt und leicht bepackt. Besuch? Er schritt schneller aus. Das Kalb gab er Tom, der Kleine machte sich schon gut und würde auch damit zurecht kommen. Dann wusch er sich rasch ein wenig und machte sich auf den Weg in die Küche, wo seine Mutter oder seine Schwester den Besuch gewiss untergebracht hatten.

Als er den Raum betrat, trat ein Lächeln auf sein Gesicht. "Stella! Wie schön, dich zu sehen!" Er machte einige Schritte auf sie zu, dann hielt er inne - er hatte keine Ahnung, weshalb sie hier war, und auch nicht, was sie von ihm hielt. So einfach war es offensichtlich gar nicht, in ein altes Leben zurück zu kehren.

Sandra:
Stella war nett von der Familie von Vanion begrüßt worden und hatte sich ihnen vorgestellt. In der Küche hatte man ihr frische Milch angeboten, die sie gerne angenommen hatte. Inzwischen hatte sie also mitbekommen, dass Vanion tatsächlich wieder hier war und auf dem Hof arbeitete.

Als er herein kam und lächelnd auf sie zu schritt wollte sie sich gerade erheben, um ihn zu begrüßen, hielt dann aber plötzlich inne.
Sie konnte sich denken, dass er unsicher war, wie sie darauf reagieren würde, ihn hier zu treffen, also stand sie auf, lächelte zurück und machte die verbliebenen Schritte auf ihn zu, um ihn zu umarmen.
Da sie keine Ahnung hatte, warum er nun hier war, wollte sie sich das lieber von ihm erzählen lassen.
"Hallo Vanion, ich freue mich auch, dich zu sehen. Aber... Was machst du hier? Ich dachte schon, ich hätte mich verhört, als ich ein bisschen Tratsch in der Schenke aufgeschnappt habe. Beim Namen Bachlauf bin ich hellhörig geworden und wollte mich persönlich überzeugen."

Vanion:
Kurzerhand setzte sich Vanion hin. Lieber kurz und schmerzlos.
"Ja. Ich hab Lorainne verlassen und auf meinen Stand verzichtet." Ich hab den Schwanz eingekniffen und bin davon gerannt.
"Ich konnte mich nicht überwinden, meinen eigenen Onkel zu töten. Noch weniger wollte ich mich auf Savarics Seite schlagen und gegen Lorainne arbeiten. Fort zu gehen schien mir der einzige Ausweg zu sein."

Gespannt sah er Stella an. Er schätzte sie als eine rationale Person ein, die mit ritterlichen Ehrbegriffen nicht allzuviel anfangen konnte. Würde sie ihn verurteilen? Nervös kaute er an einem Fingernagel. Gewiss würde sie, die soviel für Lorainne riskiert hatte, seine Handlung als Verrat an La Follye ansehen. Yorik war einfach gewesen. Der war naiv genug, über die Realität hinweg zu sehen. Yorik hatte gar nicht daran gedacht, dass Vanion für Lorainne eine Stütze gewesen war und auch ein zentraler Teil des Plans, Savaric zu besiegen.

Plötzlich wünschte der ehemalige Knappe sich, bessere Gewänder zu tragen als die grobe Tunika und die Leinenhose. Ihm war es fast peinlich, dass unter seinen Fingernägeln Dreck von der Feldarbeit hing; und auch der stoppelige, unregelmäßige Dreitagebart und der Schmutz an der Hose fielen ihm nun plötzlich auf. Ironischerweise stand Stella gesellschaftlich nun weit über ihm - sie war eine anerkannte Schülerin der Akademie zu Ayd'Owl, Vanion war nur ein Bauer.

Sandra:
So wenige Worte über so viel Herzblut?...

Stella sah Vanion aufmerksam an und musterte ihn, seinen Gesichtsausdruck und versuchte eine Regung zu erkennen.

Sie ließ sich Zeit mit der Antwort und ging mit ihren Gedanken noch einmal die Ereignisse mit Lorainne und Vanion nach. Besonders die letzten, das Schützenturnier im Winter und Westmynd. Ja, Vanion hatte das mit seinem Onkel erwähnt und dass er hoffte, das Schwert nicht führen zu müssen. Und auch Stella war bei dem Gedanken nicht wohl, was tatsächlich auf La Follye passieren würde. Doch er hatte auch immer betont, dass dies nötig sei und auch explizit bei der Frage nach der Hilfe, das Gesicht des Widerstandes zu sein zugestimmt. Und jetzt sollte er sich das alles von heute auf morgen anders überlegt haben? Wo sie sich auf Westmynd doch noch so eng verbunden waren? Und jetzt brachte er kaum zwei Sätze dazu raus?

"Naja, das Thema stand doch schon länger im Raum und du hast schon immer gehofft, dass du nicht derjenige sein musst, der das Schwert führt und darüber schien man sich doch einig, oder? Aber was ist mit den ganzen anderen Plänen? Im Foret hast du noch zugestimmt, das Gesicht des Widestandes in La Follye zu sein, Lorainnes Hand - die, die sie dort nicht selbst führen kann. Du, ein Roquefort, der das Volk hinter sich schart. Was ist mit diesem Plan und Lorainnes Vorhaben?"

Vanion:
Vanion schüttelte den Kopf. "Das Gesicht des Widerstandes konnte nur jemand sein, der den Menschen Hoffnung gibt, ein Vorbild! Kein Mörder, niemand, der den eigenen Onkel erschlagen möchte. Die Menschen dort oben brauchen jemanden, zu dem sie aufschauen können, sie brauchen jemanden, der ihnen voran schreiten kann. Natürlich war ich prädestiniert dazu, diese Rolle zu spielen."

Stellas Worte trafen Vanion, und eine wirkliche Erwiderung auf ihre nüchternen Feststellungen hatte er nicht. All die Versprechungen und Pläne waren hinfällig, aufgegeben und verraten worden, weil er sich dafür entschieden hatte, nicht mehr gegen seinen Onkel vorgehen zu wollen.

"Dieser Plan ist hinfällig geworden. Er wurde es in dem Moment, als ich zweifelte, ob das, was ich tat, überhaupt richtig war. Als Knappe und als Ritter muss man loyal sein, La Loyalité ist eine Tugend meines.. des Standes. Man soll treu zu seinem Eid stehen, treu zu seiner Familie, fidèle aux dieux et de l'Impératrice. Wäre ich bei Lorainne geblieben, hätte ich meine Ideale beschmutzt und Blut an meinen Händen gehabt - das Blut meiner Familie. Nun, da ich ihre Dienste verlassen habe, sind meine Ideale genauso beschmutzt - aber es klebt kein Blut an meinen Händen. Was immer nun passiert, ob Lorainne Savaric besiegt oder bei dem Versuch stirbt - es ist nicht in meinen Händen. Es ist nicht meine Verantwortung, und es ist auch nicht meine Schuld."

Er ließ die Schultern hängen. Seine Worte klangen selbst für ihn hohl. Egal, aus welchen Motiven er gehandelt hatte, feige war es doch gewesen. Er wusste genau, aus zahlreichen Geschichten, dass der tragische Held sich dann eben versündigte. Der Bruder, der den Bruder erschlug, war oft ein Thema in caldrischer Literatur gewesen. Und er wusste nur allzu gut, dass Savaric zwar sein blutsverwandter Onkel war, Vanion ihn aber nie kennengelernt hatte. Sein Onkel hatte ihm nach dem Leben getrachtet und tat es vermutlich noch immer. Aber nur weil Savaric so ist, muss ich nicht auch so sein!

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