Hier und dort: In Engonien und außerhalb des Kaiserreiches > Geschichten und Gespräche

Einwände

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Vanion:
Vanion seufzte. Er sah an sich herab. Eine einfache Leinentunika, eine Wollhose, und dünner Gürtel, an dem zwei, drei Dinge hingen, unter anderem ein buntes Band und ein kleiner, blauer Beutel.

"Ich stand vor einer Entscheidung, Yorik. Einer Entscheidung, die mein Leben für immer verändern würde. Ich konnte meine Hände und meine Ehre mit dem Blut meines Onkels beflecken, oder mit dem Blut meiner Chevalière."
Beim Klang des caldrischen Wortes glitt ein Schauer über Vanions Rücken. Dieses Wort beinhaltete so vieles, Gutes wie Schlechtes.

"Wie immer ich mich entschieden hätte, beide Wege hätten mich wohl zum Ritter gemacht. Den Ritterstand hätte ich entweder von Savaric erkauft, indem ich seine Sache unterstützt und meine Ideale verraten hätte - oder ich hätte ihn von Lorainne erkauft, indem ich meinen Onkel erschlagen hätte. Und was für ein Ritter wäre ich dann gewesen? Wohl kaum einer mit Ehre im Leib."
Dass Lorainne in Reichsfeld gefoltert hatte, dass sie Alain umgebracht hatte, davon schwieg er.
"Ich hab mich am Ende dazu entschieden, meinen Eid zu verraten."
Ein bitterer, trauriger Zug huschte über sein Gesicht. Man sah Vanion an, wieviel es ihn gekostet hatte, diesen Schritt zu gehen, und dass er selbst jetzt noch zweifelte, ob es richtig gewesen war. Er hatte nicht weniger als seinen Traum aufgegeben, als er Lorainne verlassen hatte.

Doch ohne Bedauern sah er Yorik ins Gesicht. "Das hier ist mein Zuhause und das hier ist meine Familie." Just in diesem Moment sprang seine Tochter durch die nur angelehnte Türe und sah ihren Vater vorwurfsvoll an. Schließlich versteckte der sich hier in der Küche, dabei schien draußen die Sonne, da konnte man doch spielen? Grinsend schüttelte Vanion den Kopf und rief nach einer seiner Schwestern. Als die schließlich reinkam und die kleine Jeanne auf den Arm nahm, streckte das Kind ihm die Zunge heraus. Kurzerhand streckte Vanion seine auch heraus, dann wandte er sich wieder Yorik zu.

"Lorainnes Kampf ist nicht meiner. Wer weiß, ob ich überhaupt noch Kämpfe führen soll. Bisher bin ich vor allem mit dem Pflug beschäftigt."

Yorik:
Während Vanions Ausführungen hatte Yoriks Gesichtsausdruck sich verändert. Beginnend bei skeptisch, hatte er sich über verständnislos und besorgt hin zu ratlos gewandelt. Still hatte er dagesessen und versucht, die neuen Informationen zu verarbeiten, bis plötzlich Vanions Tochter erschienen war. Wie ein Orkan aus Sonnenlicht hatte sie den Raum gestürmt und sofort alle Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, auch die des Novizen. Doch das Beeindruckendste war, was sie in ihrem Vater auslöste. In dem Moment, in dem er ihr die Zunge herausstreckte, sah Yorik etwas in seinem alten Freund, das er so noch nie gesehen hatte, und Vanions Worte begannen langsam, ihren Sinn zu entfalten.

Einge Momente lang starrte Yorik sein Gegenüber noch an, dann schüttelte er den Kopf. Ein Geräusch entrang sich seiner Lunge, das bei genauerem Hinhören als leises Lachen zu erkennen war. "Du verdammter Mistkerl", murmelte er, "ich hatte mir ganz genau zurechtgelegt, was ich dir sagen will. Und jetzt hast du jedes meiner Worte entkräftet, bevor ich anfangen kann." Er hob den Blick, sodass man das schiefe Schmunzeln auf seinen Lippen sehen konnte. "Ich wollte dir was erzählen von Verpflichtung und Konsequenz, dich erinnern an deinen bisherigen Weg und daran, wie weit du dabei gekommen bist. Ich wollte dich dazu aufrufen, dein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren - aber das wäre angesichts der Situation nur hohles Phrasendreschen." Yorik dachte an die Zeit, die Vanion wie ein besessener nach Lorainne gesucht hatte, und es schauderte ihm bei dem Gedanken, wie brutal diese Entscheidung für den jungen Mann gewesen sein musste. Gleichzeitig dachte er auch an ihr zweites Treffen - im Kloster in Blanchefleur. Damals hatte Vanion bereits von dem Traum gesprochen, sich einfach niederzulassen...

"Ich weiß nicht, ob ich deine Entscheidung überhaupt hätte treffen können," begann Yorik erneut, "und ich ziehe den Hut vor dir, dass du es getan hast. Du hast dein großes Ziel aufgegeben...", er stockte, "aber dafür ein anderes Ziel erreicht, nicht wahr?" Er deutete demonstrativ auf die Einrichtung der sie umgebenden Stube, dann schmunzelte er erneut, diesmal etwas fröhlicher. "Und was wäre ich für ein Diener Lavinias, wenn ich dagegen etwas sagen würde?"

Ich hoffe nur, er ist wirklich für dieses Leben gemacht, dachte er sich im Stillen, den Krieger kriegt man nicht aus der Haut. Wer weiß, wie das mit Knappen aussieht...

Vanion:
Nun musste Vanion laut auflachen.

"Du sprichst wie ein alter Mann, der hundert Sommer und hundert Winter erlebt hat, weißt du das? Weise wie zwölf Ratsmänner!" Er hörte auf zu lachen, doch ein gewisses Schmunzeln blieb in seinen Zügen. "Du brauchst mir nicht zu vergeben, Yorik. Ich hab immer so gehandelt, wie es mir richtig und gut erschien. Die Konsequenzen dieser Entscheidungen trägt man nunmal. Ich glaube kaum, dass ich mich in Caldrien nochmal blicken lassen kann. Dort erzählt man bestimmt bald Geschichten über mich - und zwar nicht die, von denen ich geträumt hab. Kennt ihr schon die Geschichte von dem Feigling, der weggelaufen ist?"

Lautes Kindergeschrei drang vom Hof herein, dazwischen die enervierte Stimme seiner Schwester, die versuchte, die Bälger voneinander zu trennen. Vanions Blick ging zum Fenster, dann wieder zurück zu Yorik. "Ich war nicht für diesen Hof gemacht, mein Freund. Darum bin ich ja auch weggelaufen vor ein paar Jahren."
Er stand auf und ging zu einem größeren Wandschrank. Darin stand (neben einigen Besen) seine Bardike. Das Holz war gesplittert und abgenutzt, die Schneide glänzte zwar noch in ihrer Schärfe, doch Flugrost hatte das Axtblatt befallen.

"La Chevalerie. Das Rittertum." Nachdenklich sah er durch die geöffnete Tür auf die Waffe. In Westmynd, da hab ich das erste und wohl auch das letzte Mal an einer Turney teilgenommen. Der Herold rief meinen Namen. Die Menge rief meinen Namen. Ich wollte nicht kämpfen, doch ..musste Damian vertreten werden. Es war dumm, sich zu verausgaben, aber irgendwie fühlte es sich richtig an - und gut.

"Dieses Leben hier ist wundervoll. Friedlich. Keine Sorgen, keine Verantwortung. Wir leben in einem befriedeten Engonien, und zumindest Tangara wächst und gedeiht. Die Ernte letztes Jahr war gut, die Saat dieses Jahr war gut. Mit etwas Glück werden wir noch im Winter einen Überschuss haben." Sanft schloss er die Schranktür, dann setzte Vanion sich wieder zu Yorik. "Ich will offen zu dir sein, Yorik. Nichts wünsche ich mir mehr, als den Ritterschlag zu empfangen. Ein Leben in Ehre und Würde verbringen, voll der guten Taten, und irgendwann erzählen die Leute Heldengeschichten über mich." Seine Augen leuchteten plötzlich, ganz wie in den ersten Tagen nach dem Ende des Bürgerkrieges.
"Aber - seien wir realistisch. Wer nimmt schon einen Knappen an, der auf seinen Knappeneid gepfiffen hat? Wer den einen Eid bricht, dem ist der zweite nicht viel wert, sagt man doch. Mein Traum ist ausgeträumt, und ich bin aufgewacht. Und ich muss sagen, so schlimm ist es gar nicht, wach zu sein - es ist schön hier. Friedlich, ruhig - naja, bei den Kindern und der Arbeit hat man nie wirklich Ruhe, aber man muss nicht ständig auf seinen Rücken aufpassen. Freundschaften bekräftigt man bei einem Bier. Ich muss keine Krüge mehr halten und keinen Schild mehr buckeln, der mir nicht gehört."

Vanion war bewusst, dass seine Rechtfertigungen ziemlich lahm klangen, aber er war zufrieden mit diesem Leben. Bestimmt war er das.

Yorik:
So sehr ihn der neugewonnene Frieden des ehemaligen Knappen freute - bei dessen letzten Worten stutzte Yorik. Vanion wirkte zwar ehrlich glücklich, gleichzeitig glaubte der Novize jedoch, da noch etwas anderes zu spüren. Eine Art Bedauern, eine Unsicherheit, so gut versteckt, dass man sie nur erahnen konnte. Vor allem als Vanion den Schrank öffnete und einen Blick auf seine alte Waffe warf, lag da etwas in seinem Blick...  Noch misstrauischer machten Yorik aber die Äußerungen zu der aktuellen Situation seines alten Freundes. Dessen Ausführungen zum Stand des Landes klangen etwas zu enthusiastisch, so als wolle er sich die Sache selbst schön reden.

"Ich glaube, ich verstehe dich jetzt, Vanion", setzte der Novize an und legte Vanion seine Hand auf die Schulter, "und wie schon gesagt - es sieht hier in der Tat idyllisch aus. Wenn es wirklich das ist, was dich glücklich macht, so gönne ich es dir von ganzem Herzen." Dann wurde seine Stimme leiser, und er raunte dem Tangaraner etwas zu. "Solltest du jedoch zweifeln, bitte ich dich, diese Zweifel nicht einfach zu ignorieren. Du bist nicht mehr der Mensch, der diesen Hof vor Jahren verlassen hat, und wenn man erstmal ein Leben adoptiert hat, wird man es nicht so einfach los..." Wieder einmal dachte Yorik an sein Leben als Krieger, an die körperliche Anstrengung und das Gefühl, aktiv eingreifen zu können. "Meine Mutter sagt immer, ein saurer Bäcker backt nur saure Brötchen", fuhr er fort, "wie wird das wohl mit einem Bauern sein, der sich für Höheres berufen fühlt?"

Yorik war klar, dass Vanion nicht zu Lorraine zurückkehren konnte - er hatte das Dilemma verstanden. Doch es gab auch noch andere Möglichkeiten, der Welt seinen Stempel aufzudrücken. Vanion musste sich nur entscheiden, ob er es sich lohnte, nochmal neu anzufangen. Mit einem neuen Traum.

Vanion:
"Und wie ist das mit einem Krieger, der gläubig wird?" Vanion sah Yorik scharf an. Als der Novize zusammenzuckte und ertappt wirkte, hatte Vanion fast ein schlechtes Gewissen. Er wusste, dass Yoriks Worte nicht böse gemeint waren, doch er mochte nicht zugeben, dass Yorik ihn getroffen hatte. Tatsächlich zweifelte er, so schön es war - den Rest seines Lebens als Bauer verbringen? Was war mit seinen Freunden? Wie ging es Damian, was taten Kadegar und Lyra grade? Ob Lorainne wohl noch lebte? Und Rania..

Entschlossen schüttelte er den Kopf. "Zu Höherem berufen, ja.. na, wenn's so ist, werd ich's merken. Das Höhere, das gerufen hat, hat mich am Ende zu einem Scheideweg geführt, und dort klebte Blut, dick und feucht und zäh. Ich sollte dankbar sein, den Bürgerkrieg und die Jahre danach überlebt zu haben. Versteh' mich recht, wenn ich meinen Teil leisten soll, werd ich mich nicht verstecken. Aber - naja, was soll ich tun? Ich hab kein Ziel mehr. Ich hab nichts, worauf es sich hinzuarbeiten lohnt." Er grinste bei diesen Worten. "Nichts, sag ich? Ich hab eine wundervolle Familie. Eine einfache Familie, in mehr als einer Hinsicht. Der Preis dafür war mein Stand, mein Leben als Knappe. Und je länger ich hier bin, desto stärker wird das Gefühl, dass der Preis im Grunde sehr gering war."

Erneut stand er auf und ging zu diesem Schrank. Mit einem dumpfen Schlag landete die Axt auf dem Küchentisch.
"Wenn man etwas aufgibt, dann sieht man schnell, was bleibt. Das hier bleibt auch. Ich bete, dass kein erneuter Krieg herauf zieht, und meine Haltung zu den Dienern des Täuschers, die allzuviel Leid über die Welt bringen, hat sich kein Stück geändert. Wenn jemand Hilfe braucht, wird meine Türe gewiss nicht verschlossen bleiben, auch wenn ich abseits dieser Axt nicht viel habe, was ich in die Waagschale werfen kann. Aber das Abenteuer suchen, wie früher? In die Welt hinausziehen? Dazu braucht es wahrscheinlich einen Barden."

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