Der Städtebund von Tangara > Ayd'Owl-Akademie
Die Akademie zur Ayd'Owl im Sommer 265 n.J.
Rikhard Kraftweber:
"Das wundert Euch doch nicht etwa? Ich halte Euch für eine gründliche Schülerin, die gewissenhaft arbeitet, und mit Verlaub, ich selbst bin wohl auch nicht gänzlich faul. Tatsächlich hab ich wohl zwei, drei Stündchen aufgebracht, um logische Szenarien durchzuspielen. Denn allein durch die umfassende Betrachtung des Untersuchungsobjekts von allen Seiten, auch den metaphorischen, tatsächlichen und ganz konkret gesprochen faktischen, bringt eine allgemeingültige Lösung."
Er zwinkerte Runa zu: "Ich mag das Wetter nicht vorhersagen können, aber wenn ich sage, dass es regnet, dann könnt Ihr Euch wirklich sicher sein, dass grade Wasser aus den Wolken fällt. Aber sagt mir doch, Ihr scheint mit Leichtigkeit auf eine finale Lösung gekommen zu sein. Und es ist wohl derselbe Schluss wie bei mir. Sollen wir unseren Dozenten überraschen und ein wenig zusammen arbeiten? Ein gemeinsamer Aufsatz, den wir gemeinsam von unseren Kommilitonen anfechten lassen werden und den wir beide dann wortgewaltig verteidigen werden, das klingt doch nach wahrem Bildungsgeist. Stets vorausgesetzt natürlich, Eure Ergebnisse sind umfassend belegt und richtig."
Anders:
Runa:
Runa winkte ab. "Mit Leichtigkeit würde ich es nicht nennen, nur folgte ein Schluss relativ schnell dem anderen. Aber wenn euch meine Lösung interessiert können wir gerne darüber reden. Ein Vergleich kann nie Schaden. Vielleicht habe ich wirklich einen Punkt nicht bedacht."
Sie wusste nicht recht, ob ihr die Idee von einem gemeinsamen Aufsatz gefiel. Sie hatte nichts dagegen mit Rikhard zusammen zu arbeiten, aber wenn es ans präsentieren ging würde es in einer Show ausarten. Große Worte, viel Bimborium um eine kleine Sache. Zwar hatte Runa auch kein Problem mit dem Reden vor großen Mengen, oder dem Verteidigen ihrer Meinung, aber sie hielt es dann doch eher sachlich und dezent.
Sie bedeutete Rikhard sich zu ihr zu gesellen und setzte sich auf die Umrandung eines Brunnens. Noch während sie ihre Gedanken ordnete, strich sie ihren Rock glatt und antwortete:
"Ein Gefangener wird dazu verurteilt, im Laufe einer Woche hingerichtet zu werden.
Hinrichtungen finden immer genau zur Mittagszeit statt.
Ihm wird der Tag der Hinrichtung nicht mitgeteilt, um ihn in banger Erwartung zu halten.
Zudem wird ihm gesagt, der Termin sei für ihn völlig unerwartet.
Das war die Aufgabenstellung wenn ich mich richtig entsinne. Fangen wir mit dem ersten Satz. Der Gefangene wird zum Tode verurteilt binnen eine Woche. Diese entspricht sieben Tage.
Die Hinrichtung findet IMMER, und das ist das Schlüsselwort in diesem Satz, zur Mittagszeit statt. Da die Mittagszeit nicht weiter definiert ist habe ich den Zeitraum von der elften Stunde bis zur zweiten nach der Mittagsstunde eingegrenzt. Es ist schließlich nicht genau von der Mittagsstunde die Rede.
Die letzten beiden Sätze gehören zusammen. Er soll in banger Erwartung gehalten werden und dennoch soll die Hinrichtung für ihn und hier wird es wieder wichtig völlig unerwartet sein.
Das ist aus folgenden Gründen nicht möglich.
Gehen wir zunächst von den psychologischen Folgen der Ankündigung des eigenen Todes aus. Jeder Mensch, der ein wenig an seinem Leben hält wird beginnen sich gründlich zu fürchten, vielleicht sogar in Panik geraten oder in einen Schockzustand fallen. Eine Woche ist eine viel zu knappe Zeit als, dass diese Gefühle und die damit enthaltene Erwartung der Hinrichtung abzumildern. Allein vom Stressgefühl, dass dieses Wissen ausruft wird der Gefangene immer damit rechnen das jeder Tag sein letzter sein könnte.
Nun geht es hier aber nicht darum ob der Gefangene damit rechnet hingerichtet zu werden, denn das ist sicher, sondern um seine Erwartung. Dadurch das er jeden Tag damit rechnet zu sterben, und mit jedem Tag der verstreicht diese Gefühl stärker wird, verlieren die Tage die verstreichen an Bedeutungslosigkeit für den Gefangenen und hier verschiebt sich die Gewichtung.
Wenn die Tage nun nicht mehr wichtig für seine Erwartung sind, was ist es dann.
Es ist der Zeitpunkt, eben jener der in der Aufgabenstellung definiert ist. Die Mittagszeit. Während er mit der Hinrichtung zu jedem Tag nur rechnet, so erwartet sehenden Auges das zur Mittagszeit die Knechte kommen um ihn abzuführen.
Die Aufgabenstellung fordert nun aber eine völlig unerwartet Hinrichtung binnen sieben Tage. Dies ist auf Grund der äußeren Umstände allerdings nicht möglich."
Rikhard Kraftweber:
"Da ist doch bereits der erste Denkfehler. Während das Ergebnis korrekt ist, so ist der Weg, den Ihr für die Lösung beschreitet, doch völlig falsch und von zahlreichen Schwächen geprägt. So ist zunächst die Fokussierung auf die Mittagszeit zu nennen. Zwar ist ganz richtig angenommen, dass die Mittagszeit unumstößlich ist und so die schlimmste Zeit der Erwartung stets kurz vor Beginn der Mittagsstunde erfolgen muss - doch dadurch, dass das nunmal an jedem möglichen Tag vorausgesetzt ist, wird die Wichtigkeit der genauen Stunde wiederum negiert. Es kommt nicht auf den Mittag an - es kommt auf den jeweiligen Tag an.
Unsere Ausgangssituation lautet also: an jedem Tag kann die Hinrichtung geschehen. Denn an jedem Tag ist die Hinrichtung möglich und nicht zu erwarten. Tja, das dachte ich - und dann fiel mir das Folgende auf: angenommen, es ist der vorletzte Tag des vorgegebenen Zeitraums von einer Woche. Wenn an diesem Tag die Hinrichtung nicht erfolgt ist, kann sie nur, anders geht es nicht, am letzten Tag erfolgen. Nicht wahr? Das wiederum sorgt aber dafür, dass die Hinrichtung nicht nur eventuell an jedem Tag, sondern ganz gewiss am letzten Tage zu erwarten ist. Doch die Hinrichtung findet völlig unterwartet statt - also kann sie nicht am letzten Tage der Woche stattfinden.
Damit ist der Zeitraum bereits auf nur noch sechs Tage eingegrenzt. Nun ist der letzte Tag fort, wie ich grade sagte. Das macht den vorletzten Tag zum letzten Tag - und damit kann am vor-vorletzten Tag der vorletzte Tag, der nun der letzte, der finale Tag ist, an dem die Hinrichtung zu erwarten ist, ebenso ausgeschlossen werden. Dieses Muster habe ich gewissenhaft und gründlich durchgespielt, und bin auf diesem Wege bis zum ersten Tage gelangt.
Und tatsächlich: an keinem Tag darf die Hinrichtung stattfinden, denn sie ist ja an jedem Tag zu erwarten! Das wiederum führt dazu, dass für den Gefangenen der Tag am Ende nicht zu bestimmen ist, und so wird er jeden Mittag zittern und weinen und seinen Tod erwarten. Der Logik der Aufgabe folgend, haben wir also ein Paradoxon vorliegen, welches allein durch die Realität, id est der Henker, der die Regeln der Aufgabe bricht und den Gefangenen schlicht exekutiert, gelöst werden kann."
Hatte anfangs noch wissenschaftlicher Eifer aus ihm gesprochen, stahl sich zunehmends eine gewisse Selbstzufriedenheit, eine gewisse Arroganz in seine Stimme.
"Ihr seht also nun hoffentlich kristallklar, meine liebe Frau Steinhauer, dass meine Logik ganz eindeutig bestechend und scharf ist."
Anders:
Runa:
Runa unterdrückte einen lautlosen Seufzer. Heute war also wieder einer der unaustehlichen Tage mit Rikhard. Kurz schaute sie sich um, ob es irgend wen in der Nähe außer ihr gab den er hätte beeindrucken wollen können, fand keinen und schloss daraus, dass es anscheinend wieder mal darum ging sein Ego zu profilieren.
"Wenn ihr so herunterrechnet Rikhard dann wird die Hinrichtung am ersten Tag stattfinden. Denn ihr geht davon aus, dass der Gefangene nicht am ersten Tag hingerichtet wird. Aber dieser Tag ist genau so wahrscheinlich wie jeder andere. Die Worte binnen eine Woche geben euch die Sicherheit, Zeit zu haben die ihr vielleicht gar nicht besitzt. Denn wenn ihr so beginnt, habt ihr die Gerichtsverhandlung mit in die sieben Tage hinein bezogen oder rechnet ihr die Woche vom Tag nach der Gerichtsverhandlung an ab?"
Sie schaute ihn fragend an.
"Ich Grunde genommen kann man es sich sogar noch einfacher machen. Es könnte sein das beide Lösungen zu kompliziert gedacht sind. Denn allein durch die Ankündigung seines Todes wird er seine Hinrichtung erwarten und sie nicht vergessen. Dabei spielen sowohl Tag als auch Stunde keine Rolle, da er weiß das er sterben wird. Und er weiß, dass er es nicht verhindern kann. Egal was er tut. Völlig unerwartet wäre es gewesen wenn man ihn verurteil hätte ohne Zeit Angabe und ohne Hinrichtungszeit. Es ist wie eine selbst erfüllende Prophezeiung, Man möchte ihn in banger Erwartung halten und ihn gleichzeitig überraschen? Ein Ding der Unmöglichkeit, solange diese Spielregeln so fest gesetzt sind."
Rikhard Kraftweber:
"Schon wieder fehlgeleitet! 'Wenn ich so herunterrechne', sagt ihr, findet die Hinrichtung am ersten Tag statt. Nein! Eben nicht! Sie wäre dann ja zu erwarten, also kann sie dann nicht stattfinden. Ihr lauft in dieselbe Falle, die auch mich eingefangen hatte, aber denkt nur ein wenig darüber nach, und Ihr erkennt das Paradoxon. Es ist also keine Widerlegung meiner Überlegung!
Wir beide haben es schon gesagt: es ist ein Paradoxon, und was wir uns grade an den Kopf werfen, das bestätigt diese These nur."
Munter lächelte er sie an, die Arroganz von vorhin war verflogen. Stattdessen war ein Ausdruck der Begeisterung über den Disput, den sie grade führten, in seine Augen getreten, er stand nun etwas grader und man sah ihm an, dass er sich in das Thema wirklich hineingedacht hatte und stolz darauf war, das Paradoxon erkannt zu haben und logisch gelöst (oder eben nicht gelöst, so waren Paradoxa nunmal) zu haben.
"Es tut wirklich gut, sich mit jemandem zu unterhalten, der fähig und klug ist! Ein Ding der Unmöglichkeit, sagt Ihr, ganz recht, ja, ganz recht."
Denn überlegte er fieberhaft: gab es nicht doch einen Ausweg? Etwas, was er übersehen hatte? Nicht, dass er am Ende vor den anderen stand und dann etwas Falsches von sich geben würde. Nicht auszudenken - man würde ihn gewiss auslachen. Dabei achtete er doch stets darauf, gesetzt, gediegen und klug zu erscheinen. Wirkliche Freundschaften hatte der Magier noch nicht geschlossen. Ich frage mich ja, woran das liegt.
Dann schüttelte er diese Gedanken ab. Freundschaften waren doch zweitrangig, hier ging es um's Lernen! Also.. ganz einwandfrei! Eine Lösung für diese Aufgabe gibt es nicht. Das ist die Lösung der Aufgabe. So muss es sein, Runa denkt das ja schließlich auch.
Er warf einen unsicheren Blick in das offene, abwartende Gesicht seines Gegenübers. Runa schien darauf zu warten, dass er noch etwas sagte.
"Also, ich hoffe wirklich, dass wir richtig liegen. Nicht, dass doch ein Fehler in unseren Gedanken ist? Darum hab ich auch Stunden darüber nachgedacht, ich will ganz, ganz sicher sein."
Navigation
[0] Themen-Index
[#] Nächste Seite
[*] Vorherige Sete
Zur normalen Ansicht wechseln