Hier und dort: In Engonien und außerhalb des Kaiserreiches > Geschichten und Gespräche
Auf Reisen.
Engonien NSC:
Finlay schnaubte auf, und einen Moment lang machte sein freches Grinsen einem deutlich ernsteren Gesichtsausdruck Platz. "Ich habe kein Problem mit den Göttern, Vanion. Nur mit einigen ihrer Diener." Sein Blick schweifte ab, als er in Gedanken versank. Verschwinde, du elender Lüstling! Alamar spuckt auf dich und deinesgleichen! Der junge Herumtreiber verzog leicht das Gesicht, dann schaute er wieder sein Gegenüber an. "Und ihr solltet vorsichtig damit sein, über die Aussagen eines Mannes zu urteilen, über den ihr absolut nichts wisst."
Nachdem er das gesagt hatte, atmete er tief durch, und der flapsige Blick kehrte wieder in sein Gesicht zurück, auch wenn es im ersten Moment ein wenig gezwungen aussah. "Ah, ein großer Held also", meinte er, scherzend zwar, aber nicht spöttisch, "ich denke, sowas kann die Gegend hier gebrauchen." Seine letzten Wort klangen etwas ernster. "Ich komm auch aus Norodar, musst du wissen... zumindest bin ich dort aufgewachsen, vor langer, langer Zeit." Er hob eine Augenbraue. "Ich frage mich, ob es immer noch das gleiche Loch ist wie früher." Ein Schmunzeln. "Und, was willst du jetzt tun, damit dir so etwas nicht nochmal passiert?"
Vanion:
"Ein 'Loch' nennst du die Stadt?"
Vanion schüttelte den Kopf. Erst haderte der Mann offen mit den Göttern, und dann sprach er abfällig von Vanions Geburtsort - und von seinem eigenen. Finlay mochte vordergründig aufgeweckt, lustig und voller Selbstvertrauen zu wirken, doch besaß Vanion genug Verstand und Menschenkenntnis, um zu sehen, dass es eben nur das war: der Vordergrund. Finlay schien verbittert zu sein. Doch innerlich zuckte Vanion nur mit den Schultern. Gut, Finlay hatte seine Verletzung versorgt, aber das verpflichtete ihn nicht dazu, den vollen Umfang seiner Probleme zu lösen. Bisher war ihm das Gespräch mit dem aufdringlichen Mann eher unangenehm. Er erinnerte ihn zu sehr an den lapsigen Tunichtgut, der er selbst gewesen war.
"Hör mal, Bursche, ich bin kein großer Held, aber ich finde, ich hab durchaus den Respekt verdient, dass du anständig und ernst mit mir sprichst. Ich weiß nicht, ob du scherzt, oder ob du dich über mich lustig machst. Wie dem auch sei, was die Banditen angeht: es liegt mir fern, irgendetwas zu organisieren oder gar auf eigene Faust und allein loszuziehen. Norodar hat eine gute und kompetente Stadtwache, da bin ich mir sicher." Ein kleiner, subtiler Seitenhieb - was hatte Finlay noch gesagt? Die Wachen nennen mich 'Bleib stehen, du Mistkerl!' "Und wenn diese Leute eine wuchtige Axt gebrauchen können, dann helfe ich gern."
Engonien NSC:
Auch Finlay hätte gern den Kopf geschüttelt, aber er tat es nur innerlich. Als er den jungen Mann vor sich zuerst gesehen hatte, hatte er wirklich geglaubt, eine tolerantere, weltoffenere Person vor sich zu haben. Doch nun interpretierte dieser direkt jeden Scherz als Beleidigung und nahm sich selbst so ernst, dass Finlay beinahe erwartete, ihn gleich zu einer Statue erstarren zu sehen. Offenbar gab es in Engonie wirklich keine Menschen mehr, mit denen man einfach mal Spaß haben konnte.
"Bursche? Das ist zu viel der Ehre, mein Lieber. Nenn mich doch einfach Finlay, wenn du schon von Respekt sprichst", schoss er zurück. "Denn so wie ich das verstehe, sind wir beide einfache, herumziehende Wanderer, und ich sehe keinen Grund, aus dem du mehr Respekt verdient hättest als ich." Er machte eine wegwerfende Handbewegung. "Wenn du denkst, du seist etwas besseres als ich - bitte, stell dich hinten an. Eigentlich wollte ich dich aber nur fragen, ob du vielleicht eine Begleitung nach Norodar suchst. Ich muss nämlich auch in die Richtung." Trotz der scherzenden Worte war seine Stimme wieder etwas härter geworden. Der Streuner war es mittlerweile gewohnt, dass man ihn wegen seiner flapsigen Art herumschubste und von oben herab betrachtete - schmerzhaft war es trotzdem.
Vanion:
Bei den Göttern, was ist das denn für einer? Trotzdem nahm Vanion sich zusammen. Man konnte Menschen nicht ins Herz sehen, und Finlay schien mehr als genug schlechte Erfahrungen gemacht zu haben. Er wog den Vorschlag des Schlapphuts ab. Gewiss war ein wenig Gesellschaft von Vorteil, doch andererseits schien diese Gestalt ein Vagabundenleben zu führen und kein Stück verlässlich zu sein. Ein dezenter Blick über die Schulter überzeugte Vanion, dass seine Bardike immer noch am Sattel seines Pferdes hing.
"Wir reden keine Stunde und streiten uns bereits, Finlay. Mir steht der Sinn nicht nach Streit, jedenfalls nicht nach Streit mit dir. Ich möchte schauen, ob ich bei den Problemen hier vor Ort helfen kann, darum bin ich hier. Ich breche jedenfalls gleich jetzt nach Norodar auf, solange die Nachmittagssonne noch scheint. Ich reite allein, aber wenn wir uns in Norodar sehen, dann bezahle ich gern ein Bier auf zwei. Eines haben wir ohnehin gemeinsam: wir scheinen beide nicht gerne an einem festen Ort zu verweilen."
Prüfend griff der ehemalige Knappe nach seiner Schulter. Es mochte schmerzen, aber es war durchaus im erträglichen Rahmen. Der Schlapphut hatte gute Arbeit geleistet.
"Ich danke dir für deine Dienste! Und wenn dich dein Weg weiter als nur nach Norodar tragen sollte, dann teilen wir uns vielleicht ein Stück des Weges." Er stand auf und zurrte die Sattelgurte seines Pferdes fest. Eine Handvoll Hafer musste als Futter reichen. Die Flanken des Tieres bebten nicht mehr, und ein kleiner, schmutziger Junge von vielleicht zehn Wintern hatte das Pferd gestriegelt und trocken gerieben. Vanion warf ihm eine Münze zu, dann schwang er sich auf das Pferd und trabte davon.
Engonien NSC:
Norodar war ein kleines Städtchen im tangarischen Hinterland. Geprägt wurde es vor allem durch sein Erscheinungsbild: wenige Fachwerkhäuser, wenige Holzhäuser, dafür um so mehr solide, meist zweigeschossige Steinbauten. An und für sich war es ein kleines Städtchen mit sieben-, vielleicht achthundert Menschen darin, doch vor allem vom Frühling bis zum Herbst lebten dort noch mehr Leute. Der Grund dafür war der „Große Bruch“ nur wenige Meilen nördlich des Dorfes: ein Steinbruch, in dem sich nicht nur grauer, harter Granit fand, sondern auch feiner, heller, von dünnen grauen Äderchen durchzogener Marmor.
Eine saubere Stadt, in den Wirren des Bürgerkrieges weitestgehend von Unbill verschont geblieben. Zwar hatte es auch dort Auseinandersetzungen gegeben, doch waren diese recht schnell beigelegt worden - der Lupus Umbra hatte dort nie fest stationierte Krieger unterhalten, und der Bürgermeister und der Stadtrat waren recht schnell übereingekommen, dass man den Krieg abwarten wollte und sich vorrangig aus bewaffneten Konflikten heraus halten wollte. Zwar waren nicht wenige junge Burschen losgezogen, um sich der einen oder der anderen Seite anzuschließen, aber zu wirklichen Kämpfen war es nie gekommen. Ein ehrgeiziges Senatsmitglied, dass sich Konar anbiedern hatte wollen und Milizionäre für den Tiorsorden hatte rekrutieren wollen, hatte man im nahen Wald gefunden - irgendwie musste der Mann gestolpert und in eine Schlinge gefallen sein. Jedenfalls baumelten seine Füße zwei Meter über dem Boden.
Doch genug mit drögen Historien. Heute war Norodar eine aufblühende Stadt. Stein war gefragt - Schiefer, um Dächer abzudecken, Kies und Geröll, um Wege zu befestigen, und sogar Marmor, um im Krieg beschädigte Prunkbauten wieder aufzubauen. Die Ochsenkarren, die abgebaute Ware aus dem Großen Bruch brachten, lieferten bis hoch nach Engonia, und entsprechende Zölle und Steuern spülten Geld in die Stadtkasse.
Grade jetzt, im Spätsommer, herrschte rege Geschäftigkeit auf den Straßen und Gassen Norodars, und die Gasthäuser und Herbergen quollen über, weil sich zahlreiche Tagelöhner und Wanderarbeiter einquartiert hatten. Die zwei, drei Meilen, die zwischen Steinbruch und Norodar lagen, hatte Vanion rasch überbrücken können, und das Tageslicht wandelte sich langsam zu diesem goldenen, melancholischen Licht, das Alamars Auge auf die Erde warf, wenn es Abend wurde.
Der Krieger ritt langsam eine der Hauptstraßen Norodars entlang, darauf achtend, im herrschenden Gedränge nicht gegen jemanden zu prallen. Zahlreiche Stimmen erfüllten die Luft; aufgeregte Rufe von Straßenhändlern, die ihre Waren anpriesen, das Blöken von Ochsen und Eseln und Maultieren, angeregte Gespräche am Straßenrand, eben das typische Durcheinander, das eine lebendige Stadt ausmachte. Auch die Gerüche, die an seine Nase drangen, waren vielfältig: dort roch es nach gebratenem Fleisch, hier wieder nach frischen Gewürzen, und allzu oft gab es eine Wolke von scharfem, stechenden Dunggeruch. Als ein Stück vor ihm an einem Haus im Obergeschoss die Fensterläden aufgingen und eine Frau mit herzhaftem Schwung einen Kübel auf die Straße leerte, musste er schmunzeln, im Gegensatz zu dem Straßenhändler, der die zweifelhaften Gaben direkt auf den unbedeckten Schopf bekam.
Nun öffnete sich die Straße auf einen weiten, vollständig gepflasterten, kreisrunden Platz. An der Kopfseite dieses Platzes erstreckten sich verschiedene Gebäude: das durchaus schön anzusehende Rathaus, das etwas nüchterner wirkende Gerichtsgebäude und direkt daneben ein Gebäude, dass man nur als Kasten bezeichnen konnte: die Stadtwache.
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