Hier und dort: In Engonien und außerhalb des Kaiserreiches > Gruppen auf Reisen im In- und Ausland

Der Morgen danach... - 266 n.J.

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Kydora:
Mit eine Seufzer ließ sie sich etwas abseits vom Wegesrand nieder. Sie war noch nicht allzu weit vom Goldkrug entfernt, aber weit genug, um den Kopf ein bisschen frei bekommen zu können. Ihr Griff ging zu der Kapuze ihres Umhangs, die sie sich nun überzug. Die Sonne war einfach zu hell um diese Zeit und ihr Kopf tat weh vom Alkohol der vergangenen Nacht.

Nach dem Frühstück war Kydora zügig aufgebrochen. Ein Frühstück, dass zum großen Teil aus betretenem Schweigen bestanden hatte. Nur kurz von einem Moment des gemeinsamen Lachens über die Absurdität der Situation unterbrochen. Dann wieder Schweigen.

*Verdammte Drecks-* Kydora bremste ihren Gedanken ab. Es brachte jetzt auch nichts mehr, sich darüber groß aufzuregen. Der Karren war in den Dreck gefahren. Und nun hatte sie den Salat. Sie grummelte wieder und zog die Kapuze noch ein Stückchen tiefer ins Gesicht. Als sie Schritte hörte, blinzelte sie unter der Kapuze hervor und beobachtete, wer da den Weg entlang kam.

Vanion:
Vom Rücken seines Pferdes aus sah die condrianische Landschaft wirklich schön aus. Zumal der Matsch und der Schlamm des Weges endlich nicht mehr an seinen Stiefeln klebten. Er war recht spät aufgestanden und aufgebrochen, denn er hatte vor, die Reise zu genießen und ohne Eile nach Engonien zurückzukehren.

Während er ritt, ließ er den gestrigen Abend Revue passieren. Gida, und sein Streit mit ihr. Die Worte von Erik Sturmfels hatten ihn zum Nachdenken gebracht. Natürlich, es war schlauer, nur Kämpfe auszufechten, die man gewinnen konnte - aber diese Maxime hatte Vanion nie befolgt. Wieso riet er also nun anderen zu einem Verhalten, das er selbst nicht an den Tag gelegt hatte? Vielleicht hätte er einfach den Mund halten sollen. Er hatte es gut gemeint, aber einen Standpunkt zu vertreten, der nicht der eigene war, konnte nicht glaubhaft geschehen.

Eine weitere Lektion, Vanion! Nur weil du mit deiner Waffe umgehen kannst, macht dich das nicht zu einem weisen Mann, der alles weiß.

Die Hufe seines Pferdes verursachten schmatzende Geräusche. Der Weg war einfach zu aufgeweicht. Verflucht sei das Wetter hier! Da lobe ich mir den tangaranischen Sommer.

Seine Gedanken wanderten ein wenig, doch am Ende landeten sie bei Kydora. Ein Grinsen stahl sich auf seine Lippen, während er versuchte, sich an das Ehegelübde zu erinnern, doch es hatte zuviele Zwischenrufe und hämische Bemerkungen gegeben, als dass er alles hätte verstehen können. Eines stand jedoch fest: Kydora und Robert hatten Furathas Segen erhalten und waren nun Mann und Frau. Oder Zwerg und Magierin. Was am Vorabend geschehen war, konnte nur mit sehr viel Alkohol erklärt werden, und ihn schauderte ein wenig bei dem Gedanken, dass vor drei, vier Jahren er mittendrin im Pulk gestanden hätte.

Auf der einen Seite tat Vanion sich schwer mit solchen Abenden: er war anerkannt worden, er war von Stand. Er konnte sich also nicht betrinken, und hatte es auch nicht getan. Trotzdem war auch ihm der ein oder andere freche Spruch über die Lippen gekommen. Du musst dich noch mehr zügeln. Du magst den Goldkrug seit Jahren kennen, aber sei ehrlich: es ist nicht gerade eine edle Schenke. Eher ein übler Schuppen.

Doch auf der anderen Seite tat die Unbeschwertheit, die ein solcher Abend mit sich brachte, seiner Seele wohl. Die letzten Monate waren hart gewesen, und die nächsten Monate und wahrscheinlich Jahre würden härter werden. Damian hatte sehr deutlich gemacht, in welche Richtung es gehen würde. Die Inquisition Alamars trieb ihr Unwesen in Engonien, und auch andere Dinge waren in Bewegung. Große Dinge. Politik.

Ein caldrischer Adliger mag nicht viel Macht besitzen, aber wenn ich irgendwas zum Guten wenden kann, so werde ich das tun. Der Tod meines Onkels verpflichtet mich dazu, Gutes zu tun, wo ich nur kann. Ich muss Buße vor Lavinia tun - denn so hatte Leonie es gesagt, und die war eine Amabilis, die musste es wissen! - denn sonst werde ich auf ewig im Totenmeer schwimmen und niemals erlöst werden. Plötzlich musste er schaudern. Diese Vorstellung war einfach zu unglaublich, zu unfassbar, und doch war sie ganz konkret zu erwarten. Denn seit er Savaric erschlagen hatte, hatte er nicht mehr vermocht, zu Lavinia zu beten. Sein Leben lang hatte er immer auf ihren Schutz vertraut, doch die heilenden Arme der Mutter waren ihm nun gewiss verschlossen. Nun, jedenfalls bis ich Buße getan habe. Sie hat mir eine zweite Chance gegeben, sonst wäre ich gewiss längst von Alamar bestraft worden.

Während er den Goldkrug weiter hinter sich ließ, dachte er weiter über Lavinia nach, und über sich, und über sein Leben. Er hatte nach und nach seine Freunde von sich gestoßen. Anders hatte er zurückgewiesen, und die Brücken zu Lorainne waren, wie sein Knappeneid, gebrochen. Der Umgang mit seinen Saufkumpanen von früher verbot sich ihm, da er schlicht nicht mehr dazu gehörte. Der Eidbruch und der Sippenmord waren ein Einschnitt gewesen: alles, was war, zählte nicht mehr. Zählen würde nur noch das, was er von nun an tun würde, und Vanion war fest entschlossen, Gutes zu tun.

Gutes. Was bedeutet das eigentlich? Das Gespräch mit Kadegar kam ihm in den Sinn. Die Ideale des Rittertums, die konträr standen zu Vanions eigenen Idealen. Aber war das wirklich so? In diesem Dorf in Andarra, als er auf Yezariel getroffen war - und als ich für Goldbach kämpfte! Für Goldbach, das mir Baum und Strick versprochen hat!, dachte er nicht ohne Bitterkeit - da hatte Yezariel davon gesprochen, dass das Rittertum Opfer mit sich bringt, aber dass all die Ideale, die Vanion hatte, auch im Rittertum zu finden waren. Dass das Rittertum Vanions Bestimmung sei, dass er all die Anlagen dazu habe. Vanion hatte entgegnet, dass der feine Herr Baron Yezariel doch selbst wissen müsse, wie es mit Eiden war, die man schwören muss. Dass ein Ritter nichts weiter ist als ein besser gestellter Söldner, wie Kadegar es gesagt hatte. Und Yezariel hatte ihm zugestimmt. Aber dann hatte Yezariel ihm erzählt, dass er selbst auf Titel und Würden verzichtet hatte, um das wahre Rittertum verfolgen zu können. Dass jeder Fehler habe, dass nie ein Ritter wahrhaft Perfektion erreichen könne.

"Vanion, du hast micht enttäuscht und alle, die an dich und deinen Weg geglaubt haben."

Vielleicht war an diesen Worten etwas dran. Er war anerkannt worden als Bastard. Er war legitimiert, ein Mann von Stand durch Geburt. Vanion aus Roquefort. Kein Land, kein Anspruch - aber die Geburt. Damit ließ sich doch etwas anfangen.

Aus seinen Gedanken erwachend, sah er auf. Dort vorne am Wegesrand saß eine Gestalt, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Unter der Kapuze lugten ein paar braune, geflochtene Haare hervor, und diese Gestalt in braun kam ihm sehr vertraut vor.

Grinsend schwang er sich vom Pferderücken, dann ging er auf Kydora zu. 

"Guten Morgen, Kydora!" Er verzichtete auf Häme. Entweder war es wirklich die große Liebe gewesen, die zugeschlagen hatte, oder der große Humpen Alkohol. Der sehr große. So oder so, sie hatte den Schaden, also warum noch Spott obendrauf?

"Wie geht es dir? Der gestrige Abend war, höflich gesagt, ereignisreich."

Kydora:
"Vanion." Freude stahl sich auf ihr Gesicht und sie nahm die Kapuze wieder vom Kopf, um besser mit ihm reden zu können. Sie kniff die Augen etwas zusammen und brauchte einen Augenblick, sich an die Helligkeit zu gewöhnen, die nun nicht mehr von der Kapuze eingedämmt wurde.

Kydora streckte sich und machte sich dann auf den Weg zu Vanion. Sie schien dabei noch etwas Schlagseite zu haben. *Oh hui. Sitzen war irgendwie einfacher.* Kydora ließ sich Zeit, die kurze Strecke zu Vanion zurückzulegen. Dann bei ihm angekommen umarmte sie ihn. Die Freude wich einem ernsterem Ausdruck während sie sich die Schläfe rieb in der Hoffnung, dass es irgendwie gegen die Schmerzen half.

"Tja wie geht es mir? Um es auf den Punkt zu bringen: Ziemlich mieserabel." Sie verschränkte die Arme. "Ist ja nicht so, dass ich nicht schon genug Sorgen habe. Nein... ich bin offenbar auch erstaunlich gut darin, immer und immer wieder Neue zu finden."

Vanion:
Vanion zog die Augenbrauen hoch, als Kydora auf ihn zuschritt. Sie sah abgehärmt aus, mit dunklen Rändern unter den Augen. Auch ihre Kleidung sah mitgenommen aus. Nun, der Boden war nicht gerade trocken gestern. Am Ende war er selbst wahrscheinlich nicht ganz unschuldig am Zustand ihrer Kleidung.

Herzlich erwiderte er die Umarmung der kleinen Silvanaja-Frau, und als sie von ihren Sorgen sprach, musste er unwillkürlich an ihren Ausbruch denken. Sie hatte ihn angeschrieen, auf ihre Stirn gezeigt, als er versucht hatte, sie von dieser Hochzeit abzubringen.

"Dich so zu betrinken, ist nicht deine Art, oder?" Mitfühlend beobachtete er, wie Kydora sich über die Schläfe rieb, und kurzerhand griff er an seinen Sattel und bot ihr etwas zu trinken an. "Wasser, aber es ist frisch und nicht schal. Kalt und erfrischend."

Er schüttelte den Kopf. "Eine Hochzeit ist eine ernste Sache. Aber wenn sie vor einem Tavernentisch als Altar geschlossen werden kann, mit Betrunkenen als Zeugen und Kaleb als Brautvater, dann kann sie wohl auch wieder gelöst werden. Ich kenne mich mit condrianischen Riten nicht aus, aber ich weiß, dass Furatha eine flatterhafte Gottheit ist. Sie wird dir verzeihen, glaube ich."
Schlimmer ist es da, dass ihr Hydracors Segen empfangen habt. Aber dieses Detail verschwieg er lieber. Eins nach dem Anderen.

"Ich habe dich noch nie so ...zügellos erlebt. Du machst Vieles mit dir selbst aus, aber ich glaube, du erlebst momentan mehr, als je zuvor in deinem Leben. Brauchst du Hilfe?"
Die Frage war sehr direkt, das wusste Vanion. Aber Kydora war eine sehr direkte Person. Doch auf der anderen Seite hatte er nie jemanden kennengelernt, der verschlossener war, der besser verstecken konnte, was tatsächlich vorging. Kydora mochte am Rande des Selbstmords stehen, merken lassen würde sie es niemanden.

Kydora:
Sie wich seinem Blick aus. "Nein... eigentlich nicht. Also, klar trinke auch ich mal einen über den Durst, aber so wie gestern..." Sie sprach nicht weiter, stattdessen nahm sie dankend einen Schluck von dem Wasser, dass Vanion ihr reichte. Das kühle Wasser tat gut und es schien ein paar ihrer Lebensgeister wieder wecken zu können.

Sie reichte ihm das Wasser wieder zurück und sah ihn dabei Ernst an. "Mag sein, dass die Umstände nicht die offiziellsten waren, aber das ändert nichts an der Tatsache. Wenn du einen Krug zerbrichst, ist er danach kaputt. Egal ob du dabei betrunken warst oder nicht. Er ist in beiden Fällen zerbrochen." Sie strich sich eine Strähne hinters Ohr. "Wenn ich etwas verspreche, dann stehe ich dazu."

Ja, sie war nicht glücklich mit ihrer Entscheidung, aber ihr Wort zu brechen? Nein, das konnte sie nicht. Wenn sich andere nicht mal mehr auf ihr Wort verlassen konnten, wer war sie denn dann noch?

Vanions Worte machten sie nachdenklich. Man sah es ihr deutlich an, auch wenn sie gerade seinem Blick auswich und der Boden auf einmal viel interessanter zu sein schien. Ihre Gedanken rasten unsortiert von einem zum anderen Thema. Dann setzte sie vorsichtig das sprechen an.

"Ich..." Sie schluckte schwer und ihre Augen wurden feucht. "Vielleicht... Esta und Isaac haben gestern etwas Ähnliches angesprochen. Aber..." Kydora schaute ihm in die Augen. "Vanion, ich hätte einfach nie aus Silvanaja weggehen sollen. Ich hatte ein ruhiges behütetes Leben. Keine Sorgen, keine Probleme... Es ging mir gut. Und jetzt?"

Ihre Stimme brach und sie hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten. Wieder glitt ihr Blick zu Boden. Dieses Gespräch ging ihr nah, das war offensichtlich.

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