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Ayd'Owl - Hinter verschlossenen Türen (One-Shot-Sammlung)

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Vanni:
Frühsommer 267 n.J. - Das Fest der Grenzen - Rebekka

Das Fest näherte sich seinem Ende, bald würde der letzte Abend anbrechen und am nächsten Morgen würden sie die Zelte abbauen und die unzähligen Karren wieder beladen.
Rebekka hatte den Einduck dass es in jedem Jahr mehr Arbeit wurde, in diesem Jahr traf das wohl tatsächlich zu denn Gorix Erhebung in den Baronsstand hatte für sie alle, die dem neuen Baronspaar irgendwie nahestanden, bedeutet sich besonders viel Mühe zu geben. Runa war kaum zu bremsen gewesen, hätte Balerian sie nicht gewissermaßen dazu gezwungen sich auszuruhen wäre sie vermutlich irgendwann schlafend auf den Tresen gekippt.
Rebekka nagte an ihrer Unterlippe während diese Gedanken durch ihren Kopf huschten und starrte auf das erst mit wenigen Zeilen beschriebene Blatt vor sich auf dem Tisch.
Sie schrieb an ihre Tante in Kaldfjord. Diese hatte Miriam für das Fest der Grenzen zu sich nach Västerfjäll geholt, beziehungsweise von ihrem Sohn bei Rebekka abholen lassen.  Sie liebte ihre Großnichte und ihren Großneffen sehr und nahm sie gerne zwischendurch bei sich auf und Rebekka und Balerian nahmen dieses Angebot gerne wahr, denn dort waren die Kinder gut aufgehoben.
Nun musste Rebekka ihre Tante allerdings bitten die Kleine noch etwas länger als vereinbart bei sich zu behalten, denn Balerian hatte beschlossen auf dem Rückweg nach Fanada noch Anders auf ihrer Waldlichtung zu besuchen.
Zum Glück besuchten einige Bekannte aus der Heimat jedes Jahr das Fest und konnten die Nachricht so noch rechtzeitig überbringen.
Sie wird die Stirn runzeln und mal wieder darüber schimpfen wie unstet Balerian ist.
Rebekka lächelte während sie den Brief fertig schrieb..

Jelena:
Sommer 267 n. Jeldrik

Das Labor

Jelena wischte sich den Schweiß von der Stirn und band sich das Tuch um Mund und Nase noch ein wenig fester.
Es waren in ihrer Abwesenheit keine neuen Fälle aufgetreten, wofür man sich eigentlich schon in den Dreck werfen und sämtlichen Göttern Trankopfer bringen müsste, aber irgendetwas störte sie gewaltig an dieser Situation.
Sie hatte Blut von allen Kranken genommen und jede Analyse durchgeführt, derer sie habhaft werden konnte, aber jedesmal wenn sie kurz davor stand es zu extrahieren passierte... nichts.
Es war, als ob sie einen grundlegenden Schritt im Rezept übersehen würde oder aber eine Zutat gegen ein wirkungsloses Imitat ausgetauscht worden war und es war zum Haare raufen. Sie war keinen Schritt weiter als vor zwei Monaten und das ließ sie nachts nicht ruhig schlafen.
Was, wenn es wieder kam?
Sie erschauerte.

Marius von Weißenfels:
Jahresanfang 268 n.J. - die Bibliothek

Marius hatte offiziell die Erlaubnis erhalten, für die Arbeit in der Bibliothek den Lichtzauber zu benutzen - nicht dass er das nicht privat eh schon tat, aber mit der Genehmigung fühlte er sich sicherer, und insbesondere genoss er dieses kleine Privileg immens. Er bewegte ein wenig die Hand, und bewunderte die Schatten, die über die Bücherregale tanzten.

Die Gräfin Klara hatte ihn immer noch nicht aufgefordert, seinen Vortrag über Pegelmagier zu halten. Er bezweifelte aber keinen Augenblick, dass sie sich sehr wohl daran erinnerte, und nur darauf wartete, ihn in einem unvorbereiteten Moment zu erwischen, um ihn nach allen Regeln der Kunst zu blamieren. Die Genugtuung wollte Marius ihr nicht geben, deshalb durchsuchte der Lehrling die Bibliothek manchmal spätabends nach geeigneten Quellen, um den Vortrag mit mehr Inhalt zu füllen.

Frustrierenderweise hatte sich wohl die Bibliothek gegen ihn verschworen. Er fand kaum etwas, was er sich nicht auch schon bei den Tagen des Lernens angelesen hatte. Grad las er eine fast zehn Jahre alte Abhandlung zu diversen magischen Substanzen, geschrieben von einem Magister Florian Phelleas Phönixflug in einer kaum entzifferbaren Schrift - und das war gerade schon das vielversprechendste.

Kurz erwog er ernsthaft, ein Gebet zu Elja zu schicken, doch die Halbgöttin des Wissens hatte sicher besseres zu tun, als einem Lehrling bei einem Referat zu helfen, adlig hin oder her.

Nein, er brauchte einfach eine Pause. Er legte die Abhandlung beiseite, ging zu einem Regal, zog "Der vierbeinige Pfeil" heraus, und legte das Buch vor sich auf den Tisch.

Nachdem Runa vor einigen Tagen erwähnt hatte, dass sie das Buch gelesen hatte, hatte Marius die Bibliothek danach durchsucht. Er hatte nicht gedacht, dass er das Werk außerhalb seiner Heimat mal sehen würde, handelte es sich doch um das Hauptwerk eines remoranischen Kriegsherren. Schließlich hatte er die Ayd'Owl-Ausgabe in einer hinteren Ecke gefunden, zwischen einem Bestimmungsbuch für Staubgolems und einem Wörterbuch der Korbflechtkunst.
Die Ausgabe sah wesentlich anders aus als ihre zerlesene Schwester in der Bibliothek seines Großvaters - insbesondere so, als hätte sie jemand vor Jahren in den Schrank gestellt und als hätten seitdem nur Runa und er sie jemals aufgeschlagen.

Romilda beschrieb in dem Buch unter anderem strategische Formationen der Kavallerie und schwärmte dabei von der Geschwindigkeit, die Pferde boten. Marius blätterte zu der Stelle, die dem Buch seinen Namen gab.

"Wie vierbeinige Pfeile", so schrieb Romilda, "flogen unsere Pferde der gegnerischen Infanterie entgegen, die sich, des Anblicks gewahr und dessen nicht gewohnt, teils zu Boden niederwarf mit Gebeten zu den Göttern, die die Heiden anbeten, dass der Tod schnell kommen möge, teils aber in alle Winde zerstreute, sodass wir bald schon siegreich an unseren Lagerfeuern saßen, während der Barde die Erfolge, die wir im Namen des glorreichen Kaiserreiches, dessen Grenzen auf ewig in Sicherheit stehen mögen, errungen hatten, besang."

Marius gähnte. Romilda mochte ein brillianter Stratege gewesen sein, doch eins war er gewiss nicht, ein brillianter Autor. Seine Sätze schienen einfach nicht zu wissen, wann sie aufhören sollten, und die Metapher mit dem vierbeinigen Pfeil war äußerst bemüht. Nein, Marius las das Buch nicht wegen dem literarischen Wert, sondern weil es ihn an seine Heimat erinnerte.

"Die gegnerischen Soldaten stellten, obwohl uns an Zahl überlegen, keine ernsthafte Gefahr für uns dar, da unsere Truppen sowohl an Ausbildung als auch an Tapferkeit dem Gegner, der sich häufig, seiner Schwächen bewusst, feige zwischen den Hügeln und Bergen, die in diesem Land so zahlreich sind, versteckte, ..."

Marius merkte, dass die Worte vor seinen Augen vor Müdigkeit verschwammen. Er konnte sicher den Kopf niederlegen... nur ein paar Augenblicke.

Nach einer Weile ging das Licht seines Zaubers aus, und es war nun dunkel in der Bibliothek. Dann war es auch still, bis auf das gleichmäßige Atmen eines einzelnen eingeschlafenen Lehrlings.

Anders:
Jahresanfang 268 n.J.- Der Brief

"Ja Animant magische Kreide." Leicht genervt schüttelte Runa den Kopf über die ungläubigen Fragen ihrer Klassenkameradin und schob ihr ihr blaues Büchlein zu. "Ich möchte lernen wie man sie herstellt damit ich es für den Notfall weiß. Und zufällig wird bald ein Kurs dafür angeboten." Ihre Freundin mit dem Rehbraunen Haar überflog schnell die Seiten in der die Prozedur beschrieben wurde. "Klingt ja... spannend. Wie lange dauert das denn?" Runa zuckte die Achseln und zog ihr Buch wieder zu sich um es in ihrer Kiste zu verstauen. Irgendwann brauchte sie dringend eine andere Möglichkeit es mit sich herum zu tragen. "Der letzte Schritt drei Nächte wie du gelesen hast."
"Na wenn du meinst. Aber dir wird es wahrscheinlich weniger ausmachen als unsereins. Du bist den Eulen ja mittlerweile näher als den Tagaktiven.", witzelte sie und entlockte der Scolari damit ein schiefes Lächeln. "Sag mir nur Bescheid bevor mir Federn wachsen ja?"
Sie erhoben sich von den Stühlen der Tavensa und machten sich auf den Weg zum Hauptgebäude.
"Du hast deinen Aufsatz zur Beschaffenheit des Astralraum doch bestimmt schon fertig. Lässt du mich ihn lesen?", fragte Animant und hakte sich ungefragt bei ihr unter.
"Wenn du nicht zu viel abschreibst.", seufzte Runa. Sie löste sich von ihrer Freundin und begab sich in Richung Torhaus wo der Pförtner saß.
"Ich will nur schnell schauen ob es neue Briefe für den Vizekanzler gibt.", erklärte sie Animant die fröstelnd auf dem Hof stand.
Sie klopfte gegen das raue Holz der Tür die kurz darauf geöffnet wurde. Warme Luft schlug ihr entgegen.
"Ah du bists.", murrte der Pförtner und hob einige Schriftstücke von einem kleinen Tisch.
Runa bedankte sich und nah sie entgegen.
"Also die Elementaristen können ja behaupten was sie wollen, aber ich sage es ist kälter als noch vor ein paar Tagen.", schimpfte Animant und zusammen eilten sie die Stufen hinauf um ins warme zu gelangen.
"Hm.", pflichtete Runa bei während sie die Briefe durchging. Es waren vier und zwei vom Stadtrat und einer der so an den Vizekanzler adressiert war. Als ihr Blick auf den letzten Brief in dem Stapel fiel erstarrte Runa mitten in der Bewegung. Der Umschlag war aus schwerem Papier und ein dickes Siegel aus silbernem Wachs prangte auf der Rückseite. Doch das war es nicht was ihre Aufmerksamkeit fesselte. Ihre Augen saugte sich beinahe automatisch an dem Wappen fest welches in das Wachs eingelassen war.
Runa spürte wie ihre Knie weich wurden und ihre Kehle trocken.
"Runa? Runa? Alles in Ordnung?"
Erschreckt hob die junge Scolari den Kopf und schaute in die besorgten Augen Animants die sie mussterte. "Du bist weiß wie der Schnee! Geht es dir gut?"
//Reißt dich zusammen!//herrschte sie sich in Gedanken an und steckte fahrig die Briefe in ihre Rocktasche. "Ja. Ja mir geht es gut keine Sorge Animant."
"Bist du sicher?", ihre Freundin kam näher und legte ihr vorsichtig die Hand auf die Schulter. "Was ist das für ein Brief der dich so aus der Fassung bringt?"
"Es geht mir gut. Wirklich Animant. Mach dir keine Sorgen." Etwas ruppig streifte die Hand der anderen Scolari ab, stellte ihre Kiste auf den Boden und zog ihren Aufsatz hervor. "Hier. Leg ihn wenn du fertig bist einfach wieder in mein Zimmer.", meinte sie und drückte ihn bestimmt Animant in die Hand. "Kommst du nicht mit?" Unsicher sah sich Ani nach der Bibliothek um. "Ich... ich muss mich erst noch um etwas kümmern.", murmelte Runa, raffte ihre Röcke und eilte dann an ihrer Freundin vorbei. Die Stufen erklomm sie wie im Schlaf und mit klopfendem Herzen. War das ein gutes Zeichen? Von wem war der Brief? Ihm? Oder war es nur eine Botschaft.
Schnell erreichte sie ihr Zimmer und verschloss hastig die Tür hinter sich. Die anderen Briefe und die Kiste stellte sie achtlos auf den Schreibtisch. Das Papier des Briefes von der Schattenwall fühlte sich an als würde es unter ihren Fingern brennen während sie ihn aus der Tasche zog. Wieder war da dieses stechende Gefühl in der Brust.
Ängstlich ließ sie sich auf ihrem Bett nieder den Blick starr auf den Brief gerichtet. So bemerkte sie das Raks erst als es vor ihr auf dem Boden saß und mit dem Buchdeckel klapperte. Mit einem zittrigen Lächeln sah sie auf und beugte sich zu ihm hinab. "Ich hab dich nicht vergessen.", murmelte sie und strich ihm über das schwarze Fell. "Gedulde dich bitte noch einen Moment."
Wieder griff sie nach dem Brief zögerte.
//Das ist doch jetzt nicht dein Ernst! Seit über einem Jahr wartest du schon auf eine Nachricht und jetzt bist du zu feige einen Brief zu öffnen.//
Mit zitternden Fingern brach sie das Siegel und begann zu lesen:

Einladung zu den Feierlichkeiten zu Ehren des Gottes Manto und der Abschlussprüfungen der Akademie für Dämonenjagd zu Schattenwall auf Montralur.
Hiermit möchte sich die Akademie für Dämonenjagd zu Schattenwall auf Montralur für die stets gute Zusammenarbeit mit der Akademie zu Ayd'Owl und Ihrer Person, Scolaria Runa Steinhauer, bedanken und erkenntlich zeigen.

Wie jedes Jahr wird ein Fest zur Entlassung der Absolventen unserer Akademie zu Ehren des Schutzpatrons, dem Gott Manto, abgehalten und wir möchten Sie als Repräsentantin der Ayd'Owl zu dieser Feierlichkeit auf persönlichen Wuns als Ehrengast einladen.
Es wäre uns eine Freude, wenn Sie sich, sofern es möglich ist, auf den Weg nach Montralur machen um im kommenden Mondeslauf an den Feierlichkeiten zu Ehren unseres Schutzherrn und Gottes Manto teilzunehmen und, sollten Sie dies wünschen, vorher den Austausch mit uns unseren Magistern und Schülern suchen können. Als Repräsentantin der Ayd'Owl und unser offizieller Gast werden Sie mit einigen unserer eigenen  Repräsentanten auf Augenhöhe sprechen können und bei den Feierlichkeiten als Repräsentantin ihre eigene Akademie vertreten. Wir erhoffen uns durch Ihre Anwesenheit eine weitere Verbesserung der Zusammenarbeit unserer Akademien und einen weiterführenden Wissensaustausch in Ergänzung an Ihren letzten Besuch.

Diese Einladung ist nicht übertragbar und erfordert keiner schriftliche Absage, sollten Sie diesen Termin nicht wahrnehmen können.
Ihnen wird für den Zeitraum Ihres Aufenthalts ein Zimmer und einfache Kleidung zur Verfügung gestellt, jedoch würden wir Sie bitten sich eine gute Garderobe mitzubringen, da zu den Feierlichkeiten die festlichsten Gewänder getragen werden sollen.
Die Kosten für Ihre Reise können Ihnen bei Ihrer Ankunft erstattet werden. Wir bitten diese Unannehmlichkeit aufgrund der kurzfristigen Einladungsfrist zu entschuldigen.

i.A. des Festkomitees für die Feierlichkeiten zu Ehren des Gottes Manto
Scolaria S. Rabenwald


Langsam faltete Runa den Brief wieder zusammen. Das war es? Eine Einladung? War das ein Scherz? Nocheinmal jagten ihre Augen über die geschriebenen Zeilen bemerkten kleine Unsauberkeiten hier und dort. Der Brief musste diktiert worden sein... es war sowieso nicht seine Handschrift. Enttäuscht und wütend über ihre Enttäuschung kniff sie die Lippen zusammen und widerstand dem Drang den Brief an das Raks zu verfüttern damit sie ihn nicht mehr sehen musste. In ihrer Brust machte sich wieder ein stechender Schmerz breit und ihre Augen brannten. Das war nicht was sie sich erhofft hatte. Aufgewühlt sprang sie auf, stieg über das magische Buch hinweg und begann auf und abzulaufen. Wieso sie? War das ein Einfall der Stellvertretung der Schattenwall gewesen? Irgendwie würde sie es dieser Person zutrauen nach ihrem letzten Gespräch. Sie glaubte nicht das Kadegar sie vorgschlagen hatte. Welchen Zweck hätte es gehabt und sie verband zu wenig als das es sich um eine Art freundschaftlichen Dienst handeln würde. Aufgewühlt schlang sie die Arme um sich und durchbohrte das unschuldige Papier mit ihren Blicken.
//Beruhig dich. Denk nach.//, versuchte sie sich zu beruhigen. Es wäre sinnlos ihre halbwes stabile innere Ruhe die sie sich in den letzten Monaten erarbeitet hatte wieder zu verlieren. Aber warum kam der Brief auch gerade jetzt? Jetzt wo sie endlich einen halbwegs effektiven Weg gefunden hatte mit der ganzen Situation umzugehen. Zittrig atmete sie ein und ließ die Luft langsam entweichen.
Nocheinmal. Ganz langsam.
Diese Einladung war zuerst nichts schlechtes. In gewisser Weise sollte sie sich sogar geehrt fühlen, dass sie eingeladen worden war. Und wer immer sie geschickt hatte hoffte, dass sie sich auf den langen Weg nach Montralur zur Schattenwall machte. Das letzte Mal war sie einige Wochen unterwegs gewesen und dieses mal würden Verzögerungen wohl auch nicht ausbleiben.
Sie musste eine Berulaubung beim Kanzler einreichen. Wenn sie sich beeilte würde das vielleicht sogar noch heute geschehen können.
Runa hielt inne. Wollte sie wirklich dem Ersuch des Briefes folge leisten?
Ja... ja das wollte sie, denn vielleicht würde sie dort endlich die Antworten auf die Fragen bekommen die sie so quälten.
//Oder sie wollen sich nur zurückholen was ihnen gehört...// dachte sie und lächelte grimmig.
Dann griff sie nach dem Brief, schob dem Raks noch eine beschrieben Seite zwischen die Deckel und machte sich eilig auf den Weg zum Kanzler.


Zwei Tage später verließ sie die Ayd Owl und machte sich auf den Weg nach Montralur.

Vanni:
12. Monat, 268 n.J.

Rebekka stand in der Tür der Tavensa und starrte in den Hof. In der Hand ein Trockentuch und ein Löffel, welcher seit geraumer Zeit bereits trocken war und inzwischen auch hübsch glänzte, dank ihrer fortwährenden Politur.
Ihre Hände bewegten sich in einem monotonen Bewegungsablauf immer weiter, während ihre Gedanken weit weg waren.
Sie hatte geträumt, immer ungefähr das Gleiche in den letzten paar Nächten seit Balerian, Runa und die anderen zurückgekehrt waren.

Ihr Kopf schmerzte, ihre Handgelenke brannten von dem Seil, welches sie an Ort und Stelle hielt. Die Rinde des Baums an den sie gebunden war, rieb an ihrem Rücken, sie war sich sicher, dass sich dort Blut und Dreck in den Wunden vermischten.
Der Mann vor ihr war groß und breit und schien alles Tageslicht zu verdecken, hinter seine Stimme   verblassten die Geräusche des Waldes, trotzdem konnte sie kaum verstehen, was er sagte.
Blau und schwarz.
Mit kleinen nassen Flecken. Blut. Ihr Blut um genau zu sein.
Zur falschen Zeit am falschen Ort.
Er griff nach ihrem Gürtel und sie riss die Beine hoch, versuchte ihn zu treffen.
Er lachte hämisch.
Ein donnernder Schmerz fuhr durch ihren Kopf, als er zuschlug.
Dann lautes Rufen, man gab Alarm, Leute stürmten auf die Lichtung, sie zerrte an dem Seil, konnte es aber nicht lösen.. ihre Beine versagten.

Dann war der Tumult vorüber.
Die Lupus Umbra erschlagen.
Und über ihr zwei Gesichter.
Besorgt. 
Das eine golden schimmernd, fremdartig, dennoch freundlich.
Das andere menschlich. Blass. Gezeichnet von Wut und Entschlossenheit.

Sie hatten sie losgeschnitten, ihre Wunden versorgt und sie mitgenommen. Hatten ihr vom Pilgerzug berichtet.

Lyra war ihr immer irgendwie nah gewesen. Selbst während ihrer Zeit auf der Freedom Alone, waren sie einander überraschend häufig begegnet.

Lorainne war Teil einer anderen Welt, immer geprägt und gebunden durch Eide, durch Pflichten, durch Bürden, die Rebekka nie ganz erfassen konnte. Oder erfassen können wollte. Aber sie war da.
Und in den letzten Monaten schien sie näher als früher. Als hätte sie endlich einen Platz in der Mitte all dieser vertrauten Gesichter gefunden, den sie bereit war anzunehmen.

Rebekka wischte die einzelne Träne fort, die sich den Weg über ihre Wange suchte, bevor ihr weitere folgen konnten und wand sich energisch um.
Sie hatte nach fast jedem dieser Träume geweint, halb gefangen in der Erinnerung, halb aus diffuser Wut und Trauer.
Es war genug.
Man ehrte die Toten nicht dadurch, dass man ihretwegen ewig Tränen vergoss, sondern dadurch dass man ihre Namen und Taten weitertrug und die Erinnerung die Zeiten überdauern ließ.

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