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Das Exil - Drakonias Reise in den Mittellanden

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Drakonia Noximera:
Teil 3
Rabenfels, 267 n.J.
Der Himmel brannte bei dem Morgenrot. Der Regen von der vergangenen Nacht hatte aufgehört und die Luft war nicht mehr so kalt wie am Abend. Drakonia hielt endlich auf nach ein paar Stunden unterwegs. Sie hatte das Dorf und die Taverne mitten in der Nacht verlassen und hatte ein Zettel für Arkatosh gelassen.

"Ich möchte einige Tagen alleine reisen, um meine Gedanken zu ordnen. Du kannst mich zu jeder Zeit nachverfolgen, persönliche Gegenstände von mir hast du ja genug. Lass mich allerdings ein paar Tage allein. Deine Verminaar.

Was sie im Möment brauchte, waren Einsamkeit und Zeit. Andere Leute brauchte sie nicht. Sie hatte das Gefühl, dass jeder, den sie zu nah an sich gelassen hatte und dem sie vertraut hatte, sie enttäuscht oder verraten hatte. Alleine konnte sie genauso gut auskommen, wie mit anderen an ihrer Seite.

Die Nekromantin ist tot. Etwa schmutzig, nicht so elegant wie ich es wollte und sie hat viel zu viel geredet, aber dennoch ist sie tot.

Sie hatte zusammen mit einer Gruppe Söldner gearbeitet, die auch Zeit gebraucht hatten, um ihr zu vertrauen. Und jedoch brauchten sie nur einen Kampf mit ihr an ihrer Seite, um sich zu vergewissern, dass sie tatsächlich an ihrer Seite stand, kein ganzes Jahr. Sie hatten sie mit Respekt behandelt und hatten selbst Respekt von ihr bekommen. Sie hatten ihr zugetraut, ihren Plan einzusetzen und am Ende hatten sie zusammen Erfolg gehabt - die Söldner hatten den Champion der Nerkomantin besiegt und Drakonia hatte die Nekromantin getötet. Würden die Söldner nicht so weit weg verreisen müssen, würde sie gerne einige Zeit mit ihnen reisen.

Es war nicht Atos. Aber es war ein Anfang.

Am Anfang hatte sie sich gewundert wie ihre ehemaligen Lehrer handeln würden. Ob sie das oder jenes gemacht hätten, wie sie etwas gemacht hätten, was sie nicht tun würden. Aber langsam wunderte sie sich immer weniger. Und am Ende, als die Nekromantin mit erlöschende Augen gegen ihre Schulter gefallen war, um sich Sekunden danach in Asche zu verwandeln, wurde ihr klar, dass es völlig egal war, was Lyra, Kadegar oder Flammbart getan hätten. Sie waren nicht da. Drakonia musste sich jetzt alleine um Dämonen und Nekromanten kümmern und ihre Lehrer hatten ihr die Grundlage gegeben. Und nach der vergangenen Nacht war ihr klar geworden, dass sie nicht mehr Schülerin sein können würde. Schüler konnten nicht völlig alleine reisen und Probleme lösen, für die erfahrene Leute auserwählt wurden. Sie war alleine gelassen worden, weggetrieben, mit der Hoffnung, dass sie nicht mehr zurückkehrt und keine Probleme mehr bereitet - aber sie war am Leben, weg von jenem Ort, jagte die Dinge, die ihr Leben einmal zerstört hatten und nun durfte sie den Morgenrot noch einmal sehen. Es fühlte sie gut an.

"An deiner Stelle würde ich nie zurück gehen. Sie haben dir mehrmals gezeigt, dass du nie richtig eine von ihnen sein wirst. Was für Freunde lassen einen im Stich, schlimmer noch, schicken einen in den Tod? Und wenn sie eines Tages deine Hilfe doch brauchen und zu dir kommen... Zeige ihnen den Rücken." wurde ihr den vergangenen Abend gesagt. Sie sollte zugeben, irgendwie dachte sie teilweise auch so. Letztendlich, hatte sie für die ganze Mühe im vergangenen Jahr das Missvertrauen und die erwünschte Übergabe ohne Waffen an die Inquisition verdient? Aber ein anderes Gedanke gab es noch in ihrem Kopf - sie konnte die Freunde, die sie gefunden hatte, nicht einfach so lassen. Sie hatte Hilfe zu Kydora versprochen. Sie schuldete Lyra und Kadegar immer noch einige Worte und vielleicht eine Entschuldigung. Sie schuldete den Leuten, die ihr geholfen hatten, eine Danksage und es gab auch einige, die ihr nicht völlig egal geworden waren. Sie wusste, dass sie eines Tages zurück gehen würde. Mindestens ihre Versprechen musste sie halten und ihre Schulden ausgleichen, aber ob sie wieder jemandem vertrauen würde, konnte sie im Moment nicht sagen.

Bisher hatte sie jeder, dem sie vertraut hatte, zu der Gnade der Bestien gelassen, bis sie selbst eine geworden war. Jede Enttäuschung, jeder Verrat trieben weiter die Mitleid und die Gnade von ihr aus. Der Untersched zwischen sie und die Dinge, die sie jagte, wurde Tag für Tag schwieriger zu erkennen. Weniger verloren als zuvor war sie nicht. Sie hatte alle Hoffnung verloren, dass der Kampf mit ihr selbst je enden würde. Alleine gelassen, eine verfluchte Renegatin, die nun diesen Krieg führen musste. Sie war nicht fertig damit. Und es gab nur ein Ding, dass sie mit Sicherheit wusste.

Sie schaute in die grobe Richtung, in der sich Montralur befinden sollte und sagte mit ihrer kalten Stimme: "Meinen Weg könnt ihr jetzt nicht mehr bestimmen. Die Zeit, als ich andere zugelassen habe, mir zu befehlen, ist vorbei."

Der Himmel wurde mit der Zeit langsam blau, aber die Luft war immer noch kalt. Drakonia konnte die ironische Ähnlichkeit zu diesem Abschnitt ihres Lebens nicht ignorieren. Eine dunkle Nacht voller Regen hinter ihr, dan ein neuer Anfang, den brennende Zorn und Wut färbten, gefolgt von einem klaren Himmel, aber fiesem und kaltem Wetter.

Sie wunderte sich, was sie noch erwartete. Das einzige, was sie geplant hatte, war mit Kydora zu reden und ihr ein Brief zu geben mit der Bitte, den zu Lyra und Kadegar zu bringen. Was Atos betraf, hatte sie Informationen über Liche gesammelt und mit Leuten geredet, die schon welche besiegt hatten. Und sie hatten ihr einige Ideen gegeben.

Drakonia Noximera:
***eine Woche später
"Du hast die Aufgabe gewählt. Stell dich vor uns!"

Die drei Kultisten wirkten nicht wie die Szivariten, die sie schon gesehen hatte. Sie betteten letztendlich ein Wesen an, das Gleichgewicht bringen würde. Sie durfte eigentlich gar nicht gegen sie kämpfen. Aber wenn ihr Herr sich befreite, würde er das Gleichgewicht aufbauen, indem er die Leute vom Raststatt tötete, und das konnte sie nicht zulassen. Es war nicht das erste Mal, als ihre Prinzipien in Frage gestellt wurden; und solche Momente formten in der letzten Zeit ihre Lebensphilosophie und Arbeitsweise, da sie jetzt eigenen Prinzipien aufbauen und folgen durfte und auch wollte.

Sie stand vor den drei mit ihrem Schwert und ihren Langdolch in den Händen. Angst um sich hatte sie nicht. Sie überlegte schon, wie sie drei Gegner auf einmal bekämpfen sollte. Einige Leute hinter ihr stellten sich zu ihrer Seite, aber bevor sie diese zurückschicken konnte, rief der eine Kultist:

"Sie wird alleine kämpfen!"

Sie schaute ihn mit eiskaltem Blick an und rief entgegen:

"Ich stehe alleine und wer entgegen kommt, gnaden ihm die Götter!"

Seit einiger Zeit war das das Motto, nach dem sie lebte; diese Worte waren zu ihrem Credo geworden. Sie folgte nun diesen Worten, nicht mehr dem Motto der Schattenwall.

"Das werden wir wohl sehen."

Der erste Schlag mit einer Mordaxt brach ihren Kampfschutz und verletzte ihren Oberarm, obwohl nicht so schlimm, wie sie für eine Sekunde befürchtete - das Schwert konnte sie immer noch führen, obwohl die Wunde gleich zu bluten anfing. Sie hatte aber schon ein Plan und ihr war klar, dass sie mehr als das erleiden musste. Sie biss die Zähne zusammen und griff nicht an, sondern wartete auf den nächsten Schlag. Der mittlere Kultist war der leichteste Gegner - sein Schwert war ähnlich zu ihrem und es war nicht schwer, den Mistkerl zu verletzen und für einige Momente außer Gefecht zu bringen. Die Frau links war viel besser mit ihrem Schwert, aber Drakonia konnte ihre Schläge nur mit dem Langdolch parieren - das Schwert brauchte sie für die Mordaxt, obwohl es nicht viel brachte. Der mittlere griff wieder an.

Der Kampf zog sich länger, als sie gedacht hatte. Zwei neue Wunden entnommen ihre Kräfte und eine ältere öffnete sich wieder. Am Ende versagte ihren Körper und sie konnte nicht mehr so schnell reagieren. Sie spürte wie sie zum Boden gestürzt wird und schmeckte das salzige Geschmack von Blut in ihrem Mund. Ihre Haare fielen vor ihrem Gesicht, die Wunden tan tierisch weh, jeder Atemzug war ein kleiner Krieg an sich wegen den gebrochenen Rippen. Die Teilen von ihrem zerbrochenen Schwert fielen neben ihr. Sie konnte die Schritte von den Kultisten hören, die sie umkreisten. Sie war ihnen hilflos ausgeliefert, wenn sie ihren Tod wünschten, brauchten sie nur noch einen Schlag.

"Mutig."

"Aber noch schwach."

"Sie muss noch Gerechtigkeit lernen."

"Aber sie hat gekämpft. Die Aufgabe sei erfüllt."

Sie konnte es nicht glauben.

"Nein..." keuchte sie. "Ihr habt mich besiegt, ich habe versagt, die Aufgabe kann nicht erfüllt sein..."

Das war es. Sie hatte die Aufgabe angenommen, weil sie wusste, dass die anderen nicht versagen würden und wenn alle Aufgaben erfüllt wurden, der Dämon sich befreien würde. Sie hatte versucht zu versagen, hatte es aber ironischerweise geschafft, wenn sie versagen sollte. Sie konnte nicht glauben was für einen Scherz das Schicksal auf sie gerade spielte. Sie hatte einen Fehler gemacht. Und dieses Mal gab es keinen, der alles wieder gut machen konnte, der sie in den hinteren Reihen schicken konnte und den Dämon bannen und ihr danach eine Stunde lang erklären wie dumm sie war. Die Angst fühlte sich wie eiskalte Tentakeln an, die ihr Herz umwickelten, aber sie hatte keine Kraft zu schreien.

Alles wurde schwarz vor ihren Augen. Und sie hörte die Stimmen von den Kultisten nicht mehr. Sie hörte nichts, sah nichts, fühlte nichts mehr.

Drakonia erwachte mit einem stummen Schrei und saß auf einmal, wobei der Schmerz von den Wunden zurückkehrte und sie wie mehrere brennende Klingen erstach. Ihr Körper brannte. Sie brauchte einen Moment um Luft zu holen und sah sich dann um. Das Zimmer war ruhig, durch das Fenster kam das Mondlicht. Es sollte tief in der Nacht sein. Sie fühlte sich auf einmal viel zu schwach und musste sich zurück auf das Bett hinlegen. Finlay hatte ihre Wunden zwar zugenäht, aber ohne ihren Kristall würden sie sich nicht schließen und es war ihr klar, dass sie nicht viel Zeit hatte. Arkatosch hatte den Stein genommen um ihn mit ihrem Blut zu verbinden, um die verlorene Wirkung wieder herzustellen, die beiden wurden aber unerwartet getrennt und jetzt musste sie ihn finden.

Es war außer Frage, dass sie die Reise verweigerte. Sie hatte schon in einem schlimmeren Zustand gereist und sogar gekämpft. Das Problem war, dass sie ohne ihren Kristall keine zehn Tage leben konnte und für den Weg nach Hammerburg, wo sich Arkatosch aktuell befand, brauchte sie länger. Spätestens beim Morgenrot sollte sie schon auf dem Weg sein.

Ihr Erfolg in Rabenfels wurde von einer Versage gefolgt. Sie wollte etwas kaputt machen, auch wenn sie wusste, dass es nichts bringen würde. Leute lernten aus ihren Fehlern, war es nicht so? Aber alle behaupteten, dass sie nichts lernte. Und doch hatte sie aus ihren Fehlern eins gelernt: verlasse dich nie auf anderen. Diese, die dich heute beschützen, werden sich morgen nicht hinter dich stellen, wenn du sie am meisten brauchst. Die Worte, denen du heute folgst, werden dir morgen nichts mehr bedeuten. Die Sachen, die dir heute wert sind, werden morgen nichts mehr als Asche in dem Wind sein. Zeige keinem auf dieser Welt was du fühlst, trete ihnen eiskalt entgegen. Was unter dem Eis brennt interessiert nur dich.

Sie war nicht mehr in der Lage, heulen zu können. So einen Emotionsausbruch war für sie unmöglich, da sie ihre Gefühle fast abgeschaffen hatte. Aber die Enttäuschung war schlimmer als Ärger. Und doch wusste sie, dass sie weiter kämpfen und die Dinge, die ihr Leben zerstört hatten, jagen würde. Nur würde sie die Spuren von dieser Versage immer in sich tragen.

Sie schloss ihre Augen zu. Plötzlich kehrten die Erinnerungen vom Spital von Lavinia zurück. Sie hasste diese Erinnerungen, sie hasste diese Zeit. Das waren die schlimmsten Tage ihres Lebens. Sie bereute bis heute noch die Entscheidung, sich in jenem Irrenhaus sperren gelassen zu haben. Es hatte ihr nichts gebracht, schließlich hatte Magistra Blaufuchs sie geheilt, nicht die Heiler und die Priester vom Spital. Sie hatte im Spital mehr verloren als gewonnen. Ihre Waffen wurden entnommen, was für ihre Glaube ein Sakrileg war, aber was noch schlimmer war - ihre Freiheit wurde entnommen. Sie wurde mit Leuten zusammen gesperrt, deren Leiden sie kaum die Kraft hatte, zuzusehen, besonders wenn es ihr bewusst war, dass es ihnen kaum noch zu helfen war. Sie wurde von ihren Freunden weggezogen, sie wurde behandelt, als wäre sie kein normales, vollständiges Lebewesen mit eigenem Willen, sondern jemand, den man bemitleiden sollte und der Hilfe brauchte - und die dortige Hilfe brauchte sie nicht. Sie sollte dort Ruhe finden, aber es war die Ruhe eines Gefängnisses. Dort verging keine Zeit. Sie hatte sich dort viel schlimmer gefühlt, als sie sich in der Zelle in Ferumgard gefühlt hatte, als sie gefesselt und gequält wurde. Die Brandmarke von damals tat weniger weh als die Erinnerungen vom Spital. Sie hatte Lyra belogen, dass es ihr besser geht, damit sie endlich mal weg gehen konnte, aber den Amabillis konnte sie nicht belügen. Er wusste ganz genau, dass es ihr kein bisschen besser ging, aber nicht, dass es nichts bringen würde, wenn sie weiter blieb. Sie hatte sich entschieden, in der Nacht wegzulaufen, und es war ihr egal, dass die Inquisition in der Gegend rumlief. Wäre Atos nicht gekommen und hätte sie nicht die Chance gehabt, sich wieder an der Jagd nach ihm zu beteiligen, wäre sie weggelaufen. Überall auf der breiten Welt wäre es besser als an diesem Ort.

Eine Träne lief von ihrem Auge und verschwand in ihren Haaren. Drakonia wusste gar nicht, dass sie noch in der Lage war zu weinen, versuchte aber nicht, die weiteren Tränen aufzuhalten.

"Das bringt nichts. Hör auf." sagte leise eine bekannte Stimme. Drakonia öffnete ihre Augen. Magister Vermillion Aladrin saß am Rand des Bettes. Er wirkte nicht so streng wie normalerweise, sondern ganz ruhig und bedacht. Vielleicht war ihm klar, dass es ihr gerade nicht nach einem Gespräch mit ihm war.

"Ich kann es nicht vergessen." flüsterte sie. "Kannst du die Erinnerung daran einfach löschen? Bitte. Bitte..."

Der Seelenwanderer schüttelte seinen Kopf. "Das ist jetzt wegen dem Fieber. Es wird vergehen und dann wirst du die Erinnerungen doch haben wollen. Ich werde sie dir nicht entnehmen."

"Ich bitte dich."

"Nein, Verminaar. Tut mir leid. Du musst jede Erinnerung behalten, denn sonst wärest du nicht das, was du jetzt bist."

"Und was bin ich jetzt?... Kannst du sagen, dass ich auf dem richtigen Weg bin? Ich habe kaum noch einen Weg, dem ich folge. Sie hätten mich nicht leben lassen sollen..."

"Ich habe dir viele Freiheiten gegeben, aber ich erlaube dir nicht, aufzugeben. Was du seist? Ein Krieger, der - momentan - kein Krieg hat. Wenn deine Lust zu sterben so groß und unüberwindbar ist, warum folgst du deinem Motto? Warum lässt du dich doch nicht töten? Komm schon, Ehre wäre egal. Du willst leben, du kämpfst nicht umsonst weiter. Und depressiv würde ich dich auch nicht nennen. Was soll das jetzt sein?"

"Es lohnt sich einfach nicht mehr, weiterzugehen. Ich möchte erneut anfangen."

"Das hast du schon. Aber deine Erinnerungen nehme ich nicht weg, denn jede einzelne gestaltet deine Person. Behalte die Erinnerungen und lerne davon. Aber jetzt schlaf. Wenn der Fieber vergeht, wirst du anders denken."

Ohne auf ihr leises Weinen zu achten, flüsterte er die magischen Worte und fasste sanft ihre Stirn an, wobei sie sofort das Bewusstsein verlor. Der Magister schüttelte den Kopf und seufzte. Verminaar war vor seinen Augen aufgewachsen. In seiner Erinnerung sah er sie immer noch als das kleine Kind, das ruhig saß und irgendwelches Buch lies. Bis sie 80 Jahre alt war, glaubte keiner, dass sie lang leben würde, da sie vom Geburt an von alleine nicht regenerieren konnte und er selbst hatte auch gedacht, dass sie keine hundert Jahre leben würde. Doch dann hatten er und ihre Schwester die Idee, ein Artefakt zu erschaffen, der die regenerierende Funktion bei ihr übernehmen würde und hatten dafür einen Amethyst genommen. Ihr Körper war danach schnell genug gestärkt und Verminaar konnte dann endlich mal wie ein normales Kind spielen, ohne nach zehn Schritten so müde zu sein, als wäre sie Meilen gelaufen. Dann äußerte sich ihre Magiefähigkeit und er hatte sie zu seiner Akademie genommen. Auch dabei gab es Schwierigkeiten, aber Dinge verliefen gut, mindestens im Vergleich zu dem, was ihr danach passiert war. Damals war aber sein "Magieunfall", bei dem sein Körper zerstört wurde. Als Seelenwanderer konnte er seine Seele retten und so weiterexistieren, aber mit seinen Ambitionen, die Position des Rektors der Akademie zu Rabennest nachzustreben, war Schluss. Obwohl er als Geist weiter als Prorektor tätig war, war seine Position deutlich geschwächt und er sollte wählen, ob er sich um die Akademie kümmern würde, oder um seine Familie.

Er hatte die Akademie gewählt.

Sein Sohn Arvenas wurde zu Herzog von Vardara ernannt. Seine Enkelin Maarja, die Schwester von Verminaar, hatte ihm nie für seine Entscheidung vergeben und hatte, damals als Adepta, ihr Studium an der Rabennest abgebrochen, um zu einer anderen Akademie zu gehen. Hätte er ihr erlaubt, hätte sie Verminaar mit sich genommen, aber die kleine hatte er bei sich behalten. Bald starb sein Sohn in einem Kampf und Maarja, nun Herzogin, verlangte ihre Schwester bei sich zu haben, als Teil ihrer Gefolge. Mit entnommenem Titel konnte er nicht widersprechen. Einige Monate später starb Maarja bei einem Angriff und Verminaar war verloren für alle bis auf die Leute von Maarjas Gefolge, die sich um das Kind gekümmert hatten, und ihn, da er sie zu jeder Zeit nachverfolgen konnte. Er hatte sie in Ruhe gelassen. Inzwischen war sie schon 260 Jahre alt, schon kein Kind mehr, und wie sie ihr Leben nun gestalten würde, war nicht sein Bier. Einige Zeit war sie inkognito gereist, hatte als Heilerin, Bardin, sogar als Söldnerin gearbeitet, hatte ihre weißen Haaren dunkel gefärbt, ihre spitzen Reißzähne feilen gelassen, ihren Namen auf Drakonia geändert und sich unerkennbar gemacht. Magie hatte sie nicht mehr eingesetzt, bis zum Tag, als sie erfahren hatte, wer die Armbrust gehalten hatte, mit dem ihre Schwester tödlich erschossen wurde. Seit jenem Tag hatte sie keinem etwas verzeiht. Verminaar, das optimistische, etwa schüchterne und ruhige Kind, das er kannte, wurde langsam verloren, um Platz für Drakonia zu machen - eine gnadlose Mörderin, die kein Gewissen zu haben schien. Es war ihm klar, dass er teilweise auch Schuld für ihre Verbrechen trug - hätte er sie in Rabennest behalten, würde sie nun ruhig in der Akademie leben, auf dem Weg zu einem höhen akademischen Titel sein, und hätte kein Schmerz und Leid erleiden müssen.

Der Magister seufzte erneut. Vielleicht hätte er ihr Artefakt nie erschaffen müssen. Aber er bereute nicht, dass er ihr die Chance gegeben hatte, zu leben. Er konnte nun zwei Dinge für sie tun - entweder sie töten, um ihr die Leid zu ersparen, oder ihr helfen, von der Tiefe wieder rauszukommen.

Er stand auf, ging zu dem kleinen Tisch, setzte sich und murmelte etwas. Vor ihm erscheinen gleich mehrere Blätter Papier und seine edlige, schön bearbeitete Feder und Tintenflasche mit dunkelvioletter Tinte. In seiner schöner Schrift, die normalerweise Leute raten ließ, dass er ziemlich selbstbewusst, sogar arrogant war, schrieb er einen Brief.

Verminaar,
Manchmal fällt es einem leichter, Worte zu schreiben, statt sie laut auszusprechen, denn Schuld und Scham machen uns schüchtern. Das hast du bestimmt auch selbst erlebt. Aber Entschuldigungen müssen auch sein, denn wir nicht wissen, wie viel Zeit wir mit den jeweiligen Leuten verbringen dürfen werden. Und manchmal ist es tatsächlich schwieriger, die eigenen Fehler zuzugeben.

Ich habe auch Fehler gemacht, das stimmt. Wenn ich jetzt zurück in die Zeit blicke, merke ich, dass ich viel anders hätte machen müssen. Ich habe meine Familie verlassen und schlimmer als das, dass ich zu Renegat ernannt wurde, war tatsächlich, dass ich euch verloren habe. Ich hätte dich und deine Schwester bei mir in der Akademie behalten müssen, dann wäre sie noch am Leben und du wärest nicht auf diesem Weg geraten. Ich hätte euch viel Schmerz und Leid ersparen können. Um Verzeihung zu bitten ist vielleicht zu viel. Denn, irgendwann im Leben merkt man, dass Reue wertlos ist. In dem, wozu sie einen treibt, liegt ihr wert. Reue wird durch Taten bewiesen und nicht durch Worte, auch wenn man sie in den Tränen sehen kann. Wenn du nichts anderes von mir gelernt hast, dann merke dir bitte das, und dann wäre die ganze Mühe nicht umsonst gewesen.

Wie du schon denken kannst, ist das ein Abschied. Noch einmal muss ich dich leider auf die Gnade der Winde überlassen, aber ich denke, so wäre es besser. Denn ich brauche dich mehr, als du mich brauchst. Ich hatte Ambitionen für dich, das stimmt, und deshalb habe ich so viel von dir erwartet – aber ich habe auch endlich mal gemerkt, dass es nicht dein Weg ist. Wo du hingehen möchtest, soll schließlich deine Entscheidung bleiben. Ich kann dir zwar viel beibringen, aber du wirst es sowieso alleine lernen.

Als dein allererster Meister habe ich nur ein letztes Befehl an dich. Es ist langsam die Zeit gekommen, dass du selbst Meisterin wirst. Mach mich stolz auf dich. Zeige, wozu die Schüler der Rabennest fähig sind.

Zum Schluss hinterlasse ich etwas für dich. Ein kleines Geschenk, wie der Brauch ist. Wenn ein Schüler der Rabennest seine Lehre beendet, bekommt er einen kupfernen Feder… Aber nicht jeden Tag wird die Enkelin des Prorektors zu Meisterin. Trage es mit Stolz und erinnere dich an uns, erinnere dich, dass du immer eine von uns sein wirst und dass die Türe der Akademie zu Rabennest immer offen für dich sein werden, wenn du sie betreten möchtest. Vergiss nicht, dass du nicht nur an die Schule angewiesen bist, die dich weggetrieben hat, sondern auch an diejenige, die dich immer willkommen heißen würde, auch wenn die ganze Armee von Lichttal dir verfolgt, um dein Leben zu nehmen. Jeder braucht ein Zuhause. Und falls du zweifelst, ob du eine Familie hast und einen Ort dein Zuhause nennen kannst, richte deinen Blick in die Richtung von Rabennest und denke daran: du hast eine Familie und ein Zuhause. Du musst diesen Krieg nicht alleine führen. Trage den Wappen der Rabennest stolz und erinnere dich: du hast bei uns die allerersten Dinge gelernt und darfst, bis zu deinem letzten Tag, zu uns zurückkehren. Kein Fehler wird dir unverzeiht bleiben, keine Wunde ungeheilt, kein Wort ungehört, und Hilfe und Hoffnung werden dir nie verweigert.

Fürchte dich nicht, Fehler zu machen, solange du davon lernst, und trage deine Narben mit Stolz, denn sie sind der Beweis, dass du überlebt hast.

Mögen die Sterne über dich wachen und der Mond deinen Weg zeigen!

Magister Vermillion Aladrin, Prorektor der Akademie zu Rabennest

Er ließ den Feder liegen und lies den Brief ein paar Male durch. Es war schwer, sich aufzuhalten, das Papier nicht in Stücke zu zerreißen und doch zu bleiben; aber ihm war klar, dass es so am besten war. Er ließ einen silbernen Anhänger in der Form eines Rabenfeders mit einem blauen Stein neben dem Brief. Dann stand der Magister auf, warf einen letzten Blick zu seiner schlafenden Enkelin, dann öffnete er ein Portal und verschwand durch den. Drakonia murmelte unruhig etwas in ihrem Schlaf.

Drakonia Noximera:
***eine Woche später, Hammerburger Hafen
Drakonia trat nervös auf den Schiff und schimpfte in ihrem Kopf. Sie war vor kaum einer Stunde aufgestanden und war schon wieder ziemlich müde. Dass die Heilung so lange Zeit brauchen würde, war ihr bewusst, was aber längst nicht bedeutete, dass es ihr gefallen musste. Sie war fast zu spät bei Arkatosch gekommen und hatte ihn mit ihrer letzten Kraft begrüßt, dann hatte sie das Bewusstsein verloren. Dem Heiler, zu dem er sie gebracht hatte, war klar, dass ihr nicht viel Zeit blieb, und hatte improvisiert – den Regenerationskristall, der Arkatosch schon mit ihrem Blut verbunden hatte, hatte er in einer der Wunden vom Duell reingepflanzt und auf dieser Weise sichergestellt, dass sie den Kristall nie wieder verlieren würde. Am Leben zu bleiben hatte aber ihre ganze Kraft verbraucht und sie hatte nun vor, sich eine Weile auszuruhen.

Im Bett liegen und lesen war keine schlechte Perspektive, zumal sie sich jetzt auch auf ihre Meisterprüfung vorbereiten musste. Was sie im praktischen Teil machen musste, war ihr klar seit dem vorletzten Magiertreffen in Tangara vor einem Jahr. Sie würde selbst einen Dämon exorzieren. Dabei musste sie sich nicht nur auf die Austreibung des Viechs vorbereiten, sondern auch einen Weg finden, den Körper des Besessenen nicht zu beschädigen. Mehrere Monate verrückt zu sein hatte ihr definitiv kein Spaß gemacht und sie wollte so was keinem antun.

Ihr war gut gewusst, dass das anspruchsvoll war. Sogar erfahrene Magier exorzierten sehr selten Dämonen alleine und das bei einer Prüfung. Sie wollte es aber machen. Viele hatten geglaubt, sie wäre eine schlechte Schülerin und hätte keine versprechende Zukunft als Hermetikerin, doch das, was sich keiner Mühe gegeben hatte zu bemerken war, dass sie auf einer ganz andere Weise lernte. Den Wunsch der anderen Schüler, sich vor ihren Meistern zu beweisen, war ihr fremd. Während manche hohe Positionen in der Ayd Owl angestrebt hatten und sich darum gestritten hatten, hatte sie jede Möglichkeit genutzt, von jedem Magier, den sie traf, etwas zu lernen – mal einen Spruch, eine Geste, eine Rune, einen Ritualkreis… In den meisten Fällen war für sie genug, etwas einmal zu sehen, um es danach nachmachen zu können. Das hatte sie Lyra und Kadegar natürlich nicht mitbekommen gelassen. Sie wusste ganz genau, was sie erreichen wollte und sie folgte ihrem Weg dazu auf einer oder anderen Weise. Sie schrieb ihre Ziele in Stein und ihre Pläne in Sand.

“Ich bin nicht weniger fähig als Stella und Runa, auch wenn manche davon überzeugt sind. Aber ich brauche es auch keinem beweisen. Die anderen Schülern können ruhig weiter auf ihren Weisen lernen, und ich auf meiner. Sie stehen mir, mindestens für jetzt, nicht im Weg. Und schließlich bin ich in einigen Wochen selbst Meisterin, dann werde ich ziemlich über diese Sachen sein. Dann stellt sich keiner mehr – bewusst oder nicht – auf meinem Weg, wie damals beim Ritual in Lupien.“

Sie hatte lange genug gelernt und einen langen Weg entlang gegangen. Für ihr Studium hatte sie viel geopfert und hatte dadurch auch viel gewonnen. Sie hatte sich verändert. Spätestens als der Söldner vom Imperium Ring aufmerksam gemacht hatte, dass Drakonia nicht wie eine Schülerin aussah, war ihr klar geworden, dass sie keine mehr sein konnte. Die Zeit war langsam gekommen. Sie würde den langen Weg nicht umsonst gewesen sein lassen und würde ihren Großvater und die Akademie zu Rabennest nicht enttäuschen.

Sie lächelte kurz, als sie an ihre neuen Bekannten von Hammerburg dachte. Kaan, der etwa ängstliche Heiler, der sich um ihre Wunde gekümmert hatte, hatte zu Arkatosch versprochen, der Trauzeuge bei der Hochzeit zu sein. Drakonia hatte keinen Trauzeugen von ihrer Seite. Sie wollte Orin darum bitten, wusste aber, dass er so kurzfristig seine Dienste an der Akademie zu Ihtiman nicht verlassen konnte, um zu Waer Adular zu reisen. Ansonsten hätte sie Lyra gebeten, nach den offenen Lerntagen wollte sie aber nicht mehr von Lyra und Kadegar hören. Wobei bei diesem Gedanke eine kurze Erinnerung an den Brief ihres Großvaters in ihrem Kopf auftauchte. “Entschuldigungen müssen auch sein, denn wir nicht wissen, wie viel Zeit wir mit den jeweiligen Leuten verbringen dürfen werden. Und manchmal ist es tatsächlich schwieriger, die eigenen Fehler zuzugeben.“ Sie würde sich bald mit ihnen in Kontakt setzen müssen. Sie hatte Gründe zu glauben, dass sie diese Prüfung nicht überleben würde, wenn sie versagen sollte, und Verantwortung über den Stab und die Bücher, die sie hinter sich lassen würde, zu übernehmen, war etwa wichtiger, als der übermäßige Stolz.

Dann hatte sie auch den Weibel der Waldtempler kennengelernt und die Möglichkeit gehabt, ein ziemlich interessantes Gespräch mit ihm zu führen. Obwohl der Mann kein Magier war, hatte er schnell bemerken können, dass sie gerade abseits von ihrer Arbeit etwa ziellos war und hatte ihr einen Ratschlag gegeben. “Erinnert Euch an den Anfang. So werdet Ihr Euren Weg leichter finden.“ Aber an welchen Anfang musste sie sich erinnern? An die Wurzeln der Elfen, hatte er gemeint, aber er wusste nicht, dass ihr Volk zu unterschiedlich von den Elfenarten war, die er kannte. Die Mondelfen waren nicht an die Natur verbunden, sondern an das, was sie selbst erreichten. Ihr Umfeld war ihnen egal, was sie interessierte war der Wandel, und zwar nicht diesem von Bäumen und Flüssen, sondern der Wandel von ihrer Person selbst, die Fähigkeiten, die sie durch lange und harte Arbeit erlangten, das Wissen, das sie sammelten. Der Anfang war für sie unbedeutend, was wichtig war, war die Entwicklung.

Drakonia musste sich an ihren Stab lenken, damit sie vor Müdigkeit nicht auf dem Boden fiel. Sie würde gleich zu ihrer Kajüte gehen und sich hinlegen, auch wenn sie gerne am Deck bleiben würde um das Meer zu beobachten, als der Schiff auf seiner Reise aufbrach. Sie freute sich auf jede Reise, auch wenn sie nicht wusste, was ihr diese bringen würde. Die Reisen waren ihre Weise zum Lernen. In der Schule zu sitzen und nur aus den Büchern in der Bibliothek lernen, konnte sie sich nicht vorstellen. Sie war fest davon überzeugt, dass ein Magier der Welt seine Dienste schuldete, wenn ihm die Fähigkeit, Magie zu beherrschen, geschenkt war. Im Moment konnte sie aber auf dem Schiff nicht vom Nutzen sein. Und noch kaputter wollte sie ihren Körper auch nicht machen. Sie würde sich einige Wochen Ruhe erlauben.

“Ich muss ja auch lernen…“, dachte sie sich. Sie sollte sich auf die Prüfung vorbereiten. Sie wollte diese schaffen, war aber nicht sicher, ob sie es wollte, damit sie ihren ehemaligen Lehrern zeigen konnte, dass sie doch nicht so schlimm war. Sie wollte es für sich machen. Nach den fast vier Jahren auf Reisen, in denen sie fast alles in ihrer Ausbildung wegen anderen gemacht hatte, wollte sie endlich mal ihren eigenen Ambitionen nachgehen.

“Was sie dann sagen wird mir vollkommend egal sein. Alle. Sie können davon halten und reden, was sie auch immer wollen, aber soll ich die Prüfung bestehen, können sie nicht mehr sagen, ich sei von Fähigkeiten und Wissen her nicht einem Meistertitel würdig.“

Drakonia Noximera:
***vier Wochen später,
auf dem Weg nach Tessamar, 267 n.J.
Es war fast so weit. Noch zwei Tagen zu der Meisterprüfung. Und seit einer Woche hieß sie schon Melwasúl.

Drakonia seufzte, nur um zu sehen, ob es kalt genug war, dass ihr Atem zu Nebel wurde, aber mit dem Nebel um sich herum sah sie das nicht. Es war schon tief in der Nacht. Die Wälder von Tessamar waren ruhig, in den Nebeln sinkend. Sie saß immer noch am fast ausgelöschten Feuer vor dem Zelt, in ihren Umhängen umwickelt. Arkatosh schlief schon lange, sie konnte aber nicht einschlafen. Nicht wegen Nerven vor der Prüfung allerdings. Ihre Seelenreise, zu der Xandros und Rachel sie getrieben hatten, hatte ihr die ganze Ruhe genommen.

Es war nicht mehr so schlimm, wie in den ersten Stunden, als sie wieder aufgewacht hatte. Aber viel besser war es auch nicht. Egal wie sehr sie versuchte, sich zum Lächeln zu bringen konnte sie nicht mehr. Was sie in jener Ebene gesehen und gehört hatte, würde sie noch lange verfolgen. Sie bereute nicht, die Seelenreise unternommen zu haben – die Artefakte von ihrer Göttin sollten zurück zum Tempel gebracht werden und kein anderer wollte das Risiko annehmen. Sie wurde erwählt und hatte die Aufgabe erfüllt, auch wenn sie etwas dafür opfern musste. Und es war logisch so. Dämonenjäger existierten, um sich mit solchen Dingen zu beschäftigen, damit sich andere Leute nicht damit beschäftigen sollten. Ihr war das klar, als sie diesen Weg gewählt hatte. Ihr war auch klar, dass sie dabei viel opfern müssen würde.

Sie sollte sich zwingen, ihre Gedanken in eine andere Richtung zu bringen. Sie erinnerte sich an die überraschten Blicken von den Gästen, als der graue Drache den Tempel betreten hatte. Weniger überrascht war sie nicht. Sie hatte nie erwartet, dass gerade der ängstliche Heiler, der ihr das Leben vor einem Monat gerettet hatte, eigentlich eine gute Tarnung für einen Drachen war. Und ein Drache als Trauzeuge der Hochzeit… Wer könnte sich so was schon wünschen. Drakonia kannte auch andere Drachen, die in Menschengestalt wanderten. Nahira, die in einem Land lebte, wo sie sofort gejagt würde, würde sie ihre wahre Gestalt zeigen; der komische Magier in Rabenfels, der ihr nach dem Ritterturnier in Schwertkampf unterrichtet hatte, die komische Frau in Hammerburg, die auch auf der Hochzeit erschienen war… Aber eine so offensichtliche Erscheinung hatte sie noch von keinem gesehen. Und plötzlich ergab sein ganzes Verhalten Sinn. Sie wunderte sich nur woher Arkatosh ihn kannte. Ihren Mann hatte sie nicht danach gefragt.

Und dann kam der etwa irritierende Moment auf der Hochzeit… Die Zeremonie war schon zu Ende, die Barden spielten ihre Musik, die Gäste tanzten, sie saß müde in der Ecke und sollte an den Tanzabend an der Ayd Owl denken. Dann war der Tanz zu Ende und Belgarath und Felis hatten sich außer Atem neben sie gesetzt, Belgarath hatte nach der Zeit gefragt und Felis hatte ihm gesagt, es sei eine halbe Stunde vor elf… Und dann hatte sie jemanden anderen dieselbe Frage stellen gehört und ihm wurde geantwortet, es sei schon gut nach halb zwölf. Alle im Saal lagen am Boden und wirkten, als hätten sie viel zu viel getrunken. Keiner erinnerte sich, was in dieser Stunde passiert war, aber Drakonia wollte es gerne wissen, auch wenn sie Angst hatte. Arkatosh hatte auch keine Erinnerung daran. Aber als sie erwacht hatte, hatte sie eine Klinge in der Hand gehabt.

Drakonia richtete ihren Blick nach den Sternen und wunderte sich, ob sie diese nach der Prüfung wieder sehen würde. Sie hatte sich psychisch vorbereitet, dass die Möglichkeit besteht, dass sie diese nicht überlebte. Schon hatte sie zu Kydora, Lyra und Kadegar geschrieben, was mit ihrem Stab und mit ihren Büchern passieren sollte, sollte sie sterben, und hatte sich entschuldigt. Sie wusste, dass sie es den drei schuldete. Egal wie sauer sie auf Lyra und Kadegar immer noch war, sie hatten viel für sie getan und das konnte sie nie vergessen. Eines Tages, sollte sie überleben, würde sie zu ihnen gehen und unter vier Augen reden. Aber bis zu diesem Tag sollten viele andere Tage vergehen.

Eins war sicher. Dinge würden danach nicht dieselben sein. Sie würde danach nicht dieselbe sein. Noch zwei Tage durfte sie sich erlauben, Anfälligkeit zu zeigen. Danach durften Leute diese nie mehr an ihr erkennen können. Sie würde selbst Schüler haben, denen sie beibringen müssen würde, stark zu sein. Sie würde Verantwortung für sie nehmen müssen, für ihre Taten antworten, den Schuld für ihre Fehler übernehmen. Dass es nicht einfach sein würde, war ihr bewusst, aber ihre Meister hatten es für sie getan, und jeder Magier tat es für seine Schüler.

Sie wunderte sich nur was mit Arkatosh passieren würde, wenn sie sterben sollte. Sie wollte ihn nicht alleine lassen. Arkatosh hatte, ähnlich wie sie, keine leichte Vergangenheit hinter sich, und auf der Hochzeit hatte ihm seine Mutter deutlich gezeigt, dass sie mit seiner Entscheidung, fremdes Blut in die Familie zu bringen, ganz und gar nicht einverstanden war. Sie fühlte sich schuldig deswegen. Menschen sagten oft, dass Elfen viel zu stolz und arrogant seien, und sie gab ihnen Recht – das Problem war eben, dass Elfen sich auch unter sich so verhielten. Arrogant und stur zu sein lag in ihrem Blut, aber nicht nur in ihrem.

Er wurde spät und sie wusste, dass sie schlafen musste, wen sie nicht müde während der Prüfung sein wollte. Sie ging leise ins Zelt und legte sich zu Arkatosh, aber einschlafen konnte sie nicht, auch wenn sie schon müde war. Sie wollte schon, dass die Prüfung endlich vorbei ist. Zwei Tage noch, und dann würde sie offiziell Meisterin sein. Wenn sie bestehen sollte. Drakonia drehte sich zu der anderen Seite und schloss ihre Augen. Sie würde bestehen. Sie wollte nicht daran denken, dass es vorkommen könnte, dass sie nicht besteht.


Ende Teil 3

Drakonia Noximera:
Teil 4
Der Portal näherte sich. Das sanfte Licht konnte man ganz gut in der klarer Nacht sehen. Der Pferd rannte in die Richtung, schon an solche Reisen angewöhnt. Die Elfe auf seinem Rücken hatte seinen Nacken umarmt und weinte leise. Ihre langen weißen Haare trug der Wind wie eine Flagge. Die rechte Hälfte von ihrem Gesicht war tief verbrannt und trug so fiese Spuren, dass Leute einige Stunden früher vor Angst fast umgekippt waren.

der Abend zuvor
"Scolaria, lasst den Kreis fallen, damit wir das beenden können!"

"Nein! Ich brauche nur noch wenige Minuten..."

"Das schafft Ihr nicht. Euer Zauber ist gescheitert. Die inneren Kreise sind gefallen, genau wie die Abstandszauber. Der Exorzismus funktioniert offensichtlich gar nicht. Lasst uns herein, damit wir den Dämon bannen können und Euch vor dem Tod retten."

"Wie kann ein Wesen so stur sein..."

"Nein! Das schaffe ich alleine! Das ist meine Prüfung und ich werde sie alleine schaffen!"

Sie war endlich stark genug - und verzweifelt genug - um das Vereisen endlich mal in der Praxis anwenden zu können. Sie sammelte die Energie, die wild durch den zu explodieren drohenden Ritualkreis strömte, formte die Struktur und rieß sich die Stimme aus dem Leib, als sie die Formel aussprach.

"Sei Kälte der Dorn,
mit dem ich deine Kräfte zerreiß',
gehorch meinem Zorn
und werde zu Eis!"
Der Dämon wurde genau drei Sekunden vereist, dann zerbrach der Eis schon in Scherben und das Wesen griff erneut an.

"Die Prüfung ist vorbei. Ihr habt versagt."

"Das könnt ihr nicht! Das ist mein Krieg mit diesem Dämon, ich werde den bannen!"

"Es ist vorbei."

"NEIN, es ist NICHT! Solange ich atme, werde ich weiterkämpfen!"

Schon arbeiteten alle vier anwesenden Magier daran, den einzigen noch stehenden Schutzkreis fallen zu lassen und sie wusste, sie hatte nicht viel Zeit. Der Dämon lief schon längst frei durch den Ritualplatz und griff sie mehrmals an. Die Ritualwachen standen bereit, ins Kreis reinzustürmen und den Dämon zu bekämpfen. Sie erstoch den Dämon zum gefühlt zehnten Mal mit dem Silberdolch, das tat ihm aber nichts an.

"Drakonia, die Prüfung ist vorbei. Ihr seid schon längst durchgefallen.", sagte Arkatosh ganz ruhig. Er hatte die Struktur des verbliebenen Schutzkreis fast schon gebrochen, nur noch wenige Fäden blieben noch...

"Ich werde den Dämon schon alleine bannen!"

Der letzte Schutzkreis fiel und die Ritualwachen und die Magier betraten den Kreis. Die Wachen griffen den Dämon an mit ihren Waffen, Arkatosh lief zu ihr, aber sie schrie nur in sein Gesicht "Ich hasse dich!" und griff den Dämon mit ihrem Schwert erneut an. Der Dämon fiel, sie kniete neben ihm und versuchte erneut, den Exorzismus zu bewirken, obwohl die Wachen schon versuchten, sie wegzuschleppen. Der Dämon drehte sich zu ihr und griff die rechte Seite von ihrem Gesicht mit seiner Hand, wobei sie wegen der tierischen Schmerz schrie und zum Boden fiel. Der Dämon verschwand.

Das schlimmste war nicht, das sie versagt hatte und das der Dämon jetzt frei in den Wald lief. Das schlimste war, das sie aufgehalten wurde, dem zu folgen und zu bekämpfen.

"Drakonia, hört auf, Euch zu bewegen, ich muss die Wunde versorgen... Hey, hilft ihr mir, haltet sie bitte!"

Kaan, der Heiler von der Gruppe aus dem Imperium, der sich um ihr Heilkristall gekümmert hatte und der Trauzeuge auf ihrer Hochzeit war, war aus irgendwo aufgetaucht und versuchte, eine von ihren Wunden zu versorgen, Drakonia versuchte aber, sich von ihm zu befreien. Sie sollte dem Dämon folgen, bevor er zu weit weg gelaufen war... Arkatosh und die Ritualwachen hielten sie fest, währen Kaan die Wunde reinigte und zunähte. Drakonia schrie vor Schmerz wegen dem verbranntem Gesicht.

"Lasst mich, zum Teufel! Kaan! Lasst mich!"

"Nein, ich werde Euch nicht lassen. Erinnert Euch an unseren Gespräch gestern Abend. Wenn nicht jetzt, dann ein anderes Mal. Die Zeit wird kommen."

Die Tränen liefen über die verbrannte Seite von ihrem Gesicht und bissen wie Flammen.

Beruhigend warmes und sanftes Licht umwickelte Drakonia und ihren Pferd, als sie durch den Portal passierten. Einige Sekunden, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, waren die beiden in dieser Ebene der Ruhe, wo alle Probleme weit weg waren und Hoffnung blühte. Dann war diese Ewigkeit zu Ende und der Pferd stand am anderen Ende.

Man hörte schon das Meer, die Wellen schlugen die vertikalen Röcke in der Grube hunderte Meter unten. Der Nachthimmel war klar, die Sterne leuchteten weit weg oben, eiskalt, aber dennoch schön. Der Pferd ging jetzt mit normalen Schritt am Rand entlang. In der Ferne sah man schon das große Steingebäude, das unter dem Mondlicht stolz am Rand des hohen Ufers stand. Die Akademie zu Rabennest an der östlichen Grenze der Mittellanden. Die erste Akademie, an der Drakonia gelernt hatte.

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