Die Gebiete in Caldrien > Das Caldrische Imperium

Riche de Chêne (267 n.J.)

(1/1)

Lilac:
Julienne traf am Abend in Riche de Chêne ein. Sie hatte Hexe laufen lassen, wo es ging, doch die Wege waren vom Regen der letzten Tage schlammig und oft hatte sie die Stute bremsen müssen.
Ein Knecht bemerkte ihre Ankunft und ließ sie durch das Tor in den Innenhof des Gutes.
Die Gardistin bestand darauf, ihr Pferd selbst zu versorgen, da sie wusste, dass das Tier Fremden gegenüber garstig sein konnte.
"Dann werdö isch Eurö Ankunft mal meldön", meinte der Knecht ein wenig beleidigt und verschwand.
Ein Stallbursche von höchstens 14 Sommern half Julienne beim Verstauen der Ausrüstung und traute sich dann, Hexe einen Apfel zu reichen. Bevor die Gardistin ihn aufhalten konnte, war der Junge im Verschlag verschwunden. Mit raschen Schritten und größter Besorgnis trat sie an die Türe des Verschlags, nur um dann mit tellergroßen Augen zu bemerken, dass Hexe ganz ruhig und entspannt dastand, während der Bursche sie streichelte und kraulte. Er murmelte leise Worte und die Ohren des Pferdes spielten.
Julienne gab sich einen Ruck: "Magst du das Pfärd putzön?", fragte sie.
Der Bursche sah sie an und nickte mit leuchtenden Augen. "Sie ist etwas ganz besonderes!", sagte er ganz ohne caldrischen Akzent, was die Gardistin aufhören ließ. Wo kam dieser Junge bloß her? Sie beschloss, den Junker nach ihm zu fragen.

Schließlich begab sie sich zum Wohnhaus. Der Haushofmeister stand dort und wartete bereits auf sie. Julienne zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Der Mann hatte Ringe unter den Augen und einen traurigen Ausdruck. Viele neue Falten zogen sich durch sein Gesicht und in seinem Haar zeigten sich nicht wenige graue Strähnen, die bei ihrem letzten Besuch noch nicht dagewesen waren.
"Gardistin Julienne, isch bedaurö zutiefst, abär där 'err 'at sisch schon zur Ru'ö begebön. Er... fühlte sisch nischt wohl. Von welscher Dringlischkeit ist Euär Besuch? Muss isch ihn weckön?"
Besorgnis wallte in der Gardistin auf. Sie überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf.
"Isch denkö, die Nachrischten könnän bis morgön wartön."
Der Haushofmeister nickte und die Dankbarkeit und Erleichterung schien in seinen Augen.
"Folgt mir, Gardistin Julienne. Isch zeige Eusch, wo Ihr die Nacht verbringön könnt."

Julienne folgte dem Mann in die kleine Halle und er wies auf ein paar Bänke, die zusammengestellt an der Wand standen. Der Raum wurde von einem kleinen Feuer im Kamin erwärmt.
"Wünscht Ihr noch etwas zu essön?", fragte der Haushofmeister. "Das Gesindö 'at bereits gespeist, abär es ist noch Brot, Schinkön und Käse da."
Die Gardistin nickte: "Einö Kleinischkeit würde mir völlig reischen."
"Isch kümmere misch darum.", versprach der Mann und verschwand.
Julienne breitete ihren Umhang aus, entledigte sich des Gambesons und faltete diesen als Kissenersatz zu einem dicken Bündel.
Dann kam auch schon eine Magd und brachte ihr auf einem Tablett Brot, Käse, Schinken und einen Humpen dunklen Bieres. Zudem hatte sie eine große Karaffe mit Wasser dabei, damit die Gardistin des Nachts ihren Durst stillen konnte. Julienne bedankte sich und ihre Besorgnis wuchs erneut, denn auch die Magd sah erschöpft und traurig aus. Was, bei allen Göttern, war hier los?!?

Nach dem Mahl wickelte sie sich in ihren Umhang und versuchte zu schlafen. Doch zunächst wollte die Müdigkeit sich nicht einstellen. Was, so grübelte sie, war hier nicht in Ordnung? Warum fühlte der Junker sich nicht wohl? Und wie lange mochte das schon so gehen, wenn sein Gesinde vor lauter Sorge grau und verhärmt wurde?
Julienne dachte an den Mann, den sie kennengelernt hatte - ein Lebemann, der die Beizjagd und den fröhlichen Umgang mit seinen Untertanen schätzte. Der gerne las, viel Zeit in der Natur verbrachte und ein Händchen für Tiere hatte. Mit der Erinnerung an ihren letzten Ausflug zu seinen Beizvögeln schlief sie endlich ein...

Lilac:
Der nächste Morgen weckte Julienne mit grimmiger Kälte. In der Nacht war das Feuer heruntergebrannt und der Raum deutlich ausgekühlt.
Sie stand auf und ging nach draußen. Der Tag würde schön werden, aber noch war es kalt und feucht.
Einer Eingebung folgend, betrat sie die Stallungen und sog hörbar die Luft ein, als sie zu Hexes Verschlag kam. Der Bursche lag neben ihrer Stute im Stroh und schlief. Das Pferd trat vorsichtig um ihn herum und kam an die Tür. Julienne griff in ihren Beutel, den sie am Gürtel hängen hatte und fütterte Hexe mit dem bröseligen Salzgebäck, das sich darin befand.
Die Stute schnaubte zufrieden und wandte sich dann dem Jungen zu, den sie vorsichtig mit den Lippen im Gesicht kitzelte.
"Hm?", machte dieser und setzte sich verschlafen auf. Stroh steckte in seinem zerzausten, blonden Haar und seine Augen wurden groß, als er die Gardistin gewahrte.
Der Junge rappelte sich hastig auf. "Es tut mir leid, ich wollte nicht..."
Julienne schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. "Schon gut, isch bin dir nischt böse. Wie 'eißt du?"
"Jost.", gab er kleinlaut zur Antwort.
"Seit wann lebst du 'ier, Jost?", wollte Julienne wissen.
Der Junge zuckte mit den Schultern. "Vielleicht vier Monde..."
Die Gardistin sah ihn auffordernd an.
"Ich... ich kam im Winter. Wusste nicht wohin. Bin lange gelaufen. Durfte hierbleiben. Als Bursche. Für die Tiere und so."
Julienne nickte.
Ein Streuner also. Mit einer besonderen Gabe - vielleicht von Nedra verliehen. Sie würde in jedem Fall mit dem Junker über diesen Jungen sprechen. Sollte er hier auf Dauer nicht willkommen sein, würde sie versuchen, auf Goldbach einen Platz für ihn zu finden. Menschen mit dieser Gabe waren selten. Bislang hatte sie nur davon gehört.

Sie verließ den Stall und traf im Hof auf den Haushofmeister.
"Där 'err ist jetzt wach. Er bittet Eusch, mit ihm zu frühstückän."
"Gernö.", sagte Julienne und folgte dem Mann in die Halle.
Sie trat an die Tafel und erschrak zutiefst. Jacques de Bucherôn war blass und sein Gesicht wirkte eingefallen. Er hatte deutlich an Gewicht verloren und die ehemals kräftigen Hände umfassten leicht zitternd einen dampfenden Kelch.
Dennoch lächelte er und seine Augen glänzten, als er Julienne begrüßte.
"Gardistin Julienne! Welsch einö Freudö Eusch zu se'ön! Isch 'offe, Ihr 'attet einö angenehme Nacht. Bitte verzeiht, dass isch Eusch nischt schon gestern Abend empfangen 'abö."
Sie neigte den Kopf. "Vielön Dank für Eurö Gastfreundschaft, Messire. Isch bringö Nachrischt von Madame." Sie kramte in ihrer Tasche und beförderte einen Brief zu Tage.
"Isch dankö Eusch.", sagte Jacques und nahm das gesiegelte Papier entgegen. "Und nun setzt Eusch zu mir! Es war einö kaltö Nacht; da braucht där Leib etwas warmös!"
"Merci beaucoup.". Julienne setzte sich und die Mägde brachten heißen Getreidebrei und Schüsseln mit variablen Zutaten. Es gab Nüsse, Obststücke und Honig.
"Isch 'abe da noch etwas für Eusch...", meinte Julienne mit einem verschmitzten Lächeln und zog eine Flasche Ahornsirup, die Madame ihr für den Junker hatte mitgeben lassen, aus der Tasche.
Jacques Gesicht erhellte sich. "A'ornsirup! Welsch wunderbarös Geschänk!"
Er gab seinem Getreidebrei reichlich davon bei und reichte die Flasche dann an Julienne weiter.
Zum Brei gab es heißen Tee, den sie ebenso mit dem Sirup süßten.
"Isch esse gärn etwas Süßös am Morgän. Abär wenn Eusch e'er nach etwas 'erz'aftöm ist, lasse isch etwas bringen!", sagte der Junker zu Julienne, doch diese winkte zufrieden ab.
Während sie aßen, las Jacques den Brief von Madame. Als er damit fertig war, nickte er und legte das Papier beiseite.
"Ge'ö isch Rescht in der Annahmö, dass Ihr..." begann er, als ein fürchterlicher Hustenanfall seine Worte unterbrach. Jacques griff nach der Serviette und hielt sie sich angestrengt atmend vor den Mund.
Julienne erschrak, als sie etwas rötliches in seinen Mundwinkeln und auf dem Stoff bemerkte, bevor er letzteres hastig zusammenfaltete.
Nach einem Räuspern nahm der Junker den Faden wieder auf: "Isch vermute, Ihr nehmt mein Antwortschreiben gleisch mit?"
"W...was? Äh, oui, genau, das Antwortschreibön...", versuchte die Gardistin sich zusammenzureißen.
Jacques sah sie scharf an, aber es war kein tadelnder Blick.

Nach dem Frühstück ließ der Junker es sich nicht nehmen, mit Julienne das Gut zu begehen. Er zeigte ihr einen neuen Habicht und zwei Fohlen, die vor kurzem geboren worden waren. Im Hundezwinger verbrachten sie einige Zeit, um die Welpen von Jacques Lieblingsjagdhündin zu bewundern.
Hier sprach die Gardistin ihn auf den Stalljungen an.
"Jost?", der Junker nickte bedächtig. "Är kam eines verschneiten Wintertagös 'ier an. Der armö Bengöl 'atte nur Lumpön am Leibö. War völlisch ausge'ungärt und scheu, wie ein wildär 'und. Isch 'abö ihn 'ier aufgenommön, abär mein Gesindö traut ihm nischt. Är ist... andärs..."
Julienne nickte ebenfalls. "Isch glaubö, är 'at einö besonderö Gabö. Isch 'abe von där ge'eimnisvollön Kraft ge'ört, die manschö Menschön übär Tierö 'abön."
Jacques machte eine zustimmende Geste. "Das 'at das Gesindö auch mitbekommön. Und sie fürschten sisch vor allöm, was sie nischt erklärön könnän."
"Isch könnte fragön, ob Jost auf Burg Goldbach einön Platz in den Stallungän bekommön könnte.", schlug die Gardistin vor.
"Es wäre gut, wenn Ihr Eusch darum kümmärn würdet.", stimmte der der Mann zu.

Schließlich betraten die beiden erneut das Wohnhaus und Julienne durfte in Jacques Bibliothek stöbern, während dieser seine Antwort an die Baronin von Goldbach verfasste.
Aus den Augenwinkeln sah die Gardistin, dass die Hände des Junkers beim Schreiben zitterten. Seine sonst so akkurate Handschrift wurde zu einem wackligen Gekritzel.

Schlussendlich musste Julienne wieder los. Sie würde schon spät genug in Goldbach ankommen, es galt, keine Zeit mehr zu verlieren.
"Seid Ihr sischer, dass Ihr jetzt aufbreschen und nischt noch bis morgön bleiben wollt?", fragte Jacques, als die Gardistin Hexe fertig machte.
"Där Weiböl wird sisch Sorgen machön. Und anderö auch...", gab sie ungenau zurück.
Der Junker zog die Augenbrauen hoch und sah sie neugierig an: "Anderö? Gibt es da jemandön, zu dem Ihr zurück möschtet?"
Julienne wurde rot. "Oui", hauchte sie.
Jacques lächelte: "Dann 'abön wir etwas, über das wir uns beim nächsten Mal unter'alten könnän!"

Bevor Julienne losreiten konnte, musste sie dem Junker versprechen, gut auf sich achtzugeben. Ihre Satteltaschen waren nun gut gefüllt - Jacques hatte es sich nicht nehmen lassen, ihr einen ganzen Schinken für Madame und Wegzehrung für sie selbst mitzugeben.

Dann verabschiedeten sie sich von einander und die Gardistin ließ Hexe antraben. Im Herausreiten hörte sie, wie ein erneuter Hustenanfall den Junker quälte...

Navigation

[0] Themen-Index

Zur normalen Ansicht wechseln