Der Städtebund von Tangara > Hier und dort in Tangara
Die Schatten werden länger...
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Engonien NSC:
Was vermisse ich Camille.
Ihr Haar. Dieser zarte Duft, nach frisch geschnittenem Gras. Dieser Hauch, voll Lebensfreude und Frohsinn, der sie umgab, der ihre Augen leuchten ließ wie die ihrer Mutter! Wenn sie über die Wiesen tollte, früher, als die Welt noch in Ordnung war.
Was vermisse ich Lilia.
Ihr Lachen, die Wärme ihrer Umarmung und die Geborgenheit, die ich in ihren Armen immer fand. Die unbedingte Liebe, die wir füreinander empfanden.
Hätte ich nur besser auf sie Acht gegeben. Camille wäre vielleicht nie bis zu diesem Stein gekommen. Lilia hätte sich nicht ihrem Gram ergeben.
“Du hast Recht, weißt du das?”
Die dunkle Stimme kannte er. Er öffnete ein blutunterlaufenes, verquollenes Auge. Das andere Augenlid gehorchte ihm nicht mehr. Das Fackellicht ließ die Schatten an den Wänden tanzen, betonte jeden Zug von Malors Gesicht und verbarg ihn sofort wieder. Den braunen Augen des hageren, großgewachsenen Mannes konnte er nicht entkommen. Wie unzählige Male zuvor brannte sich diese Dunkelheit ihren kalten Weg mitten hinein in seine Seele.
"Du hättest wirklich ein wenig besser auf sie achten können."
Und da war er wieder, der Schmerz. Er begrüßte ihn, wie einen alten Freund. Schließlich war er derjenige, der seine Frau und sein Kind in den Tod gerissen hatte. Irgendwie war er Malor sogar dankbar. Malor hatte sich schließlich bemüht, ihm zu helfen. Nicht wahr? Und nun strafte Malor ihn für sein Versagen.
Es ist deine Schuld, dass sie tot sind. Waren das Malors Worte? Oder seine eigenen Gedanken? Die Qualen ließen seine Wahrnehmung verschwimmen.
Waren es Minuten oder Stunden? Wer wusste das schon, und am Ende war es ohnehin nicht wichtig. Er war dankbar, als die Dunkelheit ihn umfing. Die Ohnmacht brachte ein wenig Frieden, und vielleicht, nur vielleicht, war es dieses Mal endgültig.
Engonien NSC:
Der Wind raschelte in den saftig-grünen Blättern über ihnen. Die dünnen Äste neigten sich über ihre Köpfe, und sie schwangen leicht in der Brise.
Er ließ seinen Blick nach oben wandern, und Sonnenstrahlen brachen glitzernd durch das dünne, weiche Blätterdach. In diesen Strahlen tanzten ein paar Staubkörnchen, und eine Biene summte fröhlich vor sich hin. Im hohen Gras zirpten die Grillen, und nur ein freches Plitsch! durchbrach die Stille, wenn ein Frosch von seinem sonnenbeschienen Felsensitz hüpfte, um einen der Wasserhüpfer zu erhaschen, die auf dem Weiher umherhuschten.
Wie schön das doch war! Nun öffneten sich die Bäume, und sie traten hinaus auf eine wogende Ebene, mit hüfthohem Gesträuch, und in der Ferne sahen sie Pferdeherden, ungesattelt, ungezäumt, und frei. "Sieh nur, dort!", frohlockte er. Und er tat einen Schritt auf die Wunder zu, die sich vor ihm auftaten, und noch einen Schritt, und - ein spitzer Schrei ließ ihn herum fahren. Es brannte! Die Bäume, aus denen sie grade hervorgetreten waren, brannten lichterloh, und dicker, schwarzer Qualm verdeckte die Unschuld der weißen Wölkchen, in der sein Blick vorhin noch gebadet hatte.
Er packte seine Frau bei der Hand, und ihn erfüllte eine schmerzhafte Hitze. Aber er ließ nicht los! Es war doch seine geliebte Lilia, die er vor den Flammen retten musste! Panik erfüllte seinen Blick, als er verstand, dass die Flammen ihren Rücken längst gepackt hatten. Und nun griffen sie auch nach ihm! Da, vor ihm, eine Gestalt, Hilfe, "zu Hilfe! Helft uns!", brüllte er - Malor!
Das Gesicht kannte er! Aber wie konnte das sein? Malor war doch... das Spital - ihm wurde plötzlich schwarz vor Augen, und er schloss sie fest und presste die Hände davor - die Hände? Er hatte doch grade noch Lilia gehalten - "Lilia!" Aber Lilia war verschwunden, und die Flammen loderten mannshoch vor ihm empor. "LILIA", brüllte er aus aller Kraft, und der Rauch brach sich Bahn in seine Lunge.
"Vater!"
Die Angst und die Panik, die ihn erfüllt hatten, wichen einem Schrecken, wie er größer nicht sein konnte. Vergessen war seine eigene Not, und Lilia verblasste. Verstand und Vernunft in den Wind schlagend, stürzte er sich den Flammen entgegen, dem Schrei entgegen, seiner Tochter entgegen! Zu seiner Linken sah er Malor, der wie er selbst den Flammen entgegen eilte, und zu seiner Rechten - zu seiner Rechten sah er Lilia. Ihre Kleider waren vergangen, ihre Haare sämtlich verbrannt, und die Flammen leckten und bissen und kratzten an ihrer Haut. Wie in Trance sah er, wie sie fiel, wie das Lebenslicht ihrer Augen verlöschte und ihr regloser Körper verschrumpelte und schwarz wurde.
Er schluchzte herzzerreißend, hielt sich das Wams vor Mund und Nase und mit letzter Kraft packte er Camille, die in der heißen Glut und Asche lag und weinte, am Kragen und zerrte sie heraus aus dem Inferno. Kaum waren sie vor den Flammen in Sicherheit, da warf er sich über sein Kind, und die Tränen wischten die Asche auf seinen Wangen weg.
"Nein! Lebe, mein Kind, lebe! Du darfst nicht tot sein, es darf nicht sein!"
Aber ihre Brust blieb still, und die Augen der armen Camille blieben geschlossen. Vergessen war das Spital, vergessen waren die Qualen, die er schon erlitten hatte. Vergessen das Paradies, das er noch vor Minuten durchwandelt hatte, und vergessen all die seltsamen Umstände, all die Einwände, die sein Verstand gehabt hatte.
"Ich kann sie retten."
Und mit Tränen in den Augen wandte er sich der tiefen Stimme zu, und seine Stimme zitterte, als er den Preis erflehte.
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