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Ein Brief aus Weißenfels (Jahresende 267 n.J., vor den Tagen des Lernens)
Marius von Weißenfels:
'Verehrter Marius,
die Götter seien mit Euch und dieser Brief möge euch wohlbehalten anfinden in Euren fernen Landen.
Es ist mir mit schwerstem Herzen, dass ich Euch eine traurige Nachricht schreibe, ach! wie wünschte ich, es wäre anders. Euer Großvater, der gnädige Lord Marius der Ältere, entschlief zu Neumond diesen Monats an Alter und Gebrechlichkeit. Da er all unser Diener Beschützer und Fürsorger gewesen, herrschte unter uns große Trauer nach seinem Tode, doch Euer Vater, der hat eine Gans schlachten lassen als wäre ein Festtag und spricht, "Reicht sie mir im Zimmer des Alten, dass ich auf sein Bett schauen kann während ich esse."
Mein Herr, ich kann mir kaum vorstellen, welch tiefe Trauer Euch nun befallen mag, standet Ihr Eurem Großvater doch so nahe; ich hoffe, dass ihr trotzdem folgende Nachricht zu lesen und verstehen vermögt, denn ich kann es nicht. Leset, was geschah.
Der gnädige Herr, wie er da lag am Abend vor seinem Tode, da lässt er mich zu sich rufen und ruft mich ans Bett: "Wenn ich verstorben bin..." "Aber Herr, was redet Ihr", unterbreche ich ihn, doch da greift er nach meinem Arme, drückt diesen dass mir der Schmerz in die Knochen fährt und spricht "Hör mir zu, Kalius! Ich bin kein Narr, ich kann meinen Tod herannahen spüren!" und wie ich in seine Augen schaue, da sehe ich, blitzt Feuer daraus und mir wird angst und bange und so mache ich den Mund zu und nicke.
"Wenn ich verstorben bin", setzt er wieder an, "überbringe meinem Enkel und nur ihm folgende Nachricht: Wo einst Marius der Erste ins Feenreich ging, da sollst du das Erbe deines Blutes finden." Und er lässt mich die Botschaft wiederholen, bis ich sie wiedergeben kann wie meinen Namen, und nimmt mir den Schwur ab, mit sonst niemand drüber zu reden, und dann legt er sich zurück auf die Kissen und lächelt und schläft ein.
Gerne erfülle ich den Auftrag dem gnädigen Herrn, ist er doch zu seiner Lebezeit, ach, die Götter haben ihn gnädig! immer freundlich und lieb zu uns und Euch gewesen, doch vermag ich nicht zu entsinnen, was er gemeint haben mag.
Verehrter Marius, wollt Ihr nicht zurückkommen und Euch mit Eurem Vater aussöhnen? Die Dienerschaft täte es freuen, und mich vor allem, wenn hier wieder ein Herr wäre, der die Dienerschaft lobt und liebt, ach, das wäre fein! Ich flehe euch an, kommt zurück nach Weißenfels.
Euer treu ergebenster Diener,
Kalius
derer von Weißenfels Majordomus
des achten Monats zum rechten Halbmonde
P. S.: Lucia hat in das Haus derer von Rotdorn geheiratet, den Kutscher, und sie lässt Euch grüßen. Die Rüdin des Herrn hat drei Welpen geworfen, sie wachsen gut, der kleinste von denen hat aber die Katze zur besten Freundin sich auserkoren und sie sind unzertrennlich.'
Marius las den Brief. Dann las er ihn noch einmal.
Er konsultierte den Mondkalender an der Wand. Lange Wochen hatte der Brief gebraucht, bis er Ayd'Owl erreicht hatte, und er selbst würde lange brauchen, bis er wieder in Weißenfels war. Jedoch war der Großteil der Akademie vor Kurzem nach Graufelden aufgebrochen, um das Ausbrechen irgendeiner Seuche zu untersuchen, und mit Glück würde niemand sein Fehlen bemerken.
Der Rucksack war schnell gepackt, seine kleinen Taschen gegürtet und umgeschlungen, und dann war das Zimmer leer.
Marius von Weißenfels:
Marius hätte später nicht mehr sagen können, wie lange die Reise gedauert hatte. Er ging wie durch Nebel, ließ sich unterwegs auf Karren und Kutschen mitnehmen. Wenn ihm jemand seltsame Blicke ob seiner Gewandung und seines teuren Schmucks zuwarf, so war es ihm egal - oder vielleicht merkte er das auch nicht.
Irgendwann wurden die Wege vertrauter, die Gerüche heimischer und das Klima gewohnter. Den letzten Teil der Strecke lief Marius zu Fuß.
Die Sonne war kurz vor dem Untergang, und der Wald war voller Erinnerungen. Hier hatte er sein erstes Kaninchen gefangen. Dort hatte er den Zweig für seinen ersten Bogen abgebrochen. (Der Bogen war ihm nach drei Schuss in der Hand gesplittert, und er hatte seitdem kaum einen in die Hand genommen.) Die Erinnerungen lenkten ihn ab von dem Grund, aus dem er hier war, von dem Anlass der Briefes...
Ein Kloß bildete sich in seinem Hals... er schluckte die Tränen weg, konzentrierte sich auf seinen Ring und ließ sich in die Meditation hineinfallen.
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Eine unbestimmte Zeit später hatte der Magier seine Meditationsroutine beendet. Er ließ die Augen noch einen Moment geschlossen, und erlaubte sich, sich auf die Botschaft seines Großvaters zu besinnen.
Wo einst Marius der Erste ins Feenreich ging...
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Marius der Erste war ein Magier, und der Freund dreier Dinge.
Er war der Freund der Erde. Sie sprach zu ihm, und erzählte ihm, wo er die besten Heilkräuter und Bergkristalle finden konnte. Ihre Stimme war tief und leise, deswegen hörten die Menschen sie nicht, doch Marius der Erste verstand zuzuhören.
Er war der Freund des Feuers. Das Feuer knisterte und knackte, wenn es zu ihm sprach, und Marius sprach zurück. Die meisten Menschen sprechen nur miteinander, wenn sie am Feuer sitzen, doch Marius der Erste verstand, auch zu dem Feuer zu sprechen, und es freute sich und tat ihm Dienste und Gefallen.
Am meisten aber war er der Freund des Feenreichs. In jener Zeit waren die Feen den Menschen noch nicht feindlich gesinnt, und Marius verbrachte Tage und Stunden damit, im Feenreich mit den Feenwesen ihre seltsamen Spiele zu spielen. Manchmal kehrte er in die Menschenwelt zurück, und es war kaum ein Augenblick vergangen; manchmal war er eine Woche weggewesen, obwohl für ihn nur eine Stunde verflogen war. Deshalb fiel es Marius dem Ersten schwer, Freundschaften zu Menschen zu erhalten, und so wurde er noch mehr ein Freund - der Erde, des Feuers und der Feen.
Eines Tages, als Marius der Erste im Feenreich war, erblickte er ein Wesen voller Schönheit und Witz und Barmherzigkeit. Es hieß Ahava, und über die Zeit hinweg verliebte sich Marius der Erste in Ahava, und es liebte ihn zurück.
Die anderen Feen sahen die Liebe der beiden, und sahen, dass Marius der Erste Ahava mehr liebte als sie. Da spürten sie etwas, was sie noch nie gespürt hatten: Eifersucht, und beschlossen Ahava und Marius Leid anzutun.
Als Marius der Erste das nächste Mal ins Feenreich kam, war auf der Lichtung, wo er sich immer mit Ahava traf, nur ein Rosenbusch. Die anderen Feen hatten sich zusammengetan, und hatten Ahava verwandelt. Marius der Erste eilte voller Verzweiflung durch das ganze Feenreich, doch konnte er Ahava nicht finden, und kehrte zurück zu der Lichtung und weinte bitterlich.
Er kniete nieder, und als seine Knie den Boden berührten, wisperte die Erde zu ihm: "Du bist hier richtig." Da erkannte Marius der Erste die Wahrheit durch die Worte, die ihm Sicherheit gaben.
Er streckte seine Hände nach den Rosen aus, und als er sie berührte, wanden sie sich um sein Handgelenk und flüsterten "Ich will dich." Da erkannte Marius der Erste die Wahrheit durch den Schmerz von den Dornen, der ihn fesselte.
Da nahm Marius der Erste sein Schwert, und schnitt sich in die Hand, und als der Schmerz ihn durchströmte, hauchte das Feuer: "Ich bin in dir."
Das Feuer raste durch seine Venen, und er spürte, wie seine Magie ihn verließ. Sie floss durch sein Blut, das auf den Rosenbusch tropfte, und Marius der Erste fiel in sich zusammen vor Erschöpfung.
Als er erwachte, stand Ahava vor ihm, und dankte ihm für die Rettung. Es war gestärkt durch das Blut von Marius dem Ersten, und kein Fluch würde es nochmal treffen.
Die Feen, die dieses Wunder gesehen hatten, ließen ihre Herzen erweichen; doch die, die es nicht gesehen hatten, waren den Menschen fortan böse gesonnen, denn Marius der Erste war ein Mensch, und er hatte ihnen die Eifersucht gebracht, so dachten sie. Sie ahnten nicht, dass die Eifersucht schon immer in ihnen gewesen war, und nur keinen Anlass gehabt hatte, zum Vorschein zu kommen.
Von dem Tage an aber hatte Marius der Erste keine Magie mehr, und als ein Nekromant mit seiner Horde den Toren seines Dorfes stand, konnte er nicht helfen. Der Kampf forderte viele Tote und das Dorf brannte.
Da betete Marius der Erste zu seinem alten Freund, dem Feuer, und das Feuer sprach: "Ich tue dir einen großen Dienst, doch dann werde ich lange Zeit nicht mit dir sprechen können." Wieder betete Marius der Erste zu dem Feuer, und es zog sich von den Häusern zurück und brannte seinen Feinden das Fleisch von den Knochen.
Der Nekromant aber lachte, und erhob seinen Stab, und die verbrannten Knochen erhoben sich, als wären sie Menschen, und marschierten gegen Marius den Ersten an.
Da betete Marius der Erste zu seiner alten Freundin, der Erde, und die Erde sprach "Ich tue dir einen großen Dienst, doch dann werde ich lange Zeit nicht mit dir sprechen können." Wieder betete Marius der Erste zu der Erde, und sie tat sich auf und verschlang den Nekromanten und seine Skelette.
Marius der Erste kniete in den Trümmern seines Dorfes. Er hörte die Stimme der Erde nicht mehr und er hörte die Stimme des Feuers nicht mehr. Er wünschte, unserer Welt entfliehen zu können. Da kam Ahava aus den Schatten zu ihm und nahm ihn bei der Hand. Und Ahava führte ihn zu einem weißen Felsen, auf dem eine Rose wuchs, eine Mannshöhe über dem Kopf von Marius dem Ersten. Ahava zog Marius in den Felsen hinein ins Feenreich, und seitdem ist Marius der Erste nicht aus dem Feenreich zurückgekehrt. Man erzählt sich, dass die Erde auf seine Rückkehr wartet, und dass das Feuer auf seine Rückkehr wartet.
Die Menschen aber, die im Dorf überlebt hatten, die sagten sich: "Nicht noch einmal soll uns solches Unheil widerfahren! Wir bauen eine Burg, die uns vor unseren Feinden schützen kann!" Sie gingen zum weißen Felsen, brachen Stücke daraus und bauten eine Burg aus den weißen Steinen, und die Burg von Weißenfels schützte die Menschen viele Jahrhunderte.
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Marius, Vierter seines Namens, Lehrling an der Ayd'Owl, schlug die Augen auf. Er erinnerte sich an die Geschichte, die sein Großvater ihm erzählt hatte, und er wusste nun, wo er das finden würde, was sein Großvater ihm... für ihn vorgesehen hatte. Er machte sich auf den Weg zum Herrenhaus.
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Marius von Weißenfels:
Das Herrenhaus von Weißenfels hob sich als Silhouette gegen die Nacht ab. Wäre Tag gewesen, so hätte man die weißen Steine sehen können, aus denen die Hausmauern gebaut waren. Vielleicht hätte man sogar mit ein bisschen Nachdenken erschließen können, dass die Steine aus der verfallenen Burgruine kamen, die ein paar Dutzend Meter hangaufwärts stand.
Marius nahm sich die Zeit für ein Dankgebet zu Askar und Aine, dass er jetzt keine Burg einnehmen, sondern sich nur in ein Herrenhaus einschleichen musste. "Ignitia", hauchte er anschließend in seine Hand und ein kleines Licht erschien darin.
Im Lichte des Zaubers machte er sich am Dienstboteneingang zu schaffen. Der Haupteingang würde um die Zeit fest verschlossen sein, und zu groß war die Chance, seinem Vater in die Arme zu laufen, etwas, was er um jeden Preis vermeiden wollte. Hier wusste er aber, wo sich das Holz verzogen hatte, dass Teile der Tür schief hingen und wo man drücken musste, um an den Riegel ranzukommen.
Als er es durch die Tür geschafft hatte, stand er in einer kleinen dunklen Diele, die als Puffer gegen die Kälte der Luft draußen eingebaut worden war. Rechts ging die Dienstbotentreppe hoch, vor ihm war die zugezogene Tür zur Küche... und Licht kam durch den Spalt unter der Tür.
Nun hörte Marius auch Stimmen. Die erste schien eine Dienstmagd zu sein, die er nicht kannte - "wohl ein Ersatz für Lucia", dachte der ehemalige Erbe sich. Die zweite Stimme kannte er schon lange Jahre, sie war fürsorglich und bedächtig. Es war die von Kalius, dem Majordomus des Hauses, der Marius die Botschaft von... den Brief geschickt hatte.
Die Dienstmagd klang sehr jung und schien zu schluchzen. Auch wenn Marius es eilig hatte, kam er nicht drumrum, einen Moment stehen zu bleiben und zuzuhören. Anscheinend hatte sein Vater die neue Magd, Francesca, wegen eines vorgeblichen Fehlers beschimpft, und sie hatte es sich zu Herzen genommen. Kalius war nun dabei, sie zu trösten, und Marius sah vor seinem geistigen Auge, wie der alte Diener nun gluckenhaft um Francesca herumwuselte, wie er das auch schon unzählige Male um Marius herum getan hatte.
Er erinnerte sich an die Bitte des Dieners, sich mit seinem Vater zu versöhnen.
"Kalius, die treue Seele", dachte der Adelssohn mit einem betrübten Lächeln. Nein, er war nicht hier, um die Hoffnungen des Dieners zu erfüllen. Die Dienerschaft würde mit seinem Vater alleine klarkommen müssen. Er wollte nur ungesehen das holen, was auch immer für ihn hinterlegt war.
Doch dazu musste er erstmal ungesehen an der Küche vorbei. Er musste aus der Diele die Dienstbotentreppe nach oben nehmen und hoffen, dass ihn da niemand erwischen würde. "Ein Schritt nach dem anderen", dachte er. Bloß nicht daran denken, wo er hinwollte.
Die meisten Böden waren mit Teppichen ausgelegt; die Herren des Hauses wollten die Diener nicht kommen und gehen hören, und außerdem lag eine gewisse Überempfindlichkeit gegenüber Kälte in der Familie. Das kam Marius nun zugute, als er ungehört die Treppe hochstieg und durchs Obergeschoss schlich.
Sein Weg führte ihn vorbei an dem Zimmer, das zuletzt seines gewesen war. Doch nun hörte Marius durch die geschlossene Türe das Weinen eines Säuglings und eine weibliche Stimme, die dem Kind vorsang.
Wie vom Donner gerührt blieb er stehen. Fidelius hatte sein Vater den neuen Erben genannt, wie um zu betonen, dass er aus einer rechtmäßigen Ehe entstanden war, nicht wie Marius selber... nicht nur hatte Antonius seinen Erstgeborenen zugunsten des neuen Kindes enterbt, nein, es war so, als hätte Antonius ihm noch mal ins Gesicht spucken wollen mit diesem Namen.
Marius stand lange vor der Tür des Kindes. Nur er selbst wusste, was ihm dabei durch den Kopf ging, und einmal legte er die Hand auf seinen Ritualdolch... doch dann blinzelte er, schüttelte den Kopf, als würde er aus einem Traum erwachen, und schlich weiter, zur Haupttreppe nach unten.
Das Zimmer seines Großvaters lag im Erdgeschoss. Der ehemalige Herr von Weißenfels war gegen Ende seines Lebens zu gebrechlich gewesen, um Treppen zu steigen, daher war er aus dem Obergeschoss umgezogen. Die Leitung des Haushalts war ihm auch zu viel geworden, daher hatte er dann auch diese Aufgabe widerwillig an seinen Sohn Antonius übertragen.
Zum Glück lag das Zimmer direkt neben der Haupttreppe, die Marius nun ungesehen hinunterstieg. Das Licht verbarg er dabei in seiner Faust.
Vorsichtig drückte Marius die Tür zum ehemaligen Schlafzimmer auf, doch wie erwartet war es leer. Er zog die Tür hinter sich zu und hob die Hand mit dem Licht, um sich umzusehen.
Marius von Weißenfels:
Das Licht spiegelte sich in der Scheibe des Fensters gegenüber der Tür.
Marius' Zauber spendete nicht viel Licht, doch es war genug, um sich im Schlafzimmer seines Großvaters umzusehen. Man hatte es offenbar größtenteils unberührt gelassen - hier und da stapelten sich Bücher und Papiere, und wertloser, aber hübscher Tand lag auf dem Tisch. Das leere Bett war mit frischen sauberen Leinen bezogen und wirkte dadurch fremd und verlassen - der alte Mann hatte sich an seinem Lebensabend meistens nicht die Mühe gemacht, an den Schreibtisch zu gehen, sondern war direkt im Bett geblieben, um zu lesen oder zu essen.
Marius schluckte den Kloß in seinem Hals runter, als er daran dachte, und ermahnte sich zur Eile.
Er ging tiefer in den Raum und wandte sich zur Wand rechts von ihm. Sie wurde eingenommen durch ein Holzrelief, das über die gesamte Breite der Wand ging. Ein großer Felsen erhob sich darauf über dem Betrachter, darauf wuchs eine einsame Rose. Rechts und links von dem Felsen hatte die Künstlerin vor langen Jahren sich entschieden - perspektivisch und chronologisch nicht ganz korrekt - die brennenden Ruinen eines Dorfes darzustellen, das gerade von Skeletten überrannt wurde.
Ganz unten, dem Betrachter mit dem Rücken zugewandt, waren zwei winzige kaum erkennbare humanoide Gestalten, die sich bei der Hand hielten.
"Und Ahava führte ihn zu einem weißen Felsen, auf dem eine Rose wuchs, eine Mannshöhe über dem Kopf von Marius dem Ersten."
Sein Großvater hatte ihm die Geschichte oft erzählt, als sie unter diesem Relief saßen, und hatte jedes Mal wieder darauf hingewiesen, dass die Rose im Relief ja nun viel höher von den Köpfen der Gestalten entfernt war, als die Sage vermuten ließ. Jetzt, wo er darüber nachdachte, war sie vielmehr, ja.... eine Mannshöhe des Betrachters über den beiden Sagengestalten abgebildet.
In Gedanken schätzte Marius neun Handspannen nach unten ab, angefangen bei den Wurzeln der Rose im Bild. Die Messung endete in einer Vertiefung, dem Negativ eines Blumenkelchs; voller Aufregung drückte Marius darauf... und es geschah nichts.
Er drückte nochmal. Wieder nichts.
Es schien, als sei er für nichts und wieder nichts hergekommen. "Verdammt!", fluchte er und erschrak selbst darüber, wie laut seine Stimme war.
Der Jungmagier holte tief Luft. So würde das nichts werden. Er musste seine innere Ruhe wiederfinden. Dazu löschte er das Licht und entspannte sich in der Dunkelheit, bereit, in die Meditation zu gehen, konzentrierte sich schon auf seinen Meditationsfokus, seinen Familienring, auf die Blätter einer Rose darauf...
Die Erkenntnis traf Marius wie ein Blitz. Er hob schaudernd die Hand und legte das Blütenmuster des Ringes in die Vertiefung. Es passte genau.
Ein Rumpeln und Knirschen erklang, als etwa auf Höhe seiner zitternden Knie eine rechteckige Öffnung in der Wand entstand. Zu aufgeregt, um den Lichtzauber zu erneuern, tastete Marius blind danach.
Seine Hände erspürten eine Schatulle, vielleicht eine Handspanne lang und eine halbe breit. Als er sie herauszog, rollte etwas darin herum.
Eine neue Lichtquelle bewegte sich hinter ihm und ließ seinen Schatten riesig werden. Marius wirbelte mit der Schatulle in der Hand herum und blinzelte gegen das Licht eines Kerzenleuchters an, den jemand in der Hand hielt.
"Sieh an. Der Bastard kehrt zurück." Marius erkannte die spöttische Stimme nur zu gut, und es war die, die er am wenigsten auf der ganzen Welt hören wollte. Er knirschte mit den Zähnen.
"Vater".
"Lord! Von Weißenfels", donnerte Antonius von Weißenfels. Er bewegte sich langsam wie ein Eber in den Raum, die Augen nicht von Marius lassend, und Marius' Schatten wanderte mit ihm an der Wand entlang, so weit weg von Antonius wie möglich. Das wäre ich nun auch gerne.
Marius von Weißenfels:
In Antonius' Rechter meinte Marius den Glanz eines Schwertes zu erkennen, in seiner Linken war der Kerzenleuchter. "Was führt dich her? Habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt?", knurrte Antonius.
"Ich nehme mir, was mir vermacht wurde", gab Marius zurück. Er hoffte, dass seine Stimme nicht so zittrig klang wie er sich fühlte.
Sein Vater schnaubte. "Der alte Knacker hat dir was vermacht? Dass ich nicht lache! Alles hier gehört mir." Wie um es zu unterstreichen, breitete Antonius die Arme aus, das Schwert nun deutlich sichtbar. "Ach, und wo wir dabei sind: den Ring, den du bei deinem Rauswurf gestohlen hast, den lässt du auch hier, und dann", er deutete im Näherkommen mit der Schwertspitze auf Marius, "verschwindest du, lässt meine Familie und mich in Frieden, und kommst nie wieder zurück nach Weißenfels."
"Weißenfels gehört mir, durch Blut und Geburt!" Der Satz rutschte Marius raus, noch bevor er darüber nachdachte, und er sah sofort, dass es ein Fehler gewesen war. Antonius' Augen verengten sich zu Schlitzen.
"Mein Vater hat dich zu sehr verzogen", grollte er. "Er hat dir Flausen über Blut und Magie in den Kopf gesetzt, dir weisgemacht, dass du hier irgendwelche Ansprüche stellen darfst, dass du hier irgendwelche Rechte hättest! Das endet jetzt. Tu, was ich dir sage, sofort!"
Die Stimme machte, dass Marius wieder zehn Winter jung war und eine Standpauke in Vaters Arbeitszimmer abkriegte. Er fühlte sich ganz klein und schwach und unwissend... er schüttelte den Kopf, um das Phantom loszuwerden. Er war nicht mehr schwach und unwissend, er war nun erwachsen und Magierlehrling obendrein, verdammt!
Antonius jedoch nahm das Kopfschütteln als Weigerung. Er hob drohend das Schwert. "Ich sag es nicht noch einmal!"
Marius hob den rechten Arm, murmelte ein Wort, und eine Flammenzunge schoss aus seiner Hand hervor. Antonius schrie auf und riss den Arm mit dem Kerzenleuchter hoch, um seine Augen zu schützen.
"Nein." Marius bemühte sich, seine Stimme klar und deutlich klingen zu lassen - was ihm unter den Umständen nicht gut gelang. "Ich beuge mich Eurem... Ich beuge mich deinem Willen nicht mehr. Ich nehme mir jetzt, was meins ist, und ich werde mit meinem Anspruch eines Tages zurückkehren."
Während er sprach, war Marius zum Fenster zurückgewichen und stieß es nun auf. Der Windstoß ließ alle Flammen im Raum flackern und verlöschen. "Unheilige Magie", hörte Marius Antonius irgendwo in der Dunkelheit fluchen.
"Auf Wiedersehen, Vater." Marius schickte in Gedanken ein Dankgebet zu Askar dafür, dass der Raum im Erdgeschoss lag.
Der Erbe ohne Erbschaft wandte Antonius den Rücken zu, kletterte aus dem Fenster und floh mit der Schatulle in der Hand in die Nacht.
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