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Wie Julienne zu ihrer Stute Hexe kam...
(1/1)
Lilac:
Vor einigen Jahren war die frischgebackene Gardistin Julienne auf dem Weg ins Dorf Goldbach, um am Markttag einige Besorgungen zu tätigen.
Unter anderem standen auf ihrer Liste einige Kräuter, die mitzubringen sie der Falkner der Baronin gebeten hatte.
Julienne wusste, bei wem sie diese Kräuter bekommen konnte und so ging die junge Frau zu der Kräuterheilerin des Dorfes. Diese lebte in einem kleinen Haus am Rande der Siedlung.
Das Gebäude wurde von einem Zaun aus Weidengeflecht umschlossen, hinter dem einer der schönsten Nutzgärten der gesamten Baronie zu finden war.
Julienne öffnete das Gartentor, trat hindurch und schloss es sorgfältig hinter sich. Schließlich sollte kein Tier die seltenen, nützlichen und zum Teil teuren Kräuter zerstören.
Einzig die Katzen der Kräuterfrau, ein dreifarbiges Tier mit wolkenweichem Fell und ein Graugetigerter Kater, sowie ein kleines, fast schneeweißes Kätzchen durften sich innerhalb der Grundstücksgrenzen aufhalten. Wie üblich thronte die bunte Katze majestätisch auf der Bank vor dem Haus, während die anderen beiden Samtpfoten nirgends zu sehen waren.
Die Gardistin schritt über den mit hübschen Blumen eingefassten Steinpfad zum Haus, als sie von drinnen Stimmen von einem Mann und einer Frau - die sie als die Kräuterheilerin erkannte - vernahm.
"... blödes Vieh! Der Gaul verdient es..." - "Nun 'ör schon auf, disch zu echauffieren, Mathis!
Wenn du disch weiter'in so aufregst, 'ört es nie auf zu blutön!" - "Isch 'ätte ihr gleisch die Axt
in den Schädel schlagön sollän!" - "Mathis! 'alt wenigstöns still!" - "Ja, ja..."
Die restlichen Worte des Mannes waren nur ein unverständliches Brummeln.
Julienne trat heran und klopfte gegen den Türrahmen, um auf ihre Anwesenheit aufmerksam zu machen.
Im Inneren drehten sich zwei Personen um und in einer Ecke hörte der graugestreifte Kater auf, das weiße Kätzchen zu putzen. Das kleine Etwas nutzte den Augenblick, um die Flucht zu ergreifen.
Im einzigen Raum des Hauses saßen die Kräuterheilerin und ein Mann, der ziemlich mitgenommen aussah. Neben ihnen war ein Tisch, auf dem eine Schale voll rötlichem Wasser, ein Korb mit Verbandszeug und mehrere Salbentiegel und Trankflaschen bereit standen.
Als sie die Hereinkommende erkannte, hellte sich das Gesicht der Frau auf.
"Ah, die Gardistin Julienne! Komm 'erein, mein Kind! Isch denke, du kennst unserön Rossschläschter Mathis? Mathis, das ist die Gardis...", begann die Kräuterfrau, doch der Mann, dessen Kopfwunde, die vor sich hinblutete, sie gerade versorgte, unterbrach sie unwirsch:
"Gardistin. 'ab isch ge'ört! Bin ja nischt taub!", grummelte er.
Den kühlen Blick seiner Heilerin ignorierte der Mann.
Julienne entschied, dass sie keine Lust auf diesen brummeligen Kerl hatte. Sie entschuldigte sich und gab an, draußen zu warten.
Doch sie konnte nicht umhin, mitzuhören, wie sich der Rossschlächter weiter beklagte. Offenbar hatte ihn ein Pferd so zugerichtet. In Julienne mischte sich nicht wenig Schadenfreude mit einer ordentlichen Portion Bedauern. Vermutlich ging es wieder um einen jungen Hengst, der nicht für die Zucht geeignet war und deshalb zum Metzger sollte.
Daher horchte sie auf, als sie den Mann über "diesä blödä Ku'!" wettern hörte.
Ein berechnender, harter Zug umspielte ihre Mundwinkel, als sie das Haus doch wieder betrat.
"Isch dachtö, Ihr schlachtöt nur Pferdö?!?", meinte sie abschätzig.
Mathis wandte sich, die Proteste der Heilerin ignorierend, zu der Gardistin um.
"Natürlisch. Gerüschten zuvolgä IST das Vieh auch ein Pfärd. Abär wenn du misch fragst, steckt da eine ganze Portion von jemand andereröm drin!", grummelte er und machte das Zeichen gegen das Böse.
Julienne zog die Augenbrauen hoch. Von solchen Kreaturen berichteten Geschichten. Und in der Regel waren sie auch nichts anderes als das. Geschichten.
Isch wette, der dumme Geck 'at einfach keinö Ahnung von anspruchsvollön Pferdän..., dachte sie bei sich.
Eine Idee begann sich in ihrem Kopf zu formen.
"Bei so einöm Pfärd ist man sischerlisch froh, es von 'inten zu se'ön, nischt wahr?!?", fragte sie betont uninteressiert.
"Isch freue misch darauf, sie zu zerlegön! Das kannst du mir glaubön!", grummelte Mathis.
"Aber nischt darauf, sie ru'isch zu 'alten, um ihr die Ke'le durschzuschneidön, wette isch...", ließ sie beiläufig fallen.
"Mpf!", machte der Rossschlächter. Doch sein Gesicht zeigte erstes Zweifeln.
"Als wenn sisch jemand findön würdä, der diesön Gaul 'aben wollen würde!", sagte der Mann und machte eine wegwerfende Handbewegung.
Julienne lehnte sich lässig gegen den Türrahmen und verschränkte die Arme.
"Tja, wenn sie nischts wert ist, wird sisch da wohl niemand findön..."
Ganz so leicht ließ sich Mathis dann doch nicht täuschen.
"O', sie ist schon etwas wärt. 'at einön ganz nettön Stammbaum. Zumindest auf der einön 'älfte... Vollblut..."
Julienne machte nun ebenfalls eine abfällige Geste und schüttelte ihren Kopf.
"Ach, Vollblut?!? Wär braucht schon sowas?!"
Der Rosschlächter sah seine Chance vertan. Er senkte sein Haupt und drehte sich wieder zu der Kräuterheilerin um, die missmutig da saß und ihrerseits die Arme verschränkt hatte.
"Ach, darf isch jetzt weitörmachön?!? Wie gnädisch!", meinte sie giftig und war im Anschluss nicht mehr ganz so sanft, sodass Mathis ein ums andere Mal aufjaulte, als sie ihn behandelte.
Schließlich waren die Kopfwunde, das geprellte Bein und die aufgerissene Schulter, sowie der Biss am Unterarm versorgt und Mathis und die Kräuterfrau handelten einen Preis aus. Neben ein paar Münzen, die er ihr in die Hand drückte, versprach der Schlächter der Heilerin, demnächst seine Frau mit einem Korb voller Würste und Fleisch vorbei zu schicken.
Beim Rausgehen blieb der Mann noch einmal stehen, wagte es aber nicht, Julienne in die Augen zu sehen.
"Vielleicht magst du ja mal vorbei kommön und dir das Vieh anschauön. Mann weiß ja nie..."
Julienne nahm sich Zeit. Viel Zeit. Sie besorgte die erbetenen Kräuter und schwatzte noch eine ganze Weile mit der Heilerin. Dann ging sie auf den Markt und erstand dies und das.
Hernach stattete sie der Taverne einen Besuch ab und als das Licht Alamars schon deutlich tief stand und hinter den Wäldern zu versinken drohte, lenkte die Gardistin ihre Schritte zum Haus des Metzgers.
Lilac:
Mathis schnauzte gerade ein Kind an, als sie den Schlachthof betrat. Der kleine, weinende Junge wurde mit einem groben Schubs zu seiner Mutter fortgeschickt und der Rossschlächter kam mit grummeliger Miene auf Julienne zu.
„Ist schon ziemlisch dunköl da drin.“, meinte der Mann und winkte sie hinter sich her, als er vor ihr abbog und auf ein Stallgebäude zulief.
Im Stall stank es bestialisch nach Tierausscheidungen. Julienne musste husten und das Geräusch ließ in einem der hintersten, dunkelsten Verschläge ein Pferd zusammenfahren und in seiner Box randalieren.
„Da 'intön.", brummelte Mathis und wies mit einem Kopfnicken in die Richtung, woher der Lärm von gegen Holz schlagenden Hufen kam. Offenbar wollte er die Gardistin nicht begleiten.
Also ging sie allein durch die dunkle Gasse, zu beiden Seiten waren Verschläge - die meisten leer. Im allerletzten Verschlag drehte ein unruhiges Pferd enge Kreise. Als Julienne vor die Türe trat, wich das Tier mit angelegten Ohren, geblähten Nüstern und Augen, die das Weiße zeigten, zurück.
Es war zu finster, um viel zu erkennen, doch schon die Bewegungen und der undeutlich auszumachende Körperbau zeugten von einem sehr hochblütigen Pferd.
Wieder musste die Gardistin husten. Hier hinten war der Gestank kaum auszuhalten und die Gase, die von altem Urin herstammten, bissen in die Atemwege.
Das Husten hatte die Stute erneut erschreckt und sie drängte sich in eine Ecke und schlug in Richtung der Stallgasse aus, dass das faulige Stroh und anderes - besser nicht genauer benanntes - nur so flog. Julienne konnte nur knapp ausweichen.
Die junge Frau sah sich um. Mathis stand am anderen Ende des Stalls, schön in der frischen Luft, direkt beim Tor.
Er würde sie nicht hören...
„Ru'isch Mädschen! Gaanz ru'isch.“
Die Stute keilte erneut aus.
Julienne drehte sich um, kramte in ihrer Tasche und förderte einen Apfel zu Tage.
Sie biss betont laut hinein und überall in den Verschlägen hörte man Tiere vor Interesseschnauben und sich bewegen.
Auch hinter ihr erklang ein hohles Prusten.
Und es kam näher.
Armes Vieh! Vermutlisch 'at er sie aus lauter Verbitterung nischt gefüttärt., dachte die Gardistin.
Sie wandte sich halb um, damit das Tier sie nicht überraschen konnte und biss erneut in den Apfel. Im Dunklen, an das sich ihre Augen langsam gewöhnten, sah sie ein Pferd, das von den Hufen bis zu den Ohren in einem Dilemma steckte. Da war ein Mensch, dem es lieber nicht so nahe kommen wollte. ABER er hatte etwas zu ESSEN!
Julienne warf den angebissenen Apfel in den Futtertrog, doch anstatt sich direkt darauf zu stürzen blickte die Stute sie lange an. Dann schnaubte sie laut und wandte sich dem Trog zu.
Die Gardistin wusste, dass dies der Zeitpunkt zum Gehen war.
Sie schritt an Mathis vorbei und schüttelte den Kopf.
„Das ist Euer Problem!“
Der Rossschlächter griff nach ihr, einen Hauch Verzweiflung im Gesicht.
„Isch machö dir einön gutön Preis!“, sagte er fast flehend.
„Isch werdö meinön Sold nischt für so ein Tier verschwendön!“, erwiederte Julienne mit harter Stimme und entzog sich ruppig dem Griff des Mannes.
Die Gardistin kehrte zur Burg zurück, doch die Stute ging ihr nicht aus dem Sinn.
Schließlich ging sie am nächsten Tag zum Stallmeister und besprach mit ihm die Situation.
Der Mann war zwar Pferdefreund, aber auch Realist.
„Was sollön wir mit einöm Pfärd, das sisch nischt einschätzön lässt? Du sagst selbst, dass es
schwierig ist!“
Julienne ließ den Kopf hängen. Sie hatte tatsächlich nicht genügend Geld, um das Tier zu
kaufen. Vermutlich war es auch schon geschlachtet worden...
Am Abend besuchte sie die Schenke in Dorf Goldbach. Sie wollte sich den Kopf mit Bier und Spiel freimachen.
Zu fortgeschrittener Stunde, Julienne hatte schon so manche Münze in Getränke und Würfel gesteckt, betrat ein Mann aus dem Dorf die Schankstube. Gerüchten zufolge richtete er hin und wieder mal Pferderennen aus, die nicht an die große Glocke gehangen wurden, bei denen es aber immer um beträchtliche Geldsummen ging.
Er und Julienne waren flüchtig miteinander bekannt, also trat der Mann neben sie und fragte, ob er sich mit an den Tisch setzen dürfte.
Die Gardistin und der Rest der Spieler-Runde hießen ihn mit Bierschweren Zungen willkommen.
Nach einer Weile erzählte der Mann, dass einer seiner besten Reiter sein Tier an eine schlimme Kolik verloren hatte. Julienne kannte diesen Reiter. Sie mochte ihn nicht besonders, da er seine Tiere schlecht behandelte und sie oft zuschanden ritt.
„‘at der Rossschläschter nischt diesös Vollblut im Stall ste‘ön? Vielleischt wäre das etwas für ihn!“, schlug einer der Spieler vor.
Die junge Frau zuckte zusammen. Dann doch besser der Schlachter!
„Bien! Das klingt gut! Isch werdö es ihm sagön!“, sprach der neu hinzugekommene und nickte.
Oh nein!, dachte Julienne und suchte fieberhaft nach einer Lösung. Sie trank rasch ihren Humpen leer, verabschiedete sich bei ihren Tischgesellen und machte sich auf den Weg zur Burg hoch.
Im Schlafsaal angekommen, durchwühlte sie ihre persönliche Habe nach Geld und Wertgegenständen. Es kam nicht viel dabei heraus. Niemals genug, um ein Pferd zu kaufen!
Traurig, enttäuscht und ein wenig verzweifelt ließ sie sich auf ihr Lager fallen und schlief ein.
Lilac:
Der nächste Morgen war schon weit fortgeschritten, als die Gardistin mit einem leichten Kater erwachte. Grummelig und träge ging sie in die Küche, aß lustlos eine halbe Schale kalten Brei und betrat dann den Burghof. Dort übten sich einige Gardisten im Umgang mit Waffen.
Vielleischt bringt misch das auf anderö Gedankön..., ging es ihr durch den Kopf.
Doch sie stellte sich an diesem Tag derart ungeschickt an, dass ihr Übungspartner sie ein ums andere Mal überwältigte. Bald bestand Julienne nur noch aus blauen Flecken und geprellten Gelenken.
Dies sah der Weibel, der sie recht schnell aus der Reihe winkte und zu sich orderte.
„Was ist denn mit dir los?!“, wollte der Mann wissen.
Die Gardistin zuckte lustlos mit den Schultern: "Isch weiß es nischt, mon Sergeant. Ist vielleischt einfach nischt mein Tag ´eute...“
„Du bist unkonzentriert, langsam und deine Koordination ist faktisch nicht vorhanden! Hast du letzte Nacht zuviel getrunken?!?“, fauchte er.
Julienne sah zu Boden.
Der Weibel hatte genug: „Da du als Gardist heute nicht zu gebrauchen bist, wirst du dich anderweitig nützlich machen! Geh und melde dich bei unserem Waffenmeister! Ich bin mir sicher, der wird dich in der Waffenkammer gern zum Putzen einsetzen!“
Mit hängenden Schultern und einem „Oui, mon Sergeant.“, machte sie sich auf den Weg.
Nachdem sie in einem der Gebäude verschwunden war, trat der Stallmeister, der ein gütiger Mann war und Julienne gut leiden konnte, an den Weibel heran.
Er erklärte, was sie ihm erzählt hatte und dass er vermutete, dass sich das Schicksal des Pferdes auf das Gemüt der Gardistin gelegt haben könnte.
Der Weibel jedoch hatte keinen Nerv für derlei Spielereien.
„Und wenn sie das Pferd vor ihren Augen auseinander genommen hätten! Das ist alles keine Entschuldigung, nicht diensttauglich zu sein!“
Der Mann war jedoch kein Unmensch. Er ließ sich einige Zeit, um sich abzukühlen und sprach dann erneut mit den Stallmeister. Dieser nickte nach einer Weile und ging fort.
Am Abend kam Julienne müde und mit schmerzenden Händen aus der Waffenkammer. Sie hatte geputzt, geölt und poliert. Und dabei immer wieder an das Pferd denken müssen. Nun zog es sie zu ihrer Schlafstatt, doch auf dem Weg vom Hof zum Hauptgebäude fing der Weibel sie ab.
„Mitkommen!“, sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete und lief in Richtung des Burgtors.
Die Gardistin war verwirrt, aber zu erschöpft, um zu fragen, worum es wohl ginge. Also trottete sie ihm einfach hinterher.
Erst als sie schon fast da waren, wurde Julienne klar, wohin der Marsch sie führte - sie hatten den Hof des Rossschlächters erreicht.
Dort wartete der Stallmeister mit Mathis vor dem düsteren Schuppen, den der Schlachter als Stall bezeichnete.
„Zeig es uns!“, sagte der Weibel nur.
Die Gardistin sah zum Stallmeister, der still nickte und kurz zu Mathis, dessen Augen hoffnungsvoll schimmerten.
Julienne betrat den dunklen Stall und wieder fuhr ihr der Gestank in die Nase.
Sie ging den Mittelgang entlang und kam schließlich an den letzten Verschlag. Die Stute stand noch immer darin, und die letzten Tage schienen ihr nicht gut getan zu haben. Ihr Fell war stumpf und zeigte die Rippen, Nüstern und Augen waren verklebt und das ganze Pferd starrte vor Dreck. Außerdem meinte Julienne, das Tier ein, zwei Mal husten gehört zu haben.
Isch solltö umkehren und das ´ier seinön natürlischen Gang nehmön lassön!, dachte die Gardistin.
Aber als wäre sie eine jener Fadengesteuerten Puppen auf den Märkten, griff sie nach einem Zaumzeug, das neben der Tür zum Verschlag hing und öffnete diese langsam. Die Stute riss ihren Kopf hoch, rollte mit den Augen und klappt die Ohren nach hinten.
!Ru‘isch Mädschen, gaaaanz ru‘isch!“, flüsterte Julienne.
Sie kramte in ihrer Tasche nach einem Apfel und hielt ihn dem Tier auf der flachen Hand am ausgestreckten Arm hin.
Wieder schaute das Pferd zunächst lange den Menschen an, bevor es sich um das heißbegehrte Futter kümmerte. Mit vorsichtigen Lippen nahm die Stute das dargebotene Obst. Julienne hatte keinen Apfel mehr, also ließ sie ihre Hand einfach an Ort und Stelle und wartete, dass das Pferd daran schnupperte.
Es dauerte eine ganze Weile, dann traute sich die Gardistin, einen Schritt auf das Tier zuzumachen.
Die Stute spannte alle Muskeln, bereit zum Angriff oder zum Ausweichen, doch dieser komische Mensch blieb ganz ruhig und redete weiter auf sie ein.
Schließlich durfte Julienne das Pferd berühren. Sie streichelte zaghaft über das struppige, stumpfe Fell und fand bald ein paar Stellen, an denen das Tier sanftes Kratzen akzeptierte.
Wieder einige Zeit später fing die Stute an, sich zu entspannen. Die Gardistin schubberte in der Nähe des Widerrists, als das Pferd den Kopf ein Stück herunter nahm und seine Oberlippe zu zucken begann.
Das war der Moment, auf den die Frau gewartet hatte. Sie kratzte und kraulte noch etwas weiter, dann streichelte sie Hals und Kopf des Tieres.
Dann - endlich - konnte sie der Stute den Zaum überziehen. Sie öffnete die Tür des Verschlages und führte das Pferd langsam nach draußen.
Dort war es inzwischen dämmrig geworden. Dennoch sahen die Männer genug. Der Stallmeister runzelte die Stirn. Er sah den primären, schlechten Zustand des Pferdes, erkannte aber die sekundäre Qualität darunter. Der Weibel hingegen, dem der tiefere Blick abging, machte ein zischendes Atemgeräusch. Das Pferd zuckte bei dem Geräusch zusammen und gebärdete sich einen Moment recht wild.
Mathis, der Rossschlächter, schien in sich zusammen zu sinken. Offenbar hatte selbst er nicht mit einem derart schlechten Aussehen gerechnet. Spätestens nach der Reaktion des Tieres war er sich sicher - dieses Pferd würde er nicht quitt.
Der Stallmeister trat auf die Stute zu, die mit hochgerissenem Kopf und rollenden Augen auszuweichen versuchte. Julienne hatte ihre liebe Not, das Tier festzuhalten.
Der Mann und die junge Frau tauschten einen Blick und das kaum merkliche Kopfschütteln des Stallmeisters ließ die Gardistin jede Hoffnung verlieren.
„Sauerbraten!“, meinte der Weibel nur.
„Selbst dazu taugt sie nischt mehr, Sergeant.“, sprach der Stallmeister.
Lilac:
Julienne begann, das Pferd zurück in Richtung des Stalls zu führen, doch als das Tier bemerkte, wohin es sollte, wehrte es sich, schlug mit den Kopf und ging rückwärts.
Mathis schnappte sich einen Stecken und begann von hinten auf die Stute einzuschlagen.
Plötzlich quietschte das Pferd und keilte aus und traf den Rossschlächter am Oberschenkel.
Der Mann flog fast zwei Schritt weit und prallte hart auf den Boden.
Unterdessen bockte und stieg das Tier und riss die junge Frau, die sich weigerte, die Zügel loszulassen, fast von den Füßen.
„Julienne!“ rief der Weibel, der seine Gardistin schon zu Mus zertrampelt sah.
Diese jedoch drehte das Pferd von dem Stall fort und begann, mit ihm auf dem Hof auf- und abzulaufen. Das Tier beruhigte sich sichtlich.
Inzwischen hatte der Stallmeister nach dem Rossschlächter geschaut, welcher fluchend und jammernd versuchte, wieder aufzustehen. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass die junge Frau die Stute wieder unter Kontrolle hatte. Erneut besah er sich das Pferd, so genau es aus der Entfernung eben ging. Die Bewegungen waren nun flüssiger geworden und das Exterieur ließ auf eine gute Blutlinie schließen. Im Kopf des Mannes keimte eine Idee.
Zuvor jedoch mussten sie Mathis aufhalten. Der Rossschlächter hatte seinen Dolch gezogen und humpelte wütend auf die Stute zu.
„‘alt sie gut fest! Isch beendö das ´ier und jetzt!“, grollte er.
Wieder begann das Pferd sich gegen die haltende Hand zu wehren, wich seitlich aus, riss den Kopf hoch und versuchte zu steigen.
Der Weibel sah nur noch wie das Tier immer ungebärdiger wurde, je näher Mathis kam und bekam es wieder mit der Angst um seine Gardistin zu tun. In bester Exzerzier-Platz- Stimme rief er Mathis zu: „Halt an, du Narr! Siehst du nicht, dass du es noch schlimmer machst?!“
Rasch trat der Stallmeister an den Rossschlächter heran. „Überlass sie mir! Isch gebö dir 5 Silbär!“
Aufgebracht drehte Mathis sich um. „5 Silbär?!? Isch ´abe fast 50 bezahlt!“
Die Augen des Stallmeisters wurden kalt. „Das ist sie abär nischt mehr wert! Da ´ättest du schon ein wenig mehr Zeit investierön müssön!“
Den puren Hass im Gesicht, machte der Rossschlächter eine harte Geste. „25 Silber, oder isch schneidö ihr ´ier und jetzt die Kehle dursch!“
Verächtlich spuckte der Stallmeister aus. „10!“
„20 und isch gebö eusch den verdammten Zaum dazu!“, meinte Mathis grummelnd.
„12 und du kannst deinön verdammten Zaum be‘altön!“, schaltete sich plötzlich der Weibel ein, dem das Ganze zu blöd wurde.
„Ich solltö ihr die Scheiß-Kehlö durschschneidön! 15!“
Der Stallmeister und der Weibel tauschten einen Blick.
„Schön! 15. Und der Zaum bleibt drauf!“, entschied letzterer.
Mathis machte ein undefinierbares Geräusch.
„Gib mir die Münzen, bevor isch es mir andärs überlegö!“, sagte er schließlich.
Es war ein langer Weg zurück zur Burg. Die Stute scheute und bockte alle paar Schritt und hintendrein zankten sich der Weibel und der Stallmeister über den Sinn und Unsinn der Aktion.
Schließlich kamen sie endlich durch das Tor (nachdem sich das Pferd lange Augenblicke geweigert hatte, unter dem Durchgang durchzulaufen) und Julienne versuchte erst gar nicht, das Tier in den Stall zu bringen.
Einige Stallknechte liefen herbei, doch die Gardistin winkte sie sogleich wieder weg. Je weniger Menschen um dieses Pferd waren, desto besser und sicherer. Die Gardistin ließ sich ein Halfter und einen Führstrick anreichen und tauschte diese gegen den Zaum. Dann band sie die Stute an einen der Halteringe an der Stallwand.
Der Weibel winkte sie zu sich: „Du wirst aus diesem Vieh ein vernünftiges Reitpferd machen! Sonst sorge ich persönlich dafür, dass es demnächst Sauerbraten und Pferdesalami auf der Tafel von Madame gibt!“
„Oui, mon Sergeant!“, antwortete Julienne, die sich immer noch fragte, ob sie wohl träumte.
Doch die Schmerzen in ihren Armen, welche vom ständigen Zügelzerren kamen, waren echt.
An diesem Abend ging die junge Frau erst spät zu Bett. Sie hatte sich mit viel Ruhe und Geduld um die Stute gekümmert, sie gewaschen, abgetrocknet und sauber geputzt. Immer wieder waren kleine Leckerbissen und intensive Krauleinheiten nötig gewesen, um das Tier bei Laune zu halten. Doch schließlich stand vor Julienne ein gepflegtes, wenn auch zu mageres, Pferd, dass sich mit einem, vom Stallmeister persönlich vorbereiteten, warmen Getreidebrei sogar in den Stall hatte locken lassen.
Zufrieden in ihrem geräumigen, sauberen Verschlag, mit dem Maul im Futtertrog und vielen neuen Pferdefreunden rund um sich, war zum Schluss fast alle Anspannung von dem Tier gewichen.
„Wir schaffön das schon!“, flüsterte Julienne und begab sich dann zu ihrem Schlafquartier.
Sie würde morgen einen gehörigen Muskelkater haben, und sie freute sich darauf, in den kommenden Tagen weit mehr Strapazen zu erleiden, wenn sie sich weiter mit diesem Pferd beschäftigen würde.
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