Hier und dort: In Engonien und außerhalb des Kaiserreiches > Geschichten und Gespräche
Auf der Reise nach Silvanaja
Rikhard Kraftweber:
Unwirsch machte Kyra eine Bewegung mit der Hand.
"Kommt mit. Was du getan hast, sollte nicht ungestraft bleiben, und damals sind einige dir nach, um dich einzufangen. Nun ist zwar Gras über die Sache gewachsen, aber wer weiß schon, was passiert, wenn man dich hier sieht? Oder willst du dich mit Grolf anlegen?"
Hastig schüttelte Rikhard mit dem Kopf und folgte Kyra zurück in Richtung des Seeufers.
"Was immer du gedacht hast, getan zu haben - du hast es nicht getan. Also hör auf, dich so selbstmitleidig aufzuführen, das steht dir nicht an. Wichtig ist doch, dass du jetzt schaust, was aus dir wird. Du bist nun hier, in deiner Heimat. Man mag dich nicht mit offenen Armen empfangen, aber ich bin mir sicher, dass ich das ein oder andere gute Wort für dich einlegen kann."
Aber Rikhard schüttelte langsam den Kopf.
"Nein. Ich weiß nicht, ob ich tatsächlich hierhin gehöre. Dieser Ort ist definitiv ein Teil von mir, und ich hab diesen Teil viel zu lange verleugnet. Aber der Schamane sitzt in seinem Netz wie eine fette Spinne, und ich werde ihm dieses Nest unter seinem Arsch abfackeln!"
Überrascht von Rikhards Heftigkeit drehte Kyra sich zu ihm um, allerdings ohne innezuhalten.
"Gar nichts wirst du. Du warst noch nie gut im Prügeln, und wenn du ihn in eine Kröte verwandelst, werden die andern sich nur gegen dich wenden."
"Das ist gar nicht so einfach, das mit der Kröte. Also, ich könnte. Bestimmt, ich hab da was drüber gelesen."
Nun hielt Kyra doch an, und Rikhard rannte fast in sie hinein.
"Das könntest du?" Misstrauisch sah sie den Magier an, dann wandte sie sich an Kydora. "Könnte er?"
Kydora:
Kydora wollte sich gerade einmischen und Rikhard ermahnen, als Kyra sich an sie wendete.
„Rikhard besitzt so wie ich auch das Geschenk Aines. Irgendwann könnte er das mit der Kröte sicher tun. Aber aktuell?“ Sie musterte Rikhard. „Er ist zwar sehr strebsam, aber davon jemanden in eine Kröte zu verwandeln wohl doch noch um einiges entfernt.“
Sie schaute Rikhard an. „Und dir habe ich auch schon mal erklärt, was ich zu der Geschichte mit Grolf denke... Lass es ruhen…“ Kydora schüttelte den Kopf und wandte sich wieder Kyra zu.
„Er hat sich all die Zeit über so sehr gegen seine Wurzeln gewehrt. Du hättest mal sein Gesicht sehen sollen, als wir uns das erste mal Begegnet sind vor ein paar Jahren. Es schien ihm wirklich nahe zu gehen, an seine Heimat erinnert zu werden. Doch jetzt steht er hier. Hier mitten in Silvanaja, auf der Suche nach sich selbst. Ich habe ihn auf dieser Reise begleitet und von dem Rikhard, den ich mal kennen gelernt habe… nun er hat sich entwickelt. Und ich sehe in ihm vieles, an dem er noch arbeiten und wachsen kann. Er steht hier. Er hat eine Chance verdient so wie es jeder Mann oder jede Frau verdient hat.“
Rikhard Kraftweber:
"Das wundert mich. Wir beide sind uns früher sehr nahe gewesen. Offen gesagt - ich war neidisch auf ihn. Er konnte schon früh bestimmte Dinge spüren, die Natur viel bewusster und tiefer wahrnehmen als ich. Ich meine - ich hab Augen und Ohren und eine Nase, aber Rikhard erzählte mir immer etwas von einem Fluss, der alles umfließt. Plätschern, Gluckern, es gab eine Zeit, da kannte ich mehr Worte für fließendes Wasser als für Baum."
Sie waren am Seeufer angekommen, aber Kyra machte keine Anstalten, anzuhalten. Ihr Weg führte sie gradewegs am Ufer entlang.
"Tja, wachsen tun wir alle. Wenn du's bis zur Akademieleitung gebracht hast, dann steht dir doch alles offen. Ich verstehe, warum du hierher gekommen bist, und das ehrt dich gewissermaßen - aber andererseits geht's dir doch um Vergebung, oder nicht?"
Rikhard verzichtete auf eine Antwort.
Kydora:
„Es ist nicht unbedingt immer ein Fluss.“ sinnierte Kydora. „Für mich hat es nichtmal ansatzweise mit einem Fluss zu tun.“
Sie folgte Kyra bis zum Ufer und ließ den Blick schweifen. Es wirkte alles so schön ruhig und unberührt.
Fragend sah Kydora zuwischen den Beiden hin und her.
Rikhard Kraftweber:
Eine Weile schritten die drei schweigend nebeneinander her, dann erreichten sie den Ort, zu dem Kyra sie geführt hatte.
"Ich hätte es wissen müssen."
Rikhard schmunzelte. Sie waren an der großen Weide angekommen, die auf der Landzunge stand, die in den See hinein ragte.
Langsam und ehrfürchtig schritt Rikhhard den Hügel herauf, auf dessen Kuppe der uralte Baum stand.
"Du hast nicht einfach nur Sorge gehabt, dass man uns sieht."
"Du warst schon immer schlauer als ich, Ricky."
"Nenn mich nicht so."
"Tja, wärst du mal in Fanada geblieben."
Die trockene Unterhaltung fand ein rasches Ende, als sie unter die herabhängenden Äste der Weide traten. Rikhard drehte sich zu Kydora um.
"Das hier ... das ist das Herz dieses Ortes. Alles, was die Weber ausmacht, steckt irgendwie in diesem Baum. Unter diesen Ästen hat man die süßesten Träume, und wenn du es schaffst, dich dort oben in die Astgabel zu setzen, hast du einen wundervollen Ausblick über den gesamten See und das Zeltdorf meines Stammes."
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