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Hier und dort: In Engonien und außerhalb des Kaiserreiches => Geschichten und Gespräche => Thema gestartet von: Yorik am 22. Jun 15, 11:31

Titel: Einwände
Beitrag von: Yorik am 22. Jun 15, 11:31
Als er die Nachricht erhalten hatte, war er zutiefst erschrocken gewesen. Nein, nicht erschrocken - bestürzt. Bestürzt und fassungslos. Er hatte es nicht wahrhaben wollen, doch die Quelle seiner Informationen war zuverlässig. Also hatte er nachgedacht, überlegt. Sich gefragt, wie es dazu hatte kommen können. Er fand keine zufriedenstellende Antwort. Schließlich hatten sie alle so einen weiten Weg hinter sich, und er war von Anfang an dabei gewesen. Er hatte ihm den Kopf immer dann grade gerückt, wenn er in die Wolken abgedriftet war. Und jetzt, so kurz vor dem Ziel, verschwand er einfach sang- und klanglos? Ohne sich überhaupt zu verabschieden? Wie er es auch drehte und wendete, es machte keinen Sinn, also packte er das nötigste zusammen und meldete sich für einen Tag ab. Dann, am nächsten Morgen, brach er auf.

Auf einem kleinen Hof vor Fanada
Der Bursche preschte über die Felder. Er war noch jung, hatte grade mal 9 Sommer gesehen und den heimischen Hof in dieser Zeit noch nie verlassen. Umso mehr war er jedes Mal fasziniert, wenn hier in der Gegend etwas besonderes passierte. Und so ein fein gekleideter Herr, der auf eine Krücke gestützt über den kleinen Feldweg gehumpelt kam - das war auf jeden Fall besonders. Und er wollte einen der Nachbarn sprechen! Er preschte weiter, und war daher ganz außer Atem, als er auf dem Hof ankam, zu dem er wollte. "Meister Bachlauf!", rief er schon von weitem, "Meister Bachlauf! Da draußen kommt ein Krüppel über den Weg, und er sagt, er will Euch sprechen!"
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Vanion am 22. Jun 15, 11:49
"Ein Krüppel?" Vanion schmunzelte über den Eifer des Knaben. Er gab ihm einen Klaps auf die Schulter, dann schickte er ihn hinein. "Geh und bereite in der Küche etwas Brot, und wärm die Suppe von gestern auf. Ich glaube, das Gesicht kenne ich."

Als Yorik auf ihn zu humpelte, lächelte Vanion. Er freute sich schlichtweg, den Novizen zu sehen. Die Farbe war in seine Gesicht zurückgekehrt, und die Ereignisse in Westmynd schienen ihn zumindest nicht sichtbar zu verfolgen.
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Yorik am 22. Jun 15, 12:08
Fast wäre Yorik gestolpert, als er Vanion auf sich zukommen sah. Zwar erkannte er seinen alten Weggefährten auf Anhieb, doch gleichzeitig sah er auf den ersten Blick, dass sich etwas verändert hatte. Zum einen natürlich die Kleidung, die nicht mehr die eines Knappen, sondern die eines normalen tangaranischen Bauern war - doch da war noch mehr. Er wirkte älter, so als seien nicht Wochen, sondern einige Jahre vergangen, und irgendetwas in seinem Gesicht hatte sich verändert. Yorik konnte es nicht genau benennen, aber es machte ihn sprachlos. Also tat er das naheliegendste: Er blieb stehen und wartete, bis der Andere die letzten Meter zwischen ihnen überbrückt hatte.

Dabei stürzte er sich auf die Krücke, die mittlerweile eine echte, vernünftige war und schaute zu Boden. Er tat sich immer noch schwer, Leuten direkt in sie Augen zu schauen, da er vermeiden wollte, dass sie die zwei langen Narben sahen, die sein Gesicht nun "zierten". Sie waren Vanion offensichtlich noch nicht aufgefallen, genau wie Yoriks Augenringe. Ja, dem Novizen ging es besser, dank Lyra, Rania und einer Menge Besinnung im Tempel, doch die Nächte waren immer noch kurz und hässlich. Als Vanion schließlich bei ihm ankam, hob er dann doch den Kopf. "Hallo Vanion", begrüßte er den alten Freund und versuchte sich an einem zerknirschten Lächeln.
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Vanion am 22. Jun 15, 12:43
"Yorik, sei willkommen!"

Kurze, unverbindliche Worte der Begrüßung wurden ausgetauscht, dann bat Vanion den Besucher in die Küche. Tom hatte tatsächlich Brot aufgetischt, doch an Getränke oder gar Aufschnitt hatte er nicht gedacht.
"Gib mir ein paar Minuten, Yorik."

Während Vanion in der Vorratskammer kramte, konnte Yorik sich ausgiebig den Raum ansehen. Das Gehöft war schon älter, teils aus Stein, teils aus Holz errichtet. Die Küche selbst war ein langgezogener, rechteckiger Raum und besaß eine hölzerne Decke mit einem durchgehenden Mittelbalken. Sie war liebevoll eingerichtet, einige Blumen standen auf der Fensterbank und auch auf dem Tisch, und in einer Ecke konnte man einen recht großen Ofen erkennen.

Als Vanion wiederkam, balancierte er Schinken, Käse, Butter und einen großen Krug Milch auf seinen Armen. Als er endlich alles ausgebreitet hatte, sah er Yorik aufmerksam an. Aus der Nähe war ihm sein Schicksal aus dem Gesicht abzulesen.
"Nun, was treibt dich her? Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich hab nicht mit Besuch gerechnet."
Im Grunde wusste Vanion sehr genau, warum Yorik gekommen war. Vanion fragte sich nur, ob der Novize ihn schelten wollte, ihn überzeugen wollte, in Lorainnes Dienste zurückzukehren, oder sich einfach nur Sorgen machte.
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Yorik am 22. Jun 15, 16:42
Yorik war beeindruckt und geschmeichelt von der herzlichen Begrüßung. Als er sah, wie reich Vanion den Tisch deckte, war er sogar fast beschämt, schließlich hatte er sich wirklich nicht angekündigt und platzte einfach hier herein. Einen Moment lang galten seine Gedanken nur diesem schönen Hof und dem spontanen Mal, doch Vanions Frage brachte ihn schnell wieder auf Kurs, und sein Blick wurde ernst. "Was mich hierher treibt?" Er gab einen ratlosen Laut von sich, der wie ein leises Auflachen klang, aber nichts lustiges an sich hatte. "Eigentlich bin ich hier, um genau das dich zu fragen." Die Antwort klang leicht bitter, doch es lag weder Zorn noch Vorwurf in seiner Stimme, nur Fragen. Viele, viele Fragen und eine große Portion Verständnislosigkeit. "Bitte versteh mich nicht falsch", fügte er hinzu, "dieser Hof ist wunderbar, und ich danke dir für deine Gastfreundschaft, aber... Warum? Warum bist du hier? Und warum jetzt? Das alles kam so... plötzlich..."
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Vanion am 22. Jun 15, 18:19
Vanion seufzte. Er sah an sich herab. Eine einfache Leinentunika, eine Wollhose, und dünner Gürtel, an dem zwei, drei Dinge hingen, unter anderem ein buntes Band und ein kleiner, blauer Beutel.

"Ich stand vor einer Entscheidung, Yorik. Einer Entscheidung, die mein Leben für immer verändern würde. Ich konnte meine Hände und meine Ehre mit dem Blut meines Onkels beflecken, oder mit dem Blut meiner Chevalière."
Beim Klang des caldrischen Wortes glitt ein Schauer über Vanions Rücken. Dieses Wort beinhaltete so vieles, Gutes wie Schlechtes.

"Wie immer ich mich entschieden hätte, beide Wege hätten mich wohl zum Ritter gemacht. Den Ritterstand hätte ich entweder von Savaric erkauft, indem ich seine Sache unterstützt und meine Ideale verraten hätte - oder ich hätte ihn von Lorainne erkauft, indem ich meinen Onkel erschlagen hätte. Und was für ein Ritter wäre ich dann gewesen? Wohl kaum einer mit Ehre im Leib."
Dass Lorainne in Reichsfeld gefoltert hatte, dass sie Alain umgebracht hatte, davon schwieg er.
"Ich hab mich am Ende dazu entschieden, meinen Eid zu verraten."
Ein bitterer, trauriger Zug huschte über sein Gesicht. Man sah Vanion an, wieviel es ihn gekostet hatte, diesen Schritt zu gehen, und dass er selbst jetzt noch zweifelte, ob es richtig gewesen war. Er hatte nicht weniger als seinen Traum aufgegeben, als er Lorainne verlassen hatte.

Doch ohne Bedauern sah er Yorik ins Gesicht. "Das hier ist mein Zuhause und das hier ist meine Familie." Just in diesem Moment sprang seine Tochter durch die nur angelehnte Türe und sah ihren Vater vorwurfsvoll an. Schließlich versteckte der sich hier in der Küche, dabei schien draußen die Sonne, da konnte man doch spielen? Grinsend schüttelte Vanion den Kopf und rief nach einer seiner Schwestern. Als die schließlich reinkam und die kleine Jeanne auf den Arm nahm, streckte das Kind ihm die Zunge heraus. Kurzerhand streckte Vanion seine auch heraus, dann wandte er sich wieder Yorik zu.

"Lorainnes Kampf ist nicht meiner. Wer weiß, ob ich überhaupt noch Kämpfe führen soll. Bisher bin ich vor allem mit dem Pflug beschäftigt."
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Yorik am 23. Jun 15, 12:42
Während Vanions Ausführungen hatte Yoriks Gesichtsausdruck sich verändert. Beginnend bei skeptisch, hatte er sich über verständnislos und besorgt hin zu ratlos gewandelt. Still hatte er dagesessen und versucht, die neuen Informationen zu verarbeiten, bis plötzlich Vanions Tochter erschienen war. Wie ein Orkan aus Sonnenlicht hatte sie den Raum gestürmt und sofort alle Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, auch die des Novizen. Doch das Beeindruckendste war, was sie in ihrem Vater auslöste. In dem Moment, in dem er ihr die Zunge herausstreckte, sah Yorik etwas in seinem alten Freund, das er so noch nie gesehen hatte, und Vanions Worte begannen langsam, ihren Sinn zu entfalten.

Einge Momente lang starrte Yorik sein Gegenüber noch an, dann schüttelte er den Kopf. Ein Geräusch entrang sich seiner Lunge, das bei genauerem Hinhören als leises Lachen zu erkennen war. "Du verdammter Mistkerl", murmelte er, "ich hatte mir ganz genau zurechtgelegt, was ich dir sagen will. Und jetzt hast du jedes meiner Worte entkräftet, bevor ich anfangen kann." Er hob den Blick, sodass man das schiefe Schmunzeln auf seinen Lippen sehen konnte. "Ich wollte dir was erzählen von Verpflichtung und Konsequenz, dich erinnern an deinen bisherigen Weg und daran, wie weit du dabei gekommen bist. Ich wollte dich dazu aufrufen, dein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren - aber das wäre angesichts der Situation nur hohles Phrasendreschen." Yorik dachte an die Zeit, die Vanion wie ein besessener nach Lorainne gesucht hatte, und es schauderte ihm bei dem Gedanken, wie brutal diese Entscheidung für den jungen Mann gewesen sein musste. Gleichzeitig dachte er auch an ihr zweites Treffen - im Kloster in Blanchefleur. Damals hatte Vanion bereits von dem Traum gesprochen, sich einfach niederzulassen...

"Ich weiß nicht, ob ich deine Entscheidung überhaupt hätte treffen können," begann Yorik erneut, "und ich ziehe den Hut vor dir, dass du es getan hast. Du hast dein großes Ziel aufgegeben...", er stockte, "aber dafür ein anderes Ziel erreicht, nicht wahr?" Er deutete demonstrativ auf die Einrichtung der sie umgebenden Stube, dann schmunzelte er erneut, diesmal etwas fröhlicher. "Und was wäre ich für ein Diener Lavinias, wenn ich dagegen etwas sagen würde?"

Ich hoffe nur, er ist wirklich für dieses Leben gemacht, dachte er sich im Stillen, den Krieger kriegt man nicht aus der Haut. Wer weiß, wie das mit Knappen aussieht...
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Vanion am 23. Jun 15, 13:33
Nun musste Vanion laut auflachen.

"Du sprichst wie ein alter Mann, der hundert Sommer und hundert Winter erlebt hat, weißt du das? Weise wie zwölf Ratsmänner!" Er hörte auf zu lachen, doch ein gewisses Schmunzeln blieb in seinen Zügen. "Du brauchst mir nicht zu vergeben, Yorik. Ich hab immer so gehandelt, wie es mir richtig und gut erschien. Die Konsequenzen dieser Entscheidungen trägt man nunmal. Ich glaube kaum, dass ich mich in Caldrien nochmal blicken lassen kann. Dort erzählt man bestimmt bald Geschichten über mich - und zwar nicht die, von denen ich geträumt hab. Kennt ihr schon die Geschichte von dem Feigling, der weggelaufen ist?"

Lautes Kindergeschrei drang vom Hof herein, dazwischen die enervierte Stimme seiner Schwester, die versuchte, die Bälger voneinander zu trennen. Vanions Blick ging zum Fenster, dann wieder zurück zu Yorik. "Ich war nicht für diesen Hof gemacht, mein Freund. Darum bin ich ja auch weggelaufen vor ein paar Jahren."
Er stand auf und ging zu einem größeren Wandschrank. Darin stand (neben einigen Besen) seine Bardike. Das Holz war gesplittert und abgenutzt, die Schneide glänzte zwar noch in ihrer Schärfe, doch Flugrost hatte das Axtblatt befallen.

"La Chevalerie. Das Rittertum." Nachdenklich sah er durch die geöffnete Tür auf die Waffe. In Westmynd, da hab ich das erste und wohl auch das letzte Mal an einer Turney teilgenommen. Der Herold rief meinen Namen. Die Menge rief meinen Namen. Ich wollte nicht kämpfen, doch ..musste Damian vertreten werden. Es war dumm, sich zu verausgaben, aber irgendwie fühlte es sich richtig an - und gut.

"Dieses Leben hier ist wundervoll. Friedlich. Keine Sorgen, keine Verantwortung. Wir leben in einem befriedeten Engonien, und zumindest Tangara wächst und gedeiht. Die Ernte letztes Jahr war gut, die Saat dieses Jahr war gut. Mit etwas Glück werden wir noch im Winter einen Überschuss haben." Sanft schloss er die Schranktür, dann setzte Vanion sich wieder zu Yorik. "Ich will offen zu dir sein, Yorik. Nichts wünsche ich mir mehr, als den Ritterschlag zu empfangen. Ein Leben in Ehre und Würde verbringen, voll der guten Taten, und irgendwann erzählen die Leute Heldengeschichten über mich." Seine Augen leuchteten plötzlich, ganz wie in den ersten Tagen nach dem Ende des Bürgerkrieges.
"Aber - seien wir realistisch. Wer nimmt schon einen Knappen an, der auf seinen Knappeneid gepfiffen hat? Wer den einen Eid bricht, dem ist der zweite nicht viel wert, sagt man doch. Mein Traum ist ausgeträumt, und ich bin aufgewacht. Und ich muss sagen, so schlimm ist es gar nicht, wach zu sein - es ist schön hier. Friedlich, ruhig - naja, bei den Kindern und der Arbeit hat man nie wirklich Ruhe, aber man muss nicht ständig auf seinen Rücken aufpassen. Freundschaften bekräftigt man bei einem Bier. Ich muss keine Krüge mehr halten und keinen Schild mehr buckeln, der mir nicht gehört."

Vanion war bewusst, dass seine Rechtfertigungen ziemlich lahm klangen, aber er war zufrieden mit diesem Leben. Bestimmt war er das.
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Yorik am 23. Jun 15, 17:37
So sehr ihn der neugewonnene Frieden des ehemaligen Knappen freute - bei dessen letzten Worten stutzte Yorik. Vanion wirkte zwar ehrlich glücklich, gleichzeitig glaubte der Novize jedoch, da noch etwas anderes zu spüren. Eine Art Bedauern, eine Unsicherheit, so gut versteckt, dass man sie nur erahnen konnte. Vor allem als Vanion den Schrank öffnete und einen Blick auf seine alte Waffe warf, lag da etwas in seinem Blick...  Noch misstrauischer machten Yorik aber die Äußerungen zu der aktuellen Situation seines alten Freundes. Dessen Ausführungen zum Stand des Landes klangen etwas zu enthusiastisch, so als wolle er sich die Sache selbst schön reden.

"Ich glaube, ich verstehe dich jetzt, Vanion", setzte der Novize an und legte Vanion seine Hand auf die Schulter, "und wie schon gesagt - es sieht hier in der Tat idyllisch aus. Wenn es wirklich das ist, was dich glücklich macht, so gönne ich es dir von ganzem Herzen." Dann wurde seine Stimme leiser, und er raunte dem Tangaraner etwas zu. "Solltest du jedoch zweifeln, bitte ich dich, diese Zweifel nicht einfach zu ignorieren. Du bist nicht mehr der Mensch, der diesen Hof vor Jahren verlassen hat, und wenn man erstmal ein Leben adoptiert hat, wird man es nicht so einfach los..." Wieder einmal dachte Yorik an sein Leben als Krieger, an die körperliche Anstrengung und das Gefühl, aktiv eingreifen zu können. "Meine Mutter sagt immer, ein saurer Bäcker backt nur saure Brötchen", fuhr er fort, "wie wird das wohl mit einem Bauern sein, der sich für Höheres berufen fühlt?"

Yorik war klar, dass Vanion nicht zu Lorraine zurückkehren konnte - er hatte das Dilemma verstanden. Doch es gab auch noch andere Möglichkeiten, der Welt seinen Stempel aufzudrücken. Vanion musste sich nur entscheiden, ob er es sich lohnte, nochmal neu anzufangen. Mit einem neuen Traum.
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Vanion am 23. Jun 15, 22:52
"Und wie ist das mit einem Krieger, der gläubig wird?" Vanion sah Yorik scharf an. Als der Novize zusammenzuckte und ertappt wirkte, hatte Vanion fast ein schlechtes Gewissen. Er wusste, dass Yoriks Worte nicht böse gemeint waren, doch er mochte nicht zugeben, dass Yorik ihn getroffen hatte. Tatsächlich zweifelte er, so schön es war - den Rest seines Lebens als Bauer verbringen? Was war mit seinen Freunden? Wie ging es Damian, was taten Kadegar und Lyra grade? Ob Lorainne wohl noch lebte? Und Rania..

Entschlossen schüttelte er den Kopf. "Zu Höherem berufen, ja.. na, wenn's so ist, werd ich's merken. Das Höhere, das gerufen hat, hat mich am Ende zu einem Scheideweg geführt, und dort klebte Blut, dick und feucht und zäh. Ich sollte dankbar sein, den Bürgerkrieg und die Jahre danach überlebt zu haben. Versteh' mich recht, wenn ich meinen Teil leisten soll, werd ich mich nicht verstecken. Aber - naja, was soll ich tun? Ich hab kein Ziel mehr. Ich hab nichts, worauf es sich hinzuarbeiten lohnt." Er grinste bei diesen Worten. "Nichts, sag ich? Ich hab eine wundervolle Familie. Eine einfache Familie, in mehr als einer Hinsicht. Der Preis dafür war mein Stand, mein Leben als Knappe. Und je länger ich hier bin, desto stärker wird das Gefühl, dass der Preis im Grunde sehr gering war."

Erneut stand er auf und ging zu diesem Schrank. Mit einem dumpfen Schlag landete die Axt auf dem Küchentisch.
"Wenn man etwas aufgibt, dann sieht man schnell, was bleibt. Das hier bleibt auch. Ich bete, dass kein erneuter Krieg herauf zieht, und meine Haltung zu den Dienern des Täuschers, die allzuviel Leid über die Welt bringen, hat sich kein Stück geändert. Wenn jemand Hilfe braucht, wird meine Türe gewiss nicht verschlossen bleiben, auch wenn ich abseits dieser Axt nicht viel habe, was ich in die Waagschale werfen kann. Aber das Abenteuer suchen, wie früher? In die Welt hinausziehen? Dazu braucht es wahrscheinlich einen Barden."
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Yorik am 23. Jun 15, 23:34
Verdammt, der hatte gesessen. Natürlich hatte Vanion Recht mit seiner Äußerung über den "gläubigen Krieger". Yorik kämpfte immer noch mit den Widersprüchen zwischen seinem neuen und alten Lebenswandel; besonders in Westmynd hatte ihm das zugesetzt. Aber grade deswegen machte er sich ja solche Gedanken um Vanions Entscheidung! Dem Novizen fiel es schwer, zu sehen, wie sein Freund offensichtlich mit seiner Situation rang. Was soll ich tun? Ich habe kein Ziel mehr... Das waren exakt die gleichen Worte, die Yorik nach Ilianas Tod von sich gegeben hatte. Sie hatten ihn für viele lange Monde verfolgt, ihn geplagt und fast zerstört... Eine solche Leere sollte kein Mensch empfinden, und Vanion erst recht nicht.

"Hör zu", begann Yorik daher sanft, "ich will dich nicht von hier wegholen, Vanion. Ganz und gar nicht. Ich wünsche mir nur, dass du in Zukunft mit deinem Lebenswandel glücklich bist." Verdammt, klang das schleimig. Doch es war die Wahrheit. "Wenn du dein Ziel verloren hast, solltest du versuchen, ein neues zu finden, welches auch immer das sein mag. Und wenn es das friedliche Leben auf diesem Hof ist, umso besser!" Am liebsten hätte er hier einfach aufgehört, fröhlich gelächelt und den Rest des Tages mit Vanion getrunken, er musste jedoch noch etwas hinzufügen. "Aber um eines bitte ich dich: Wähle deinen Weg basierend auf dem, was sich für dich richtig anfühlt, nicht auf dem, was einfach ist."
Dann schaute Yorik zu Boden, leicht beschämt aufgrund seiner schulmeisterhaften Dreistigkeit. Hoffentlich war er jetzt nicht zu weit gegangen...
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Vanion am 24. Jun 15, 11:40
"Jawohl, großer, weiser Meister." Vanions Spott war beißend.
"Bei allem Respekt, Yorik - warum kannst du meine Entscheidung nicht respektieren? Warum versuchst du, mich zu irgendetwas zu bewegen? Ich hab mich entschieden, auf eine gewisse Art zu handeln. Nun trage ich die Konsequenzen dieses Handelns. Das ist alles. So einfach ist es wirklich, glaube mir. Wenn ich Lust auf ein Bier bekomme, gehe ich in die Stadt. Wenn ich nach Brega reisen will, um dort vielleicht ein paar Freunde zu sehen, so tue ich das." Er schüttelte den Kopf. "Na los, komm mit." Die Axt ließ er achtlos auf dem Tisch liegen.

Ohne viel zu reden, führte Vanion Yorik vom Hof herunter und nach Fanada hinein. Der Nachmittag war schon fortgeschritten. Kurzerhand betrat Vanion eine Schänke, die er von früher bereits kannte, und bestellte zwei Krüge Bier. Ein Gespräch entspann sich zwischen den beiden. Nichts allzu wichtiges - Vanion sprach nicht über Yoriks Verletzung, und Yorik sprach vorläufig nicht von Vanions Entscheidung.

Der Abend wurde länger und länger, und Vanion wurde beschwipster. Zwar trank er in Maßen, aber auf Dauer bemerkte er das herbe Bier durchaus. Die ersten Barden stimmten ihre Lauten - der Abend schien einer von der lebhafteren Sorte zu werden. Je später es wurde, desto mehr erzählte Vanion. Er erzählte Yorik so viel wie nie zuvor. Von seiner Kindheit hier in Fanada, und in Norodar. Von Kameraden aus dem Pilgerzug. Von den Sturmrufern. Von Lorainnes Duell mit Simon. Fast hätte er Yorik von Laura erzählt, doch riss er sich rechtzeitig am Riemen.

Irgendwann begann er, lustige, glückliche Geschichten zu erzählen, die er früher gehört und aufgeschnappt hatte, und bald fand sich ein kleiner Zuhörerkreis ein. Gut gemeinte Zwischenrufe erfüllten den Raum, je lauter Vanion erzählte. Doch nach und nach zerstreuten sich die Gäste. Immer mehr gingen nach Hause, und am Ende fanden Yorik und Vanion sich fast allein im Schankraum wieder. Aus einer Ecke drang der Klang einer Laute, und eine weiche Frauenstimme sang von fernen Ländern und Heldentaten. Wie früher, genau wie früher. Wehmütig warf der Knappe.. der Bauer einen Blick in das niedrig brennende Kaminfeuer.

"Wohl dir! Du hast's errungen
Mit deines Blutes Born,
Die Schande ward bezwungen
Vom edlen Freiheitszorn"


Die Sängerin endete, und auch Vanion schwieg. Sein Leben hier war schön, aber wollte er wirklich ein Bauer bleiben? Yorik hatte gut daran getan, diese Frage zu stellen, doch die Antwort blieb Vanion schuldig. Das Mädel sang nicht weiter, und plötzlich fiel Vanion auf, dass sie nicht alles gesungen hatte. Er hatte dieses Lied von Marius anders kennen gelernt.

Doch müssen wir andern weinen
Und klagen im bittern Schmerz:
Solange die Sterne scheinen,
Schlug nimmer ein treueres Herz.


Wie aus dem Nichts kam ihm ein anderes Lied in den Sinn, und er summte es leise vor sich hin:

"Ich will ihr sagen, wie sehr ich sie liebe,
aber erstmal brauch' ich etwas Wein.
Ihre Majestät ist 'ne süße, holde,
und irgendwann, da wird sie mein."


Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Yorik am 25. Jun 15, 17:10
Da war er wieder, der bittere Sarkasmus, den Yorik bei Vanion so gut kennen und fürchten gelernt hatte. In zahlreichen vergangenen Gesprächen war er immer dann aufgetaucht, wenn Yorik sich in ein Thema mit aller Macht verbissen hatte, und er traf den Novizen tief - jedes Mal. Doch diesmal war etwas anders: Der Spott des ehemaligen Knappen kam nicht aus heiterem Himmel, Yorik hatte ihn erwartet. Außerdem verstand er, was er bedeutete: Das Gespräch wurde Vanion zu viel, sie hatten einen Stelle erreicht, an der Yoriks Einwände nur Schaden anrichten konnte, und so ließ er sein Anliegen vorerst ruhen. Er stimmte Vanions Vorschlag zu, und zusammen verließen sie den Hof in Richtung Stadt.

Zwar fühlte es sich anfangs komisch an, in der aktuellen Situation über scheinbare "Belanglosigkeiten" zu reden, doch das anfängliche Geplänkel in der Schänke tat den beiden jungen Männern sichtlich gut. Es half, vergangene Schmerzen und Fehler für einen Moment zu vergessen, und einige Augenblicke lang zählten tatsächlich nur die Gemütlichkeit der Schänke und die Qualität des Biers. Eben jener Qualität war es wohl auch geschuldet, dass Vanion im späteren Verlauf redseliger wurde. Yorik, der sich mit dem Alkohol etwas zurückhielt, beobachtete diese Wandlung interessiert - und lauschte.

Der Novize, der sich sonst immer sehr gesprächig präsentierte, lehnte sich einfach nur zurück, um seinem langjährigen Gefährten zuzuhören. Dabei schenkte er ihm seine ganze Aufmerksamkeit, nickte an den richtigen Stellen und ermutigte Vanion hier und da, weiter zu machen. Was er hörte, löste vieles in ihm aus: Begeisterung, Rührung, Mitleid, Staunen. Die Vergangenheit, die Vanion nun enthüllte, half Yorik den ehemaligen Knappen deutlich besser zu verstehen - außerdem machte sie ihm klar, dass er bisher keine Ahnung vom Leben seines Freundes gehabt hatte.

Diese Geschichten waren starker Tobak, daher war Yorik äußerst dankbar, als Vanion sich irgendwann entschied, zu angenehmeren Themen über zu gehen. Der Novize lachte, klatschte, fand schnell seinen Platz in der staunenden Menge. Vanion ist wirklich ein verflixt guter Geschichtenerzähler. Er könnte wohl selbst die grimmigsten Miesepeter unerhalten, wenn er selbst in der richtigen Stimmung ist. Yorik freute sich, seinen alten Freund so zu sehen, außerdem half es ihm, sich noch mehr mit Vanions Entscheidung abzufinden.

Ja, der frisch gebackene Bauer zweifelte an seiner Entscheidung. Und ja, er war offensichtlich noch nicht bereit, das zuzugeben. Doch Yorik war auch nicht hierher gekommen, um Vanion umzustimmen. Sein Ziel war es nur gewesen, ihn zum Nachdenken anzuregen - und das hatte er offensichtlich geschafft. Zufrieden mit sich selbst bestellte Yorik ein Bier, lächelte seinen alten Gefährten an und lauschte wie er der Sängerin. Dies war ein guter Abend, und ein angemessener Abschied für sie beide.
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Vanion am 26. Jun 15, 14:32
Nach diesem Abend hatte Vanion Yorik angeboten, die Nacht auf dem Hof zu verbringen, und der Novize hatte angenommen. Am nächsten Morgen hatte man sich verabschiedet, und Yorik hatte sich auf den Weg zu irgendeinem Tempel gemacht. Vanion hatte nicht weiter gefragt. Der Abschied war kurz gewesen, und jegliche Emotion, die Vanion verspürte, hatte er hinter einer Fassade versteckt gehalten.

Ein wenig war es, als zöge mit Yorik auch sein altes Leben davon. Als er in die Küche zurückkehrte, lag immer noch seine Axt auf dem Tisch, und seine Mutter saß daneben und warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. Sie war alt, weit über sechzig, und sprach nicht mehr viel. Ein wenig hilflos hatte Vanion mit den Schultern gezuckt und die Bardike weggeräumt.

Das Tagewerk des Hofes nahm in schnell wieder in Besitz. Die Tage vergingen in einem stetigen, gleichen Rhythmus. Früh aufstehen, hart arbeiten, früh schlafen gehen. Für Träumereien war keine Zeit. Irgendwann beschloss Vanion, seine Axt aufzuhängen, und so brachte er in einem Kellerraum zwei Halterungen an der Wand an und hängte sie kurzerhand hinein. Das Gerede der Leute, die sich anfangs wunderten, dass Barak Bachlaufs Sohn zurückgekehrt war und die ganze Familie wieder mitgebracht hatte, verstummte nach und nach. Viele seiner alten Freunde aus der Gegend stellten sich wieder ein.

Ein neues, altes Leben hatte begonnen.
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Sandra am 01. Jul 15, 17:29
Die Wochen zogen ins Land und Stella hatte nun auch wieder einige Wochen in der Akademie verbracht und natürlich war sie auch zwischendrin in Fanada auf dem Markt und in so mancher Gaststätte den Tag zwischen den Büchern, Vorlesungen und Übungen mit anderen Schülern ausklingen lassen.
Eines Abends schnappte sie zufällig in einem Gespräch den Namen "Bachlauf" auf, der sie aufhorchen ließ.

"...wieder zurück..."
"...Feigling....Doch kein Ritter..."
".... Roquefort.... "
"... Bauer bleibt Bauer..."

Die Gesprächsfetzen machten wenig Sinn in ihrem Kopf, doch je länger sie lauschte, umso eher umriss sich die Aussage, dass Vanion wohl zum Hof seiner Eltern vor Fanada zurückgekehrt war und angeblich sein Knappendasein an den Nagel gehängt hatte.
Sie hatte genug gehört und wollte sich selbst davon überzeugen.

"Hey ihr da, entschuldigt, aber hab ich richtig gehört, dass ihr die Bachlaufs kennt? Könnt ihr mir sagen, wo genau ich deren Hof finde?"

Ein kurzes Gespräch und einige Augenblicke später wusste sie, was sie wissen wollte und würde morgen wohl einen kleinen Ausflug vor die Stadttore machen.
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Vanion am 01. Jul 15, 23:22
Als Stella am nächsten Morgen auf dem Hof auftauchte, fand sie Vanion nicht vor. Der steckte auf einer Weide und begutachtete ein totes Kalb, das irgendein Tier gerissen hatte. Mit einem Schulterzucken nahm er den Kadaver auf, irgendetwas würde sich gewiss noch verwerten lassen. Als er in die Gegend des Hofes kam, stutzte er - schon von weitem sah er ein Pferd, aufgezäumt und leicht bepackt. Besuch? Er schritt schneller aus. Das Kalb gab er Tom, der Kleine machte sich schon gut und würde auch damit zurecht kommen. Dann wusch er sich rasch ein wenig und machte sich auf den Weg in die Küche, wo seine Mutter oder seine Schwester den Besuch gewiss untergebracht hatten.

Als er den Raum betrat, trat ein Lächeln auf sein Gesicht. "Stella! Wie schön, dich zu sehen!" Er machte einige Schritte auf sie zu, dann hielt er inne - er hatte keine Ahnung, weshalb sie hier war, und auch nicht, was sie von ihm hielt. So einfach war es offensichtlich gar nicht, in ein altes Leben zurück zu kehren.
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Sandra am 02. Jul 15, 08:56
Stella war nett von der Familie von Vanion begrüßt worden und hatte sich ihnen vorgestellt. In der Küche hatte man ihr frische Milch angeboten, die sie gerne angenommen hatte. Inzwischen hatte sie also mitbekommen, dass Vanion tatsächlich wieder hier war und auf dem Hof arbeitete.

Als er herein kam und lächelnd auf sie zu schritt wollte sie sich gerade erheben, um ihn zu begrüßen, hielt dann aber plötzlich inne.
Sie konnte sich denken, dass er unsicher war, wie sie darauf reagieren würde, ihn hier zu treffen, also stand sie auf, lächelte zurück und machte die verbliebenen Schritte auf ihn zu, um ihn zu umarmen.
Da sie keine Ahnung hatte, warum er nun hier war, wollte sie sich das lieber von ihm erzählen lassen.
"Hallo Vanion, ich freue mich auch, dich zu sehen. Aber... Was machst du hier? Ich dachte schon, ich hätte mich verhört, als ich ein bisschen Tratsch in der Schenke aufgeschnappt habe. Beim Namen Bachlauf bin ich hellhörig geworden und wollte mich persönlich überzeugen."
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Vanion am 02. Jul 15, 11:58
Kurzerhand setzte sich Vanion hin. Lieber kurz und schmerzlos.
"Ja. Ich hab Lorainne verlassen und auf meinen Stand verzichtet." Ich hab den Schwanz eingekniffen und bin davon gerannt.
"Ich konnte mich nicht überwinden, meinen eigenen Onkel zu töten. Noch weniger wollte ich mich auf Savarics Seite schlagen und gegen Lorainne arbeiten. Fort zu gehen schien mir der einzige Ausweg zu sein."

Gespannt sah er Stella an. Er schätzte sie als eine rationale Person ein, die mit ritterlichen Ehrbegriffen nicht allzuviel anfangen konnte. Würde sie ihn verurteilen? Nervös kaute er an einem Fingernagel. Gewiss würde sie, die soviel für Lorainne riskiert hatte, seine Handlung als Verrat an La Follye ansehen. Yorik war einfach gewesen. Der war naiv genug, über die Realität hinweg zu sehen. Yorik hatte gar nicht daran gedacht, dass Vanion für Lorainne eine Stütze gewesen war und auch ein zentraler Teil des Plans, Savaric zu besiegen.

Plötzlich wünschte der ehemalige Knappe sich, bessere Gewänder zu tragen als die grobe Tunika und die Leinenhose. Ihm war es fast peinlich, dass unter seinen Fingernägeln Dreck von der Feldarbeit hing; und auch der stoppelige, unregelmäßige Dreitagebart und der Schmutz an der Hose fielen ihm nun plötzlich auf. Ironischerweise stand Stella gesellschaftlich nun weit über ihm - sie war eine anerkannte Schülerin der Akademie zu Ayd'Owl, Vanion war nur ein Bauer.
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Sandra am 02. Jul 15, 13:10
So wenige Worte über so viel Herzblut?...

Stella sah Vanion aufmerksam an und musterte ihn, seinen Gesichtsausdruck und versuchte eine Regung zu erkennen.

Sie ließ sich Zeit mit der Antwort und ging mit ihren Gedanken noch einmal die Ereignisse mit Lorainne und Vanion nach. Besonders die letzten, das Schützenturnier im Winter und Westmynd. Ja, Vanion hatte das mit seinem Onkel erwähnt und dass er hoffte, das Schwert nicht führen zu müssen. Und auch Stella war bei dem Gedanken nicht wohl, was tatsächlich auf La Follye passieren würde. Doch er hatte auch immer betont, dass dies nötig sei und auch explizit bei der Frage nach der Hilfe, das Gesicht des Widerstandes zu sein zugestimmt. Und jetzt sollte er sich das alles von heute auf morgen anders überlegt haben? Wo sie sich auf Westmynd doch noch so eng verbunden waren? Und jetzt brachte er kaum zwei Sätze dazu raus?

"Naja, das Thema stand doch schon länger im Raum und du hast schon immer gehofft, dass du nicht derjenige sein musst, der das Schwert führt und darüber schien man sich doch einig, oder? Aber was ist mit den ganzen anderen Plänen? Im Foret hast du noch zugestimmt, das Gesicht des Widestandes in La Follye zu sein, Lorainnes Hand - die, die sie dort nicht selbst führen kann. Du, ein Roquefort, der das Volk hinter sich schart. Was ist mit diesem Plan und Lorainnes Vorhaben?"
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Vanion am 02. Jul 15, 13:31
Vanion schüttelte den Kopf. "Das Gesicht des Widerstandes konnte nur jemand sein, der den Menschen Hoffnung gibt, ein Vorbild! Kein Mörder, niemand, der den eigenen Onkel erschlagen möchte. Die Menschen dort oben brauchen jemanden, zu dem sie aufschauen können, sie brauchen jemanden, der ihnen voran schreiten kann. Natürlich war ich prädestiniert dazu, diese Rolle zu spielen."

Stellas Worte trafen Vanion, und eine wirkliche Erwiderung auf ihre nüchternen Feststellungen hatte er nicht. All die Versprechungen und Pläne waren hinfällig, aufgegeben und verraten worden, weil er sich dafür entschieden hatte, nicht mehr gegen seinen Onkel vorgehen zu wollen.

"Dieser Plan ist hinfällig geworden. Er wurde es in dem Moment, als ich zweifelte, ob das, was ich tat, überhaupt richtig war. Als Knappe und als Ritter muss man loyal sein, La Loyalité ist eine Tugend meines.. des Standes. Man soll treu zu seinem Eid stehen, treu zu seiner Familie, fidèle aux dieux et de l'Impératrice. Wäre ich bei Lorainne geblieben, hätte ich meine Ideale beschmutzt und Blut an meinen Händen gehabt - das Blut meiner Familie. Nun, da ich ihre Dienste verlassen habe, sind meine Ideale genauso beschmutzt - aber es klebt kein Blut an meinen Händen. Was immer nun passiert, ob Lorainne Savaric besiegt oder bei dem Versuch stirbt - es ist nicht in meinen Händen. Es ist nicht meine Verantwortung, und es ist auch nicht meine Schuld."

Er ließ die Schultern hängen. Seine Worte klangen selbst für ihn hohl. Egal, aus welchen Motiven er gehandelt hatte, feige war es doch gewesen. Er wusste genau, aus zahlreichen Geschichten, dass der tragische Held sich dann eben versündigte. Der Bruder, der den Bruder erschlug, war oft ein Thema in caldrischer Literatur gewesen. Und er wusste nur allzu gut, dass Savaric zwar sein blutsverwandter Onkel war, Vanion ihn aber nie kennengelernt hatte. Sein Onkel hatte ihm nach dem Leben getrachtet und tat es vermutlich noch immer. Aber nur weil Savaric so ist, muss ich nicht auch so sein!
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Sandra am 02. Jul 15, 21:02
"Tja, das scheint wohl allgemein das Problem bei Rittern und Knappen zu sein - alle Eide zu halten erscheint mir bei euch manchmal unmöglich. Es gibt so viel Raum für Konflikte zwischen all euren Tugenden und Schwüren... Aber vielleicht liegt es auch daran, dass ich da keine Details mitbekomme. Aber wo wir schon bei Versprechen sind - ich dachte in Westmynd hattest du bei Silas' Tod noch etwas in der Richtung versprochen? Entschuldige die vielleicht etwas plumpe Frage, aber ich war nicht dabei..."
Sie strich sich eine Haarsträhne zurück hinters Ohr und sah Vanion direkt an.

"Ich kann verstehen, dass man keine Unschuldigen töten will, aber was für dich den großen Unterschied macht, ob es Familie ist oder nicht verstehe ich nicht... Zumindest, wenn es niemand ist, der einem nahe steht. Mir würde es viel schwerer fallen, aus irgendwelchen Gründen Waffen gegen meine Freunde zu richten als irgendeinen Onkel, den ich nicht mal kenne und der solche Dinge tut. Und seit wann wolltest du Savaric töten? Wenn es sich vermeiden lässt bin ich auch immer noch dafür, dass man ihn nicht tötet."
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Vanion am 02. Jul 15, 23:49
Wie sollte er Stella darlegen, weshalb er sich so entschieden hatte? Indem du einfach erzählst, wie du gefühlt hast, und immer noch fühlst. Wenn sie es nicht versteht, nun.. dann hast du wohl einen Freund weniger.

"Ich habe geschworen, dass Silas' Tod nicht umsonst war. Dass ich sein Opfer niemals vergessen werde, und versuchen werde, ein so guter Mann zu sein, wie ich nur kann, um ihn zu würdigen." Ein langes, bedrücktes Schweigen folgte diesen Worten. Vanion wusste nur zu gut, dass er Silas' Opfer nicht ehrte, indem er hier Felder beackerte und Vieh hin und her trieb. Aber welche Möglichkeiten hatte er nun noch? Doch Stella hatte noch einen weiteren Satz gesagt, und der war gewohntes Terrain. Er hatte sich so oft erklärt, gegenüber Ysander in Westmynd zuletzt. Die Worte kamen fast von selbst von seinen Lippen:

"Der Anspruch auf Roquefort, auf das Lehen, das momentan in Savarics Händen ist, kommt durch meine Geburt. Mein Stand kommt durch meine Geburt. Meine Rechte und meine Pflichten kommen durch meine Geburt. Alles, was einen caldrischen Ritter ausmacht, wird ihm in die Wiege gelegt. Als die Baronin von Goldbach mich kennenlernte, würdigte sie mich keines Blickes. Ich war ein tangaranischer Bauer, Schmutz an Lorainnes Rocksaum, aber als sie erfuhr, dass ich ein Roquefort war, da sprach sie mit mir. Ließ mir Kleider anfertigen, versorgte mich in ihrem Haus. Verstehst du? Jedes Recht und jedes Privileg meines Standes hab ich nur durch meine Geburt inne gehabt. Und wenn meine Geburt mir solche Rechte gibt, dann muss ich auch die Pflichten ernst nehmen. Dann sind die Verwandten des Mannes, der mich gezeugt hat, auch die meinen. Mit allen Rechten, die es mit sich bringt - und mit allen Pflichten. Savaric zu töten, im Grunde selbst nur gegen ihn zu arbeiten, wäre ein Verrat an meinem Blut. Es sei denn, er wäre verurteilt, gerichtet für das, was er getan hat. Doch am Ende ging es nicht mehr darum, Beweise für seine Schuld zu finden, oh nein. So richtig tat es das nie. Wie auch, wenn jemand über ein Jahr gefangen gehalten und gefoltert, seine Seele zersplittert und sein Körper zerschlagen wird? Genau das ist Lorainne geschehen durch Savarics Hand und durch seine Helfer."

Ein verbitterter Ausdruck trat auf Vanions Gesicht.
"Lorainne - sie war nicht irgendjemand für mich, nein. Sie war mein Vorbild, eine leuchtende Fackel der Ritterlichkeit! Doch je besser ich sie kennenlernte, je mehr Zeit ich mit ihr verbrachte - seit ihrer Entführung kannte sie kein Maß mehr. Sie tötete Alain, Silas' Bruder - er wollte fortlaufen im Forêt d'Artroux, er wollte niemandem folgen, der einen Roquefort als Knappen genommen hatte. In Reichsfeld folterte sie Gefangene. Savarics Tochter, Leah, ist seit Jahren in ihrer Hand. Ich weiß nicht, ob sie immer noch so denkt, doch sie sprach davon, die Tochter gegen den Vater einzusetzen. Kannst du dir das vorstellen? Und auf dem Fest der Grenzen, oben in Salmar, als dieser Kerl sie vergiftet hatte - sie verzieh ihm, weil sie Informationen brauchte. Und doch war Lorainne wie eine Mutter und eine Tochter für mich.   Ich bin ihr gefolgt, hab keine ihrer Entscheidungen in Frage gestellt. Aber grade in den letzten Monaten sagte ich nur allzu oft: 'Es steht mir nicht zu, etwas in Frage zu stellen.' Ich versteckte mich hinter meinem Dasein als Knappe. In Salmar hat sie versucht, in den Ritualkreis einzudringen. Wer weiß, was das Anders..."

Anders. Mit Macht drängte Vanion seine Sorgen um sie beiseite. Sie hatte ein Talent, sich in Gefahr zu bringen, doch genauso hatte sie ein Talent, da wieder heraus zu kommen!

"Ich geriet ins Zweifeln. Ob es richtig war, Savaric zu töten, ob es richtig war, jedes Mittel dafür einzusetzen. Die Ideale, die mich überhaupt auf diesen Weg gebracht hatten, die waren allesamt beschmutzt. Mit Ehre und Gerechtigkeit hatte es nichts mehr zu tun. Nur noch mit Rache. Und so hab ich mich entschieden, nicht mehr weiter zu gehen. Ich konnte nur Lorainne in den Rücken fallen und für Savaric kämpfen - oder aber meinen Onkel umbringen, mein eigen Fleisch und Blut, dem ich zu Treue verpflichtet bin. Lorainne nicht zu verraten, gebot mir die Ehre, und Savaric zu schonen, die Geburt. Also was tun? Allein eine Lösung ist geblieben: dass ich gehe."

In diesen lapidaren letzten Worten lag eine Bitterkeit, die Bände sprach.
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Sandra am 04. Jul 15, 22:07
Stella war sichtlich schockiert von Vanions Vorwürfen gegen Lorainne, die gleich so zahlreich waren.
Sie schluckte schwer und atmete tief ein.

"Weißt du Vanion, wenn es so ist wie du sagst... Kann ich dich verstehen... Und kann es gleichzeitig nicht. Blut macht dich vielleicht zu einem Ritter - aber es ändert nichts daran, wer du in deinem Innersten bist. Alles was den Adel an einem Ritter interessiert mag dir deine Geburt geben - nicht das, was du daraus machst. Die Tugenden bekommst du nicht durch deine Geburt. Und du hast es auch ohne die Bekanntheit deiner Herkunft weit gebracht - als Sohn eines Bauern.
Ich kann verstehen, dass du nicht weiterhin damit argumentieren konntest, dass es dir nicht zusteht, etwas dazu zu sagen. Und ich kann verstehen, dass du Skrupel hast, ihn zu töten. Aber als ich dich in Westmynd habe verzweifelt um sie weinen sehen - wie kann dir da egal sein, was sie tut? Du sagst, es sei nicht deine Verantwortung oder deine Schuld. Nein, für die Taten wird sie selbst verantwortlich sein und ich weiß selbst noch nicht, was der richtige Umgang mit Savaric wäre. Was die Sache mit dem Herz dafür bedeutet. Darüber zermartere ich mir selbst schon seit einiger Zeit den Kopf. Was wäre, wenn Lorainne der Blutdurst übermannt - ob es richtig oder falsch wäre, sich in den Weg zu stellen.

Aber ich finde als eine der Personen, die ihr am nächsten stand hättest du nicht einfach gehen sollen. Du solltest derjenige sein, der ihr sagt, dass sie zu weit geht. Und ich finde, das ist deine Verantwortung.

Du sagst immer, es stand dir nicht zu, etwas zu sagen. Ja, so wie ich Schülerin bin und auf das höre, was Gorix sagt so folgst du dem, was Lorainne sagt. Das ist erst mal auch unsere Aufgabe, immerhin lernen wir von ihnen. Aber gleichzeitig habt ihr eine enge Verbindung zueinander, etwas wie Meister und Schüler unter Magiern würde ich sagen, und das ist etwas besonderes. Man verbringt sehr viel Zeit miteinander, viele private, gar intime Momente und man lernt den anderen sehr gut kennen."

Sie war zwar noch nicht Gorix' Schülerin, aber das war ihre Vorstellung einer solchen Beziehung wenn sie so an ihr Umfeld dachte und was sie so über Ritter und ihre Knappen gehört hatte. 

"Und in dieser Position passen sie üblicherweise auf uns auf und stellen sich schützend vor uns. Aber es gibt Momente, da müssen auch wir auf sie aufpassen. Und ich habe den Eindruck, das solltest du bei Lorainne gerade tun.

Ich kann mir vorstellen, dass das nicht einfach ist und dass es schwierig ist, dass sie dir zuhört. Aber ich finde, du solltest es immer wieder versuchen und zur Not müsstest du derjenige sein, der sie davon abhält ihn zu töten. Derjenige sein, der sie auch sonst an ihren Schwur erinnert, wenn du den Eindruck hast, dass sie vom Weg abkommt nach allem, was sie durchgemacht hat. Sie daran erinnert, dass sie besser ist als er und sich deshalb nicht zu solchem Handeln hinreißen lässt. Zumindest, wenn die Situation eine Festnahme zulassen sollte. Ich glaube, sie braucht dich jetzt mehr denn je."
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Vanion am 06. Jul 15, 00:17
Stellas letzte Worte trafen Vanion tief. Es tat ihm in der Seele weh, jedes einzelne Wort brannte wie ein glühendes Eisen in seinen Eingeweiden. Ohne es zu wissen, hatte die Magierin sehr genau getroffen.

"Aber so war es doch!", stieß er hervor, plötzlich laut. "Genau so war es! Ich lernte, sie lehrte, und doch hab ich sie genauso beschützt wie sie mich! Auf dem verfluchten Schützenturnier meines Onkels, wo wir alle fast gestorben wären, da rannte sie wie wild los, um Silas zu schützen. Sie brüllte mir, selbst verwundet und blutbespritzt, zu, Silas in Sicherheit zu bringen, und wider alle meine Instinkte hab ich Silas gepackt und fortgezerrt. Ich sah sie fallen, weiter vorn, und wurde selbst niedergestreckt! Ich wusste genau, für mich und für Silas und für viele andere würde sie alles geben. Sie HAT alles gegeben! So wie jeder von uns für sie! Ich dachte, ich würde dieser Frau folgen, und wenn es meinen Tod bedeutete. Wenn es Folter bedeutete. Ich dachte, ich würde jeden Preis für sie zahlen."

Aber weil du einen Verbrecher, einen Folterknecht, Mörder und Szivarspaktierer nicht töten willst, hast du sie verraten. Es klang hohl, so unendlich hohl und leer. Stellas Worte nagten an ihm wie Ratten an einer Leiche. Als ob sie ihn vor Gericht stellen würde. Niemals tut sie das! Sie hat nichts gegen ihn in der Hand, und wenn er freigesprochen würde.. nein! Vanion war felsenfest davon überzeugt, dass Lorainne nicht das geringste Risiko eingehen würde, dass sein Onkel mit heiler Haut davon kam.

"Ich bin fortgelaufen. Nennen wir's beim Namen. Ich hab den Schwanz zwischen die Beine geklemmt und bin gerannt."
Er spie diese Sätze aus mit einer Bitterkeit, wie Stella sie noch nie gehört hatte.
"Ich musste mich entscheiden und hab diese Entscheidung lange und immer wieder herausgezögert. Selbst wenn es eine falsche Entscheidung war und ich zurück wollen würde - ich hab jedes Recht auf einen Platz in Lorainnes Reihen verwirkt. Ich hab Eide geschworen und gebrochen. Silas hat sein Leben für mich gegeben, und ich spucke durch mein Verhalten auf dieses Opfer. Und doch kann ich nicht anders handeln, als ich es getan habe!"

Er versuchte, es zurück zu halten. Er wollte nicht weinen, wollte nicht schwach und selbstmitleidig erscheinen. Doch in ihm steckten nach wie vor die Ideale, die er stets versucht hatte, hoch zu halten. Sein Ehrgefühl verbot ihm, hier ein friedliches Leben zu führen. Seine Loyalität ließ ihn hoffen und beten, dass Lorainne und den ihren kein Leid geschehen würde. Doch vor allem warf er sich selbst vor, feige gehandelt zu haben. Immer wieder rief er sich ins Bewusstsein, dass es richtig gewesen war, zu gehen! Wie konnte er Ritter sein, wenn er seinen Onkel tötete? Alles, alles hatte er aufgegeben, um das Leben eines Mannes zu schonen, den er nie kennengelernt hatte. Eine einzelne Träne rann über seine Wange. Mit einer abrupten Bewegung wischte er sie weg.

"Es gibt keinen Weg zurück. In dem Moment, als ich mich entschied, zu gehen, war es vorbei. Der einzige Weg, der für mich nach Caldrien führt, ist der an die Seite Savarics. Nur so würde ich meinen Platz als Roquefort einnehmen. Und auf dieses Vermächtnis spucke ich, dreifach."
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Sandra am 13. Jul 15, 13:04
"Dass du diese Wahl überhaupt in den Mund nimmst... " Ihre Stimme klang resignierend, traurig und dennoch nahm sie ihn in den Arm. Er schien so hin und her gerissen mit seinen Gefühlen, nicht glücklich über seine Entscheidung aber dennoch davon überzeugt.
"Aber wenn es tatsächlich Beweise irgendwo für deine Abstammung gäbe - warum hättest du dann nur Ansprüche an Savarics Seite? Mal angenommen, Lorainne hat Erfolg und dieser Mann wird wirklich vor Gericht gestellt.
Es klingt allerdings eh so, als könnte man dich nicht umstimmen - dafür bin ich allerdings auch gar nicht hier. Das müsste eh von dir kommen. Ich kann nur Fragen stellen und dich ggf. zum Nachdenken bringen. Und mir deine Sicht erzählen lassen. Dennoch denke ich, dass du besser mit ihr geredet hättest statt einfach nur wortlos zu verschwinden."
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Vanion am 13. Jul 15, 22:20
"Was auch immer. Die Entscheidung ist gefallen."

Unwirsch wandte Vanion sich ab.

"Mit den Konsequenzen müssen wir alle leben, nicht nur ich. Auch Lorainne. Du entschuldigst mich gewiss, ein Hof pflegt sich nicht von alleine."
Er verließ den Raum, ohne auch nur einen Blick zurück zu werfen. Stellas Bemühungen waren nur zu verständlich, aber ein totes Pferd konnte man nicht reiten.
Und Stellas Worte enthielten einen versteckten Vorwurf. Einen Vorwurf, den er auch sich selbst machte, doch hatte er genug zu tun und konnte solche Gedanken nicht brauchen.

Er hoffte nur, dass sie bei seiner Rückkehr nicht mehr anwesend wäre.
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Sandra am 14. Jul 15, 01:33
Damit sie einfach so stehen zu lassen hatte Vanion Stella mehr getroffen als ihm vielleicht klar war und Wut brandete in ihr auf über sein verächtliches Verhalten ihr gegenüber.

Die ganze Zeit hatte sie ihm zugehört, ihn nicht für sein Verhalten vorverurteilt und war daran interessiert gewesen zu verstehen.
Dass er sich wohl entschieden hatte und sie das erkannt und seine Gründe hingenommen hatte war jetzt keine drei Sätze her.
Ein "lass uns bitte nicht mehr davon sprechen" oder jede vergleichbare Aussage wäre für sie also vollkommen akzeptabel gewesen. Aber nicht sie einfach so dumm hier stehen zu lassen wie bestellt und nicht abgeholt.

Unbewusst ballte sie die Hand zu einer Faust und die Knöchel traten weiß hervor, ihr Blick verfinsterte sich augenblicklich als Vanion Anstalten machte, den Raum zu verlassen und jede Freundlichkeit, jedes Lächeln war restlos aus ihrem Gesicht und ihren Augen verschwunden und sie spürte ein leichtes Kribbeln auf der Haut.

Mit großen Schritten setzte sie ihm nach und hatte ihn schnell eingeholt. Mit einer Hand griff sie nach seinem Arm, packte ihn, drehte ihn zu sich und sah ihm mit eisigem Blick in die Augen, den Vanion von Stella so vermutlich noch nie gesehen hatte. "Wenn du meinst, dass das hier ab jetzt alles ist, was dich interessiert. Aber du hältst es nicht mal für nötig, mich anständig zu verabschieden? Deine Manieren hast du dann wohl gleich mit in Caldrien gelassen?!"
Mit diesen Worten ließ sie seinen Arm wieder los und funkelte ihn weiter an.
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Vanion am 14. Jul 15, 08:44
Als sie ihn an der Schulter packte, war sein erster Reflex gewesen, zuzuschlagen. Dann meldete sich sein Verstand wieder zu Wort und ließ ihn inne halten.

"Ich hab einfach genug Abschiede in der letzten Zeit gehabt. Yorik war auch hier, weißt du? Meine Tage mit euch allen sind vorbei. Ich hab immer gedacht, dass ich dazu bestimmt bin, ein Ritter zu werden, und das hat sich schlichtweg als falsch heraus gestellt. Die Götter haben mich geprüft, so wie sie Lorainne und Yorik und Anders und auch dich geprüft haben, und ich hab diese Prüfung nicht bestanden. Die Götter sind gnädig, mir eine wundervolle Familie gelassen zu haben. Da siehst du, wie wichtig Blutsbande sind."


Resigniert schüttelte er den Kopf.

"Lass uns ein paar Schritte gehen. Hier drinnen fällt mir grade die Decke auf den Kopf."

Zögerlich zwar, und immer noch sichtlich wütend, folgte Stella ihm nach draußen. Ohne viel zu reden schlug Vanion eine Richtung ein, die sie weiter weg von Fanada bringen würde. Ein Weg, der durch ein Wäldchen führte, in dem Vanion in seiner Kindheit oft Stöcke aufgehoben hatte und damit auf Büsche und Bäume eingedroschen hatte.

Irgendwann wurde die Stille unterbrochen.
"Du hast Recht, ich hätte dich nicht so behandeln sollen. Das hast du nicht verdient. Ich möchte einfach nicht an die Zeit erinnert werden, die zwar schrecklich und traurig war, aber auch voller Freude, Lachen und Frohsinn! An Lorainnes Seite hab ich das Leben so intensiv gespürt wie nirgends sonst. Ich war jemand, kein niemand. Nun bin ich wieder ein niemand. Zwar hab ich die ein oder andere Geschichte zu erzählen, aber es ist nicht die eines strahlenden Heldens.

Also. Ich bin gegangen, fortgelaufen. Ich hab mich von niemandem verabschiedet, und dabei möchte ich es auch belassen. Ich habe eine einzige Rechnung nicht beglichen. Silas gab sein Leben für mich und ich schwor, dass er das nicht umsonst getan hat. Hier bleibe ich nur solange, bis der Hof in guten Händen ist. Zwei meiner Schwestern heiraten, und sie und ihre Männer können bei der Arbeit wirklich helfen. Meine Tochter wächst und wächst, noch zwei, drei Jahre und sie kann in der Küche helfen. Lange wird es mich hier also nicht halten. Vielleicht verlasse ich Engonien und bereise die Welt. Es gibt überall Gelegenheiten, Gutes zu tun, für Schwache einzustehen und Silas' Andenken zu ehren."
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Sandra am 14. Jul 15, 14:35
Stumm war Stella Vanion hinaus gefolgt und neben ihm her gegangen und langsam legte sich auch ihre Wut wieder. Auch ihr tat es gut, wieder draußen zu sein, während sie bewusst atmete und ihm zuhörte.
Die Sonnenstrahlen fielen durch das Blätterdach des Waldes und malten Bilder aus Sonne und Schatten auf den Waldboden vor ihnen.

Zumindest wusste ich doch, dass es dich vermutlich nicht dauerhaft hier halten wird, was auch immer du danach vor hast..

Als er geendet hatte nickte sie bloß.

"Ich finde Erinnerungen wichtig. Sie helfen dabei, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, auch wenn wir die Richtung ändern und bewahren vor Fehlern genauso wie schöne Erinnerungen uns Mut und Kraft geben können.

Und was Abschiede angeht... Ich verstehe dein Problem nicht damit, sich alles Gute für die Zukunft zu wünschen und dass sich vielleicht die Wege noch einmal kreuzen werden. Genauso wie ich gerne immer mal wieder bei dir vorbei schaue, wenn ich in der Stadt bin, falls du das willst. Falls du aber unter alle Bekanntschaften und dein früheres Leben einen Strich ziehen willst, steige ich gleich am Hof einfach aufs Pferd und bin weg."
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Vanion am 14. Jul 15, 17:52
"Ich möchte keinen von euch missen. Aber ich kann Lorainne wohl kaum wieder unter die Augen treten, und ich glaube, auch andere sind enttäuscht von mir. Eine Entscheidung zu treffen heißt nicht, dass sie einem gefällt. Im Gegenteil."

In ihrem Blick schien eine Art Bestätigung zu liegen, als er sie genauer ansah. Hatte sie geahnt, dass er auf lange Sicht nicht vorhatte, auf dem Hof, der nun ihm gehörte, zu bleiben? Ein saurer Bäcker backt stets saures Brot, so etwas hatte auch Yorik gesagt. So oder so, Stella hatte Vanion mit der Nase auf einen Gedanken gestoßen, den er bisher nicht wirklich bedacht hatte: Roquefort und das Rittertum waren ihm verwehrt, diese Tür hatte er selbst zu geschlagen. Doch seine Freunde mochten seine Entscheidung vielleicht verstehen.

Im Grunde verurteilte Vanion sich hart dafür, Lorainne und auch Anders im Stich gelassen zu haben. Er hatte schlicht ein schlechtes Gewissen, obwohl er sich immer und immer wieder sagte, dass es die richtige, die einzig richtige Entscheidung gewesen war. Er war geflohen, und zwar dorthin, wo er stets Sicherheit hatte und wo niemand ihn hinterfragte: zu seiner Familie. Hier hatte er ein Ziel, einen Lebenssinn.
Vanion fürchtete den Zorn eines Damian, und noch mehr den eines Gorix', wenn dieser erfahren würde, wie leichtfertig Vanion Silas' Opfer beschmutzt hatte. Zwar hatte er vor, das Opfer des Mannes aus La Follye zu ehren, so gut er konnte, doch war Vanion sehr genau klar, dass Silas' sich kaum für ihn persönlich oder für irgendwelche obskuren Heldentaten in der Zukunft geopfert hatte - sondern für La Follye.

Ich wäre wahrhaftig für sie gestorben. Doch für sie töten, das konnte ich nicht.

"Ich möchte keinen Strich unter mein früheres Leben ziehen. Ich habe so vielen von euch so Vieles zu verdanken. Wir haben gemeinsam so viel erreicht in den letzten Jahren, nicht nur im Kleinen, auch im Großen! Darunter kann ich keinen Schlussstrich ziehen, selbst wenn ich wollte. Ich bin kein dämlicher Barde, der Freibeuter werden möchte, nein. Ich hab einfach Angst davor, dass ihr alle mich nun als Feigling anseht. Als jemanden, der seine Eide bricht."
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Sandra am 22. Jul 15, 13:26
"Gut, dann hätten wir das ja geklärt. Wie andere durch diese Handlung auf dich reagieren werden, wirst du wohl selbst herausfinden müssen - oder diese Frage unbeantwortet lassen indem du ihnen aus dem Weg gehst."

Einen Moment hielt sie die Luft an nachdem sie den Mund zum weiter sprechen geöffnet hatte und sah Vanion an bevor sie ihn kurz und knapp fragte:

"Bier?"
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Vanion am 22. Jul 15, 17:30
"Nein, danke." Er schmunzelte.

Die beiden plauderten noch eine Weile, und Stella verabschiedete sich.

_________________________________

Am nächsten Morgen kreiste ein ungewöhnlicher Vogel über dem Hof. Möwen zu dieser Jahreszeit soweit im Inland waren doch eher selten. Aber die Möwe schien genau dorthin zu wollen. Vanion hatte nie gesehen, wie Anders Briefe von Lyra bekam, doch hätte er das mitbekommen, hätte er den Vogel wohl erkannt. Denn es war die gleiche Möwe, die auch immer Anders ihre Post gebracht hat.

Als Vanion erwachte, stolzierte besagte Möwe am Fußende seines Bettes herum. Eine kleine Kapsel war an ihrem Bein befestigt, und als er diese vorsichtig öffnete, kam ein kompliziert, klein gefaltetes Stück Pergament zum Vorschein. Mit einem Krächzen erhob sich die Möwe wieder in die Luft und flog aus dem Fenster.
Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Vanion am 27. Jul 15, 15:06
Ein zusammengeknülltes Stück Pergament landete im Feuer. Das trockene Futter ließ die Flammen auflodern, und die grüne Tinte wurde schwarz und unleserlich.

Silas hat dein Leben für dich gegeben, weil er an dich geglaubt hat.

Auch, wenn du nicht mordest und vergewaltigst, so zeigst du dich nicht besser als dein Onkel.

Du verrätst Leute, die dir gefolgt sind, weil sie an dich glauben. Was glaubst du, wie es Anders jetzt geht? Hast vermutlich vergessen, auch nur an sie zu denken. Du nennst sie Familie. Du wärst ihr zumindest einen Abschied schuldig gewesen. Eine Erklärung.

Die erste Seite war nichts als eine Anklage, pure Bitterkeit und Enttäuschung. Die zweite Seite hielt Vanion nun in seiner Hand. Die Finger krallten sich in das Pergament, sie zitterten.

Auch die Führung eures Hofes ist wichtig und eine ehrenvolle Aufgabe. Ohne Bauern würden wir alle Hungern..

Wie alt ist deine Tochter jetzt? Drei Jahre? Ein Alter, in dem ein Kind anfängt zu verstehen, wer sein Vater ist. Ein Alter, in dem es anfängt, seinen Vater wirklich zu brauchen.

Aber macht dich dieses Leben wirklich zufrieden?


Titel: Re: Einwände
Beitrag von: Vanion am 27. Jul 15, 18:41
Der Tag war grade erst angebrochen, aber er fühlte sich dennoch ausgelaugt. Lyras Worte waren harsch und direkt. Seit einer guten Stunde saß er nun in der Küche vor dem Kamin, und das Feuer war ausgebrannt. "Vorwurfsvoll" war ein freundliches Wort für diesen Brief. Fast musste er Lyra komplimentieren: sie hatte mit voller Wucht zugeschlagen, nur um ihm dann verbal hoch zu helfen. Doch die Hand, die sie ihm gereicht hatte, war schlüpfrig: erst schalt sie ihn für das, was er getan hatte, und dann wünschte sie ihm alles Gute für den Weg, den er nun beschritt?

Und das Ende dieses Briefes erst. Ein Angebot, wie es deutlicher nicht sein konnte. Es gab einen Ritter, der ihn in seine Dienste aufnehmen würde. Vanion hatte sich diesen Weg versagt. Wie konnte jemand, der einen Eid verriet, einen zweiten schwören und hoffen, diesen Eid zu halten? Man mochte es drehen und wenden, wie man wollte - Vanions Gründe, Lorainne zu verlassen, mochten gerechtfertigt sein, doch die Tat selbst wurde dadurch nicht besser. Doch dieser Ritter schien bereit, darüber hinweg zu sehen, so versprachen es zumindest die letzten Zeilen.

Ein saurer Bäcker backt immer saure Brötchen.

Durch das Fenster zum Innenhof drangen glockenhelle Kinderstimmen herein. Hier war sein Platz, oder etwa nicht? Vanion gab sich keinen Illusionen hin: er hatte hier einen Platz, ja - aber wenn er nicht hier wäre, würde es niemandem schlechter gehen. Seine Schwestern waren teils verheiratet (und so manche packte härter an als der Ehemann), und seine Mutter würde den Hof schon in Schuss halten. Seine Tochter wäre in liebevollen Händen, und er wäre ja nicht aus der Welt.

Ich fühle mich wie in einem Kreis gefangen! Dreh dich, dreh dich, dreh dich... Es war, als sei er wieder am Beginn seines Weges. Die Familie verlassen, um hehre Ziele zu verfolgen? Es gab doch Ehre in der Welt! Und er, Vanion Bachlauf, war ein Ehrenmann gewesen. Wenn er eines gelernt hatte, dann doch, dass man kein Ritter zu sein brauchte, um das Richtige in der Welt zu tun. Warum jetzt damit aufhören? Er konnte den Göttern und dem Eid, den er geleistet und gebrochen hatte, immer noch treu bleiben. Er konnte Silas' Opfer ehren. Alle Wege standen ihm offen, allein der Weg nach Caldrien nicht. Mochten einige seiner Freunde ihn nun verachten, andere würden zu ihm stehen!

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In den nächsten Wochen arbeitete Vanion härter als zuvor. Doch während die Qualität seiner Arbeit zu nahm, nahm die Quantität ab. Immer öfters ließ er andere die harte Arbeit tun, stellte sogar zwei Tagelöhner ein, um bei der Weizenernte zu helfen. Und dann, an einem späten Samstagabend, versammelte er seine Familie um sich. Die Menschen, die er liebte, und die in den letzten Jahren viel für ihn durchgemacht hatten. Ruhig erklärte er ihnen, dass es ihn fortzog. Dass der Hof in guten Händen war, niemand musste sich Sorgen um seine Existenz machen - und seine Familie umarmte ihn herzlich und wünschte ihm alles Gute. Er hatte sich selbst überflüssig gemacht in den letzten Monaten, fast schon unbewusst.

Am nächsten Morgen ritt er in die aufgehende Sonne hinein. An seinem Sattel hing seine Bardike - scharf geschliffen, mit einem gänzlich neuen Schaft aus schwerem, dunklen Eichenholz. Ein gelb-blaues Bändchen baumelte daran, direkt neben einem geflochtenen Knoten aus bunten, dicken Fäden.