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Hier und dort: In Engonien und außerhalb des Kaiserreiches => Geschichten und Gespräche => Thema gestartet von: Simon de Bourvis am 18. Mai 16, 20:53

Titel: Stand der Gnade
Beitrag von: Simon de Bourvis am 18. Mai 16, 20:53
"...könnt ihr doch nicht einfach..."
"Genug!"
Die fein modulierte und doch herrische Stimme brachte Vanion wieder zur Besinnung. Um ihn herum waren leise Gespräche von mehreren Stimmen zu hören, doch diese eine war schneidend.

Sein Kopf war umgeben von muffigem halbdunkel, es brauchte nicht lange um herauszufinden, dass man ihn nach guter firngarder Sitte mit einem Sack auf dem Kopf auf den Boden platziert hatte.

"Weder meine Motive noch meine Entscheidungen bedürfen Eure Aufmerksamkeit! Ich bin Baron von Alamars Gnaden!" fuhr die Stimme fort.

"Wenn Euer Gnaden mir nur einen Augenblick..."

"Nichts dergleichen gedenke ich zu tun. Ich bin umgeben von ausreichend Vertrauten und Ratgebern. Mein Vater mag Euch geschätzt haben. Doch ich konnte bisher wenig erkennen, was meiner Aufmerksamkeit wert sein könnte.
So Ihr in Zukunft weniger den Göttern nachjagt oder an anderen Höfen Euch verlustiert, so mag Eure Stimme in dieser Runde wieder Gehör finden.
Ihr dürft Euch entfernen."

Einen Moment herrschte Stille, dann entfernten sich Schritte und es schloss sich erwartungsvolles Murmeln an.

"Weckt ihn auf." Die Stimme erweckte den Eindruck milden Interesses.

Die Stiefel die daraufhin Vanions Rippen traktierten waren weniger mild.




Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Vanion am 18. Mai 16, 21:11
Der Stiefel tat weh. Sein Kopf tat weh. Und dann erfasste ihn Panik - er hatte die Augen geöffnet und sah immer noch nichts - außer Dunkelheit.
Dann realisierte er, dass sein Kopf in einem Sack steckte, griff danach - und stellte fest, dass seine Hände gefesselt waren. Was war geschehen?
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Simon de Bourvis am 18. Mai 16, 21:14
"Er ist wach, Euer Gnaden." knurrte jemand schräg über ihm.

"Gut, gut. Vanion Bachlauf nehme ich an?" Überhebliche Amüsiertheit mit einem kalten Unterton.
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Vanion am 18. Mai 16, 21:25
"Vanion de Roquefort", knurrte Vanion trotzig. Dann schalt er sich selbst für seine Dummheit - aber andererseits, wer immer ihn da gefangen genommen hatte, war ein caldrischer Adliger. Und bei denen hatte er ohnehin keinen guten Stand.

"Vanion de Roquefort bin ich", wiederholte er. "Sohn Baraque de Roqueforts, Bastard des alten Roquefort."
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Simon de Bourvis am 18. Mai 16, 21:35
"Ah, gleich zum Punkt, ohne Feilschen, das ist erfreulich."

Höfliches Gelächter in der Runde um ihn.

"Sich durch Lüge den Stand derer anzueignen, die nicht Deinesgleichen sind, zieht in diesen Landen Strafe nach sich.
Nein, wartet noch, wir wollen noch ein wenig mehr hören."

 Das letzte schien Jemandem hinter Vanion zu gelten.
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Vanion am 18. Mai 16, 21:47
Der letzte Satz verwirrte Vanion. Er zerrte an seinen Fesseln, aber die Seile lösten sich nicht. Im Gegenteil, er schien die Knoten nur enger zu ziehen. In ihm kochte es, und sein Zorn vermischte sich mit seiner Angst.
"Unter Meinesgleichen ist es üblich, sich von Angesicht zu Angesicht zu begegnen", zischte er. "Unter Meinesgleichen wird man nicht wie ein Verbrecher behandelt."
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Simon de Bourvis am 18. Mai 16, 22:01
"Aber das bist du doch nicht wahr? Ein Verbrecher. Ein Eidbrecher. Dafür reisst man dir die Zunge heraus und hackt dir die Schwurhand ab.
Und was deine angebliche Abstammung angeht, so hat mir La Follye bereits alles berichtet, was es zu sagen gibt.
Eine alte Geschichte.
Und keinerlei Beweise."
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Vanion am 18. Mai 16, 22:13
"Keine Geschichte! Die Wahrheit! Ich bin ein Roquefort!"
Wieder riss er an seinen Fesseln.
"Mein Eidbruch wurde mir vergeben vor dem Heiligen Alamar! Wer seid Ihr, mich hier zu richten?!"
Die Verzweiflung war deutlich aus Vanions Stimme zu hören. Er hatte Angst, Angst um sein Leben. Seine Gedanken rasten. Wer? Wer kann das sein?
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Simon de Bourvis am 18. Mai 16, 23:14
"Ja sicher, wir hörten davon.Ich werde die Entscheidung eines Flamen nicht anfechten...Wenn es in Hahnenkamp dieser Tage auch kaum noch zwei Diener Alamars gibt,die dieselbe Meinung haben."

Gelächter.

"Doch uns hier soll nur kümmern, wie mit einem zu verfahren ist, der Ansprüche erhebt, die er nicht beweisen kann."

Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Vanion am 19. Mai 16, 08:17
"Nehmt mir die Fesseln und den Sack ab."

Vanion sprach ganz ruhig. In ihm kämpften jedoch Angst und Wut miteinander. Nur eines wusste er mit Sicherheit: die Zeit des Versteckspielens war vorbei. Was immer geschehen würde, er würde es aufrecht und stolz empfangen.

"Ich bin der Erbe des alten Roquefort. Dass ich es nicht beweisen kann, tut der Wahrheit meiner Worte keinerlei Abbruch. Chevalière Lorainne hat die Umstände meiner Herkunft aufgedeckt, als sie nach Beweisen für die Unschuld ihres Vaters suchte. Ihr wollt mit mir verfahren, wie es Euch beliebt - dann nehmt mir Hand und Zunge! Oder Ihr handelt, wie ein Mann von Stand und Würden es täte: hört mich an. Behandelt mich als der Mann, der ich bin: ein Roquefort. Ein Mann, der für La Follye geblutet hat, ein Mann, der im Pilgerzug für Engonien und die Imperatorin kämpfte. Ein Mann, dessen Wort gehört wird unter Kriegern und Priestern!"
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Lorainne am 19. Mai 16, 14:24
Plötzlich erhob sich  aufgeregtes Gemurmel.
Vanion konnte die Vibration schwerer Schritte spüren, die unmittelbar neben ihm hielten. Leder knirschte und Stoff raschelte, als sich jemand verbeugte.
"Votre Grâce,  excusez- moi pour m' ingèrance, Mais ècoutez-moi, s'il vous  plaît. Ça, c' est pas d' après de la grande mère, Lavinia Tutulina. Ce ne peut pas être Le vouleur de Lavinia Admoneta."
Lorainne klang ein wenig atemlos, aber ihre Stimme war fest.
"Je me voue à Lavinia et, j' ai  charges d' âmes. Pour lui aussi."
Sie berührte ihn sacht an der Schulter und er konnte die Hitze spüren, die von ihr ausging.
Es war eine Wohltat für ihr Herz, einen Roquefort in derselben misslichen Lage zu sehen, in der sie es dereinst war. Doch das Gefühl der Rache und Genugtuung war nicht lavinia gefällig und ließ sie brennen.
Jeder Atemzug schmerzte, jedes Wort musste sie mühsam hervorpressen.
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Vanion am 19. Mai 16, 14:53
Diese hell klingende Stimme kannte er. Lorainne! Was in Szivars Höllen tut sie hier?! Nun war Vanion erst recht verwirrt. War sie von Beginn an hier gewesen? Hatte sie veranlasst, dass er hier war? Was ging hier vor? Er wagte es nicht, noch mehr zu sagen, als er gesagt hatte. Er mochte grade Gegenstand des Gespräches sein, aber es war recht eindeutig, dass Lorainne nicht zu ihm gesprochen hatte. Was ging hier vor?

Sein Magen schmerzte. Sein Kopf dröhnte. Fast war er froh über den Sack auf seinem Kopf, er verbarg sein mitgenommenes Gesicht. Er wusste nicht, ob Lorainnes Ankunft ein gutes Zeichen war oder den finalen Nagel in seinem Sarg bedeutete - doch ihre Worte ließen darauf schließen, dass sie sich zumindest nicht daran beteiligen würde, ihn zu verurteilen. Die Hand auf seiner Schulter fühlte sich warm, fast heiß an, selbst durch den Stoff seiner Tunika. So viele Eindrücke. Der muffige Jutegeruch des Sacks, seine schmerzenden Hände - das Seil schnitt ihm das Blut ab - das Pochen in seinem Schädel und der kalte, metallische Geschmack von Angst. Vanion war hilflos, völlig der Situation ausgeliefert. Machtlos.

Seine Schultern sackten zusammen, als er sich der Situation ergab, und sein Kinn sank auf seine Brust herab. Doch dann packte ihn der Stolz und die Sturheit, die seinen Vater und auch ihn stets ausgezeichnet hatte. Er würde jetzt keine Schwäche zeigen. Im Gegenteil. Was immer hier mit ihm geschehen würde, er würde es aushalten. Krieg. Eidbruch. Sippenmord. Was will man mir noch tun, was ich mir nicht selbst angetan habe?
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Simon de Bourvis am 19. Mai 16, 21:25
Eine Klinge durchtrennte die Fesseln und mit einem Ruck wurde der Sack von seinem Kopf gerissen.

"Die reverence!"

Ein Stiefel traf ihn in der Kniekehle und ein Knüppel in den Bauch.

"In meinem Lehen werde ich entscheiden, wer der rechtmäßige Erbe meines Vasallen ist! Keine dahergelaufenen Bauern, keine Priester und auch sonst niemand.
Sollte jemand begründete Ansprüche gelren machen wollen, so wäre der rechte Ort dafür mein Hof. Wer es stattdessen über einen Jahrmarkt brüllt, der zahlt mir dafür.
LaFollye! Ihr sagtet, Ihr hättet die Dokumente in Euren Händen gehalten?"
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Lorainne am 19. Mai 16, 21:40
Vernichtend sah Lorainne die Männer an, die Vanion malträtieren.  Einige kannte sie, hatte Seite an Seite mit ihnen gekämpft. Sie musste sich beherrschen, ihren Lehnsherren nicht mit derselben Verachtung anzuschauen, als sie den Blick hob.
"Oui, Votre Grâce. Das habe ich. Im Kloster unweit von Reines."
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Simon de Bourvis am 19. Mai 16, 21:46
Der Baron hob die Augenbrauen "So zart besaitet, LaFollye?"

"Wie eine Harfe!"bemerkte jemand im Hintergrund

Ungerührt fuhr der Baron fort:"Wie auch immer, Ihr seid Schriftkundig La Follye? Kennt die Handschrift Roqueforts? Könnt sein Siegel erkennen? Könnt ein gefälschtes Dokument von einem echten unterscheiden?"
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Lorainne am 19. Mai 16, 22:01
Lorainne lagen allerlei Bemerkungen auf der Zunge, dass diese Harfe aus edlerem Holz geschnitzt sei, als die meisten hier Anwesenden, doch sie ließ sich nicht beirren.
Ihre Hand ballte eine Faust und wollte schon den Handschuh ziehen, doch sie unterdrückte diesen Impuls.
"Nein, Euer Gnaden. Ich bezweifle, dass ich eine gute Fälschung von dem Originaldokument unterscheiden kann. Ich bin kein Scriptor,  nur ein einfacher Ritter im Dienste Lavinias."
Es war ihr anzumerken, dass sie lieber etwas anderes gesagt hätte.
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Simon de Bourvis am 19. Mai 16, 22:07
"Oh, nun Vanion Bachlauf, von MIR wirst du in  Roquefort nicht als Erbe eingesetzt.
Du kannst natürlich an ein Standesgericht appelieren, aber wenn LaFollye hier das beste ist, was du vorbringen kannst, so wird auch das nichts nützen." Spöttelte Blanchefleur. Er schien das zu geniessen.
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Lorainne am 19. Mai 16, 22:17
Lavinia lehrte sie Demut. Sie nahm seinen Spott mit einer angedeuteten Verbeugung entgegen.
Er war Politiker durch und durch, dass wusste sie seit langem.
Und auch Vanion hätte es wissen müssen.
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Vanion am 19. Mai 16, 22:51
Still nahm Vanion die Schläge hin, die ihn in die Knie zwangen. Sein Gesicht war steinern, unbewegt, einzig die Augen kniff er ob der plötzlichen Helligkeit zusammen.
Ihm war nun klar, worum es ging. Vanion Bachlauf. Blanchefleur. Roquefort.

Er hob zu sprechen an.
"Mein Anspruch auf Roquefort besteht, und das wisst Ihr nur zu gut."
Seine Stimme klang leise, rau. Erschöpft.
"Savaric mag vieles vernichtet haben. Doch gewiss nicht alles. Es gibt Zeugen. Männer, die wissen, dass nicht nur Savaric vor Jahren legitimiert wurde, sondern auch sein älterer Bruder, Baraque."

Nun erst hob der ehemalige Knappe den Kopf. Er sah Lorainne direkt in die Augen und wählte seine Worte mit Bedacht.
"Ihr werft mir vor, zu Unrecht den Namen Roquefort zu tragen? Ihr wollt hier über mich richten, mir Hand und Zunge abschlagen lassen, vor einer Ritterin Lavinias?"

Mühsam quälte Vanion sich auf die Beine, und endlich sah er Blanchefleur an.

"Im Stammbaum von Roquefort werdet Ihr gewiss meinen Vater finden. In Eurem Lehen bleibt Recht, was Recht ist, n'est-ce pas?" Sein Tonfall war bitter und troff vor Ironie.
"So schickt nach Flamen Magnus Solis Alamariani Damian, dem Sohn des Grafen von Voranenburg! Gewiss habt Ihr von ihm gehört. Eure Männer haben mich aus seiner Gesellschaft ...fortgebeten, mit Nachdruck. Gewiss wäre er bereit, einen näheren Blick auf meine ..Abstammung zu werfen. Wollt Ihr ihm gegenüber genauso freundlich und zuvorkommend sein wie mir gegenüber?"
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Isabeau Lioncoeur am 19. Mai 16, 23:42
"Contenance."
ermahnte eine ruhige Stimme hinter Vanion.
"Ma Cousin, ihr habt es nicht nötig euch auf sein Niveau zu begeben."
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Simon de Bourvis am 23. Mai 16, 21:31
Blanchefleur lächelte kühl.
"Danke, liebe Tante. Wie stehts ist euer Rat so willkommen wie hilfreich.
So wollen wir mit Lavinia Tutulinas Hilfe Vanions Herz zu seinem eignen Schutze mit Güte erweichen."

Ein scharfer Blick erstickte aufkeimendes Gelächter.

"Mein lieber Junge, es existiert kein Baraque im Stammbaum, es gibt kein Schriftstück, dass Deine Behauptung stützt, weder bezüglich Deines Standes, noch den Zweifel an Savarics!
Doch sicher steht es Dir frei Zeugen zu suchen und vor Gericht zu ziehen.
Dort kannst Du dann mannhaft deinen Streit führen...gegen ein vierjähriges Mädchen.
Dort lässt du Deine Zeugen aufmarschieren. Und welch ein Anblick das sein wird.
Brabbelnde alte Ammen und Greise, die sich kaum auf den eigenen Namen besinnen können, vielleicht noch zwielichtige Gestalten aus Savarics Gefolge, denen die Unredlichkeit aus den Augen spricht.
Die sollen dann nicht nur beweisen, dass Du vom alten Roquefort abstammst, sondern auch die Familie und den Namen eines Waisenmädchens in den Schmutz ziehen.
Aber dann wird es noch besser, denn dann lässt Du Deine Freunde als Leumundszeugen rufen!
Priester aus Hahnekamp, die sich mit ihren Brüdern die Schädel einschlagen, Magier, Tangaraner, Wilde!
Und die zeigen uns dann, wer genau Vanion ist, jedes kleine Detail!"

Der Baron erhob sich und lief auf und ab, die Rede eines Advocaten vor Gericht imitierend.

"Vanion, geboren und erzogen als Bauer.
Vanion, der Trunkenbold.
Vanion, der Frauenheld und Hurenbock.
Vanion, Vater eines Bastards.
Vanion, Freund von Seeräubern und zwielichtiger Gestalten.
Vanion, angeklagt als Mörder.
Vanion, valkensteiner Straflegionär.
Vanion, Eidbrecher.
Vanion, unsteter Gesell, nie lange am selben Ort."

Der Baron hielt inne und sah Vanion in die Augen.

"Wird das reichen, um das Mündel eines Ritters der Königin zu schlagen?"

Er drehte sich um und nahm wieder Platz.

"Nein mein Junge. wird es nicht."

Er seufzte. Jetzt klang er fast mitfühlend, unmöglich zu sagen, ob es gespielt war oder nicht.

"Ich mache Dir ein einmaliges Angebot.
Ich will es glauben.
Ich werde Dich hier und jetzt vor Zeugen anerkennen, als Vanion aus Roquefort, Bastard des Bastardes des alten Roquefort.
Im Gegenzug erklärst DU hier und jetzt vor Zeugen, dass es keine Beweise für einen Zweifel an der Abstammung von Leah de Roquefort gibt und Du ihren Erbanspruch nicht in Frage stellst."
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Lorainne am 23. Mai 16, 22:26
Ein tangarianischer Bauer, der das Interesse firngardischen Adels auf sich gezogen hatte.
Lorainne fühlte sich unwohl in Ihrer Haut. Gefühle schienen gegeneinander anzukämpfen. 
Einerseits Rache an den Roqueforts und an Vanion für seinen Einbruch.  Doch dafür hatte er ihr Leben gerettet,  als sie bereit gewesen war zu vergeben.
Jetzt musste sie ihm vergeben und das war die schwerste Prüfung, die Lavinia ihr auferlegt hatte.
Denn Vanion hatte nicht nur den Stand verraten, den er als Knappe innehatte.  Er hatte auch die Freundschaft verraten- und nur deswegen war Lorainne s Herz noch voleer Groll.
Zugleich hatte sie schreckliche Angst, dass er tatsächlich Anspruch auf Roquefort erheben könnte- und damit die Zukunft von einem kleinem Mädchen,  das sie mit auf die Welt geholt hatte, dass eine Weile ihr Mündel gewesen war, dass sie -trotz ihrer Abstammung- lieb gewonnen hatte, gefährden würde.

Bei der Aufzählung Vanions Untaten hielt sie die Luft an. Es war soviel. Und über alles hatte sie hinweggesehen. Um der Freundschaft Willen. 
Wie gern hätte sie sich einfach entfernt.
Doch das war ihr nicht erlaubt. So blieb ihr nur ein stilles Gebet zu den Göttern, als Sue glaubte, den Baron durchschaut zu haben.
Dieser Handel, den er vorschlug.
Es gibt ihm nicht um Vanion. Der war ihm völlig gleichgültig. Er war nur ein Tangarianer,  maximal ein notwendiges Übel.
Es ging ihm um ein firngardischen kleines Mädchen. Das er beschützen musste, weil es niemanden mehr hatte. Für dessen Zukunft er sorgen musste.
Erleichterung und Dankbarkeit durchfluteten sie und sie entspannte sich merklich.
Insgeheim schickte sie ein Gebet an Lavinia Placatio und betete, dass auch Sie einst fähig sein würde, sich mit Vanion ohne Bedingungen zu versöhnen.

Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Vanion am 23. Mai 16, 23:40
Mit gesenktem Kopf rieb Vanion seine tauben Hände aneinander. Sie prickelten, als langsam wieder Blut hineinlief.
Die Worte Blanchefleurs trafen tief. Widerwillig musste Vanion sich eingestehen, dass Blanchefleur gradezu meisterhaft auf der Klaviatur seiner Vergangenheit spielte, während er zeitgleich Vanions Anspruch so erscheinen ließ, als würde er allein auf Kosten Leahs durchgesetzt werden - und als wäre ebendies Vanions Absicht.

Doch dann kannst du mannhaft deinen Streit führen....gegen ein vierjähriges Mädchen.

Seine Augen suchten nach Lorainne, doch sie schien seinem Blick auszuweichen. Vor einem Jahr noch war er ihr so nah gewesen. Sie hatte sich ihm anvertraut, ihn als Roquefort akzeptiert. Und nun waren nichts als Scherben übrig. Sein Blick wanderte weiter, über die Männer des Barons hin zu dem harten, verschlossenen Gesicht der Isabeau de Lioncoer. Vor nicht ganz einem Jahr war es gewesen, als er seine Schwüre bekräftigt hatte, und dann hatte es keinen Monat gedauert, bis er alles in den Wind geschlagen hatte. Worte.. Worte sind Wind. Taten, darauf kommt es an.

Und mit diesem Gedanken fasste er wieder Mut.

"Vanion, der Bauer aus Tangara, war es, der in den Krieg gegen Barad Konar zog und Seite an Seite mit den Männern aus Bourvis focht."
Tief holte er Luft.
"Vanion, der Trunkenbold, war es, der nach Ahrnburgs Fall beschloss, ein Pilger zu werden, anstatt den einfachen wie feigen Weg auf's Meer zu nehmen.
Vanion, der Frauenheld und Hurenbock, war es, der half, eine Edle Goldbachs von ihrem ewig währenden Leid zu erlösen."
Sein Blick auf die Baronin war streng und unerbittlich, aber ohne Feindschaft.
"Vanion, Vater eines Bastards, war es, der seine Rittermutter anflehte, Leah nicht gegen ihren Vater einzusetzen!
Vanion, angeklagt als Mörder, gezeichnet durch Valkenstein, war es, der fast zwei Jahre lang nach Lorainne suchte, als sie entführt war, und der sie am Ende fand!
Vanion, der das Vertrauen eines Flamen Magnus besitzt, war es, der die Gebeine der Flamina Agathe barg und den Tempeln Alamars übergab!

...Vanion, der Eidbrecher."

Nun schwieg er. Es war leicht, seine Sünden gegen seine guten Taten aufzuwiegen. Doch war all das nichts als Geplänkel, wie das langsame Abtasten zweier Krieger im Kampf, gewesen. Nun galt es.

"Vanion, der Eidbrecher. Der Feigling, der bei Nacht und Nebel fortlief. Der Ehre, Eide und Freunde betrog, weil er nicht den Mumm hatte, seinen eigenen Onkel zu töten. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ich hier vor Euch stehe, Euer Gnaden, weil ich Anspruch auf das Erbe erhebe, welches mein Leben als Knappe beendete.

Vanion, der Feigling, kehrte zurück, als Lorainne in höchster Not in ihrem Blute lag. Vanion, der Eidbrecher war es, der am Ende die Klinge Savarics in seine eigene Kehle rammte. Vanion, der Ehrlose, hatte nichts zu gewinnen durch diese Tat. Gegen Alamar hatte Vanion sich versündigt, und nun zog er durch einen Sippenmord den heiligen Zorn Lavinias auf sich. Doch damit wurde La Follye gewonnen. Nicht alleine dadurch, gewiss, doch was wäre La Follye ohne eine La Follye? Dort würde nun der Hirsch auf den Bannern wehen, und Savaric würde weiter mit dem Täuscher paktieren. Der Eidbruch mag damit nicht fortgewaschen sein, doch ich tat, was ich tat, ohne einen Gedanken auf Ruhm oder Gewinn. Ich tat es, weil ich meine Freunde, meine - Familie schützen wollte."

Endlich sah er Blanchefleur an.
"Ich flehe Euch an, Euer Gnaden: Glaubt mir, dass ich Leah kein Haar krümmen möchte! Sie ist meine Cousine, und sie ist das Unschuldigste und Reinste, was auf Roquefort zu finden ist! Doch möchte ich genausowenig mein Erbe verleugnen. Vanion Bachlauf gibt es nicht länger, und ich habe es als letzter von allen erkannt - doch ich habe es erkannt."
Seine Stimme zitterte.
"Wenn Ihr mich als Bastard aus Roquefort anerkennt, mit allen Folgen und Implikationen, und mir Euer Wort gebt, dass an den Feuern Roqueforts stets ein Platz für mich ist - so will ich verzichten auf Lehen und Erbe."

Es tat weh. Vier, fünf Jahre hatte er gekämpft - und nun entglitt ihm der Lohn. Doch er hatte die Götter erzürnt, und dies war gewiss Teil ihrer Strafe.

"Allein eine Bitte möchte ich äußern, so Euer Gnaden es mir gestatten."
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Isabeau Lioncoeur am 24. Mai 16, 20:30
Die Baronin lächelte Blanchfleur nachsichtig an, so wie man ein kleines, trotziges Kind anlächelte welches mit dem Fuß aufstampfte.
Sie enthielt sich jedweden Kommentars und machte sich eine geistige Notiz dafür zu sorgen, dass seine Gerstenernte in diesem Jahr vernichtend ausfallen würde.
Mal sehen ob seine Tante gut genug für einen Kredit ist...

Sie hörte ruhig zu und bedachte Vanion mit einem vernichtenden Blick als er das Wort an sie richtete.
Wenn es nach ihr ging würde er am nächsten Baum aufgeknüpft werden und damit wäre die Sache endgültig beendet.
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Simon de Bourvis am 24. Mai 16, 21:42
Blanchefleur klatschte in die Hände.
"Wie schön, dass wir uns einig sind! So lass uns deine Bitte hören, niemand soll sagen, ein Bittsteller habe an meinem Hofe kein Gehör gefunden."
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Vanion am 24. Mai 16, 22:04
"Wenn ich ein Roquefort bin, so ist es auch meine Tochter. Lasst sie an Leahs Seite aufwachsen. Sie sind beinahe im gleichen Alter, und sie soll als Caldrierin aufwachsen. Mein Vater hätte sich das gewünscht. Und wenn ich einen Platz auf Roquefort habe, so soll auch sie einen haben."

Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Lorainne am 24. Mai 16, 22:37
Ein wenig dezentes Räuspen lenkte die Aufmerksamkeit auf Lorainne.
"Votre Grâce, Leah de Roquefort befindet sich nicht auf Roquefort.  Sie iSt,  wie ihr verlangt habt, nicht mehr mein Mündel. Simon de Bourvis wird sie mit nach Bourvis nehmen und erziehen."
Sie trat einen Schritt nach vorn und fuhr fort:"ich möchte einen Vorschlag machen, wenn Euer Gnaden erlauben."
Das Schweigen Blanchefleurs deutete sie als Zustimmung, auch wenn er nicht erfreut schien, über ihre erneute Einmischung.
"Sie ist der Bastard eines Bastards und hat bisher wenig bis gar keine caldrische Erziehung genossen. Und nahe Reines gibt es die beste Institution, um ihr eben jene Erziehung angedeihen zu lassen. Die kleine Jeanne", Lorainne klang beinahe liebevoll,"ist in dem Kloster zur Welt gekommen, hat dort eine Weile gelebt, bevor sie mit ihrer Familie nach Tangara ging. Dort wird sie sich wohlfühlen und die Nonnen werden sie sicher gerne im Namen Lavinia Rezeptas aufnehmen. "
Nun blickte sie Vanion an.
"Das gibt ihr zwar noch keine besondere Stellung, aber sie ist auch noch jung. Sie wird dort auf eine mögliche Stellung als eine Roquefort und so Lavinia Genetrix ihrer Gnädig ist und Euer Gnaden sie anerkennen mögen, als Leahs Erbin vorbereitet.
In ein paar Jahren können Euer Gnaden eine Entscheidung treffen,  je nachdem, wie ihr die Erziehung angedeihen ist."
Lorainnes Blick wanderte wieder zu Blanchefleur.
Sein Schweigen konnte Alles bedeuten.
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Vanion am 24. Mai 16, 22:48
Vanion ließ sich Lorainnes Worte durch den Kopf gehen, und bedächtig nickte er. Ihr Vorschlag war gut, er brachte Jeanne eine gewisse Bildung, und auch Sicherheit. Und wer wusste schon, was sich zwischen den beiden entwickeln würde. Er schwieg jedoch. Auf Blanchefleur kam es nun an.
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Simon de Bourvis am 25. Mai 16, 22:49
Der Baron rieb sich nachdenklich das Kinn:" Ja, das ist akzeptabel, in ein paar Jahren wird sich zeigen, ob das Mädchen für eine Zukunft als Novizin geeignet ist, oder ob wir einen passenden Gatten suchen...
Oder sie folgt in Euren Fußstapfen, LaFollye."
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Lorainne am 26. Mai 16, 09:48
"Alors,  da wäre sie nicht die erste. Wenn sich Leah de Roquefort weiterhin so hervortut,  bildet Bourvis sie sicher noch aus."
Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen.
"Dafür scheint er ein Händchen zu haben, wenn auch eine harte."
Angriffslustig bedachte sie die Übringen Anwesenden mit einem Seitenblick.
Und diesen Wölfen wollte Vanion seine Tochter zum Fraß vorwerfen.
Auch wenn Ihre Abstammung kein Problem darstellte, das Verhalten des Vaters würde noch sehr lange für Gerede sorgen. Und kein Kind sollte hören,  wenn über seine Eltern schlecht geredet würde.
Bevor die kleine Jeanne das Land ihrer Ahnen kennenlernen konnte, musste Gras über die Sache wachsen.
Lorainne hoffte,  dass Vanion ihre Absicht dahinter erkennen und Sue nicht verdächtigen würde,  dass sie sich an ihm rächen wollte.
Nachdenklich schaute sie ihren ehemaligen Knappen an.

Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Simon de Bourvis am 26. Mai 16, 17:39
"Wir wollen aber ihren Namen unerwähnt lassen, sowohl "Bachlauf" wie auch "Roquefort" mögen ihr mehr schaden als nützen.
Die Mutter Oberin wird es verstehen und ihren Namen für sich behalten."
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Vanion am 26. Mai 16, 22:53
Unwillkürlich empfand Vanion Bewunderung für Lorainnes Geschick.
Seine Tochter an Leahs Seite zu bestellen war eine Gratwanderung, die nicht ungefährlich war. So war Jeanne in direkter Reichweite eines jeden Caldriers, der ihm ernsthaft schaden wollte. Doch genauso war sie unter dem Schutz Lorainnes - und Simons. Und wenn Blanchefleur soviel an Leah lag, dann war er gewiss niemand, der Kindern etwas antun würde. Jeanne war hier oben sicher, und es war letztendlich die Heimat ihrer Ahnen, und hier gehörte sie hin.

Sie jedoch ins Kloster zu schicken, sie unter den Schutz Lavinias zu stellen, war ein zweischneidiges Schwert. Gewiss würden Diener der Göttin niemals etwas tun, was zum Schaden seiner Tochter führen würde. Doch andererseits - was, wenn sie den Weg Lavinias wählte? Was, wenn Jeanne sich dazu entscheiden würde, in dem Kloster zu bleiben und zu dienen? Wieder erinnerte sich Vanion daran, dass er seit Savarics Tod nicht mehr zu Lavinia gebetet hatte. Er war fest davon überzeugt, dass die Mutter ihn verstoßen hatte für seine Tat. Vielleicht ist das der Wille Lavinias, dachte er. Ich gebe meine Tochter in die Hand der Göttin, sie sorgt für meine Tochter, wie sie nie wieder für mich sorgen wird. Denn ihre Hand und ihre Gnade habe ich verwirkt.

So musste es gewiss sein, dachte er. Das war die letzte Gnade, die Lavinia ihm erwiesen hatte. Sie würde über seine Tochter wachen.

"Es möge so sein, wie die Chevalière Lorainne es vorschlägt, Euer Gnaden. Lasst Jeanne im Kloster aufwachsen. Den Namen Bachlauf soll sie niemals führen, denn es ist nicht der Ihre. Ich werde beten, dass Jeanne und Leah durch eine innige Freundschaft von Kindesbeinen an verbunden werden - als Freunde, und als Verwandte."
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Lorainne am 27. Mai 16, 06:19
"Ich werde sie persönlich ins Kloster bringen, so Euer Gnaden es wünschen."
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Isabeau Lioncoeur am 27. Mai 16, 16:54
"Da ich mich eh auf dem Weg nach Norden befinde kann Chevalier Lorainne und das Kind mit mir reisen. Ich werde in Donnerheim halt machen um bei Hofe zu berichten. Da wird es die Möglichkeit geben alles notwendige zu besorgen."
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Vanion am 01. Jun 16, 12:35
So sollte es also sein.

Blanchefleur und Goldbach. Lorainne. Ein Bauer.

So viele Parteien waren hier, so viele unterschiedliche Beweggründe prallten aufeinander. Innerlich dankte Vanion den Göttern für das Glück, das ihm zuteil wurde, während er gleichzeitig fieberhaft zu ergründen und zu verstehen versuchte, was hier grade geschah - und welche Tragweite die Ereignisse hatten.

Blanchefleur schien es vor allem um den Frieden zwischen Roquefort und La Follye zu gehen. Er konnte gewiss keinen Bastard brauchen, der einen Anspruch auf Roquefort durchzusetzen versuchte. Vanion besaß keine Macht, die über die Kraft seiner Hände hinaus ging, aber es fiel dem Krieger schwer, einzuschätzen, ob Blanchefleur das klar war. Was also waren seine Motive? Es schien ihm um Leah zu gehen, Savarics Tochter. Das einzige wirklich unschuldige und unbefleckte Familienmitglied der Roqueforts - neben Vanions eigener Tochter.

Wenn Leah erst auf Roquefort herrscht, hat sie alles, was sie braucht, um das Lehen zu führen. Starken Beistand durch Blanchefleur, durch ihren Oheim Simon, und dadurch gewiss auch durch Lorainne. Und Lorainne ist als Mündel Goldbachs aufgewachsen. Das wiederum sorgte dafür, dass die Isabeau Lionceur sich wahrscheinlich nicht gegen Roquefort und auch nicht gegen Blanchefleur stellen würde. Vanion mochte sich täuschen, doch schienen Blanchefleur und Goldbach nicht grade in inniger Freundschaft miteinander verbunden zu sein.

Also doch kein Mitgefühl und keine Sorge, sondern harte Politik des Barons? Oder doch eine Mischung aus beidem? Noch blieb ihm die Antwort auf dieses Rätsel verborgen.

Seine eigene Tochter würde mit Leah aufwachsen - ein Garant für den caldrischen Adel, dass Vanion nichts gegen Leahs Anspruch unternehmen würde, eine weitere Versicherung dafür, dass sein Verzicht endgültig war. Im Gegenzug erhielt er endlich den Stand, der ihm durch Geburt und Erbe zustand. Mochte er auch nur als Bastard anerkannt sein, das reichte. Er war von hoher Geburt. Jeanne würde Lesen, Schreiben und vielleicht sogar die Mathematik erlernen. Und sie könnte den Weg einer Novizin Lavinias einschlagen, vielleicht eine Nonne im Kloster werden. Ein friedliches, sicheres Leben, unbeeinflusst von den unsteten Umtrieben des Vaters. Der Preis dafür war hoch. Vanion war sich sicher, dass er Jeanne nicht mehr so oft sehen würde. Den heimischen Hof konnte er immer besuchen, dort konnte er immer soviel Zeit verbringen, wie er wollte, wenn der nicht grade durch die Welt reiste. Aber oben in Blanchefleur wäre das nicht so einfach möglich. Die Trennung würde weh tun, und gleichzeitig Ansporn für ihn sein.

Als die Baronin sprach, runzelte er die Stirn. In ihre Hände würde er seine Tochter nicht geben. Isabeau war eine sture, unbarmherzige Frau, die ungerecht über ihn geurteilt hatte. Er hatte versucht, ihr die Hand zu reichen, doch sie - und, ganz wörtlich, ihre Männer - hatte darauf gespuckt. Ihre Haltung konnte er verstehen: keinen vollen Monat vor dem Bruch seines Knappeneides hatte er ihr gegenüber seinen Eid noch bekräftigt und erneut beschworen. Und doch fühlte er sich ungerecht behandelt. Sie vergisst, dass es nie um sie ging bei dem, was geschehen ist - sondern immer um Lorainne. Mochte sie ihn doch verteufeln, ihm machte es wenig aus. Mit Goldbach verband ihn - nichts.

Respektvoll wartete er ab, bis sie ausgesprochen hatte, und in die entstandene Stille sagte er:
"Ich werde Jeanne nach Reines bringen, wenn Ihr es gestattet, Euer Gnaden. Die Reise zurück nach Tangara und wieder in den Norden mag gewiss einige Wochen Zeit beanspruchen, doch im Sommer reitet es sich leichter und schneller als im Winter."

Erwartungsvoll sah er Blanchefleur an. Mit Genugtuung bemerkte er, dass die Männer des Barons nicht mehr links und rechts von ihm standen, sondern sich respektvoll etwas zurückgezogen hatten. Zwar beäugten sie ihn nach wie vor mit Argwohn, doch schienen sie verstanden zu haben, dass es hier nicht länger darum ging, einen scheinbaren Lügner zu bestrafen.
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Simon de Bourvis am 02. Jun 16, 21:34
Scheinbar erfreut klatschte Blanchefleur in die Hände.
"Wie schön, wie schön, dann sind wir uns ja einig. Bring deine Tochter ins Kloster in wesser Gesellschaft auch immer Dir beliebt.

Nun, da wir diese unerfreuliche Sache endlich geklärt wissen, wollen wir uns angenehmeren Dingen zuwenden. Bringt meinen Narren!"

Respektvoll wurde Lorainne zu einem Sitz in der Runde geleitet, Vanion wurde an Ort und Stelle auf einen Schemel gesetzt und dann ein Becher verdünnten Weines in die Hand gedrückt.

Noch ehe Jemand Anstoss an seiner ungewöhnlichen Position in der Mitte nehmen konnte, trat ein bunt gewandeter kleiner Mann ins Rund.

"So hört, Ihr edlen Leute, wie der grosse Roderic, Bras de Fer, das heisst Arm aus Eisen, einst die grosse Südstrasse durch Blanchefleur ritt, auf der der Räuber Nachtigall sein Unwesen trieb und wo er weder Reiter noch Wanderer vorüberziehen ließ, indem er sie tötete, nicht mit Waffen, sondern mit seinem räuberischen Pfeifen. Und die Ritter der benachbarten Lehen wussten nicht weiter, wurden doch Ihre Waffenmänner, Steuereintreiber und Gefolge immer wieder Opfer des Räubers, der den Rittern ihr Lehen neidete und es gerne für sich selbst haben wollte..."

Der Narr untermalte seine Erählung mit Sprüngen und  Trillern auf einer Pfeife. Dabei bewegt er sich im Kries um Vanion herum und erzählte, die übliche Geschichte, wie Roderic den Räuber gefangen nahm und zu dessen Heim kam.

"...Der Räuber Nachtigall erblickte sie und sprach zu ihnen: »Meine lieben Schwiegersöhne, ladet keine Schande auf euch und erzürnet nicht einen so starken Ritter, damit er nicht auch euch töte. Bittet ihn lieber, daß er zu euch ins Haus komme und ein Glas Branntwein trinke.« Auf ihre Bitten kehrte Roderic, Bras de Fer,  im Palaste ein, ohne ihre Bosheit zu ahnen, denn die älteste Tochter hatte einen Ballen an Ketten über der Türe aufgezogen, um ihn zu erschlagen, wenn er durch das Tor ritte. Roderic aber erblickte sie über der Pforte, schlug sie mit seiner Lanze und tötete sie."

Die ganze Vorführung wirkte ein wenig hölzern und wenig akrobatisch, als arbeite der Narr lediglich einige Standardsprünge und Verrenkungen aus seinem Repertoire ab und stückele sie einfach zusammen.

Als habe er keine Lust oder Zeit gehabt eine angemessene Vorführung einzuüben.
Die Erzählung schlabberte den üblichen Verlauf entlang.

"...Da nahm Roderic, Bras de Fer, den König und die Königin  und befahl dem Räuber Nachtigall halblaut zu pfeifen; aber er pfiff ganz laut und betäubte alle Ritter, daß sie zu Boden stürzten. Darüber wurde Roderic, Bras de Fer, so aufgebracht, daß er sprach:
"Ein übler Gesell bist Du, Räuber Nachtigall. Viel Unglück hast Du gebracht und viele getötet, weil du Ihnen die Lehen neidest! Doch wohin hat es Dich geführt, Dich gegen die göttliche Ordnung der Welt zu stellen? Ein Lehen hast Du nicht erlangt, dein Kind ist erschlagen und zum Letzten auch Du!"
Und so erschlug Roderic den Räuber Nachtigall!"

Die letzten Verse hatte der Narr direkt zu vanion gesprochen, auf dem ebenfalls die meisten Augenpaare im Raum geruht hatten.

"Narr, du bist eine Enttäuschung!" liess sich der Baron in die Stille vernehmen.
"Zuviel unserer Kostbare Zeit haben wir mit dieser Kinderei verschwendet. Verschwinde und komm mir in der nächsten Zeit nicht unter die Augen!"

Auch seine Augen ruhten auf Vanion.

Dann löste sich die Anspannung des Momentes.

"Nun, wir wollen die Runde auflösen, viel Glück Vanion aus Roquefort, bis wir uns wiedersehen."

Blanchefleur stand auf, die "Audienz" war beendet.
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Isabeau Lioncoeur am 03. Jun 16, 07:43
Isabeau hatte einen Platz zur linken des Barons gewiesen bekommen und beobachtete das Schauspiel vor sich mit einem neutralen Gesichtsausdruck.
Als der Narr entlassen wurde, beugte sie sich leicht zu Blanchfleur und sprach leise, so dass nur er es hören konnte:
"Subtil, ma chère, subtil..." während ihre Augenbraue sich spöttisch nach oben zog.
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Vanion am 03. Jun 16, 16:54
Vanion aus Roquefort.

In diesen Worten lag - Macht. Ein tiefer, hallender Klang.

Irgendetwas in ihm bewegte sich.
Es war, als ob verschiedene Teile sich langsam, ächzend in Bewegung setzten, und ein neues Muster bildeten. Da war der Bauer. Da war der Tagedieb, der mit Marius durch die Welt gezogen war, getrunken und gefeiert und im Straßengraben übernachtet hatte. Die beiden verschwommen miteinander, und das Bild, dass sich daraus ergab, war sehr, sehr unschön.

Doch dann kam noch ein Teil von ihm dazu: der junge Mann, der stark und geschickt, aber recht einfach gestrickt war. Dessen Stolz und dessen loses Mundwerk ihn nur allzu oft in Schwierigkeiten gebracht hatte - aber dessen Geschick und dessen Glück ihn wohlbehalten durch die Wirren des Bürgerkrieges geführt hatte.

Der Junge, der in Lorainnes Dienste getreten war. Der in Schlagbaum, im Arden, in Andarra zum Mann geworden war. Der Moment, als am Ottersee die Sonne aufging, der Moment, in dem Agathes letzte Ruhestatt gefunden wurde.

Auch dieser Junge rückte an seinen Platz. Bauer, Taugenichts, Kriegsknecht - der Knappe Vanion war geboren. Und der schritt nun umher, rast- und ruhelos, auf der Suche nach seiner Rittermutter, die entführt worden war.

Auch der Knappe fügte sich ins Bild. Seine hehren Ideale und die ständigen Konflikte mit sich selbst, in denen er gestanden hatte, verflochten sich untrennbar miteinander.

Und der Eidbrecher. Und der Sippenmörder.

Vanion aus Roquefort.

Ein Mann von Stand. Mochten andere von höherer Geburt sein, ihn kümmerte es nicht. Sein Stand war anerkannt. Seine Geburt war anerkannt. Kein Caldrier, kein Adliger würde ihm dies jemals wieder nehmen können.

Die subtile Drohung Blanchefleurs durch die Erzählung des Narren nahm er hin. Deutlicher konnte der Mann nicht werden. Respektvoll verbeugte er sich vor Blanchefleur - und auch vor Goldbach. Dann wurden ihm seine Habseligkeiten, die man ihm abgenommen hatte, ausgehändigt.

Der Mann, der losstapfte, um vor die Tore Engonias zurückzukehren, war derselbe Mann, der vor fünf Jahren innerhalb dieser Stadt für ein freies Engonien gekämpft hatte - und doch war es ein ganz anderer.
Titel: Re: Stand der Gnade
Beitrag von: Lorainne am 03. Jun 16, 22:54
Ein eiskalter Schauer lief Lorainne den Rücken herunter, als sie dieser Geschichte lauschte. Sie war sicher, dass Blanchefleur diese unterschwellige Drohung wahrmachen  und die kleine Jeanne töten würde.
Ein unbedachten Schritt von Vanion... Doch er würde seine Hände nicht nach Roquefort ausstrecken. Er würde nicht noch einmal sein Wort brechen.
Vanion aus Roquefort. Anerkannte Bastard eines firngardischen Adligen. Und doch niemals so wie die Anderen.
Den Eidbruch würden sie niemals vergessen, das wog schwerer als seine tangarianischer Herkunft.
Sie würde über das kleine Mädchen wachen, ihr Schild sein, und wenn nötig, ihr Leben im Namen Lavinias mit dem Schwert verteidigen.