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Die Gebiete in Caldrien => Engonia - die einstige Kaiserstadt => Thema gestartet von: Wassilij am 26. Mai 14, 19:25

Titel: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 26. Mai 14, 19:25
Wassilij betrat eine beliebige, beinahe namenlose Taverne. Zumindest nachdem zu urteilen, was noch auf dem Schild vom Namen zu erkennen war. Er trug keine offensichtlichen Waffen und war in einfache Kleidung gewandet. Die Farben verblichen und der Stoff, nun ja, verschlissen und geflickt. Kurzum in diesem Viertel, könnte er jedermann sein. Oder eben niemand.

Es war an der Zeit gewesen, so fand er, seine alten Fähigkeiten wieder zu schulen und diese Wahl hatte er zufällig bestimmt.

Als er die Tür öffnete, schwappte ihm schon der Geruch entgegen, der Tavernen wie dieser hier anhaftete. Während er den Schankraum betrat, schaute er sich um, als ob er nach bekannten Gesichtern suchen würde und lies seine Mimik Enttäuschung zum Ausdruck bringen, als er niemanden sah. Aber das wollte er ja auch nicht. Er hatte ein wenig Dreck und Schminke verwendet, um sein Gesicht zu tarnen.

Also ab ins Gewühl. er machte sich zunächst auf den weg zur Theke und hörte nach links und rechts, ob er nicht etwas interessantes hören könnte.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 26. Mai 14, 22:49
Der Geruch nach Erbrochenem, verschüttetem Bier, Schweiß und ungewaschenen Körpern war im ganzen Raum zugegen. Während an der Tür noch ein Hauch frischer Luft das Atmen leichter machte, wurde gegen Mitte des Raumes die Luft zum Schneiden dick, da an der Rückwand ein offener Kamin qualmte. Über den Flammen blubberte irgendein undefinierbarer Eintopf vor sich hin.
Eine sehr rundliche Schankmaid mit verdreckter Schürze und einem schmuddeligem Kleid kämpfte sich mit einfachen Krügen und billigen Schalen durch die Zecher. Ihre derben Flüche und zotigen Scherze passten perfekt zum Publikum des Ladens.
Hinter der Theke zapfte der ebenfalls sehr beleibte Wirt dunkles Bier (erstaunlich reichhaltig in Duft und Geschmack), schenkte einen Schnaps aus, der einem die Tränen in die Augen trieb und scheuchte die Schankmaid herum.

An der Tür saßen an einem Tisch drei Gardisten niedrigen Ranges und maulten über irgendeine neue Order. Offenbar fühlten sie sich in dieser Umgebung sicher vor möglichen hochgestellten Ohren, denn schon bald wurde aus der Maulerei über Anordnungen feistes Gemecker über die Vorgesetzten.
"...dieser dämliche Schnösel! Wenn der miterlebt hätte, was ich schon geseh'n hab..." - "Ach, du weißt doch, wie die sind! Kaum erhebt man sie auf 'nen Posten, schon vergessen sie, wie's 'unten' war!" - "Ja, ja, es is wie bei die Hühner auffer Stange! Guckste nach unten, siehste nur Scheiße! Und guckste nach oben, siehste nur Arschlöcher!" - Gelächter...

Die Theke bot 5 Hockerplätze, von denen zwei jeweils am Tür-Ende und einer am anderen Ende besetzt waren. Die beiden Männer am vorderen Bereich diskutierten über die Preisentwicklung in Engonia ("Ich sag dir, es sind die ganzen zurückkehrenden Flüchtlinge, die die Preise kaputt machen!"), während der einzelne Mann am hinteren Thekenende sich mit dem Wirt unterhielt. Seiner Statur und der Lederschürze zufolge war er Schmied.

An einem Tisch in der Mitte des Raumes stritten sich zwei Frauen: "...und ich sag dir, die Alte bescheißt! Das waren nie im Leben 5 Ellen!" - "So'n Quatsch! Wenn du nicht auseinandergegangen wärst, wie ein Hefekloß, würde dir der Fetzen auch passen!" - "Willst du etwa sagen, ich wäre dick geworden?!?" - "Nein, ich will sagen, du bist FETT geworden!" - "DAS LASS ICH MIR VON DIR NICHT BIETEN!" - "PAH! Dann geh doch allein zu diesem Garnmacher und kauf das Zeug für deine lächerlichen Borten! Wirst ja sehen, was der dir für'n Preis macht, wenn ich nicht dabei bin!" - Gezeter

Daneben saßen vier Männer beim Würfelspiel. "...will mir seine olle Mähre verkaufen." - "Da macht ihr beide kein gutes Geschäft, an dem Vieh ist doch nix dran!" - "Na, für 'nen Sauerbraten wird's doch wohl noch reichen, oder?!" - "Da kannste auch Schuhsohlen kauen!" - "Ich denk, für's Leder und für Mähne und Schweifhaar kann ich noch was rausschlagen." - "Hast du dir das Vieh mal angeguckt? Die sieht aus, als hätt einer 'ne Ziege dran knabbern lassen!" - "Na, was soll ich denn machen? Um sie irgendwo einzustallen und fett zu füttern fehlt mir das Geld!"

Nahe dem Feuer hockten zwei ältere Männer in verlottertem Zustand und kippten einen Schnaps nach dem nächsten.
"Buah, das Zeug ist fast so schlimm, wie der Travarica von dem alten Starinski!" - "Jau, fürchterlich!" - Gelächter - "HE WIRT! NOCH EINEN!" - "BRING ZWEI!"

In der hintersten Ecke saß hinter einem Tisch, den gesamten Schankraum im Blick, ein dunkel gekleideter Mann, an dessen Seite eine dralle Schönheit lehnte, die ihm mit langen, lackierten Fingernägeln den Nacken kraulte. Die ganze Erscheinung des Mannes war um Unauffälligkeit bemüht. Sein Haar war braun und im Gesicht trug er einen Drei-Tage-Bart. Die Kleidung schien von guter Qualität; Borten und Stickereien waren kunstvoll, aber in ebenso gedeckten Farben, wie der Stoff darunter. Im krassen Gegensatz dazu war die Frau geradezu unmöglich zu übersehen: Ihr Gesicht war stark geschminkt, die lockige Haarpracht hell gefärbt. Das Mieder aus rötlich gefärbtem Leder presste ihre üppige Oberweite fast aus dem Ausschnitt ihres hellen, schulterfreien Hemdes. Goldfarbene Ohrringe, mehrere Glasperlen-Ketten um den Hals und unzählige Armreifen aus Messing klapperten bei jeder Bewegung. Unter dem Mieder präsentierte sich eine ausladende Hüfte unter Unmengen von rosa-rotem Stoff, die mit einem Tuch mit klimpernden Münzen noch hervorgehoben wurde. Der recht hoch angesetzte Rocksaum ließ den Blick auf das helle Unterkleid, verschlissene, rote Frauen-Lederstiefel mit erhöhtem Absatz und ein Stück der Unterschenkel frei.
Bemerkte die Frau, dass sie angeschaut wurde, entblößte sie in einem breiten Lächeln einen Mund voller gelber und fauler Zähne.
Etwas abseits dieses Paares stand noch ein kleiner, verschlagen wirkender Kerl mit einer breiten Narbe quer über dem Gesicht.
Auf ein fast unmerkliches Nicken des dunkel Gekleideten hin scheuchte der Wirt die Schankmaid mit einem großen Humpen schäumenden Bieres zu dessen Tisch.

Es war noch früh am Abend - ein Teil der Tische und Stühle und auch zwei Plätze an der Theke waren noch nicht besetzt.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 26. Mai 14, 23:15
Wassilij steuerte die Theka an. Hier ließ sich vieles aufschnappen. Wahrheit, Gerüchte und mehr.

Hier ließ er sich ein Bier kommen, zeterte ein wenig über den Preis und die allgemeine Stimmung in Engonia. Immer wieder sah er erwartungsvoll zur Tür, das doch seine Kumpanen endlich kommen mögen, obwohl er genau wusste, das niemand kommen würde. Er spielte die Rolle. Heinrich, genannt Hein, ein Tagelöhner auf der Suche nach Arbeit. Aber er wusste genau, dass er hier nichts finden würde. Das war die beste Tarnung. So würde ihn morgen niemand bei der Arbeit vermissen und jeder der sagte:

"Komm'se morgen nach dem Schreiner, wo ich schaffe, kriste 'n Lohn für 'n Tach!"

War am nächsten Tag der Überzeugung, Hein hätte irgendwo anders Arbeit gefunden. Geschickt schmeichelte sich Wassilij, nein, Hein hier und dort ein, in dem er völlig unscheinbar und unauffällig das ein oder andere Bier ausgab.

Die Stunden krochen dahin und Wassilij musste sich immer wieder zusammenreißen, um nicht unaufmerksam zu werden. Irgendetwas gab es sicher heraus zu finden.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 26. Mai 14, 23:50
Der Wirt war ein freundlicher Typ. Er wusste Gäste, die in Ruhe tranken ohne Ärger zu machen, durchaus zu schätzen.
"Na, Jung?!? Deine Freunde scheinen dich ja ganz schön warten zu lassen, hm?! Noch 'n Bier?"

Der Schmied an der Theke erzählte dem Wirt und 'Hein dem Tagelöhner' von dem blonden Burschen, der seit einiger Zeit beim Pferdehändler arbeitete und offenbar ein glückliches Händchen mit den Viehchern hatte.
"Seine Schwester soll ja auch ganz geschickt sein, aber der Vater lässt sie wohl nicht aus dem Haus..."

Die Gardisten an der Tür wurden zunehmend betrunkener und sangen "Mägdelein reib mir nochmal über'n Bauch..."

In der Mitte des Raumes hatten sich die beiden Frauen inzwischen wieder vertragen und lästerten einträchtig über irgendeine dritte. "Die hebt ja wohl auch für jeden die Röcke!" - "Und nachher schiebt sie wieder alles auf Lavinia. Als wenn die jemals Götterfürchtig gewesen wäre!"

Die vier Würfelspieler, von denen der eine offenbar Rossschlächter war, waren derweil in die Diskussion, wie eine korrekte Salami hergestellt würde, verstrickt.

Die alten Schnapsdrosseln krakeelten in der Zwischenzeit nach mehr Schnaps und riefen dem Wirt zu, er solle doch auch Šljivovica ausschenken, was dieser jedoch mit einer wegwerfenden Bewegung abtat.
"Ich bin Engonier! Also gibt's bei mir auch nur gutes, engonisches Gesöff!"

Zu dem seltsamen Kerl im Hintergrund kamen immer mal wieder einzelne Personen. Manche setzten oder stellten sich in die Nähe, andere sprachen kurz mit ihm und gingen wieder. Gelegentlich wurden Sachen hin- und hergereicht.

Ansonsten füllte sich die Taverne langsam mit Leuten. Viele waren einfache Zecher, die nach dem Tagwerk ein erfrischendes Bier trinken wollten. Man sprach über das Wetter, tauschte den neuesten Klatsch aus ("Haste gehört, Karl, der Sohn vom Schuster Kurt und die Küfers-Lene heiraten!") und genoss den Frieden.

Die Schankmaid hielt 'Hein' eine Schüssel mit Eintopf unter die Nase. Das Zeug hatte eine bräunliche Grundfärbung und eine pampige Konsistenz. Reste von Lauch, Zwiebeln, Rüben, Linsen und das ein oder andere Stück knorpeliges Fleisch ließen sich gerade noch so erkennen. Hier und da schwamm ein Knochen in der Mischung. Vermutlich kochte dieses Gericht schon seit Eröffnung der Taverne über dem Feuer. Und wann immer neue Zutaten verfügbar waren, kamen sie mit etwas Flüssigkeit (z.B. schal gewordenes Bier) zum Auffüllen in den Kessel.
"Willste auch 'ne Portion? Nur 3 Kupper!", fragte die rundliche Frau.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 27. Mai 14, 00:03
Wassilij feilschte mit der Frau lauthals um den Preis des Eintopfes. Letzten Endes zahlte er jedoch 3 Kupfer und einen für ein nettes Lächeln.

Šljivovica ließ ihn aufhören. Beim wirt kaufte er Schnaps und ging zu den Trinkern hinüber.

" 'N sccchhhönen N'Abend wünsch isch. Isch hör' ihr mögt Schnnn... Schnnnnaps? Isch hab hier..." Leicht torkelnd und verschwörerisch grinsend hielt er verdeckt eine Flasche Schnapps hin. "Pssccchhht... Is g'eim!" Wassilij tat, als ob er einen tiefen Zug trinken würde. in Wahrheit hielt er die Flasche mit der Zunge zu und hatte vorher im Gedränge etwas verschüttet.

"Was is'n das Slijo... Sliko... Slisauzeusch? I's gud? ka man's tringe?"

Schwer und offensichtlich betrunken lies sich Wassilij zwischen die Männer auf eine Bank fallen.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 27. Mai 14, 00:35
Der Eintopf war warm und geschmacklich undefinierbar. Immerhin; nahrhaft war die Pampe. Aber ob es dem Gesamtkunstwerk so gut tat, ständig warm gehalten zu werden? Wenn 'Hein' Glück hatte, würde sein Körper sich für diese Frechheit von Nahrung nicht rächen. Das Lächeln der Schankmaid war in jedem Fall echt gewesen, vor allem ihr freches Grinsen, als sie sich die zusätzliche Münze mit einem bedeutungsvollen Blick zum Wirt tief in den Ausschnitt steckte.

Die zwei Alten sahen ihn aus alkoholgeröteten Augen und mit schiefem Grinsen an. "Na Bursche? Dringsd wohl au' ma' gern 'n gudes Dröpfchen, wa?!", lallte der eine. Der andere machte eine weitausholende Geste auf den freien Stuhl: "Sez dich, sez dich! Was brings du denn da Feines mit, hm?"
"Aaaaalso Šljivovic... das is 'n wun'erbarer Pflaum'schnabbs! Den drinken se im Osd'n, weißte?!"
"Der alde Starinski - in der Kesselflickergasse - der brennd d'n noch na'm alten Reßepd. Kann dem res'lichen Zeug, was der da verkaufd ja nich so wirklich was abgewinn'n, aber Schnabbs?!? Das kanner!"

Unauffällig war einer der Leute des Mannes in der Ecke in Hörweite ans Feuer getreten und wärmte sich scheinbar die Hände...
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 27. Mai 14, 06:26
War ich nicht gut genug? Schoss es Wassilij durch den Kopf. Es ist zu warm um sich die Hände zu wärmen, dachte Wassilij. Vielleicht sollte ich mich später darum kümmern.
hier könnte jemand sein der aus seiner Heimat stammte. Seltsam. Sie war weit weg und Engonia nicht unbedingt das, was Leute aus seinem Volke anstrebten.

"Was, ssach's Flaumnschnnaps? Aussm Land im Ost'? Was'sn d's führ Eina?"

Wassilij behielt den näher Getretenen in den Augenwinkeln. Seine Augen erweckten wie der Rest auch das Gefühl eines Betrunkenen.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 27. Mai 14, 14:00
Der vernarbte Kerl am Feuer machte keine Anstalten, sich wegzubewegen. Offenbar hatte er den Auftrag, zu erfahren, was 'Hein' für ein Kerl war. Doch mehr als die Ohren aufzusperren, tat er nicht.

Die beiden Schnapsdrosseln erzählten 'Hein' von dem Mann, der sein Geschäft in der Kesselflickergasse hatte.
"Vlad heißder. Vlad Sch...schdarinsgi. Der vergaufda mid sei'm Sohn Leb'nsmiddl." - "Essbar'n Müll meinsde! Das Zeuch gannsde nur fress'n wennde aus den'n ihr'm Land gommsd!" - "Aba der Schnabbs is gud!" - "Jau! Der Schabbs is schbize! Aba der Alde is'n geriss'nes Wiesel! Da mussde aufbass'n! Der würd noch seine eig'ne Mudder vergauf'n!" - "Haddoch bei seiner Dochder auch nich geglabbd!" - Gelächter

An der Theke stand der Schmied auf und verabschiedete sich vom Wirt. Bevor er zur Tür hinausging, wandte er sich noch zu 'Hein': "He, Tagelöhner! Ich hab morgen den ganzen Tag Gäule vom Pferdehändler Bertram in der Schmiede und könnte noch einen gebrauchen, der mit aufhält. Vielleicht findest du ja den Weg zu mir, wenn du wieder nüchtern bist!"
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 27. Mai 14, 17:42
Wassilij nickte dem Schmied zu. "Jau, is'n Plan..."

Ein weiterer Schluck Schnaps. "Tocht... verkaufn?"
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 27. Mai 14, 18:20
Stirnrunzelnd betrachtete der Schmied nocheinmal 'Heins' Saufkumpanen und verschwand dann durch die Tür der Taverne nach draußen.


"Pah! Dasis vielleich'ne Geschischde! Gibma noch'n Schlüggchen, Bursche, gibma noch'n Schlüggchen. Dann erzähl'ch'se dir!"

Der alte Zecher grinste beglückt, als er den Schnaps runterkippte.

"Alsso. Das's ja ohnehin 'ne gomische Familie - mid ihr'm selsam'n Fraß... Die gom'n nich von hier, weisste. Der alde Senior un die Omma, die ha'm auch irg'ndso'n Gauderwelsch gefaselt. Jed'nfalls had der Vlad 'n Weib aus Engonien genomm' un die had'm 'n ganzen Haufen Kinna geworf'n. Ers'n Sohn - Mlad, der führd z'samm mid'm Alden den Lad'n - dann 'n Mädel un dann nochma' swei."

"Du has'den Idioten vergess'n! Der, wegen dem doch ma die Büddel da war'n!"

"Jau stimmd, da war au' noch 'n Dummgopf dazwisch'n. Der steigd'n Weibern nach - muss ma' aufpass'n, wenn ma 'ne Frau oder Töchter hat."

"Warum die den'nich gleich weggebrachd ham - so'n Irrer g'hörd doch hinner Schloss un' Rieg'l!"

"Aaahh was, der tut doch nix!"

"Ach ja?! Un was war damals mid'm Debben, der das Mädch'n abgestoch'n hat?"

"Das gannste doch ga'nich vergleich'n!"

Die beiden Schnapsbrüder begannen eine Diskussion über die Gefährlichkeit von geistig minderbemittelten Menschen. 'Hein' schien für den Augenblick vergessen...
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 27. Mai 14, 19:12
Wassilij hatte genug gehört. Langsam stand er torkelnd auf und verabschiedete sich von den beiden Streithähnen Stock betrunken. Sie merkten nicht mal, dass er verschwunden war und aus der Taverne torkelte. Draussen war es bereits dunkel und kaum jemand war noch auf den Straßen unterwegs, während er durch ein paar Gassen torkelte und hin und wieder an Hauswänden halt suchte, während er schwankte, wobei er nach eventuellen Verfolgern ausschau hielt.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 27. Mai 14, 19:30
Niemand folgte ihm.
Offenbar hatte die 'Überprüfung' durch den Narbengesichtigen nichts interessantes ergeben, sodass es sich nicht lohnte, den Fremden weiter zu beschatten.

Es hatte geregnet und noch standen Pfützen auf den schlammigen Straßen.
Während an einem schönen Tag die Bewohner der Häuser den Abend draußen, außerhalb ihrer verqualmten Stuben verbracht hätten, hockte man nun drinnen. Wer es sich leisten konnte, machte mit billigen Talglampen etwas Licht. Alle anderen gingen - notgedrungen - mit Einbruch der Dunkelheit ins Bett.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 29. Mai 14, 08:24
Nach ein paar Straßen bzw. Gassen, wechselte Wassilij vom betrunkenen Gang zum normalen und kratzte sich gedankenvoll am Kinn.

Kann das sein? Ein solcher "Zufall"? Er beschloss für sich dem nach zu gehen.

Die Säufer hatten doch den Namen der Gasse genannt. Das sollte wohl reichen. Aber Hein hatte ausgedient. Morgen würde jemand anderes durch Engonia gehen.

Am Vormittag stolzierte Stanislav durch die Gassen von Engonia und suchte einen kleinen Laden mit "Delikatessen" aus seiner Heimat. Der erfolglose Krieger trug abgewetzte Kleidung und ein billiges Schwert mit einem guten Bogen aus der alten Heimat. Das Pferd, der alte Klepper, folgte am Riemen und da war die Gasse mit dem Laden. Also begann das Schauspiel.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 30. Mai 14, 17:42
Es war eine heruntergekommene Gegend, in der die Unterprivilegierten Engonias lebten. Einfache Handwerker, Händler grober Waren, Bedienstete, Tagelöhner.
Auf den schlammigen Wegen sammelte sich der Unrat, magere Köter und kampferprobte Straßenkatzen suchten in den Abfällen nach Fressbarem. Kinder, oft barfuß und mit abgetragenen, vor Schmutz starrenden Kleidern, rannten umher, brüllten derbe Ausdrücke und zankten einander.
'Stanislav' wurde von ihnen argwöhnisch betrachtet, seine Waffen und das Reitpferd sorgten für große Augen, denn häufig sah man derartiges hier nicht. Pferde kamen in diesem Viertel höchstens als Zug-, Lasten- oder Schlachttiere vor.

Ein altes, lang nicht mehr nachgemaltes Schild mit traditionellen medvjedstanischen Mustern wies 'Stanislav' den Weg. Schon von draußen hörte er im Haus mit der geöffneten Türe jemanden schreien.
"...und jetzt geh mir aus den Augen und hilf deiner Mutter beim Haushalt, wie es einer Frau ansteht! Ich will von diesem Unsinn nichts mehr hören!"
Während eine Person leise schluchzend außer Hörweite verschwand, kamen schwere, wutentbrannte Schritte auf den Hauseingang zu...
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 30. Mai 14, 19:03
Wassilij schritt im stolzen Schritt der Steppenkrieger voran. Er näherte sich der Tür und voller Erstaunen rief er in medvjedstani (im dialekt der Steppe und nicht dem der Berge, woher er stammte) "Bei Llovac ich fasse es nicht! Geschwister aus der Heimat! Meine Brüder und Schwestern, lasst euch begrüßen!" Stürmisch band er das Pferd an und stürmte in den Laden.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 30. Mai 14, 22:51
Der Laden war zum Umdrehen und Rauslaufen! Es stank nach Eingeweiden, altem Fleisch, Kohlgerichten, verdorbenem Gemüse und menschlichen Ausdünstungen.
Lebensmittel verschiedenster Arten lagen zu dicht aneinander - das rohe Fleisch z.B. berührte an mehreren Stellen das Obst - vieles war nicht korrekt verpackt. Fliegen surrten umher und man konnte zu Recht davon ausgehen, dass des Nachts Ratten und anderes Ungeziefer seine Streifzüge durch die Auslage machte.
Passend hierzu waren die zwei Männer - ganz eindeutig Vater und Sohn, die sich beim Eintreten des Fremden ein breites Grinsen auf das Gesicht zauberten, das jedoch die Augen nicht erreichte.
"Dobar dan, brat", grüßte der Ältere in Medvjedstani. Seine Aussprache war undeutlich und roh, als sei er es nicht gewohnt, freundlich in dieser Sprache zu sprechen. In seinen Augen blitzte der schlecht verhehlte Argwohn und eine gute Portion Geldgier.
"Sei gegrüßt.", nickte der Jüngere kurz angebunden, während er offenbar dabei war, im Kopf 'Stanislav's Worte in die Gemeinsprache zu übersetzen.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 01. Jun 14, 08:45
Stanislav wechselte mit starkem Akzent in die Gemeinsprache.

"Wie kommt es, dass ich ausgerechnet hier auf Leute meines Volkes stoße? Und dann verkauft ihr noch gutes Essen wie in der Heimat. Sonst bekommt man hier doch nur Schweinefraß."
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 02. Jun 14, 05:48
"Mein Vater, die Götter wachen über ihn, ist hierher gekommen, als ich noch ein kleiner Junge war.", antwortete der Ältere vorsichtig ebenfalls in der Gemeinsprache. Die Tatsache, dass sein Vater dem Volk seiner Ahnen den Rücken gekehrt hatte, weil er dort für seine Ansichten verachtet worden war, sprach er nicht aus. Aber es stand offenkundig im Gesicht des Händlers geschrieben, dass er sich fragte, zu welcher "Sorte"  Medvjedstani der Fremde wohl gehörte.

Der Jüngere hingegen grinste 'Stanislav' nun mit einem kalkulierenden Ausdruck breit an.
"Ah, ein Kenner guter Kost! Wir haben frischen Riblji paprikaš da und den guten Grah vom Vortag und dazu einen wunderbaren Pelinkovac, um den Schlund aufzuräumen! Oder soll's lieber was Süßes sein? Wie wäre es mit Međimurska gibanica?"
Er drehte sich zu einer Tür, die offenbar in den hinteren, privaten Bereich des Hauses führte.
"Jabucica! Beweg deinen goldigen Arsch hierhin und bring die Gibanica her, die Großmutter gezaubert hat!", brüllte er,  nur um sich sofort wieder mit diesem schleimigen Grinsen 'Stanislav' zuzuwenden.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 02. Jun 14, 17:58
"Stanislav" ignorierte das schleimige und fasste es offensichtlich nur als Freundlichkeit auf.

"Ich nehm' das erste. danach ist immer noch Platz für Süßes!"

Stanislav wies mit einem Grinsen auf den jüngeren.

"Mein Freund, Euer Sohn ist ein besserer Geschäftsmann, als ihr es seid! Habt ihr noch mehr solcher Kinder, auf die ihr stolz sein könnt?"
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 02. Jun 14, 23:00
"Gute Wahl!", meinte der Junior zustimmend und nickte bekräftigend, bevor er sich erneut umdrehte, um ins Haus zu brüllen.

Der Senior hatte sich so wenig unter Kontrolle, dass der unwillige Gesichtsausdruck ganz offen zu sehen war.
"Klar, einen ganzen Stall voll Kinder hab ich! Aber er hier, mein Mlad, er ist der Beste! Mein Ältester! Mein ganzer Stolz..."
Offenbar hatte er noch etwas anderes sagen wollen, doch in dem Moment kam ein verheult aussehendes Mädchen - nein, eher eine junge Frau durch die Tür und versetzte dem düsteren Laden schlagartig etwas Sonne.
Die schlanke, durch viel Bewegung anmutige Gestalt mit dem hüftlangen, goldblonden Zopf trug ein infaches, langärmeliges Hemd aus ungefärbtem Leinen, einen grünen Rock und eine Veste. Bei näherem Hinsehen offenbarten sich grobe, aber klassisch traditionelle Stickereien an allen Säumen (Pferde waren auffällig häufig). Auf einer Tonplatte, die mit typisch medvjedstanischen Mustern verziert war, brachte sie ein unglückliches Etwas, das wohl die Gibanica sein sollte, herein.
"Aaahh, mein Äpfelchen!", sagte der Alte etwas zu dick aufgetragen, während er dem Mädchen die Hand auf den Rücken legte und sie vor den Besucher schob.
"Meine Tochter, Jabucica. Lächle Kind, wir haben Besuch aus der alten Heimat!", merkte er an und sah bei dem Wort 'Heimat' aus, als hätte er Zahnschmerzen.
Jabucica war jedoch offensichtlich nicht danach zumute, 'Stanislav' anzulächeln. Sie gab sich kaum Mühe, die Reste verzweifelter Wut aus ihrem Gesicht zu verbannen und zog sogar einmal trotzig die Nase hoch, während sie den Fremden von unten herauf schmollend anblickte.

Als ihr Bruder dies mitbekam, versetzte er ihr einen Schlag auf den Hinterkopf.
"Jetzt benimm dich mal! Was soll denn der gute Mann von dir denken?! So weit gereist, wie er ist?! Trifft hier auf Landsleute und du benimmst dich, als seist du in einer Pferdeherde groß geworden!"
Er legte eine derart abwertende Betonung auf das Wort 'Pferdeherde', dass jedem echten Medvjedstani klar sein musste, dass hier die Volkskultur mit Füßen getreten wurde.

Jabucica zuckte zusammen, doch sie presste ihre Lippen feste aufeinander und in den Augen flackerte kurz ein wildes Glitzern auf. Das letzte Wort in dieser Sache schien noch nicht gesprochen...

Mlad drängte seine Schwester einfach zur Seite und lenkte die Aufmerksamkeit Fremden auf einen großen Kessel, in dem Fisch, Paprika und diverse andere Dinge zu einer Art Eintopf vermatscht waren.
"Eine Portion? Sonst kann ich auch ein irdenes Gefäß vollmachen, damit auch für später noch was zum Aufwärmen da ist! Wenn Ihr den Pott zurückbringt, bekommt ihr die zusätzlichen 4 Kupfer dafür sogar zurück..."
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 03. Jun 14, 18:19
Stanislav lachte herzlich auf.

"Langsam, langsam! Lasst mich doch erst das eine essen, bevor ich mir Gedanken um das Andere mache."

Während er die junge Frau beobachtete, zählte er aus einem sehr gut gefüllten Münzbeutel das Geld mit zwei Kupfern Trinkgeld ab und überreichte es.

Stanislav beäugte die junge Frau nun etwas genauer und auf eine bestimmte Weise interessiert.

"Sagt junges Fräulein, ihr kommt mir bekannt vor. Oder jemand anderes. Ich könnte schwören vor einiger Zeit eine Frau gesehen zu haben, die euch ähnelt. Eine Schwester vielleicht?"

Meinte Stanislav in Gedanken. Mit einer Geste wischte er die Frage jedoch beiseite und fuhr gut gelaunt, in bester Händler Manier fort.

"Sagt, wo ich gerade hier bin, kennt ihr jemanden, der den in die Jahre gekommenen Hengst dort draussen noch zu würdigen weiß?"
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 03. Jun 14, 20:16
Beim Anblick des gut gefüllten Beutels glomm in den Augen der beiden Männer die Gier auf. Sie glaubten, 'Stanislav' bemerke es nicht, als sie einen berechnenden Blick tauschten.


Als 'Stanislav' Jabucica ansprach, erreichte er damit die unterschiedlichsten Reaktionen. Die junge Frau riss erschrocken die Augen auf. Nur einen Sekundenbruchteil später sah sie gehetzt ihren Bruder und ihren Vater an, um dann mit einem fast unmerklichen Kopfschütteln dem fremden Mann vor ihr einen flehenden Blick zuzuwerfen.
Der alte Starinski bekam einen versteinerten, fast feindseligen Gesichtsausdruck.
Mlad hingegen ließ fast das Gefäß fallen, das er gerade in der Hand hatte. "Wo habt Ihr..." setzte er an, doch da sprach 'Stanislav' schon weiter und brachte das Thema auf das Pferd.

Jabucica öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch der alte Starinski antwortete in eisigem Ton:
"Von Pferden verstehe ich nichts. Es gibt Händler oder Rossschlächter, an die Ihr euch wenden könnt."

Offenbar focht der Mann gerade einen inneren Kampf aus; sollte er sich zusammenreißen, um diesen Kunden mit dessen gut gefüllten Säckel zu behalten, oder sollte er seinem Bauchgefühl nachgehen und den Kerl einfach rausschmeißen...
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 03. Jun 14, 23:05
Wassilij war weiterhin Stanislav.

"Nun, wenn das so ist, danke für das Essen aus der Heimat. Sollte Euch vielleicht doch jemand einfallen, in dessen Händen das Pferd einen guten Lebensabend hat, so bin ich noch ein paar Tage in der Herberge drei Straßen weiter. "Jeldrik's Ruh" heißt sie meine ich.

Damit verabschiedete Wassilij sich höflich und traditionell, um im Anschluss den Laden zu verlassen. Also offenbar doch! er hatte zu viel erlebt, um an Zufälle zu glauben. Aber das die Welt so klein war, überraschte ihn beim hinausgehen doch. Geld regiert die Welt. Aber nun hieß es abwarten und in dem Rattenloch nicht weit entfernt abwarten. 
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 03. Jun 14, 23:17
Lange brauchte er wahrhaftig nicht warten.
Am Abend, offenbar, nachdem der Laden der Starinkis geschlossen worden war, kam Mlad in die Herberge und verlangte nach ihm.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 04. Jun 14, 06:15
Wassilij wurde durch ein Klopfen an seiner Tür aus der Meditation gerissen.

Der Wirt: "Stanislav? Ein gewisser Mlad, der Sohn eines merkwürdigen Lebensmittelhändlers verlangt nach Euch."

"Gut, bringt ihn hoch zu mir." kam die Antwort von Wassilij.

Also, jetzt war es soweit. Der Köder hatte scheinbar gewirkt. Jetzt hieß es abwarten, ob er Wassilijs Vermutungen bestätigen würde, oder ob es ihm nur um das Pferd ging. Allerdings gab es auch die Möglichkeit, etwas aus ihm heraus zu bekommen.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 04. Jun 14, 15:58
Kurze Zeit später stand Mlad in dem Zimmer.
"Du hast gesagt, du hast eine Frau gesehen, die meiner Schwester ähnelt. Wo war das?", begann er sofort, ohne jegliche Höflichkeit.
Der Blick des kräftigen, stolzen Mannes war durchdringend, als sei er es gewohnt, dass die Menschen ihm gehorchten.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 04. Jun 14, 17:26
Stanislav sah verwirrt aus.

"Warum so unfreundlich? Es war ein paar Tagesreisen Ostwärts, in den Bergen, ich glaube die Gegend heißt Andarra? Was hat es mit ihr auf sich?"

Stanislav wirkte ein wenig eingeschüchtert.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 04. Jun 14, 19:02
Mlad wirkte auf eine bestimmte Art beruhigt, als er überheblich auf den schmalen Fremden herunterschaute. Offenbar hatte dieser sich, Schwert und Pferd hin oder her, Mlads natürlichen Autorität untergeordnet.
Also konnte er etwas großzügig sein, und ihm etwas von der Geschichte offenbaren, die hier offenbar ein neues Kapitel erhielt...

"Mein Vater spricht nicht gern darüber, aber er hat in der Tat noch eine weitere Tochter. Ein ansehnliches Weib, aber sie hat eine Menge Ärger verursacht! Ich muss sie finden, damit unsere Familie wieder erhobenen Hauptes durch Engonia gehen kann. Sagen wir... sie und ihr Blag sind der Schlüssel für ... ein einträgliches Geschäft. Es gibt eine Familie, die... Schulden bei uns hat. Ohne Jenna und ihr Kind können wir die Schulden nicht eintreiben, wenn du verstehst."

Mlad zögerte kurz, dann schien ein Gedanke ihn zu erschrecken.
"Sie HATTE doch das Kind dabei, oder?", fragte er scharf nach.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 04. Jun 14, 20:00
Stanislav schaute verwirrt. Und kratzte sich an seinem Bart. Oh, Wassilij hatte recht viel Geld für diesen künstlichen Bart bezahlt und auch ein paar andere kosmetische Veränderungen an sich vorgenommen, die nicht gerade günstig gewesen waren. Doch dafür würde ihn wohl kaum noch jemand wieder erkennen, wenn sie Wassilij irgendwann einmal zufällig begegnen würden.

"Wehrter Bruder, der endlosen Steppen," begann Stanislav leicht verlegen. "Ich habe leider kein Kind bei ihr gesehen. Sie ist mir nur aufgefallen, weil sie einsam und barfuß einen Weg entlang wanderte und vor mir nur nicht geflohen war, weil es dort keine Möglichkeit zur Flucht gab. Ohne das Kind sind Schulden offen? Etwa ein Bastard? Oh du meine Güte..." Stanislavs Schultern fielen ein wenig ein. "In welchen Schlamassel ist der arme, alte Stanislav du nun schon wieder hinein geraten..."

Er schüttelte den Kopf.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 05. Jun 14, 03:32
"Verdammt!"
Mlads Gesichtsausdruck verriet angestrengtes Grübeln.
"Sag mir genau, wo das war! Ich muss sie finden!"
Offenbar verließ ihn inzwischen das Interesse an 'Stanislav'.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 05. Jun 14, 05:51
Stanislav zuckte mit den Schultern. "Was weiß ich, kennst du diese kleinen Passstraßen im Gebirge? Wieviele gibt es davon? Wieviele tragen Namen?"

Stanislav wurde nun jedoch etwas 'kecker'. "Mal etwas anderes Mlad, du hast gesehen, dass es mir nicht schlecht geht. Ich habe gutes Geld und deine Schwester von eben gefällt mir. Sie scheint eine gut erzogene Frau zu sein und weiß was sich gehört. Natürlich bin ich bereit, meine neue Familie an meinem Silber zu beteiligen. schließlich habe ich das ein oder andere Geschäft laufen."

Stanislav wirkte sehr sicher und vermittelte nun das Gefühl, sich nun wieder auf sicherem Terrain zu bewegen, da Mlad sich von dem Einschüchtern verabschiedet hatte.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 05. Jun 14, 07:06
Nur langsam schien das, was 'Stanislav' gesagt hatte, in Mlads Kopf vorzudringen, so sehr hing er den Gedanken um seine verschwundene Schwester nach. Dann jedoch änderte sich sein Blick und er betrachtete 'Stanislav' mit anderen Augen.
Zummindest einen prall gefüllten Beutel hatte er wohl. Ob der Vater jedoch mit diesem Bewerber zufrieden sein würde, wo er sich doch einen Mann aus der oberen Schicht für Jabucica wünschte, vermochte Mlad nicht zu sagen. Und wer war dieser Fremde schon? Er sah irgendwie abgerissen aus, sein Gaul war alt und ein großer Held vergangener Schlachten wäre wohl kaum in der Kesselflickergasse aufgetaucht oder würde in dieser Herberge absteigen. Naja, vielleicht schon, wenn er auf Luxus keinen Wert legte. Und was wusste er schon über die Leute, die in der alten Heimat seiner Vorfahren lebten. War es dem Vater nicht daran gelegen, Jabucica in ein reiches Haus zu verheiraten? Wenn der hier reich war, sollte er doch genügen. So oder so, es war nicht seine Entscheidung, auch wenn er als Erbe durchaus seine Meinung kundtun konnte. Dennoch konnte es nicht schaden, schon einmal soviel wie möglich über diesen Mann in Erfahrung zu bringen...

"Was für Geschäfte?", fragte er daher argwöhnisch.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 05. Jun 14, 20:18
Wassilij hatte ihn nun durchschaut. Es ging sich ausschließlich um's Geld. Nun war es an der Zeit, Härte zu zeigen.

Stanislav zeigte nun den harten Krieger und richtete sich auf, straffte sich.

"Ich verlange von euch, dass ihr mir Informationen zu kommen lasst, dass ihr für mich spioniert auf den Straßen. Im Gegenzug sorge ich dafür, dass ihr genügend geld habt anständiges Essen zu kochen und damit eher unauffällig aus der Kesselflickergasse in bessere Stadtgebiete zu kommen. Dafür lasst ihr Jenna und ihr Kind von nun an zu frieden, sucht sie nicht weiter und auch Jabucica lasst ihr gehen, wenn sie es will. Aber glaubt mir, wenn ihr euch nicht daran haltet, wird das ein großer Fehler! Mein Vorschlag bringt euch jedoch gutes Geld ein und ihr könnt ein besseres Leben führen."
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 06. Jun 14, 14:31
Damit hatte Mlad nicht gerechnet. Wo war der kleine Kerl von gerade eben hin? Und was für ein Mann stand da nun vor ihm? So selbstbewusst und fordernd!
Doch so schnell würde er sich nicht einschüchtern lassen! Schon gar nicht von so einem dahergelaufenen Kerl! Überforderung und der plötzliche 'Angriff' ließen Mlad trotzig und wütend werden.

"Wer bist du, dass du mir drohst?! Unsere Familie geht dich gar nichts an! Und dein Angebot kannst du dir sonstwohin stecken! Wir brauchen keinen dahergelaufenen Pferdehirten mit einem Schwert, der uns sagt, was wir zu tun haben!", rief er laut.
Er machte einen Schritt auf 'Stanislav' zu, den er immer noch um eine halbe Haupteslänge überragte.
"Du weißt wo Jenna ist! Sag es mir! Hat sie dich vielleicht sogar geschickt?", verlangte er mit drohender Stimme zu wissen.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 06. Jun 14, 18:16
Wassilij strahlte nun einfach nur noch Ruhe aus. Was jetzt kam, wollte er vermeiden, aber dieser sture Narr wusste nicht, worauf er sich einließ.

Wassilij ließ Mlad den Schritt machen und aussprechen. Dann explodierte die Situation. Den harten Tritt sah Mlad gar nicht mehr kommen. Wassilij achtete auf die Atmung seines Gegners. Als er vor Wut tief einatmete, traf ihn Wassilijs Stiefelabsatz unterhalb des Solarplexus. Damit war Magen, Lunge und Milz mir einem Tritt schwer getroffen. Mlad's körperliche Antwort, war schwere Atemnot und kaum zu unterdrückender Brechreiz. Aus Schutzinstinkt, riss Mlad noch die Arme hoch, aber da war Wassilij bereits in seiner Abwehr und griff sofort in den linken arm. Mit einem harten Wurf, warf er Mlad hin und verdrehte ihm schmerzhaft den Arm. Nur wenig weiter und Der Oberarm würde aus der Schulter springen. Während Mlad mit den Schmerzen, dem brechreiz und der Atemnot kämpfte, fixierte Wassilij den Arm, damit sein Gegner keine Gegenwehr mehr leisten konnte, während er auf dem Boden lag. Noch während des wurfes, hatte er ein kleines Messer gezogen, welches er dem wehrlosen Mlad an den Hals setzte und ein wenig Druck auf die Arterie ausübte. Während Mlad nun die Situation in seinem Dämmerzustand zwischen Brechen und Atemnot langsam realisierte, schnitt Wassilijs Stimme durch die Stille.

"Nun Mlad, ich glaube ich habe nun deine ungeteilte Aufmerksamkeit! dir sollte klar sein, was ich mit dir anstellen könnte, wenn ich wollte. Aber ich will nicht. Noch nicht! Aber du machst mich wirklich sauer und wenn ich sauer bin, will ich!" Mit diesen Worten erhöhte er den Druck auf Arterie und Arm.

"Aber jetzt möchte ich reden." Das Messer verschwand und der Druck auf den Arm ließ nach. "Ich werde dich gefesselt hier lassen. Du wirst später frei kommen. Vielleicht ist deine süße Schwester Jabucica dann nicht mehr hier. Das wird ihre Entscheidung sein! Niemand von eurer Sippschaft, wird je wieder eine von ihnen und das schließt Jenna und ihre Tochter mit ein, verfolgen oder gar belästigen. Das werde ich dann Wissen und ich werde Euch finden, egal wo ihr euch versteckt! Mir werdet ihr nicht entkommen und ihr wisst nichts über das wann oder das wo! Aber dann bin ich sauer und will nicht reden."

Dann traf Mlad eine harte Faust in den Nacken und er verlor durch den Aufschlag auf den Fußboden das Bewußtsein.

Wassilij verließ das Zimmer mit einem perfekt gefesselten Mlad am Boden. Er würde nicht einmal Klopfen können, damit ihn jemand findet. Geschweige denn rufen.

Unten entschuldigte Wassilij den Lärm mit einem umgefallenen Stuhl etc. und ging dann mit sorgfältig verschlossener Tür aus der Taverne.

Wenig später betrat Stanislav den Lebensmittelladen und schloß hinter sich die Tür.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 07. Jun 14, 13:14
Der Tag war inzwischen weit fortgeschritten und es dämmerte bereits. Das Wetter war gut, und so waren noch recht viele Menschen unterwegs. Einzeln oder in kleinen Grüppchen zogen sie in die Schankstuben oder standen vor ihren Behausungen. Hier und da wurden Lichter entzündet, die Geschäfte wurden für heute verschlossen und überall verbreitete sich eine Feierabend-Stimmung.

Unweit des Lebensmittelgeschäftes der Starinskis lungerte ein junger Mann herum, der die Straße aufmerksam nach einer bestimmten Person abzusuchen schien. Er hätte Jabucicas Zwilling sein können - das gleiche goldblonde Haar, die gleiche sehnige, fast zarte Gestalt. Allein das kürzere, in einem kurzen Zopf am Hinterhaupt zusammengebundene Haar, das etwas kantigere Gesicht und die Männerkleidung (ungefärbte Leinenhosen, ein schlichtes hellblaues Hemd, abgetragene lederne Stiefel) unterschieden ihn deutlich von der jungen Frau.

Als 'Stanislav' die Gasse herunter kam, weiteten sich die Augen des Jünglings. Offenbar hatte er nach jemand anderem Ausschau gehalten, wohl aber eine Beschreibung des Fremden bekommen, sodass er diesen nun erkannte.
Der Bursche sah sich noch einmal genau um, registrierte jeden, der sich in der Nähe befand und trat dann auf 'Stanislav' zu.

"Herr?", sprach er ihn mit sanft klingender Stimme an.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 07. Jun 14, 15:35
Wassilij blieb ruhig stehen, aber auf alles vorbereitet.

"Ja?"
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 07. Jun 14, 17:04
"Seid ihr der, der heute Früh im Laden der Starinskis war, Herr?", fragte der Bursche.
Als 'Stanislav' zustimmte, sprach Jabucicas Bruder weiter:
"Mein Name ist Dječak, Herr. Ich bin der Bruder von Jabucica. Und auch der Bruder derjenigen, die ihr offenbar irgendwo getroffen habt. Ich bitte euch aus tiefstem Herzen, Herr, gebt Jennas Aufenthaltsort nicht preis!", flehte er.

Dann schlicht tiefe Sorge in sein Gesicht: "Oder hat Mlad euch bereits besucht? Weiß er..."

Man konnte es Dječak ansehen; sollte der älteste Bruder etwas über Jennas Verbleib erfahren haben, würde der Bursche irgendetwas verzweifeltes unternehmen, um sie zu warnen.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 07. Jun 14, 19:07
Wassilij nickte "Mlad war bei mir. Und er war dumm. Wiewichtig ist es dir und Jabucica Jenna wieder zusehen, ohne Angst von Mlad und deinem Vater verfolgt zu werden und auch Jennas Freiheit?"
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 07. Jun 14, 21:09
Dječak realisierte, was der Fremde da gerade gesagt hatte und in ihm rührte sich eine leise Hoffnung.
"Wir wären schon froh, wenn wir wüssten, dass es ihr gut geht. Und wir würden uns sehr freuen, sie zu sehen! Ist sie frei, Herr? Hat sie ein gutes Leben und kann die kleine Malla in Frieden aufwachsen?"

Schmerzhafte Sehnsucht und Hoffnung spiegelten sich in den Augen des Burschen. Offenbar hatten er und seine Schwester sich all die Zeit ebensoviel Sorgen um Jenna gemacht, wie diese ihrerseits um die beiden Geschwister.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 07. Jun 14, 21:20
Wassilij nickte knapp. "Ja es geht ihr gut und Euch beide kann ich dort auch hin bringen. Aber dafür müssen wir jetzt handeln. Ich muss deinem Vater klar machen, dass er die Finger von Euch lassen soll. Das beste wäre eine geschäftliche Einigung. Aber davon wollte dein Bruder nichts wissen. Und nein, er ist nicht ernsthaft verletzt."
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 07. Jun 14, 21:32
Der Bursche war ob dieses Vorstoßes etwas überrumpelt.
"'Nicht ernsthaft verle...' nein, ich frage lieber nicht. Was meint ihr damit, dass Ihr uns auch dorthin bringen könnt? In meinem Fall wird Vater wohl eher froh sein, wenn ich verschwinde, aber was Jabucica angeht... 'Eine geschäftliche Einigung'... wollt Ihr meine Schwester etwa auslösen?"
Plötzlich kam es Dječak so vor, als sei einer seiner Träume wahrgeworden, in dem eine Zauberin auf einem geflügelten Ross zu ihm kam und ihn und seine Schwester auf ihr Reittier hob und in ein Märchenland mitnahm.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 07. Jun 14, 22:06
"Ja, so in der Art. Also, wo ist dein Vater?"
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 07. Jun 14, 22:08
Dječak machte eine ruckartige Kopfbewegung zum Laden hin.
"Im Haus. Ich bringe Euch hin, Herr!"

Der Bursche hatte das Gefühl, als habe ihn jemand mit Šljivovica abgefüllt, so unwirklich kam ihm die Situation vor...

Sie gingen bis vor die Türe des Ladens, und dort zeigte sich deutlich, wie ungeliebt der blonde Sohn in der Familie war: Dječak verfügte nicht über einen eigenen Schlüssel, sondern musste, wie jeder dahergelaufene Fremde, an der Türe klopfen, um Einlass zu erhalten.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 10. Jun 14, 17:38
Wassilij sah sich in der Gasse um. Es war niemand dort in Sicht, der Verdacht schöpfen würde oder überhaupt auf sie achtete. Also hielt er seinen Begleiter vom Klopfen ab und sagte leise, ich mach das.

Wenig später beinahe im Handumdrehen war die Tür auf und Wassilij trat leise ein. Dabei bedeutete er Dječak leise zu sein und ein wenig zu warten, bevor er folgte.

Der alte Starinski stand mit dem Rücken zur Tür und war mit irgendetwas beschäftigt. Was genau, vermochte Wassilij nicht zu sagen. Wassilij überlegte einen Moment, beschloss dann aber, dass es hier nun schnell gehen musste. eine weitere Diskussion mit der Familie würde in seinen Augen nichts bringen. Also raunte er Dječak zu, dass er seinem Vater nichts antuen würde, ergal, wie es aussehen würde und er in jedem Fall herein kommen und die Türe verschließen müsse.

Wassilij schlich leise durch den Laden. Die Dielen knarrten wenig und durch seine Schritttechnik, war er in der Lage, beinahe lautlos über diesen Boden zu gehen. Aber dann knarrte es doch. Verwundert, drehte der Alte sich um. Doch Wassilij war schneller und seine Hacke traf die Kniekehle des alten mit einem harten und kurzen tritt, der ihn auf die Knie sinken ließ. Mit einem knappen Hüpfer, war Wassilij nun hinter dem Mann und presste ihm das Knie in die Lendenwirbel, während er ihn ruckartig zurück riss und in den Schwitzkasten nahm. Schmerzerfüllt, war der Mann nur noch zu einem Röcheln in der Lage.

"Ich sage Euch dies nur ein einziges Mal! Lasst Eure Tochter in Ruhe! Und Euer Enkelkind! Ihr seht, was ich anrichten kann und Mlad hat das auch schon gespürt. Verstanden? Wenn sie wollen, werde ich Dječak und Jabiucica mit nehmen. Und sollte ich herausfinden, dass ihr sie verfolgt oder sonst irgendwie belästigt, komme ich wieder. Aber ihr wisst nicht wann und vor allem nicht wo und wie. Verstanden? Als Entschädigung, biete ich euch ein Geschäft an, bei welchem ihr Gewinnen werdet. Vielleicht passt das in Euren Schädel ja rein, im Gegensatz zu dem eures mißratenen Mlad!"

Damit ließ Wassilij den Würgegriff etwas lockerer, so das er Atmen konnte. Aber Wassilij entließ ihn nicht seiner Kontrolle.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 13. Jun 14, 15:58
Dječak glaubte seinen Augen kaum. Wer war dieser Mann?!?

Vlad Starinski hatte etwa die gleiche Statur, wie sein ältester Sohn Mlad; er war nur etwas kleiner als dieser und um die Körpermitte deutlich beleibter. Dennoch war auch bei ihm der Alltag das einzige körperliche Training - er stellte also nicht im Entferntesten einen Gegner für Wassilij dar.

Der Sohn medvjedstanischer Einwanderer röchelte und machte die verzweifelten Befreiungsversuche, die alle in derlei Dingen Ungeübten versuchten. Er griff nach dem Arm des Angreifers und zerrte daran, drückte den Rücken durch, um dem Druck des Knies zu entgehen und wackelte mit dem Kopf, um ihn freizubekommen.
Natürlich alles ohne Erfolg.

Also nutzte er seine letzte verbliebene Möglichkeit; er schnauzte den Fremden an. Kläglich kam die abgedrückte Stimme zwischen seinen Lippen hervor, während ihm vor Wut, Schmerz, Empörung, Panik und Fassungslosigkeit die Augen aus dem hochroten Kopf quollen:
"Bei allen Göttern! Lass mich sofort los, du stinkende Nachgeburt eines Esels!"

Vlad Starinski versuchte ein weiteres Mal erfolglos, sich zu befreien.


Dječak betrachtete die Szene und erlebte ein Wechselbad der Gefühle. Er hatte den Fremden genau beobachtet. Hier war ein Kämpfer, wie er in den Geschichten vorkam: Gestählt, unerbittlich, überlegen, zugleich unauffällig und kaum einzuschätzen und dennoch scheinbar mit einem guten Herz. Warum war dieser erstaunliche Mann hier? Tat er dies alles gerade für Jenna? Und war es wirklich möglich, dass er sich nicht nur für sie, sondern auch für Jabucica und ihn (?!) einsetzte? Woher kam er? WER war er?
Nur kurz flackerte in Dječak die Sorge auf, dass dieser Fremde auch für seine Schwestern und ihn gefährlich sein könnte. Welchen Zweck verfolgte er? War er ein Gesandter des guten oder des schlechten Schicksals?

Die Reaktion seines Vater erfüllte Dječak hingegen mit Trauer. Möglich, dass der Schreck ihn nicht nachdenken ließ, doch vermutlich war es eher die Ignoranz, die ihn so handeln ließ. Jabucica hatte Dječak erzählt, wie der Vater und der Bruder über diesen Mann gesprochen hatten, nachdem dieser den Laden verlassen hatte. Sie hatten ihn als dummen Pferdebauern aus Medvjedstan betrachtet. Ihn zugleich als Geldquelle für nützlich befunden und für seinen Hintergrund und sein Auftreten verachtet. Und offenbar fürchterlich unterschätzt.

Dječak fragte sich, wie das hier weitergehen würde. War der Vater zu stolz, um seine Niederlage zu erkennen und einzugestehen? Denn der Bursche war sich sicher - wenn Vlad Starinski sich weiter wehrte, würde der Fremde nicht mehr so 'gütig' sein. Was wäre, wenn sein Vater zu Schaden kam? Könnte er selbst den Geschwistern dann noch in die Augen schauen? Was würde mit der Mutter? Und Oma Baka? Und Glup? Wie würde Mlad reagieren?

Plötzlich rang es in Dječaks Ohren: "Wenn sie wollen, werde ich Dječak und Jabucica mitnehmen. Und sollte ich herausfinden, dass ihr sie verfolgt oder sonst irgendwie belästigt, komme ich wieder."

Sie wären FREI! Niemand würde ihn mehr bei Tisch einen missratenen Sohn nennen! Niemand würde Jabucica davon abhalten, mit Pferden zu arbeiten! Sie würden Jenna und die kleine Malla wiedersehen!
Dječak war sich nun sicher - der Fremde würde den Vater nicht allzusehr verletzen! Es gab für ihn selbst jedoch nun anderes zu tun, als sich dieses Spektakel hier anzuschauen!
Er sprintete los; zur Zwischentür, in den Wohnraum (kurze Orientierung), zu Jabucica, die auf einem Schemel saß und in einer Schüssel einen Teig knetete, jedoch bei seinem Eintreten innegehalten hatte. Dječak riss ihr die Schüssel aus der Hand und zerrte seine Schwester zur Treppenstiege, die nach oben unter das Dach führte.

"Komm! Pack deine Sachen! Wir gehen fort!", drängte er sie, während er ihr einen ungeduldigen Schubs zu ihrer Bettstatt gab, bevor er sich selbst auf seine Sachen stürzte...
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 13. Jun 14, 17:50
Wassilij riss kurz den Kopf herum, als Djecak los rannte. Da er zunächst die Richtung von Wassilij hielt und der junge Mann mit der ungeschützten Seite zu Djecak kniete, wechselte Wassilij schnell mit den Knien die Position um den Vater zwischen sich und den Jungen zu bringen. Das führte zu einer starken Überdehnung des Halses. Wassilij lies rechtzeitig los, bevor er den Mann unabsichtlich verletzten würde. Die kurze Zeit reichte dem alten Starinski aus dem Griff zu entkommen und nach einem Messer zu greifen.

Wassilij bemerkte die neue Gefahr rechtzeitig und brachte sich mit einer Rückwärtsrolle in Sicherheit und kam kniend hoch. Auch wenn der Alte keine Erfahrung zu haben schien, konnte das jetzt böse enden. Er röchelte kurz und griff dann Wassilij an. Dieser griff in eine Tasche und warf dem Gegner beim heraus ziehen etwas entgegen. Das etwas entpuppte sich als ein mit Mehl befülltes Ei, welches er zerdrückte und seinen Gegner somit blendete. Fast in der gleichen Bewegung rollte er schräg an seinem Widersacher vorbei und schlug ihm aus der Rolle die Faust auf die angespannte Wade. Die Folge waren Muskelfaserrisse und Starinski knickte vor Schmerz ein. Er stöhnte auf, doch Wassilij war wieder hinter ihm.

"Du Narr, verfolge sie niemals! Ich war nur zum Reden hier! Und beim nächsten Mal, werde ich nicht mehr Reden! Hast du mich verstanden?"

Starinski wollte antworten, doch Wassilij fuhr ihm ins Wort: "Schnauze, dein Sohn ist in meinem Herbergs Zimmer gut gefesselt und wohlbehalten. Also, verfolgt die Drei niemals oder ich komme zurück!"

Mit diesen Worten schlug Wassilij zu. Die Handkante traf zielsicher die Schlagader und der Alte sackte Bewusstlos zusammen.

Nun hörte er Stimmengewirr, als Jabucica und Djecak zurück in den Raum kamen. Bepackt mit dem nötigsten.

"Ich gehe davon aus, dass ihr mich begleiten wollt? Gut, reden wir dort weiter, wo weniger Ohren sind."

Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 13. Jun 14, 18:22
Aus dem Wohnraum drang Geschrei.
Offenbar wollte eine Frau die beiden Geschwister daran hindern, das Haus zu verlassen. Zudem jaulte noch ein stupide klingender Mann dazwischen.
Als Dječak seine Schwester mit den Worten "Geh schon!" in den Laden schob, kreischte jemand
"JABUCICA! DU KOMMST SOFORT ZURÜCK!"
und eine andere, ältere Stimme krakeelte gehässig in Medvjedstani:
"Ja, geh nur, du mickriger Blondling! Und nimm deine Schwester gleich mit! Da laufen deine beiden 'Nachgeburten', Sarah! Wenigstens diesen Makel sind wir nun los!"
Gequält drang noch ein undeutlich-nuscheliges "Neeiiinn, niiiiich geeeeh'nnn!" von irgendwo durch die Tür, bevor Dječak diese zuzog.
Von innen trommelte jemand mit den Fäusten dagegen ("DU MISTSTÜCK, KOMM SOFORT ZURÜCK!").

Jabucica stand stocksteif im Raum, ihr Bündel im Arm und blickte mit vor Schreck geweiteten Augen und offen stehendem Mund abwechselnd auf ihren am Boden liegenden Vater und auf den Fremden.
Dječak, sein mickriges Bündel unter einem Arm, machte einen großen Schritt auf Wassilij und die Ladentür zu und zog seine Schwester mit sich.
"Los jetzt! Komm schon!", drängte er sie.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 13. Jun 14, 18:56
Wassilij schüttelte den Kopf. "Keine Angst. Er ist weitestgehend unverletzt und nur bewusstlos. Los, raus jetzt und mir nach."

Wassilij führte sie durch die Gassen. Er unterband zunächst jedes aufkeimende Gespräch. Einige Zeit dauerte es und sie erreichten eines der Stadttore. Wassilij wies sie an, voran zu gehen. Dann durchschritten die drei das Tor und den beiden wurde klar, dass sie nun frei waren.

Nicht weit von Engonia entfernt, war ein Gehöft, an welchem Wassilij einige Zeit mit dem Besitzer sprach und schließlich etwas Geld den Besitzer wechselte. Der Pferdewirt verschwand und kam mit zwei einfachen Reitpferden und einem stolzen und kräftigen Pferd zurück.

Als die Pferde kamen rief Wassilij kurz "Matsch" und pfiff. Freudig schnaubte das Pferd und lief auf seinen Reiter zu. Matsch war nicht so groß und kräftig wie Jelenas Sudbina, aber nicht weniger Stolz aber dafür schneller und wendiger. Die beiden begrüßten sich freudig, während der Pferdewirt die zwei Pferde weiterreichte. Sie waren bereits gesattelt und somit schwang sich Wassilij geübt in den Sattel.

Wassilij sah überrascht zu, wie gut seine beiden Schützlinge auf den Pferden saßen oder besser, wie sie sich in die Sättel schwangen. Er lächelte und ritt los.

"Folgt mir einfach!"


Nicht viel Später, hatte Wassilij einen guten geschützten Platz für die Nacht gefunden, wo man sie von der Straße aus nicht finden würde.

"Hier werden wir übernachten. Wenn ihr Fragen habt, dann ist jetzt die rechte Zeit gekommen. Setzt Euch und fragt, was ihr wissen wollt, während ich ein verstecktes Feuer vorbereite." 
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 13. Jun 14, 20:00
Die beiden Geschwister waren unkomplizierte Gefährten.
Auf dem Weg zum Stadttor zeigte Dječak dem Fremden die ein oder andere Abkürzung, ansonsten hielten sie sich aber beide zurück und überließen ihm die 'Reiseleitung'.

Unverholen bewunderten die Zwei den braunen Hengst. Fachmännisch überprüften sie alsdann ihre eigenen Reittiere und deren Ausrüstung, strahlten sich gegenseitig an und ritten glücklich hinter dem Mann her, der ihr Leben so abrupt über den Haufen geworfen hatte.

Weder Jabucica noch Dječak kamen umhin, immer wieder selig zu grinsen und ihre Pferde zu streicheln, zu klopfen und sich beim Reiten für einen Moment einfach mit geschlossenen Augen über deren Hälse zu legen.


Als sie das Nachtquartier erreichten, stiegen beide schwungvoll aus den Sätteln und kümmerten sich zuerst ausgiebig um die Tiere, bevor sie sich selbst ein Lager bereiteten.
Als alles soweit zurecht gelegt war, trat Jabucica mit 'ihrem' Pferd, einem Fuchwallach, der Dječaks Braunem in Gutmütigkeit in nichts nachstand, zu den Männern ans Feuer.
Das schlanke Reittier zuckte mit den Ohren nach den rauchlos brennenden Hölzern und schnaubte mit geweiteten Nüstern, ließ sich aber dennoch von der jungen Frau heranführen.
Als diese dann auch noch begann, ihn an den 'magischen' Stellen zu kraulen und zu kratzen, war seine Glückseligkeit offensichtlich.

"Ihr heißt nicht wirklich 'Stanislav', nicht wahr, Herr?",  begann Jabucica leise das Gespräch, nachdem sie und Dječak einen kurzen Blick und ein Nicken getauscht hatten.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 13. Jun 14, 21:01
Wassilij kniete vor den Flammen und grinste leicht, als er die Frage hörte.

Er drehte sich langsam um und griff an den falschen Bart. Während er ihn vorsichtig vom Gesicht zog und selbiges verzog, denn der Harz hatte gut geklebt, antwortete er.

"Nein, ich heiße wirklich nicht Stanislav." Nun war der Bart abgezogen und Wassilij sah sie mit einem geröteten Gesicht, in welchem noch Harzreste klebten an. "Meine Name ist Wassilij!" Er verbeugte sich leicht.

"Nun, ich glaube, ihr Beiden wollt mehr wissen?" Als Sie zustimmten, sprach er weiter: "Um es ersteinmal einfach zu halten, bin ich ein Freund von Eurer Schwester Jenna und ihrer Tochter Mala. Sie haben beide ein gutes Heim und ein sicheres Dach über dem Kopf. Jenna arbeitet für eine angesehene Heilerin in Fanada. Sie heißt Jelena. Ich habe nun vor, Euch beide ebenfalls dorthin zu bringen."

Noch beim Sprechen, wandte Wassilij sich um und griff in seine Satteltaschen. Ohne zu kramen, holte er Stoffbündel hervor und wandte sich ab. Er zog sich Weste und Tunika aus. Im schwachen Feuerschein waren die groben Narben, die seinen Oberkörper entstellten zuerkennen. Selbst für ungeübte Betrachter, war es eindeutig, dass die Narben weder von Unfällen noch von Kämpfen stammten.

"Ich denke, dass mein Einfluss dort ausreichen wird, um Euch beiden eine gute Einstellung dort zu verschaffen. Es ist zwar einige Jahre her, aber einst habe ich über eben jenes Haus und seine Bewohner mit meinem Leben gewacht. Und nein, mittlerweile wache ich dort nicht mehr wie früher. Ich habe jedoch ein wachsames Auge darüber, so es mir möglich ist."

Mittlerweile hatte Wassilij seine grüne Klappenjacke angezogen und die Hose zu seiner braunen, einem Rock ähnelnden Hose getauscht.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 13. Jun 14, 21:23
Wieder einmal tauschten Jabucica und Dječak einen Blick. Offenbar waren sie sich sehr verbunden, denn es war häufig, dass sie nur mit einem Blick oder einer Geste eine Verständigung erzielten.

In diesem Falle war beiden der Anblick von Wassilijs Körper in Mark und Bein gefahren. Jeder spürte den Schauder auf der Haut des anderen und es war ihnen klar, dass sie in dieser Nacht, aneinandergekuschelt wie eh und je, dieselben Albträume haben würden.

"Wie lange sind Jenna und Malla schon bei Jelena, der Heilerin? Sie ist in den Kriegswirren verschwunden und wir haben uns seither große Sorgen gemacht. Schließlich sind ... Soldaten... im Kampfrausch nicht eben zimperlich...", sagte Dječak nun.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 13. Jun 14, 21:34
Wassilij rieb sich durch das Gesicht. Ihre Blicke und Gesten waren ihm nicht entgangen.

"Wir gehörten damals zu dem Stoßtrupp, der die Erstürmung von Engonia überhaupt erst ermöglicht hatte. Kurz nach dem Angriff auf Engonia ist sie bei uns aufgetaucht. Hungrig, dreckig, ängstlich und krank, aber sonst ging es ihr gut. Und danach haben wir uns erstmal gut um sie gekümmert und sie stand unter unserem Schutz."
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 13. Jun 14, 21:52
Jabucica lehnte sich haltsuchend an den Fuchs, der seinerseits damit begonnen hatte, die junge Frau sanft mit den Lippen zu untersuchen und sie nun fragend anstubste, weil sie mit dem Kraulen aufgehört hatte.
Ihr und dem Burschen standen die grauenvollen Bilder, die sie in der Hauptstadt gesehen haben mussten und die Sorgen um Jenna und ihren Säugling, die diese ausgelöst hatten, ins Gesicht geschrieben.

Dječak schloss die Augen und dankte den Göttern leise für ihre Gnade.

Eine Weile lang waren nur die Geräusche der Nacht, das gelegentliche Schnauben eines der Pferde und das Knistern des Feuers zu hören.

Dann, wie auf ein Stichwort, sahen die beiden goldhaarigen Geschwister Wassilij gleichzeitig an und der junge Mann ergriff wieder das Wort:

"Also bringst du uns jetzt nach Fanada? Ist es weit dorthin? Wir waren noch nie außerhalb Engonias..."

Letzteres klang fast verlegen, als sei Dječak seine soziale Herkunft peinlich.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 13. Jun 14, 22:05
Wassilij zuckte mit den Schultern.

"Es spielt keine Rolle, wo ihr gewesen seid oder was ihr bisher getan habt. Wichtig ist, was ihr jetzt, wo ihr Euer Leben endlich in die eigene Hand nehmen könnt tun werdet. Ich habe Euch geholfen, aber ihr seid mir nur zu einem verpflichtet. Sagt niemandem von Eurer Familie, wo Jenna steckt. Mehr verlange ich nicht von Euch. Falls es Euch beruhigt, meine Eltern waren arme Bergleute."
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 13. Jun 14, 22:21
Ein Lächeln huschte über Dječaks Gesicht.
"Nein, wir werden Jenna mit Sicherheit nicht verraten! Wenn irgendwie möglich, werden auch wir jeden Kontakt zu unserer Familie vermeiden."
Man sah deutlich, dass sich hier jemand von seinem früheren Leben abwandte und sich einem neuen freudig entgegenstellte.
"Ich kann es kaum erwarten, Jenna und Malla wiederzusehen! Ist die Kleine groß geworden?"
Nun strahlten Dječaks Augen.

Der Fuchs, der den Stimmungswechsel auch bei Jabucica spürte, blies ihr sanft ins Ohr, was sie zum Kichern brachte.
Ein schöner, heller, fröhlicher Klang...
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 13. Jun 14, 22:26
Wassilij lächelte bei dem Lachen der jungen Frau. Dann wurde sein Blick ein wenig düster und nachdenklich.

"Ich weiß es nicht. Ich habe sie ein paar Jahre nicht mehr gesehen."

Der Krieger stand auf und Matsch kam auf ihn zu. sanft streichelte Wassilij sein treues Pferd und es wurde offensichtlich, wie viel Zuneigung zwischen den beiden bestand.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 13. Jun 14, 22:51
Der Fuchswallach machte dem braunen Hengst unterwürfig Platz, achtete dabei jedoch darauf, Jabucica nicht zu stoßen.

"Ich freue mich auch auf sie.", sagte die junge Frau, während sie dem Pferd nun kräftig die Stirn schubberte. Es war deutlich zu sehen, dass sie die Nähe zu dem Tier überaus genoss. Ihre Wangen waren gerötet, der lange, dicke goldene Zopf flog hin und her, wenn sie sich bewegte. Sie kümmerte sich nicht im Geringsten um den Dreck, der unter ihren Fingernägeln hängen blieb, die Haare, die sich auf ihrer Kleidung sammelten und den Pferdesabber, mit der sie bei jedem freundlichen Anstubsen des Wallachs vollgeschmiert wurde.
Mit geübten Bewegungen verschaffte sie dem Tier die allergrößten Wonnen, so dass es seine zuckende Oberlippe kaum unter Kontrolle zu halten vermochte.

Dječak saß am Feuer, betrachtete die beiden 'Paare' und fühlte sich zum ersten Mal seit langer Zeit wirklich wohl...
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 13. Jun 14, 22:59
Wassilijs Blick fiel auf den Säbel von 'Stanislav' und dann auf Djecak.

"Djecak? Ich glaube ich weiß, was du brauchst! Hier, fang!" Damit warf er den Säbel in der Scheide dem jungen Mann zu, der ihn unbeholfen auffing.

"Allerdings solltest du noch lernen, damit umzugehen."

Als die beiden ihn ansahen und sich fragten, ob er keine Waffe tragen würde, wickelte er sein Schwert aus einer alten Decke und schob die Scheide in seine Schärpe.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 13. Jun 14, 23:20
Jabucica war zusammengezuckt, als Wassilij ihrem Bruder den Säbel zugeworfen hatte und diese kurze Unruhe hatte sich auf den Fuchs übertragen, der, nur einen Sekundenbruchteil verzögert, leicht scheute. Doch die junge Frau legte dem schnaubenden, mit den Ohren zuckenden Pferd schlicht eine Hand auf den Übergang von Schulter zu Hals und schon wurde er wieder ruhig.
Die Fähigkeiten dieses Mädchens waren erstaunlich...

In ihrem Inneren war sie nun vollkommen bei Dječak, während ihre Hand beruhigend auf dem Pferd liegenblieb.

Der Bursche stand auf, zog den Säbel aus der Scheide und teste das Gefühl aus, wie die Waffe in seiner Hand lag.
"Ich hatte noch nie eine Waffe in der Hand.", sagte Dječak nachdenklich
und aus den Augenwinkeln konnte Wassilij sehen, dass Jabucica im selben Moment tonlos die gleichen Worte mit den Lippen geformt hatte.

Die Augen der Geschwister waren geweitet und leuchteten, ihre Münder standen leicht offen. Schnell ging ihr Atem und nun hatten beide diesen leichten roten Schimmer auf den Wangen.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 14. Jun 14, 07:17
Wassilij sah Djecak offen und ehrlich an und schüttelte den Kopf.

"Djecak, ich möchte dir das nicht vorschreiben. Ob du den Säbel nimmst und führens wilst, oder nicht, soll deine Entscheidung sein. Es kann dich und deine Lieben schützen, aber es wird dich verändern. Deswegen solltest du es dir gut überlegen, ob du das wirklich willst. Den Umgang kann ich dich lehren. Wir werden ein paar Wochen unterwegs sein, vor allem, weil ich eventuelle Verfolger abschütteln möchte. Aber in Fanada, brauchst du einen anderen Lehrmeistern."
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 14. Jun 14, 22:34
Wieder einmal sahen die Geschwister sich an. Dieses Mal dauert es lange. Schließlich nickten sie und auf beiden Gesichtern zeigte sich ein Grinsen. Jabucicas hatte einen Hauch von Verlegenheit und Dječaks zeigte ehrliche Belustigung.
Das Grinsen noch in den Augen, wandte er sich Wassilij zu:
"Zeig es mir. Aber unter einer Bedingung; bring es auch Jabucica bei!"
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 15. Jun 14, 19:57
Wassilij sah beide ernst an.

"Ihr wisst dass das hier kein Spiel ist? Wenn ihr eine Waffe benötigt und sie benutzt, müsst ihr bereit sein sie bis zum Ende zu benutzten. Es gibt dann möglicherweise kein zurück mehr!"
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 15. Jun 14, 21:00
Dieses Mal antwortete Jabucica und strafte so jeden, der glauben mochte, dass von den beiden Dječak der Wortführer war, Lügen.

"Waffen und Gewalt sind nie ein Spiel, Herr Wassilij. Eine Reitgerte ist auch kein Taktstock, sondern eine Verstärkung der reiterlichen Hilfen und in den falschen Händen kann sie ein fürchterliches Folterwerkzeug sein. Mit der Macht ist es ebenso. Vielleicht wollen Dječak und ich aus dem einfachen Grund lernen, mit einer Waffe umzugehen, um uns selbst zu beweisen, dass wir unserem Zuhause entkommen sind. Dass wir jetzt bestimmen und auch unübliche Wege gehen dürfen."

Dječak fuhr fort, als wären ihre Gedanken und Münder eins:
"Aber vielleicht denken wir auch, dass nun, wo ein neuer Weg vor uns liegt, neue Fähigkeiten gebraucht werden. Wer seinen eigenen Pfad geht und nicht in der Masse stehen bleibt, der kommt auch schon mal an Schwierigkeiten vorbei. Da ist es gut, wenn man nicht nur schnelle Pferde hat."

Ganz offensichtlich meinten sie damit nicht nur den einfachen Fall des Konfliktes auf ihrem Weg, sondern auch eine größere Spannbreite an Fähigkeiten, die sie einem Arbeitsherrn zur Verfügung stellen können wollten.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 15. Jun 14, 22:33
Wassilij nickte nachdenklich.

"Gut, bis Fanada werden wir einige Zeit brauchen. Bis dahin kennt ihr die Grundlagen und beherrscht sie. Morgen suchen wir geeignetes Holz um Übungswaffen zu schnitzen und dann werden wir jeden Abend früh halt machen, damit wir üben können."
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 15. Jun 14, 22:45
Die beiden goldblonden Geschwister nickten und Dječak reichte Wassilij den Säbel zurück. Am heutigen Abend würde wohl erstmal nichts weiter passieren.
Die drei hockten sich nahe an das Feuer, die Pferde standen in der Nähe. Es war eine friedliche Stimmung und schließlich begannen Jabucica und Dječak zu singen...

Jabucica begann:
Wo bist du, Geliebter?
Ich kann dich nicht sehen
Doch ich spür dich nah bei mir
Durch das hohe Gras gehen
Wenn die Blumen sich wiegen
Jeder Halm sich sanft neigt
Wenn am Morgen der Nebel
Aus dem Koselbruch steigt


Nun sang Dječak:

Du hast mich verzaubert
Mit deinem Gesang
So schwer war der Krug und
So leicht war dein Gang
Deine Stimme so klar und
So stark wie ein Fluss
Dessen Strömung ich nicht entkomme
Weil ich dir folgen muss


Daraufhin sang wieder Jabucica:

Komm zu mir als Rabe
Komm zu mir im Wind
Komm zu mir als Wolf, dass
Vereint wir wieder sind
Komm zu mir im Traumland
Komm zu mir im Wald
Mein Herz erkennt dich immer
Und in jeder Gestalt


Und es antwortete wieder Dječak:

Ich eile schon zu dir
Steige auf himmelwärts
So stark ist deine Stimme
So laut ruft dein Herz
Doch gib acht, meine Liebste
Die mich hat auserkoren
Denn der Meister darf nichts wissen
Sonst bin ich verloren


Schließlich sangen beide:

Komm leg dich hin zu mir
In's Morgentau-Grün
Sieh in meinen Augen
Die Wolken fortziehen
Und ich wollt wir zögen mit ihnen
Wohin keiner folgen kann
Wo uns keiner je findet
Und wir frei sind irgendwann
Und nichts darf uns trennen
Nicht Gefahr, die uns droht
Nicht Verrat, kein böser Zauber
Nicht der Teufel, nicht der Tod
Wenn dich keiner erkennt fern
Dich niemand mehr sieht
Mein Herz erkennt dich immer
Was auch immer geschieht
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 15. Jun 14, 22:57
Wassilij bereitete Tee vor, während die Beiden sangen. Er hatte keine Eile und gab sich bewusst ruhig und friedlich, um den Geschwistern die neue Situation nicht zu erschweren. Aber das schien kaum notwendig.

"Woher stammt das Lied? Jenna hat es gerne gesungen und Malla damit zum einschlafen gebracht."
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 15. Jun 14, 23:04
Die beiden grinsten sich an, dann sagte Dječak:
"Es ist ein Teil eines Liederzyklus. Eine Geschichte um einen Jungen namens Krabat, der zu einem schwarzen Magier in die Lehre geht."

"In diesem Lied trifft sich Krabat mit seiner Liebsten, Kantorka. Aber er muss es heimlich tun, denn der Meister verbietet es. Sie träumen davon, ein Leben fernab der Teufelsmühle, in der Krabat lebt, zu führen.",
führte Jabucica das Thema weiter aus.
Zum Schluss trat auf die Gesichter der beiden ein trauriges Lächeln.

"Sie schaffen es aber leider nicht.", schloss die junge Frau.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 16. Jun 14, 06:06
Wassilij stellte den Teekessel in das Feuer und zog aus einer Tasche Material um sein Schwert zu pflegen.

"Wisst ihr, ihr und Jenna seid kein Lied. Ihr habt es geschafft. Es gab hier keinen Schwarzmagier. Dafür gibt es mich. Und ich weiß in solchen Dingen, was es zu tun gilt. Ihr könnt die nächste Nacht beruhigt durchschlafen und ich Wache über Euch. Danach überlegen wir uns, ob wachen erforderlich sind. Ihr seid jetzt Frei, aber die Straßen sind nicht unbedingt ungefährlich."

Aus einer Auswahl an Schleifsteinen, wählte er einen besonders feinen aus und ließ ein wenig Öl darauf tropfen. Als er begann die Schneide damit in kreisenden Bewegungen zu bearbeiten, gab es kaum ein Geräusch. Er schien die Schneide eher zu polieren als andere ihre Messer oder Schwerter schärften.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 17. Jun 14, 00:00
"Es ist ja nur eine Geschichte.", sagte Dječak.

"Und eine lange noch dazu!", meinte Jabucica mit einem Grinsen. Dann jedoch wurde ihr Gesicht wieder ernst:

"Über eines haben wir noch nicht gesprochen, Herr Wassilij. Wovon wollen wir leben, wenn wir unterwegs sind? Ich sehe, Ihr habt Ausrüstung dabei, aber drei essen mehr, als einer. Wenn wir viel reiten, können die Pferde nicht grasen - woher das Futter nehmen? Mein Bruder und ich besitzen, was wir am Leibe tragen und das bisschen, was wir raffen konnten. Aber das ist nicht viel und zu Geld lässt es sich wohl auch schlecht machen. Zudem sind wir Kinder der Stadt - wir wissen nicht genug, um uns ausreichend vom Land ernähren zu können."
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 17. Jun 14, 06:12
Wassilij zog die Augenbrauen hoch.

"Immer mit der Ruhe. Zuerst vergesst das 'Herr Wassilij'. Es reicht einfach nur Wassilij. Meine Eltern waren schließlich auch nur arme Bergarbeiter. Für die Reise habe ich ausreichend Kupfer und Silber dabei. Zu nächst müsstet ihr ein paar Tage lang mit dem auskommen, was ihr habt. Dann werden wir Euch etwas besseres kaufen und auch noch mehr Vorräte. Da ihr ja auch den Schwertkampf lernen wollt, nehmen wir uns die Zeit, dass die Pferde grasen können. Ich möchte nur den ersten Tag ein zügiges Tempo anschlagen. Zunächst reiten wir gen Osten, um etwaige Verfolger in Richtung Andarra zu leiten. Auch wenn ich das nicht unbedingt für erforderlich halte, weil Eurer Familie für die Verfolgung das Geld fehlt. Aber man kann nie vorsichtig genug sein. In nicht ganz einem Tag erreichen wir eine kleine Stadt, in der wir die Vorräte und Ausrüstung für Euch kaufen. Danach reiten wir weiter und schließlich verlassen wir die Handelsstraßen um uns über Bergpfade in Richtung Brega zu halten."
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 17. Jun 14, 22:53
Jabucica wurde knallrot vor Verlegenheit.
"Verzeihung.... Wassilij. Ich wollte nicht... "
Sie straffte sich:
"Aber wie sollen wir das je zurückzahlen? Ich habe kaum ein Kupfer in der Tasche und Dječak verfügt auch über kaum etwas, weil Vater ihm immer fast alles abgenommen hat, was er im Stall verdient hat."

Das Thema schien dem jungen Mann unangenehm und er kümmerte sich auffällig sorgfältig um das Feuer, an dem es eigentlich gar nichts zu kümmern gab...
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 18. Jun 14, 06:06
Wassilij zuckte mit den Schultern. Das Schwert war nun geschärft und gepflegt. Nachdem er es zurück in die Scheide geschoben hatte, ließ er es unauffällig ein Stück offen stehen und fügte sich einen kleinen nicht wirklich sichtbaren Schnitt an einem Daumen zu, um die Klinge zu ehren.

"Macht euch darum bitte keine Sorgen. Ihr könnt mir sicher eines Tages einen Gefallen erwidern. Das alles hier tue ich für eine Freundin. Ohne es zu wollen, habe ich viele meiner Freunde verletzt. Dafür suche ich nun einen Ausgleich. Auf Euch beide, bin ich zufällig gestoßen. Ich habe nicht einmal gewusst, dass es euch gibt."
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 18. Jun 14, 15:17
"Du hast nicht gewusst...?!"

Jabucica stand der Mund offen.

"Aber wie wusstest du dann, wer wir sind?", fragte Dječak ebenso verblüfft.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 18. Jun 14, 17:37
Wassilij zuckte mit den Schultern und sprach als ob es das normalste von der Welt wäre.

"Nun ich war in ein paar Tavernen unterwegs. Dort hörte ich Gerüchte, welchen ich nach ging. Einige Dinge wären einfach zu große Zufälle gewesen. Als sich das bestätigte, bin ich in Euren Laden gekommen und mir Sicherheit zu verschaffen. Aber als dann euer Bruder bei mir im Zimmer stand und den großen Mann markierte, war es bewiesen."
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 18. Jun 14, 18:27
"Ich glaube, ich will gar nicht wissen, was für Gerüchte das waren..." grummelte Dječak leise und begann, seine und Jabucicas Schlafstatt etwas näher ans Feuer zu rücken. Offenbar plante er, das Gespräch aus seiner Schlafposition heraus weiterzuführen...

"Hast du... hast du mit Mlad das gleiche gemacht, wie mit Vater?", fragte Jabucica mit dem ungläubigen Staunen eines Kindes, das zum ersten Mal in seinem Leben einen Gaukler sieht.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 18. Jun 14, 20:12
Wassilij schüttelte den Kopf.

"Nein, ihm habe ich viel Geld und eine bezahlte Arbeit in Aussicht gestellt und wäre bereit gewesen, zu dem Wort zu stehen. Aber er wollte nicht. Daraus ergab sich beinahe ein Streit. Mittlerweile müsste Euer Vater ihn gut verschnürt in dem Gasthaus gefunden haben."
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 18. Jun 14, 20:23
An Jabucicas Gesichtsausdruck änderte sich nichts. Naja, vielleicht war ihre Kinnlade noch einen Fingerbreit tiefer gesackt. Wer konnte das beim schwindenden Tageslicht schon sagen...

"Die werden toben, dass du weg bist.", sagte Dječak trocken und legte sich bäuchlinks auf seinen Umhang, das Kinn auf die Hände gestützt.

Dies brachte Jabucica wieder zur Besinnung.
"Ich weiß, ich sollte es nicht sein, aber ich bin froh, all dem entronnen zu sein. Wusstest du, das Vater bei der Familie des Proviantmeisters der imperiellen Garde war, um mich feilzubieten?", sagte sie traurig an ihren Bruder gewandt.

"Ja.", antwortete dieser bedrückt, "aber ich hatte gehofft, du würdest es nicht erfahren, weil sie ohnehin 'Nein' gesagt haben."
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Wassilij am 18. Jun 14, 20:28
Wassilij lachte leise und sah beide leicht belustigt an.

"Im Leben geht es nicht darum, wer wen wegen Geld heiraten muss. Das werdet ihr jetzt bald noch lernen. Es gibt andere Menschen! Menschen die an den freien Willen des Einzelnen glauben. Jetzt seid ihr frei. Ihr könnt Euch aussuchen, wen ihr heiraten wollt und wen nicht.  Vor rausgesetzt der oder die andere will auch. Und jetzt versucht etwas zu schlafen. Morgen fangen wir früh mit Waffenübungen an.
Titel: Re: Wassilij in Engonia
Beitrag von: Lilac am 18. Jun 14, 20:45
Es dauerte noch eine ganze Weile, bis die beiden Geschwister sich soweit beruhigt hatten, dass sie schlafen konnten.
Dann jedoch lagen sie aneinandergekuschelt wie zwei Welpen ruhig da. Zwischenzeitlich schienen beunruhigende Träume ihren friedlichen Schlummer zu stören, doch sie drückten einander im Schlaf und so dauerte es nur ein paar Momente, bis sie wieder selig weiterschliefen.
Jetzt, in der sanften Umarmung der Nacht, zeigte sich, wie jung Dječak und Jabucica noch waren. Allerhöchstens 20 Sommer konnte der Bursche zählen und seine ebenso goldlockige Schwester war noch jünger. Im Gegensatz zu Jenna war bei beiden noch kindlicher Übermut in den Zügen zu lesen. Ihr Leben war bisher nicht einfach gewesen, aber ihr enges Band hatte beiden geholfen die schwierigen Strömungen in jugendlicher Leichtigkeit zu meistern.