Forum des Engonien e.V.
Hier und dort: In Engonien und außerhalb des Kaiserreiches => Gruppen auf Reisen im In- und Ausland => Thema gestartet von: Lilac am 19. Jun 14, 17:51
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Es war noch früh am nächsten Morgen nach dem Aufbruch von Engonia, als Jabucica und Dječak zeitgleich die Augen aufschlugen. Zunächst waren sie irritiert. Warum lagen sie hier draußen, unter freiem Himmel? Ein kurzer Rundum-Blick zeigte eine ungewohnte Szene: Eine kleine Feuerstelle, die bereits neu angefacht war, ein Teekessel, drei Pferde - zwei Wallache und ein auffallend hochwertiger Hengst, die Ausrüstung der Tiere, zwei armselige Haufen mit der ganzen Habe der beiden Geschwister und ein geübt sortierter Packen mit den Habseligkeiten des Mannes, der gerade von einem Kurzausflug ins Gebüsch zurückzukommen schien.
Im selben Moment schoss der jungen Frau und dem jungen Mann die Erinnerung in den Kopf:
der gestrige Tag - der Fremde (er heißt Wassilij) - der Fortgang von Heim und Familie - der Weg durch und aus Engonia - der Ritt in die neue Zukunft...
Genüsslich schlossen Jabucica und Dječak noch einmal für einen Moment die Augen, atmeten tief ein und gaben sich ganz ihren Sinnen hin.
Die Vögel begrüßten schmetternd den neuen Tag. Die Luft war noch frisch, aber rein und frei von menschlichen Ausdünstungen. Die Sonne stieg gerade erst hinter den Bäumen empor. Die Pferde grasten zufrieden schnaubend nahebei, die Holzscheite im Feuer knackten, im Teekessel begann das Wasser zu sieden und kaum hörbar näherten sich die Schritte Wassilijs.
Nach einem Moment des sinnlichen Genusses rappelten die Geschwister sich selig lächelnd auf.
"Guten Morgen!", sagten sie zeitgleich und lachten dann über ihren Duett-Gruß.
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Wassilij hatte lange während der Nacht darüber nachgedacht, ob er sie an diesem Morgen schonen sollte, oder direkt hart im Schwertkampf unterweisen. Doch die beiden hatten sich etwas Ruhe verdient fand er. Deswegen übergab er die glatt bearbeiteten Eichenstöcke freundlich und grüßte zurück.
"Guten Morgen ihr beiden! Ich hoffe ihr hattet eine angenehme Nacht? Das erste mal draussen ist oft befremdlich. und ich hoffe ihr seid bereit für Eure ersten Übungen?"
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Der Krieger hätte sich keine Sorgen machen brauchen. Die Jugend und die Freuden des Abenteuers hatten den beiden eine weichere Unterlage geschaffen, als es ihre durchgelegene, flohbewehrte Strohmatratze zuhause je gekonnt hätte.
Sie schälten sich aus ihren Umhängen und streckten sich.
Jabucica flocht sich rasch den langen, dicken Zopf neu und auch Dječak band sein Haar mit einem Lederstreifen in einen kleinen Dutt, damit er es aus den Augen hatte.
Leicht breitbeinig, mit etwa zwei Schritt Abstand von einander stehend, sahen sie Wassilij nun erwartungsvoll an.
"Was sollen wir tun?", fragte der Bursche.
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Wassilij grinste und verbeute sich leicht. "Dann fangen wir an!"
Es war für die beiden überraschend, wie schnell zwei Schritt überbrückt werden konnten. Mit einem Stoß in Richtung des Gesichtes von Jabucica eröffnete Wassilij den Angriff. Noch während der Bewegung erstarrte Jabucica, riss jedoch aus einer reinen Schutzreaktion ihren Stock hoch, während ihr Bruder seine Deckung fast völlig fallen lies um den Stich fort zuschlagen. Damit hatte Wassilij gerechnet. Ein schneller Schritt zur Seite, den Körper eingedreht und aus dem Stich wurde ein Hieb, der den Bauch von Djecak stark gebremst traf. Fließend drückte Wassilij den jungen Mann mit der Schulter aus dem Gleichgewicht, ließ ihn jedoch nur straucheln und nicht stürzen.
Jabucica hatte sich schneller von dem Schreck erholt, als ihr Bruder und versuchte Wassilij nach zu setzen. Doch brachte dieser ihren nun strauchelnden Bruder zwischen sich und sie. Als sie versuchte nach ihm zu Stechen, traf sein Stock den ihren in der Nähe ihrer Hände mit unerbittlicher Härte und sie ließ ihren Stock fallen.
Kaum war Jabucica entwaffnet, fand Djecak sein Gleichgewicht wieder und Wassilij senkte den Stock.
"Eure Reaktionen sind nicht schlecht. Aber Eure starke Bindung wird eure Schwäche sein. zu mindest am Anfang. Später kann es Euch helfen, wenn ihr Euch nicht absprechen müsst, während ihr jemanden gemeinsam angreift. Aber Djecak, durch deinen Versuch Jabucica zu retten, hast du dich selbst angreifbar gemacht. Anstatt meines Stockes hättest du mich direkt angreifen sollen. Passt auf, noch einmal von vorne. Wir machen das gleiche wie gerade und ich erkläre Euch, was ihr besser machen könnt."
Damit wiederholten sie die kleine Choreographie, nur dieses mal langsam und Wassilij zeigte, was sie besser machen könnten.
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Die Geschwister zeigten sich lernwillig, und wenn sie tatsächlich lang genug trainieren würden, wäre ihre Gabe ein gefährlicher Vorteil gegenüber jedem Kontrahenten.
Dječak war etwas geschmeidiger, da er seinen Körper tagtäglich genutzt hatte.
Dafür war Jabucica flinker und wilder. Ein ums andere Mal ließ sie ihren Stock mit einem leisen Schrei fallen, weil ihre Attacke in einem Schlag auf ihren Händen geendet war. Schließlich jedoch wuchs sie in ihrem Trotz über sich heraus und ignorierte den Schmerz. Sie zuckte zwar zurück, ließ ihren Übungsstecken aber nicht mehr los.
Es wurde klar - die junge Frau würde sich durchbeißen. Egal wie.
Während Jabucica gelegentlich ein Funkeln in den Augen hatte, das ihre Idee, den Gegner einfach mit einem Tritt oder einem Stoß aus dem Kampf zu befördern, verriet, gehörte Dječak zu der Sorte 'ehrenhafter' Kämpfer. Es fiel ihm schwerer, nicht die gegnerische Waffe, sondern auf den Gegner selbst zu attackieren.
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Nach etwa einem Stundenglas, nickte Wassilij, kaum ausser Atem und verbeugte sich langsam.
"Das reicht erst einmal! Heute Abend werden wir unsere Übungen fortsetzten. Aber ich bin Stolz auf Euch. Ich habt den nötigen Willen. Jabucica, du nutzt alles, um daraus einen Vorteil zu nutzen und das kann dir das Leben retten. Djecak, wie kommt es, dass du so viel Wert auf einen ehrenhaften Kampf legst? Woher hast du das?"
Fragte Wassilij neugierig. es war offensichtlich, dass es ihn wirklich interessierte und er das sogar respektierte, obwohl er viel mehr Tricks einsetzte und es offensichtlich war, dass er so kämpfte, wie es nützlich war.
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Die beiden Geschwister hingen vornübergebeugt, sich mit den Händen auf den Oberschenkeln abstützend und keuchten. Schweiß tropfte von ihren Gesichtern und trotz aller guten Bemühungen hingen ihnen die feuchten Haare in den Augen.
Während die junge Frau sich streckte und mit den Händen in den Hüften ihre Wirbelsäule lockerte, blieb Dječak in der vorherigen Position und sinnierte über Wassilijs Frage:
"Jabucica ist zwei Jahre jünger als ich. Aber sie hat immer versucht, mit mir auf einer Höhe zu sein. Das und die Tatsache, dass Mädchen sich bei uns im Viertel mit allen Mitteln verteidigen müssen, um von den anderen Kindern nicht untergebuttert zu werden, hat sie schon immer offensiv sein lassen. Mir hingegen waren diese 'miesen Tricks', wie die Bengel auf der Straße und später die Schläger in den Tavernen sie benutzt haben schon immer zuwider..."
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Wassilij sah dem jungen Mann tief in die Augen. Da war keine Lüge, schlummerte dort vielleicht das Herz eines Ritters? Er lies den jungen Mann merken, dass er ihn nicht als Ziel eines bösen Scherzes nutzte, sondern seine Worte meinte wie er sie sagte, als Wassilij weiter sprach.
"Du hälst es also mit den Tugenden der Ritter? Wie kommt das? Ich meine, das erwartet man bei dir nicht und wenn man deinen ältesten Bruder und Vater kennen lernt, ist das mehr als verwunderlich. Du hast eine innere Stärke, derer du dir selbst nicht bewusst bist!"
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"Ritter?"
Dječak lachte laut und ehrlich auf, als habe Wassilij einen köstlichen Scherz gemacht.
Dann, immer noch mit dem Lachen in den Augen, sprach er weiter:
"Weil ich eine ehrliche Auseinandersetzung vorziehe, bei der man sich auf die Waffen beschränkt, die man gewählt hat, bin ich doch kein Ritter? Wo ist mein Titel, mein Rock, mein Knappe, meine Burg und mein Edelfräulein? Nein,", er schüttelte den Kopf, "ich habe einfach keine Lust, in einem Faustkampf mit einem Messer abgestochen oder bei einem Kampf mit dem Schwert, sollte ich je eines führen, mit einem Tritt in die Weichteile besiegt zu werden. Das ist für mich nicht ehrlich. Effektiv vielleicht. Und vermutlich bin ich dumm, dass ich mir das nicht einfach aneigne. Aber es fällt mir schwer, so zu kämpfen."
Der junge Mann zuckte mit den Schultern und sah Wassilij und dann seine Schwester an, die nun, ihrerseits den Stock immer noch wie eine Waffe in der Hand, langsam zu Atem kam und bildhübsch aussah in ihrer Erregung.
"Aber wenn du sagst, dass ich es lernen soll, werde ich es tun.", schloss der Bursche und sah Wassilij mit ernstem und ehrlichem Blick an.
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Wassilij lächelte offen und ehrlich.
"Ich lehre dich nicht. Ich biete dir Wissen an und was du daraus machst, ist deine Sache. aber ich kenne einen Bauernlümmel und Taugenichts von früher. Heute ist er Knappe und ehrenhaft! Es ist nicht unmöglich. Ich selbst kenne ein paar Ritter und andere Adlige recht gut! aus einem Scherz mit einem von ihnen ist heraus gegangen, dass wenn ich fragen und es wollen würde, würde er mich als Knappe akzeptieren! Glaub mir, vielleicht bist du ein besserer Ritter als viele von denen, die den Titel tragen! Du hast eben den Schutz deiner Schwester vor deinen eigenen gestellt und dich geöffnet, um sie zu schützen. Viele Ritter hätten das sicher ausgenutzt und den Treffer bei ihr in Kauf genommen."
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Bei Wassilijs letzten Sätzen wurde Dječaks Gesicht ernst.
"Jabucica zu schützen bedeutet, mich selbst zu schützen. Ich weiß nicht, ob du das verstehen kannst. Wir sind..."
Dječak rang nach Worten.
Jabucica trat auf ihn zu und legte ihm eine Hand auf den Arm und sprach an Wassilij gewandt weiter:
"...sehr eng verbunden."
Der Bursche nickte seiner Schwester dankbar zu.
"Ich möchte gar kein Ritter oder sowas werden. Das sind für mich Helden aus Geschichten. Mir würde es schon reichen, wenn ich für mich und die meinen das Brot verdienen und Schutz und ein Heim bieten kann. Eine Anstellung irgendwo...", fuhr er fort.
"...wo auch ich mit Pferden arbeiten kann, ohne dass jemand mich davon abhalten will...", setzte Jabucica nach.
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Wassilij nickte ernst.
"An genau so einen Ort, gedenke ich Euch zu bringen. Ich will nichts aus Euch machen, was ihr nicht wollt oder was ihr Euch nicht selbst erarbeiten könnt. Jetzt beginnt euer Leben und ihr habt die Wahl. So wie es unserem glauben entspricht. Jeder hat immer mindestens zwei Möglichkeiten zu wählen!"
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"'unserem Glauben'?", Jabucica legte den Kopf schief.
"Bist du sehr gläubig, Wassilij? Bei uns in der Familie wurde der Glaube immer gerade so genommen, wie es passte. Wir haben die großen Feste gefeiert, aber in die Tempel ging höchstens Mutter. Und Jenna, nachdem sie erfahren hatte, dass sie schwanger war. Da hat sie Lavinia gedankt."
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Wassilij atmete tief durch. Eine schwierige Frage mit einer schwierigen Antwort.
"Ich bin sehr gläubig, doch ich mache keine große Sache daraus. Aber ich habe eine Zeit lang meinen Glauben verloren."
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Jabucica und Dječak waren zwei einfühlsame Menschen. Sie drangen nicht weiter in Wassilij. Wenn er wollte, würde er von selbst davon erzählen.
Inzwischen waren die Geschwister wieder zu Atem gekommen.
"Wie geht es nun weiter? Sollen wir bald aufbrechen?", fragte Dječak.
"Wenn wir auf dem Weg einen Weiher finden, bin ich die erste, die drin ist!", schwor sich Jabucica, während sie einige schweißfeuchte Strähnen aus ihrer Stirn strich.
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Wassilij wies mit der Hand gen Osten.
"Etwa eine halbe Wegstunde von hier fließt die Alva und ihr werden wir ohnehin ein gutes Stück Stromaufwärts folgen. Also können wir dort an einer geschützten Stelle ein Bad nehmen."
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Somit brachen die Drei unter Wassilijs Anweisungen das kleine Lager ab, sattelten und zäumten die Pferde und schwangen sich auf die Tiere. Nach dem Kampftraining waren die Geschwister schon nicht mehr ganz so geschmeidig beim Aufsitzen. Das würde erst heute Abend und besonders morgen noch 'lustig' werden!
An Jabucicas linker Hand bildeten sich erste rote Flecken, die in den kommenden Tagen viele bunte Farben zeigen würden - sie ritt daher hauptsächlich mit der Rechten, doch als sie sah, dass Wassilij es bemerkte, nahm sie stur die Zügel in beide Hände.
Dječak testete inzwischen seine Reitkünste an seinem braven Wallach aus, indem er das Tier mal neben den anderen, mal hinter den anderen laufen ließ, es beschleunigte und durchparierte und den Braunen schließlich sogar durchs Genick ritt.
Jabucica sah ihrem Bruder dabei zu und gab gelegentlich einen Kommentar ab, der zeigte, dass ihre reiterlichen Fähigkeiten weniger durch erlernte Übung, sondern durch natürliche Begabung und ein urtümliches Pferdeverständnis entsprangen.
Kurz vor der Alva versuchte der junge Mann sein Pferd im Trab die Tritte verlängern zu lassen, da kam wieder ein Hinweis von seiner Schwester:
"Lass ihm links mehr Zügel, Dječak. Er rollt sich ein und ist schon hinter der Senkrechten, das bringt so nichts!"
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Wassilij staunte nicht schlecht. Sie mussten einfach aus dem gleichen Volke stammen. Der Umgang mit Pferden lag ihnen wohl mehr als nur im Blut. Wenn man sie lassen würde, würden sie Wassilij um Längen übertreffen. Für ihn war es viel lernen gewesen, das ihn zu einem guten Reiter gemacht hatte. und natürlich viel körperliches Training hatte dabei geholfen. So hatte er auch einiges an Tricks und Kniffen erlernt, die ihn zu einem hervorragenden Reiter machten.
In einiger Entfernung Kam über eine weite, sachte Aue die Alva in Sicht. Wassilij stellte sich leicht nach vorn gebeugt im Sattel auf und sagte etwas in Matsch's Ohren. Freudig schnaubte der Hengst und preschte los. Wassilij lies ihm lockere zügel. Er sollte sich einmal austoben auf dem Weg zur Alva. Wassilij wusste dass Matsch es liebte einfach mal nur zu rennen und hier war es sicher.
Während das gras im Wind wie Wellen in einem grünen Meer wiegte, schoss das stolze Pferd im Wind dahin. die Mähne und der Schweif, flogen im Winde, der Reiter hatte seine Position und Bewegung völlig an die seines Pferdes angepasst und so schossen sie dahin.
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Während Jabucica auch die Zügel lang ließ, aber relativ aufgerichtet geradeso im leichten Sitz über dem Sattel schwebte und ihren Fuchs hinter Matsch herjagen ließ (keine Chance, ihn einzuholen, aber Spaß macht's trotzdem!), blieb Dječak im Sattel kleben und ließ sein Pferd an der Hand unter völliger Kontrolle galoppieren. Dabei wechselte er in den Tempi vom versammelten bis hin zum verstärkten Galopp.
Schließlich war er so begeistert, dass er noch einen Schritt weiterging und ausprobierte, ob der Braune auch Galoppwechsel konnte.
Langsam war das einfache Reitpferd jedoch am Ende seiner Ausbildung angelangt und zeigte dies auch durch unwilliges Kopfschlagen.
Dječak lachte laut auf, ließ ihm die Zügel lang, stellte sich auch leicht in den Bügeln auf und klopfte und lobte das Tier ausgiebig, während es immer noch im ruhigen Galopp hinter den anderen Pferden herlief, langsam aber an Geschwindigkeit zulegte.
Wenige Momente, nachdem Matsch und Wassilij am Flussufer angekommen waren, erreichten auch Jabucica und ihr Fuchs den Kiesstreifen. Beide Pferde waren noch unruhig von der Rennerei, doch beide Reiter saßen das Herumzappeln, Kopfschütteln und übermütige Schnauben locker aus.
Schließlich drang auch der ruhige Dreitakt von Dječaks Braunen an die Ohren der kleinen Gesellschaft.
Jabucica drehte sich im Sattel um und rief belustigt:
"Wo bleibst du denn? Hast du unterwegs seine Hufe neu beschlagen?"
"Quatsch! Guck mal!", tönte Dječak zurück und brachte nun doch noch drei Galoppwechsel zustande, die von seinem Pferd mit erneutem Kopfschlagen quittiert wurden.
Als er schließlich bei den anderen mit umherfliegenden Kieselsteinchen zum Stehen kam, war er ganz außer sich vor Glück.
"Der ist richtig gut für ein einfaches Reitpferd! Ob der Kerl, der ihn verkauft hat wusste, was er da für ein feines Kerlchen aus den Fingern gegeben hat?"
Wieder klopfte der Bursche den nun schweißnassen Hals des Pferdes ausgiebig. Der Braune warf den Kopf auf und ab, als wollte es ihm zustimmen. Das Tier kaute ausgiebig an seinem Gebiss, die Schaumflocken flogen nur so herum.
Die Gesichter der Geschwister waren voller Freude. Offenbar hatte Wassilij kaum etwas besseres tun können, als den beiden Pferde unter die Hintern zu stellen.
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Wassilij kümmerte sich zu erst um Matsch. Nach Lob und Streicheleinheiten wurde der Sattel abgenommen und der Hengst ausgiebig gebürstet und gepflegt. Danach entlies Wassilij ihn ohne Sattel und Zaumzeug.
Matsch beginn zu weiden, während Wassilij sich entkleidete, um sich ausgiebig zu waschen. Mit gesenktem Blick, wusch er den vernarbten Oberkörper. Es schämte sich. Die Narben sollte niemand sehen, aber es lies sich nun nicht vermeiden.
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Auch Jabucica und Dječak kümmerten sich ausgiebig um ihre Pferde. Die junge Frau hatte ihren Fuchs inzwischen, passend zu seiner Farbe, "Kupfer" getauft, während sich ihr Bruder dafür entschieden hatte, seinen Braunen einfach "Großer" zu nennen. Beide Geschwister führten ihre Pferde ein Stück weit in den Fluss und wuschen ihnen die Beine. Dann nahmen auch sie den Tieren die Sättel und das Zaumzeug ab, ließen die zwei aber nicht frei laufen, sondern befestigten lange Leinen an ihren Halsriemen, die ihnen nach dem Putzen Platz genug zum Grasen lassen würden.
Während es Dječak einfacher gelang, Wassilijs fürchterlich geschundenen Körper zu ignorieren, war Jabucica mehrfach versucht, den Krieger darauf anzusprechen, hielt es dann aber doch für besser, es nicht zu tun. Sie schämte sich für ihre Neugierde, konnte aber den Blick nicht von den Narben lassen.
Weil das Wetter wunderbar war, ging die junge Frau kurzerhand in ihrem langen Hemd ins Wasser, zog es dort dann aus und wusch es ebenso, wie sich selbst, mit einem Stück Seife. Bevor sie aus dem Fluss stieg, zog sie sich das Kleidungsstück einfach wieder über. Zwar klebte der nasse Stoff an ihrem Körper und zeigte so mehr, als er verhüllte, doch das nahm sie gelassen in Kauf.
Dječak entkleidete sich ganz und lief einfach ins Wasser, schwamm ein paar Züge und kehrte dann ans Ufer zurück, wo er sich von seiner Schwester die Seife geben ließ und sich ebenfalls wusch.
Schließlich stand Jabucica in der Sonne, um sich und das Hemd trocknen zu lassen und ihr Bruder mühte sich ab, mit noch feuchter Haut in seine Kleider zu kommen.
"Das tat gut!", meinte die junge Frau mit genussvoll geschlossenen Augen, das Gesicht zur Sonne hin haltend.
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Wassilij wischte mit der flachen Hand so viel Wasser wie möglich ab. Danach lies er seinen Blick am Ufer lang schweifen und sah zu den Bergen hin. Jetzt losreiten würde bedeuten im schlimmsten Fall ungeschützt in den Bergen zu übernachten. Oder sie würden hier den Rest des Tages verweilen noch etwas Üben und dann morgen zeitig los reiten. Die Überquerung der Berge war nicht einfach und seine Begleiter waren völlig unerfahren.
"Wir bleiben eine Weile hier." sagte Wassilij plötzlich. "Es lohnt nicht jetzt noch zu den Bergen zu reiten. Später reiten wir weiter zu einem Ort, wo wir sicher Übernachten können und für Euch noch ein paar Gewandungsteile und Ausrüstungsteile für die Reise kaufen werden."
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Wenig später sahen Dječak und Jabucica ihre Habe durch. Die Bündel waren klein.
"Ich hab mein Hemd, den Rock, die Weste, meinen Umhang, meinen Handarbeitsbeutel und den Sack mit meinen persönlichen Dingen.", sagte Jabucica.
"Immerhin hast du die Seife dabei! Aber so langsam bekomm ich Hunger!", meinte Dječak.
"Wirst du uns zeigen, wie man überlebt, Wassilij?", fragte die junge Frau, während sie sich mit schmezrverzerrtem Gesicht über die Innenseiten der Schenkel strich. Offenbar forderte das ungewohnte Reiten ohne Beinkleider seinen Tribut...
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Wassilij wiegte den Kopf ein wenig hin und her, bevor er antwortete. "Ja werde ich. Es wird sich kaum vermeiden lassen." Fügte er mit einem Schmunzeln hinzu.
"Für ein paar Tage habe ich noch genügen Essen mit. Aber bevor wir in die Berge gehen, müssen wir unsere Vorräte auffüllen. Jagen braucht Zeit. Und auch wenn wir keine Eile haben, möchte ich nicht zu viel Zeit mit dem Jagen verbringen. Was wir jedoch machen können ist über Nacht Fallenstellen und sie am nächsten Morgen kontrollieren. Wenn nichts drin ist, zerstören wir sie jedoch. Dann fangen wir mal mit dem Unterricht an. Macht doch mal Feuer!"
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Jabucica war das Feuermachen gewohnt. Es gehörte zu ihren täglichen Aufgaben im Haushalt. Jede Familie, die kein Geld für Brennholz 'über' hatte, entzündete Feuer nur, wenn es wirklich notwendig war. Jedoch fehlte ihr nun eine Funkenquelle.
Dječak ging ihr beim Aufschichten zur Hand - die beiden waren ein gut eingespieltes Team. Schon wenig später überlegten sie gemeinsam, wie sie ihr Problem lösen konnten.
"Du könntest mit deinem Dolch einen Funken schlagen!", schlug Jabucica vor.
"Hm, gegen was schlag ich ihn nur am Besten? Einen Kiesel vielleicht...", sinnierte Dječak.
"Warte, ich hol dir einen!", sagte die junge Frau und sprang auf...
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Wassilij lachte kurz auf.
"Bleib hier! Es ist doch alles da, was wir brauchen! Der Zunder ist gut vorbereitet, alles stimmt. Zumindest für schönes Wetter, wie man das bei schlechtem macht, zeig ich Euch beiden dann. Hier diesen etwas längeren, geraden Stock kann man gut nehmen. Er ist aus einem harten Holz und trocken. Auf der einen Seite, spitzen wir ihn etwas an. Wenn das passiert ist, benötigen wir ein kleines Brettchen. Das findet man nur selten im Wald. Als einen dicken Ast, wie diesen hier. Mit meinem Messer und einem weiteren dicken Ast, kann ich ein Brettchen heraus schlagen, in dem ich den einen ASt aufrecht hinstelle und das Messer ausserhalb der Mitte auf der Stirnflöche ansetzte. Nun schlage ich mit dem zweiten Ast auf den Klingenrücken hinter dem zu spaltenden Ast, während ich den Messergriff festhalte. So jetzt ist unser Ast einmal gespalten. Damit er jedoch stabil liegt, spalten wir aus dem einen Stück ein etwa fingerbreites Stück über die gesamte länge ab. Jetzt haben wir unser Brettchen. An einer Seite schnitzen wir ein kleines Loch hinein, welches uns später als Führung dient. Das Loch sollte ungefähr ein bis eineinhalb Finger vom Rand entfernt sein. Jetzt noch kurz einen Trichter vom Rand zum Loch geschnitzt und vom gespaltenen Ast ein Stück nehmen, in welches wir ein rundes, möglichst glattes Loch schnitzen. Dann bauen wir uns aus einem gebogenen Holz und Schnur einen kleinen Bogen, mit dem Wir den dünnen Ast drehen können, nachdem wir die Bogensehe einmal herum gewunden haben. Das sieht dann ungefähr so aus. Jetzt wird die angespitzte Seite des Bohrers in das Loch mit der Kerbe gestellt und das Holz mit dem zweiten Loch oben aufgelegt. Damit halten wir das ganze gerade, stabil und kontrollieren den Druck. Mit sachtem Druck von oben beginnen wir jetzt zu bohren. Das ist wirklich anstrengend und man muss aufpassen, dass der Schweiß vom Gesicht nicht in das Bohrloch fällt, denn sonst ist alles aus und man muss an einer anderen Stelle von Vorn anfangen. Jetzt macht bitte eine etwa Faustgroße Zunderkugel fertig und brecht sie leicht auf, so dass ein Nest für meine Glut entsteht."
Der Schweiß sammelte sich in recht kurzer Zeit in Wassilijs Gesicht und tropfte von der Nase. Wie vor gewarnt, hielt er seinen Kopf so, dass nichts auf das Holz tropfen würde. Es dauerte eine Zeit, dann stieg Rauch auf.
"Kommt der Rauch, müsst ihr einen kleinen Spurt hinlegen und noch schneller Bohren und das halten. Dann legt man alles zügig beiseite und klopft die Glut in das Zundernest. Jetzt wird sachte gepustet. Haltet es dabei lieber etwas über euren Kopf, damit ihr nicht rein tropft. Sobald das ganze sich entzündet, ab unter das Feuer und es brennt."
Mit diesem Worten stopfte Wassilij den brennenden Zunder unter das vorbereitete Feuer und es breitete sich zügig aus.
"Vorbereiten könnt ihr! Aber..." Er stand auf und ging zu seinem Gepäck, bückte sich und holte Käse, Äpfel, Brot und Dörrfleisch hervor. "Hierfür brauchen wir kein Feuer!"
Lachend warf er jedem etwas zu Essen zu. "Lasst es brennen, gleich kommt ein anderer Trick!"
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Die beiden Geschwister standen mit großen Augen daneben und sogen Wassilijs Ausführungen auf, wie Schwämme. Ihnen wurde klar, dass sie hier jemanden vor sich hatten, der ihnen ganz unglaublich viel beibringen konnte. Dječaks Bewunderung für Wassilij wuchs noch weiter.
Nun jedoch aßen sie ersteinmal. Wieder einmal fiel auf, dass Dječak öfter zugunsten Jabucicas zurücksteckte. Sie erhielt von ihm immer wieder mal etwas von der Verpflegung, wenn ihre Hände leer geworden waren.
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Wassilij war es nicht verborgen geblieben, wie oft Djecak zurück steckte.
"Djecak, es ist genug Essen da! Für die Reise wirst du viel Kraft brauchen und auch wenn du Schwertkampf lernen willst. Du musst Essen. Esst solange ihr noch Hunger habt und so viel Ihr wollt!"
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Beide Geschwister wurden knallrot und fühlten sich sehr ertappt.
"Wassilij hat Recht Dječak. Wir sind nicht zuhause, wo du im Stall noch etwas zu essen bekommst. Hier brauchst du wirklich alles für dich!", sagte Jabucica leise zu ihrem Bruder.
Dieser seufzte.
"Na schön! Aber dann will ich heute Abend auch keine von dir zurückgelegten Sachen bekommen! Kein in der Schürze verstecktes Essen!", mahnte er seine Schwester.
Sie nickte tapfer und zuckte plötzlich zusammen, als sei sie sich wieder Wassilijs Gegenwart bewusst geworden.
"Verzeih, Wassilij. Es war nicht immer... ganz einfach... daheim...", versuchte sie zu erklären.
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Wassilij lächelte. "Nun, ihr habt Zeit, die Gewohnheiten ab zustellen. Normalerweise müsstet ihr euch auf der Flucht schneller davon verabschieden. Aber das Problem haben wir nicht. Wir flüchten schließlich nicht. Ihr seid Frei!"
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Dječak schüttelte ein wenig verwundert den Kopf:
"Ich hab es noch gar nicht richtig begriffen, dass wir heute Abend nicht von einem wunderbaren Ausflug nach Hause zurück müssen..."
Jabucica nickte.
"Ja, das geht mir genauso."
Um ihre tiefgehenden Gefühle zu verarbeiten, stand die junge Frau auf und ging hinüber zu den Pferden, wo sie 'Kupfers' Hals umarmte und ihr Gesicht in seiner Mähne vergrub. Der Fuchs hörte auf zu grasen und betastete die goldblonde Frau vorsichtig mit den Lippen.
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Wassilij sah nach der Sonne. Es war schon spät und für ihn Zeit zum Aufbrechen.
"Los, schüttelt die Gemütlichkeit aus! Wir müssen weiter."
So packten sie ihre Sachen und sattelten die Pferde. Matsch war nicht weit weg und Wassilij pfiff lediglich und der Hengst trabte herbei. Wenig später saßen sie wieder auf den Pferden und ritten los. Wenige Wegstunden kamen sie in den recht ansehnlichen Ort, von dem der Krieger berichtet hatte. Nach einigem herum Fragen und vielen Diskussionen und Handel, hatten sie genügend Proviant für die nächsten Wochen und die Geschwister neue Kleidung für die Reise. Als Übernachtungsmöglichkeit hatte Wassilij eine Scheune am Ortsrand ausgemacht, in der sie die Pferde unterstellen konnten und sie selbst im Stroh. In den Gasthäusern, war kaum noch Platz und Wassilij wollte lieber Ruhe haben. Kaum war das Nachtlager eingerichtet, da warf Wassilij die Stöcke in die Runde.
Dieses mal war die Lektion härter und anspruchsvoller. Sie sollten für ihr Leben lernen und im Ernstfall würde auch niemand verzeihen. Das sagte er ihnen trotz Muskelschmerzen und blauer Flecken jedoch nicht. Statt dessen trieb er sie mehr und mehr an. Lies sie Kämpfen und scheuchte sie an die unmöglichsten Orte um ihren Gleichgewichtssinn und den Kampf in beengter Umgebung zu schulen.
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An diesem Abend war den Geschwistern die ungewohnte Anstrengung durchaus anzumerken.
Besonders Jabucica litt deutlich unter mangelnder Ausdauer, einem ordentlichen Muskelkater und ihren wunden Schenkelinnenseiten. Sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, doch das Training brachte sie deutlich an ihre Grenzen. Das ein oder andere Mal füllten Tränen ihre Augen und sie war kurz davor, alles hinzuschmeißen, doch sie biss sich auf die Lippe und versuchte ihr Bestes.
Dječak war nun deutlich im Vorteil gegenüber seiner Schwester. Die tägliche Arbeit als Stallbursche, bei der er zusätzlich Pferde hatte bewegen müssen, hatte ihm eine gute Kondition beschert. Dennoch plagten auch ihn ein von der vielen Reiterei empfindlicher Hintern und der Muskelkater der gestrigen Trainingseinheit.
Weil er zu sehr auf seine Schwester achtete passierte es ihm das ein oder andere Mal, dass Wassilij ihn ermahnen musste...
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Als Jabucica ausstieg, brach Wassilij die Lektion ab und stellte sich auf die kleinere, offene Stelle mitten in der Scheune.
"Dann üben wir den ehrenhaften Kampf!" Er bedeutete Djecak sich ihm gegenüber auf zustellen. Etwas ausser Atem, tat Djecak wie geheißen und sie grüßten sich mit den Stöcken.
Sie sahen einander an und gingen in Kampfhaltung. Djecak eröffnete den Kampf mit einer Finte. Er deutete einen Stich an und lies dn Stock halb fallen um Wassilij in die Seite zu schlagen. Der Konter war ein kurzer aber harter Schlag auf Djecaks Stock kombiniert mit einem Hieb in Richtung des Halses. Djecak hingegen wich zur Seite aus und brachte seinen Stock zwischen Wassilijs Stock und sich selbst. Es knallte, als die Stöcke erneut aufeinander trafen. Dann holte Djecak weit aus, als sie eine größere Distanz zwischen sich hatten und griff von obern herab aus einem kurzen Sprung heraus an. Wassilij konterte mit einem harten Stoß auf den Solarplexus und um den Hieb abzufangen glitt er schräg nach vorne an dem Hieb vorbei und bewegte seinen gestoßenen Stock mit dem Griff nach oben, wodurch der Stock seines Kontrahenten abglitt. Aus einer halben Drehung saß Wassilijs Stock am Hals von Djecak, welcher um Atem rang. Mit einem Nicken erklärte Wassilij den Kampf für beendet und trat hinter den jungen Mann und zog seine Arme nach oben, damit er Atmen konnte.
"Gut, sehr gut! Ihr beide lernt schnell!"
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Dječak keuchte und versuchte irgendwie, sich selbst gerade zu halten.
Jabucica, schniefend und um Fassung ringend, trat auf ihn zu und umfasste sein Gesicht.
"Bruder, schau mich an! Ja, so. Atme! Das Gefühl, dass du keine Kraft in deinem Bauch hast, geht gleich vorbei! Atme!"
Schließlich fand Dječak seine Kraft wieder und zog sich mit den Händen an einem Querbalken hoch.
Da ergriff Jabucica ihren Stock erneut und stellte sich in Kampfpositur vor Wassilij.
Sie sah kaum aus, als sei sie in der Lage zu kämpfen, doch sie schniefte geräuschvoll und forderte den Krieger heraus:
"Du hast meinem Bruder wehgetan. Jetzt hast du es mit mir zu tun!"
Dječak quäkte, noch immer etwas atemlos: "Jabucica, nicht..."
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Wassilij stützte Djecak und schüttelte ein wenig bedauernd den Kopf.
"Jabucica, was meinst du wird uns auf der Reise nach Fanada geschehen? Meinst du jeder Tag wäre so schön und sicher wie heute? Ich habe es mehr als einmal selbst erlebt. Es gibt dort Räuber und Banditen. Die würden für unsere Habe töten. Wenn es zum Kamp kommt und es zu viele sind, meinst du ich könnte Euch beide gleichzeitig beschützen? Wenn ihr kämpfen müsst und kennt den Schmerz nicht, lasst ihr Eure Waffen fallen oder seid irritiert. Glaub mir, es macht mir keinen Spaß diesen Weg zu gehen. Aber ihr habt wenig Zeit. Im übrigen, sollte dieser Kampf deinem Bruder zeigen, dass Ehrenhaft nicht unbedingt unterlegen ist. Es ist ein Zusammenspiel von Bewegung, Beweglichkeit der Hüfte und Technik. Was aber am Wichtigsten ist, ist das nutzen und erkennen des richtigen Momentes und das kennen der Entfernungen! Es gibt keinen anderen Weg, das jetzt in kurzer Zeit zu lernen. Aber wenn du weiter darauf bestehst..."
Wassilij lies Djecak los, der mittlerweile wieder selber stehen konnte. Und versicherte sich, dass es ihm wirklich gut ging, bevor er sich Jabucica ohne Stock in der Hand zuwandte.
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Eigentlich war sich Jabucica gar nicht sicher, was genau sie gerade wollte.
Sie spürte Dječaks Schmerz fast so, als sei es ihr eigener.
Aber ging es ihr wirklich um so etwas stupides wie Rache an Wassilij? Oder wollte sie vielmehr all das Unrecht, das ihrem Bruder angetan worden war, all den Schmerz, den er erfahren hatte, auf einmal zurückschlagen? Oder war es gar der ultimative Test, ob sie nun wirklich frei war, so zu handeln, wie SIE es wollte? Ganz ohne von anderen gesetzte Grenzen?
Hätte man sie gefragt, sie hätte nicht zu antworten vermocht. In ihrem Kopf war nur noch eine Mischung aus Trotz, Schmerz, Müdigkeit, Verzweiflung und Wut. Und dem Willen, nicht mehr schwach sein zu wollen.
Die junge Frau schniefte noch einmal, verzog das Gesicht zu einer trotzig-entschlossenen Miene und rannte schreiend mit seitwärts erhobenem Stock auf Wassilij zu.
Dječak rief noch einmal "Nicht!", doch seine Schwester ging völlig in ihrem Angriff auf.
Blind drosch sie scheinbar auf Wassilij ein, schien ihre ganze Kraft in den von schräg oben geführten Schlag zu legen, nur um im nächsten Moment den Oberkörper und damit auch den Stock zurückzuziehen und den Krieger mit einem Tritt zu attackieren. Sollte sie Erfolg haben, würde sie den Mann mit voller Wucht an der Rückseite des Oberschenkels, kurz oberhalb der Kniekehle treffen...
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Die Drehung nach vorne heraus kam etwas zu spät, sonst hätte sie nicht getroffen. Aber dafür hatte Wassilij das anvisierte Bein, sein Rechtes, entspannt und war dabei, es aus der Trittlinie heraus zu bringen. Das machte den Tritt nicht weniger schmerzhaft, aber weniger effektiv. Er voll endete die Drehung halbwegs, während er seine rechte Hand nutzte um sich mit seinem Unterarm in ihren Ellenbogengelenken einzuhaken und seine linke Hand zu einer Faust ballte, welche er seitlich abwinkelte und in der Ferse Jabucicas ein hakte. Um dort die Hand positionieren zu können, duckte Wassilij ich kurz ab, drehte sich weiter, während er sich wieder aufrichtete und es geschahen zwei Dinge gleichzeitig. Zum einen brach Wassilij Jabucicas Gleichgewicht und zwang sie zu einem Spagat, was er durch seinenanderen Arm nutzte und sie seitlich weg mit einem Hebel in das Heu warf. Diese abgewandelte Technik, war auch für Jabucica eindeutig als das zu erkennen, was sie war. Anders durchgeführt hätte sie sicherlich mehrere Brüche davon getragen.
Anerkennend grinsend verbeugte sich Wassilij mit einem leichten Humpeln. Sie hatte ordentlich getroffen.
"Zwei Dinge: Erstens, mach so etwas nie wieder, wenn du es nicht kannst und zweitens Respekt für deinen Mut und die Reaktion."
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Jabucica rappelte sich auf und war über und über mit Heu bedeckt, das sich in ihrem Haar und ihrer Kleidung festgehakt hatte. Sie sah sehr bedröppelt aus und schniefte mehrfach.
Irgendwie wusste sie nicht, wie sie auf diese Situation reagieren sollte. Auf diesen Mann, diesen Krieger, den sie gerade angegriffen und dem sie offenbar sogar wehgetan hatte, und der darauf offenbar nichts anderes zu tun hatte, als sie unbeschadet davonkommen zu lassen und sie auch noch zu loben.
Ihr Bruder blickte zwischen den Fingern hindurch von einem zum anderen und senkte dann langsam wieder seine Hände, die er vor das Gesicht geschlagen hatte, um das Drama nicht mit ansehen zu müssen.
Auch er war offensichtlich verunsichert, wie diese Situation nun ausgehen würde.
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Wassilij wollte etwas sagen, doch es kam nur noch ein "Das hast du wirkich gu..." Danach verfiel er in ein herzliches Lachen über die situation und hielt sich dabei sein Bein einwenig fest, weil es eim lachen anfing zu schmerzen, was sein Lachen doch ein wenig anspornte.
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Die Geschwister sahen den Krieger völlig entgeistert an.
Damit hatten sie nicht gerechnet. Ganz im Gegenteil; Jabucica war sich inzwischen darüber im Klaren geworden, was ihr zuhause gedroht hätte, wenn sie sich dergestalt aufmüpfig gezeigt hätte.
Djecak blickte etwas genauer auf seine Schwester und versuchte, die Situation mit Wassilijs Augen zu sehen. Schließlich konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen.
"Liebste Schwester, du siehst ganz entzückend aus!", kicherte der junge Mann, "Ich würde sagen, ihr seid jetzt quitt! Wassilij humpelt und du siehst aus, als hätte dich jemand im Heu gewälzt, wie ein Stück Fleisch in der Marinade!"
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Wassilij setzte ein schelmisches Grinsen auf.
"Meine Rache kommt morgen früh. Dafür lassen wir die Übungen ausfallen. Wenigstens, bis Eure Körper ich erholt haben und dann mchen wir weiter. Das Reiten werdet ihr schon genug hassen!"
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"Reiten hassen? Niemals", tönte es lauthals aus beiden Kehlen und damit war das Eis gebrochen und auch Jabucica stimmte in das allgemeine Gelächter ein.
Manchmal war es wirklich erstaunlich, wie nah die beiden Geschwister sich waren. Zeitgleich und auch noch dieselben Worte...
Djecak war jedoch der Anfang von Wassilijs Äußerung nicht entfallen: "Wirst du verraten, wie deine Rache aussehen wird?", fragte er argwöhnisch.
Nun saß auch Jabucica wieder ruhig in ihrem Heu und betrachtete den Krieger eingehend, als hoffe sie, die Antwort auf seiner Nase lesen zu können.
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"Kennt ihr Muskelkater? Und dann die schmerzenden Muskeln auf dem Sattel? Einge großartige Kombination! Ich werde euch niemals für so etwas bestrafen. Wer den Schwertkmpf lehrt, muss damit rechnen getroffen zu werden. Wenn ich Euch das verbieten würde, wäre das Dumm. Ich lerne von euch doch auch etwas."mit einem lächeln zu Jabucica fügte er hinzu "Zum Beispiel, dass ich auf dich ganz besonders aufpassen muss!"
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"Na schönen Dank, meinen ersten Muskelkater hatte ich heute schon!", maulte Jabucica leise, noch während Wassilij sprach. Unbewusst strich sie über ihre wunden Schenkelinnenseiten, die nun in Hosen steckten (Man stelle sich das mal vor! Eine Frau der Starinski-Familie in Hosen!) und verzog das Gesicht.
Bei Wassilijs letztem Satz wurde die junge Frau knallrot, konnte sich jedoch ein Grinsen nicht verkneifen. Es tat ihr gut, einfach mal impulsiv sein zu dürfen!
In dem Moment knurrte Jabucicas Magen so laut, dass die Pferde die Ohren spitzten. Beschämt senkte Jennas Schwester den Kopf. Knallrot war sie ja eh schon...
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Jabucicas Magen erinnerte sie daran, dass sie noch etwas essen wollten. Es war schon spät am Abend,als die sich gewaschen und gegessen hatten. draussen wurde es dunkel und so legten sie sich schlafen. Eine letzte entspannte Nacht vor den Bergen, welche sie in die Nähe von Brga bringen sollten.
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Am nächsten Morgen hielt der Schlaf die beiden Geschwister lange gefangen. Völlig geplättet lagen sie auf ihren Umhängen im Stroh und erholten sich von den ungewohnten Anstrengungen der vergangenen zwei Tage...
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Fast schon herzlos trieb Wassilij die Beiden an, auf dass sie sich fertig machten und die Pferde nach einem kurzen aber sättigenden Frühstück sattelten.
Es dauert nicht mehr lange und sie erreichten den Beginn der Bergpfade. Für die Geschwister, die keine richtigen Berge kannten, waren diese Berge riesig und bedrohlich. Wassilij hingegen war in den Bergen aufgewachsen und empfand sie eher als bessere Hügel. Aber Vorsicht war dennoch geboten auf den Geröllhängen. Dennoch schien die Sonne, als sie den ersten Pass am späten Nachmittag erreichten. Oben angekommen, stieg Wassilj ab und befahl die erste pause des Tages. Bisher hatten sie nur im langsamen Schritt im Sattel gesessenund dort beim Reiten gegessen und getrunken.
"Genießt die Aussicht und das essen. Gleich reiten wir weiter!"
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Es war ein reitfreundlicher Tag - Sonnenschein wechselte mit Bewölkung und eine stetige Bergbrise hielt die nervigsten Fliegen und Blutsauger fern. Dennoch machte das Spiel aus Helligkeit und Schatten die Augen müde und somit den Weg nicht eben einfacher.
Als Wassilij abstieg, quälten die Geschwister sich von den Pferden runter. Djecak schafte es noch relativ schwungvoll, landete hart, federte nach und ging dann etwas steif an das Kopfende von 'Großer', um den Braunen vom Trensengebiss zu befreien, damit er grasen konnte.
Plötzlich drehte sich der junge Mann wirbelnd um ("JABUCICA!") und wollte zu seiner Schwester eilen, doch da lag diese schon auf dem Hosenboden. Ihre Knie hatten beim Aufkommen auf den Boden einfach nachgegeben.
'Kupfer' drehte seinen Kopf verwundert herum. (Warum bei allen Pferdegöttern saß seine Reiterin plötzlich neben ihm? Warum lief sie nicht neben ihm her, wie alle anderen auch? Naja, heute hatte sie ohnehin nicht mehr so dynamisch im Sattel gesessen... vielleicht war sie krank?)
Jabucica saß neben dem Fuchs, die Arme hingen schlaff herunter und sie machte kaum Anstalten, aufzustehen.
"Ich glaub, es geht nicht.", sagte sie leise zu ihrem Bruder, der inzwischen bei ihr angekommen war.
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Wassilij eilte herbei. ihm war klar, dass ein 'Alles in ordnung' hier blaner Hohn wäre.
"Hast du kein Gefühl mehr in den Beinen?"
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"Ich spür sie noch... irgendwie. Es ist, als wäre ich eine Puppe und jemand hätte meine Fäden durchgeschnitten...", sagte die junge Frau hilflos.
"Hilf mir, sie da rüber zu dem Felsen zu tragen, ich kümmer mich dann um die Pferde.", sagte Djecak zu Wassilij.
Seine eigene Erschöpfung war in diesem Moment vergessen.
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Wassilij grinste schelmisch.
"mach du mal die Pferde, die Puppeschaffe ich auch ohne Fäden."
Damit hob Wassilij sie auf und trug die sehr leichte Frau zum Felsen, wo er sie hinsetzte.
"Nicht lange und das geht vorbei. Heute Abend erwären wir glatte Steine und legen sie auf deine Beine, das hilft."
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"Danke.", murmelte Jabucica verlegen.
Djecak kümmerte sich in der Zwischenzeit um die Tiere. Er nahm ihnen Trensen und Sättel ab, kontrollierte ihre Hufe nach Steinen und fühlte an ihren Beinen entlang, ob sie irgendwelche warmen Stellen hatten, was auf eine Überanstrengung der Sehnen hingewiesen hätte.
"Ihn auch?", fragte der Bursche und wies auf Matsch.
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Wassilij nickte und sagte zwei Worte zu Matsch, der sich nun ohne Schwierigkeiten absatteln ließ.
Während dessen kümmerte Wassilij sich um Jabucica und fühlte ihre Muskulatur ab, soweit sie es zu lies.
"Nichts schlimmes. Nur eine Überanstrengung. Einwenig Ruhe und Wärme, dann geht das schon bald wieder.Aber du hast Tapfer durhgehalten."
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Voller Bewunderung, aber mit einer gewissen routinierten Selbstverständlichkeit kümmerte sich Dječak um Wassilijs Hengst. Er konnte es nicht lassen, dem Pferd immer wieder zu sagen, was für ein tolles Tier es sei, während er ihm über den breiten Hals und die sehnigen Beine streichelte.
"Na mein Freund, da hast du aber Glück gehabt, dass der sich nicht tiefer reingedrückt hat!", sagte der Bursche bei der Hufkontrolle, als er einen besonders kantigen Stein zwischen Hufwand und Strahl herauspopelte.
Jabucica hasste es, das schwächste Glied zu sein. Peinlich berührt hielt sie ihren Kopf gesenkt und murmelte ein kaum verständliches "Danke".
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"Das passiert und irgendwann wirdes besser werden. Als man mir das kämpfen beigebracht hat, habe ich mich wochenlang so gefühlt. Glaub mir, das hatte keinen spaß gemacht."
Wassilij massierte leicht ein paar der Verhärtungen weg und strich den ein oder anderen Muskel entlag, so dass er wieder in seine eigentliche Position zurück schnappte. Zwar war das unangenehm, aber das Ergebnis war Linderung.
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"Ich glaub, jetzt geht es wieder.", sagte die junge Frau schließlich leise. Sie hatte schon die Füße wieder auf- und abwippen lassen können und zog nun probehalber (mit verzerrtem Gesicht) ein Knie hoch, sodass ihr dünnes Bein in der Luft schwebte. Das hielt sie zwar nicht lange durch, aber es war eine deutliche Verbesserung zu ihrer vorherigen Verfassung.
Inzwischen war Dječak mit den Pferden durch und gesellte sich, das Gepäck in den Händen, zu ihnen.
"Bleib noch sitzen, Schwester, dann kannst du dich noch etwas erholen, während wir alle was essen."
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Wassilij aß im stehen und am Rand der Bergkuppe. Die Sonne schien und wärmte den Tag. Doch der junge Krieger war in den Bergen groß geworden und wusste, wie trügerisch das Wetter hier sein konnte. Seine Augen suchten nach dem rechten Weg durch die Täler und über die nächsten Bergkuppen. Es dauerte einige Zeit, bis er ihn gefunden und sich eingeprägt hatte. Aber er war sich absolut sicher. Hier in den bergen gab es keine Handelsrouten. Engonia - brega trieb Handel auf den straßen oder über den See. Aber nicht durch die Berge. Das war einfach zu beschwerlich und zu gefährlich.
Das hängende Tuch seines Turbans und die Schärpe spielten die gane Zeit im Wind. Doch das spiel wurde heftiger und es frischte auf. Wassilij wandte seinen Blick dem Wind entgegen. Wolken zogen auf. Kein gutes zeichen. Aber immerhin hatten sie hier oben Vorwarnzeit. In den Tälern, schug das Wetter oftmalls schlagartig um.
"Beeilt Euch, packt alles zusammen und Sattelt auf! Da drüben omt schlechtes Wetter. Etwa eine halbe Wegstunde weiter, glaube ich, haben wir einen recht geschütztn Überhang, unter dem wir die Nacht verbringen. Es macht keinen Sinn bei Regen länger durch die berge zureisen und öglicherweise keine bessere oder andere Stelle zu finden!"
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Ein wenig wackelig, aber entschlossen, stand Jabucica auf und wollte zu dem Haufen mit den Zaumzeugen, Sätteln und der Ausrüstung, doch Dječak schüttelte den Kopf.
"Spar dir deine Kraft. Ich gebe dir die Zaumzeuge, um die Sättel und das andere kümmere ich mich."
Die junge Frau nickte zustimmend, nahm die Trensen entgegen und ging zuerst zu 'Großer', den sie rasch, aber mit zitternden Fingern auftrenste.
Als nächstes wandte sie sich Matsch zu, dem sie bislang noch nicht näher kennengelernt hatte. Ebenso ehrfürchtig wie ihr Bruder machte sie sich zunächst mit dem Hengst bekannt, indem sie ihn an ihren Händen und ihren Haaren schnuppern ließ. Dann schob sie auch ihm mit viel Pferdeverstand das Gebiss zwischen die Lippen und zog ihm das Zaumzeug über die Ohren. Als alle Schnallen geschlossen waren und der Zügel über dem Hals des Braunen lag, klopfte Jabucica ihn und gab ihm einen Kuss zwischen die Nüstern.
Dann ging sie zu 'Kupfer', an dessen Schulter sie sich nach dem Auftrensen ungeniert anlehnte.
Dječak sattelte die Pferde auf und befestigte die sonstige Ausrüstung. Dabei beschränkte er sich auf 'Großer' und 'Kupfer', da Wassilij sich selbst um Matschs Sattel und seine Satteltaschen kümmerte.
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Nach etwas über einem halben Stundenglas erreichten die drei ihren Unterschlupf. Bequem und geräumig war etwas anderes, doch sie alle hatten genügend Platz mit den Pferden. Es war kein perfekter Wetterschutz, dennoch bot der Überhang genügend Schutz vor dem Regen, der seit einigen Minuten vom Himmel fiel. Doch die neue Kleidung der Geschwister schützte sie vor dem Weter besser, als sie es gewöhnt waren.
Nachdem sie die Pferde versorgt hatten, zog Wassilij alleine los um von ein paar Baumleichen in der Nähe Holz für die Nacht zu holen. Als er zurück kam, war er beinahe völlig durchnässt, doch ein großer Teil des Holzes war trocken genug und der Rest würde vom Feuer getrocknet werden. Er zog das Holz auf einem kurzerhand zusammen gelegten "Schlitten" aus dem gleichen Holz hinter sich her. Dann legte er das Holz ab und sah die beiden erwartungsvoll an.
"Viel erfolg beim Feuermachen!"
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Ein kollektiver Seufzer entrang sich den beiden Geschwistern.
Doch dann begaben sie sich in ihr Schicksal und gaben sich alle Mühe, das Feuer anzubekommen.
Nach dem dritten missglückten Versuch war Jabucica den Tränen nahe, doch Dječak hielt durch und versuchte es erneut.
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Wassilij schüttelte den Kopf. Versucht es einfach weiter. Ihr habt alles richtig gemacht! Das ist eine der schwersten Möglichkeiten Feuer zu machen. Selbst Leute die es regelmäßig machen scheitern immer mal wieder."
Langsam stieg Rauch auf.
"Djecak, mach jetzt noch mal eine Zeitlang deutlich schneller!"
Und wenig später hatte der junge Mann ein Feuer in Gang gebracht.
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Der Bursche war redlich platt, aber stolz auf das kleine Feuerchen, das nun in ihrer Mitte brannte. Er pflegte es fast so liebevoll, wie ein Fohlen, das er selbst auf die Welt gebracht hatte.
Jabucica nickte inzwischen immer wieder ein...
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Wassilij bemerkte Jabucicas Schlafattacken.
"Djecak, ich denke, wir beide sollten jetzt auch schlafen."
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Der junge Mann nickte und kuschelte sich bald an seine todmüde Schwester, um sie zu wärmen. Kurz vor dem Einschlafen schüttelte er amüsiert den Kopf. Wenn ihm einer vor einem Mond gesagt hätte, dass er, begleitet von einem Krieger und seiner Schwester in den Bergen übernachten, ein Feuer ohne Wetzstahl entzünden und auf der Reise in ein neues Leben sein würde, hätte er denjenigen wehmütig ausgelacht.
In dieser Nacht hatten die Geschwister einen Albtraum:
Sie ritten mit Wassilij in halsbrecherischem Tempo durch bedrohlich hohe Berge. Hohe Bäume tauchten die Wege in Düsternis, Äste schlugen ihnen ins Gesicht und zerrten an ihren Haaren. Schroffe Spitzen und Abhänge, kaum erkennbare Pfade, tückische Untergründe und schlechtes Wetter machten den Ritt zur Tortur. Doch all das war nicht das eigentliche Problem! Denn ihre hohe Geschwindigkeit wurde durch Verfolger bedingt - Mlad Starinksi, die Mordlust in den Augen, war ihnen zusammen mit ein paar finstren Gestalten auf den Fersen.
Es war völlig klar, was passieren würde, wenn er sie erwischte: Er würde Dječak töten, Wassilij foltern, bis er Jennas Aufenthaltsort herausbekommen hatte und diesen dann auch über eine Felskante stürzen und Jabucica schließlich an den Haaren zurück nach Engonia und in irgendeine arrangierte Ehe schleifen. Die Pferde würde er schlachten lassen.
Jabucica wurde schwächer und schwächer und konnte sich kaum noch im Sattel halten. Dann stolperte auch noch 'Großer' und lahmte fortan, sodass sie nur noch im Schritt vorwärts kamen. Dječak und Wassilij begannen zu streiten, wer zurückbleiben und Mlad und seine Schergen aufhalten sollte. Schließlich war es der Krieger, der mit Dječak das Pferd tauschte und den Pfad blockierte.
Dječak nahm 'Kupfer' an die lange Leine und so jagten sie zu zweit weiter. Doch sie verirrten sich fürchterlich und mussten ein Stück zurück reiten. Da stand dann plötzlich Mlad im strömenden Regen vor ihnen. Sein Grinsen war teuflisch. Matsch stieg und kreischte dem Mann einen hengstigen Schlachtruf entgegen. Doch Mlad hob nur einen Arm und hinter ihm stellten sich zwei Männer mit Armbrüsten auf. Jabucica schrie, doch sie konnte es nicht verhindern - es brauchte 8 Bolzen um das stolze Tier in die Knie zu zwingen. Im letzten Moment sprang Dječak ab, zog die Klinge, die Wassilij ihm gegeben hatte und stürzte auf Mlad zu. Der jedoch trat den Burschen einfach zur Seite und lachte laut auf. "Glaubt ihr allen ernstes, nachdem ich diesen miesen Pferdehirten von einem Krieger kaltgemacht habe, stellt das weibische Kerlchen hier einen Gegner für mich dar?!"
Er riss Dječak die Waffe aus der Hand und trat den Burschen zusammen. Jabucica spürte jeden Tritt am eigenen Leibe. Sie jammerte, flehte, bettelte, weinte, doch es nutzte nichts. Nachdem der ältere Bruder seine Brutalität an dem Burschen ausgelassen hatte, warf er ihn über eine Felskante. Jabucica hatte das Gefühl, als stürbe sie selbst.
Empfindungslos erlebte sie mit, wie ihr Pferd an einer Leine von Mlad hinter sich hergezogen wurde. Es ging eine Weile durch den Regen, dann stockte das Tempo - auf dem Weg lag der Kadaver eines Tieres; 'Großer'! Direkt daneben: der zerschlagene Körper Wassilijs. Wassilij - der Krieger, der Dječak und ihr die Freiheit gegeben hätte... Wie durch Wolle hörte sie Mlads Stimme: "Hat uns ein nettes Kämpfchen beschert, der Mistkerl! Aber ich weiß jetzt, wo Jenna ist! Sobald ich dich in Engonia abgeliefert habe, werde ich nach Fanada reiten! Hahahahahaha!"
Plötzlich war wieder Energie in der jungen Frau. Sie streichelte 'Kupfers' Hals und entschuldigte sich unter Tränen, die im Regen verschwammen: "Es tut mir leid mein Junge! Es tut mir leid!" Dann rammte sie dem braven Tier die Fersen in die Seite, sodass es einen erschrockenen Sprung nach vorne tat. 'Kupfer' sprang gegen den Dunkelbraunen, auf dem Mlad saß. Sein Tier konnte die Stoß nicht abfangen und der Ausfallschritt ging ins Leere. Mit einem entsetzten Schrei stürzten das Pferd und der Mann in die Tiefe. Voller Hass und Trauer trieb Jabucica 'Kupfer' ein weiteres Mal an und sprang mit dem treuen Pferd über die Kante ...
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Matsch hatte Wassilij geweckt, als die Beiden unruhig schliefen und somit die Pferde unruhig machten. Aber das war schnell erledigt und der Rest der Nacht, war trotz des Wetters ruhig und angenehm.
Am nächsten Morgen wurden die Geschwister von dem Geruch nach warmen Essen und den ersten Sonnenstrahlen des beginnenden Tages sanft geweckt.
Wassilij war bereits auf den Beinen und hatte fast alles für die weitere Reise vorbereitet. Eigentlich mussten sie nur noch Frühstücken, die Pferde satteln und ihre Decken zusammenrollen.
"Guten Morgen! werdet erstmal wach und dann stärkt euch. Dann vergeht die schlechte Nacht schneller."
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Die beiden Geschwister sahen sich mit verwundert an. Woher wusste Wassilij von ihrem Albtraum?
Dann jedoch gaben sich beide Mühe, die Nacht abzuschütteln, was angesichts des einladenden Tagesanfangs mit warmen Frühstück und gutem Wetter nicht schwer fiel.
Das Essen (ein Brei aus gemahlenem Trockenfleisch mit Bohnen und Getreide) gab den Reisenden Kraft für den Tag.
Anschließend nahmen Jabucica und Dječak sich Zeit, in Ruhe ihre Pferde zu satteln. Beide holten sich hierbei einige Kuscheleinheiten ab, die den Geschwistern deutlich dabei halfen, die letzten Schrecken der Nacht zu verscheuchen.
"Es waren die Pferde, nicht wahr? Matsch hat dich geweckt, als wir geträumt haben.", sagte Jabucica plötzlich zu Wassilij.
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Wassilij schüttelte seinen Kopf.
"Nein, man lehrte mich in die Träume anderer Menschen einzudringen."
Als er voller Ernst und die ängstlich bis ehrfürchtigen Mienen gegenüber sah, begann er zu lachen.
"Natürlich sind die Pferde unruhig geworden und haben mich geweckt. Aber jetzt beeilt euch. Es sind noch ein paar Tage bis Brega und heute Abend üben wir wieder."
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Es war Jabucica und Dječak anzusehen, dass sie sich nicht sicher waren, ob Wassilij wirklich nur gescherzt hatte.
Heute waren sie beide steif im Sattel. Das nutzten die Pferde, allen voran 'Großer', schamlos aus und erlaubten sich die ein oder andere Frechheit. Irgendwann war es Dječak leid und er schimpfte sein Pferd aus, nahm die Zügel kürzer und ritt den Braunen konsequent an die Hilfen heran: "Jetzt ist aber Schluss, Großer! Nur weil ich ein bisschen sattel-müde bin, heißt das noch lange nicht, dass du mir auf der Nase herumtanzen kannst!"
Im Anschluss hielt er das Pferd gezielt kurz am Zügel und exerzierte einige Übungen mit ihm durch, die das Pferd gehörig ins Schwitzen brachten. Mit spielenden Ohren, schäumendem Maul und konzentriertem Schnauben trat das Tier seitwärts, trabte in unterschiedlichen Tempi und galoppierte für wenige Sprünge aus dem Stand an.
Schließlich waren beide, Reiter und Pferd, zufrieden, redlich platt und an keinerlei Quatsch mehr interessiert.
"Das der da noch Energie für übrig hat!", sagte Jabucica kopfschüttelnd zu Wassilij.
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Wassilij zuckte mit den Schultern.
"Er ist die körperliche Anstrengung gewohnt. Wenn du regelmäßig übst und immer wieder steigerst, kannst du das auch. Und es ist noch viel mehr möglich. Aber auch das dauert. Denk nur daran, dass es nicht mehr weit bis Fanada ist. Und es wäre durchaus möglich das Jelena und eure Schwester in Berg sind. Dann trennen sich unsere Wege früher. Und was dann aus euren Fähigkeiten wird liegt bei Euch beiden."
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"Wohin wirst du gehen, wenn du uns dorthin gebracht hast?", fragte Jabucia den Krieger.
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Wassilij sah sich in der Gegend um und prüfte Weg, Wetter, einfach alles, bevor er antwortete.
"Ich weiß es noch nicht. Das wird sich dann entwickeln. "
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Jabucica sah ihn eine Weile nachdenklich an, wechselte dann aber doch das Thema:
"Glaubst du wirklich, mein Bruder und ich finden eine Anstellung?"
Sie machte einen schnalzenden Laut, der 'Kupfer' davon abhielt, weiter mit dem Kopf auf- und abzuschlagen. Ganz offensichtlich war der Fuchs heute besonders übermütig.
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Wässrig nickte bestimmt.
"Ja werdet ihr. Mit eurem Wissen und Können bei Pferden, ist das kein Problem. Ich bekomme euch schon unter und auch bei eurer Schwester. Aber ihr schuldet mir auch noch etwas."
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"Du weißt, wir haben nicht viel! Mag sein, das wir sehr lange in deiner Schuld stehen werden!", mahnte Jabucica den Krieger.
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"Ich will kein Geld! Aber ich gehe auch nicht davon aus, dass ihr lesen und schreiben könnt?"
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"Ähm, nein, damit können wir leider nicht dienen.", antwortete die junge Frau beschämt.
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"Das macht nichts! Dann wird sich ein Bekannter von mir bei Euch melden, sobald ihr in Fanada seid. Ihm könnt ihr vertrauen. Aber lasst Euch nicht anmerken, dass es mit mir zu tun hat. Wenn ihr wichtige Dinge hört oder mitbekommt, nehmt Kontakt zu ihm auf. Das Wie, wird er Euch schon noch mitteilen. Vor allem, was gefahren für Jelena betreffen, wünsche ich alles möglichst genau zu wissen. Aber auch politische Informationen über Fanada, Jelena hat ein Talent, so etwas zu erfahren. Wenn ihr davon hört, leitet es möglichst genau und wortgetreu weiter. Das, Eure, vollkommene Verschwiegenheit JEDEM, sogar Eurer Schwester gegenüber und die Wahrheit Eurer Nachrichten sind alles, um was ich bitte. Solltet ihr damit nicht einverstanden sein, fände ich das zwar schade, aber dann würde ich mir nur Eure völlige Verschwiegenheit wünschen."
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Jabucica blickte nachdenklich auf ihren Bruder, der 'Großer' gerade für eine Vorhandwendung lobte.
"Ich werde tun, worum du gebeten hast. Aber ob du ihn auch dazu kriegst, weiß ich nicht.", sagte sie leise mit einem Kopfnicken zu Dječak hin.
Dieser drehte in genau diesem Moment den Kopf zu den beiden.
"Hab ich was verpasst?", fragte der Bursche irritiert.
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"Ich habe deiner Schwester nur erzählt, wie zufrieden ich mit Eurer Entwicklung und Eurer zunehmenden Eigenständigkeit ich bin. und dass ich mich freue, dass sie eine solch positive Einstellung bekommen hat." Antwortete Wassilij gut gelaunt.
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"Oh, prima!", antwortete Dječak und stellte sich in die Steigbügel, um mehr sehen zu können.
Unterdessen sah Jabucica Wassilij scharf an.
"Du bist ein gefährlicher Mann, Wassilij.", sagte sie mit einem lauernd, bewundernden Unterton in der Stimme.
Dječak drehte sich nocheinmal um und sah stirnrunzelnd auf seine Schwester und den Krieger.
Da beschloss Jabucica, dass sie sich darin üben musste, die Verbindung zu ihrem Bruder besser abzuschirmen.
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Wassilij lachte freundlich und warm.
"Ich wurde gut im Schwertkampf ausgebildet. Und damit ihr Euch verteidigen könnt, machen wir heute Abend weiter. Im übrigen, heute seid ihr für das Nachtlager verantwortlich. Entscheidet, wann es Zeit ist ein geeignetes zu finden oder wann wir eines gefunden haben. Ihr wolltet lernen und hattet Zeit zum Zuschauen. Jetzt müsst ihr es umsetzen."
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"Hast du gehört, Dječak? Heute sollen wir den Lagerplatz aussuchen!", rief Jabucica ihrem Bruder zu und trabte nach einem weiteren Blick zu Wassilij an, um mit dem Burschen aufzuschließen.
So ritten die beiden Geschwister vor dem Krieger und gaben auf ihren Pferden ein einträchtiges Bild ab. Der schlanke junge Mann mit den dunkelblonden, zu einem kleinen Pferdeschwanz zusammengebundenen Haaren auf dem Braunen und die schlanke junge Frau mit dem hüftlangen, goldblonden dicken Flechtzopf auf dem Fuchs.
Von Zeit zu Zeit machten sie sich auf Dinge in der Umgebung aufmerksam - etwa einen Greifvogel oder eine besondere Felsformation. Dabei zeigte sich erneut, dass die beiden eine besondere Verbindung vereinte.
Doch so friedlich das Bild auch war - hier ritten zwei Stadtkinder, die ohne den erfahrenen Mann hinter ihnen kaum eine Überlebenschance in dieser Gegend gehabt hätten.
Zur Mittagszeit hielt die kleine Gruppe kurz an; Dječak holte einen fiesen Stein aus 'Großers' Hinterhuf, woraufhin er gleich auch die anderen Pferde kontrollierte und es gab einen Zwischensnack aus Dörrobst.
"Wann werden wir aus dem Gebirge raus sein? Morgen?", fragte der Bursche Wassilij.
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"Ich schätze schon. Das hier ist ohnehin mehr eine hügelige Gegend als ein Gebirge," Scherzte Wasilij. "Geh von mehreren Tagen aus. Hier im Gebirge sind Entfernungen nur schwer einzuschätzen. Wir wissen nicht, was hinter dem nächsten Berhang vor uns liegt. Ich habe mal gehört, dass hier trotz allem Sinn eine recht ordentlich genutzte Handelsroute sein soll. Sie hätte für uns Vor- und Nachteile, jedenfalls wären wir schneller."
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"Und wie finden wir diese Handelsroute?" fragte Dječak, während er bei 'Großer' den Sattelgurt nachzog, damit er nach ihrer kleinen Pause wieder aufsteigen konnte.
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Wassilij zuckte mit den Schultern.
"Mehr als die Aussage: Es ist ein breiter offensichtlich häufig genutzter Weg von Nord nach Süd, glaubt ihr mir ohnehin nicht. Aber dazu kommt noch, dass sich Wild schon mal gerne an diesen Wegen auf hält. Gemsen oder Muffel zum Beispiel. Sie benötigen Salze und lecken sie von den Steinen. Auf diesen Wegen schwitzen Zugtiere, wie Pferde und Ochsen. Aber auch wir Menschen verlieren dort viel Schweiß und durch die häufige Benutztung, sind dort die Steine mit einer salzigen Schicht belegt. selbst wir können das schmecken."
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"Hm, dann sollten wir also nach Wildtieren Ausschau halten, richtig?", mutmaßte Jabucica.
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"Oder Wildwechseln und einer relativ breiten Straße. Es ist aber nicht so wichtig. Es würde lediglich unsere Reise schneller und etwas einfacher machen. Aber an Zeit mangelt es uns nicht."
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Sie ritten also weiter und die Geschwister hielten nun etwas gezielter nach Wild und den Anzeichen von Reisenden Ausschau.
Irgendwann erblickte Jabucica ein Mufflon.
"Was ist das für ein Tier? Es sieht aus, wie ein Schaf, aber doch irgendwie anders!", wandte sie sich an Wassilij.
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"Das ist ein Mufflon. Aber das kann auch ein zufall sein. Die Tiere sind nicht unbedingt sehr intelligent und haben eine erstaunlich niedrige Fluchtschwelle. Aber da unten könnte vielleicht doch die Straße sein."
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"Dann lass uns doch mal nachschauen!", schlug Dječak vor und suchte nach einem günstigen Weg hinunter zu der Stelle, an der sie das Wildtier entdeckt hatten.
Dabei verließ er sich ebenso auf seine eigene Weitsicht, als auch auf die Instinkte seines Pferdes, dem er zwar mit den Schenkeln die Richtung vorgab, jedoch zugleich mit langem Zügel erlaubte, sich einen eigenen Weg zu suchen.
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Wassilij nickte, dort unten floss wenigstens Wasser.
"Ja an dem kleinen Fluss dort unten können wir wenigstens unser Wasser wieder auffüllen."
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Es dauerte eine Weile, doch niemand kam auf den Gedanken, die Pferde zur Eile anzutreiben. Schließlich waren sie an dem Wasserlauf angelangt und die Pferde tranken nach dem anstrengenden Abstieg gierig das kühle Nass.
Dječak und Jabucica kontrollierten, ob sich die Tiere nicht zu sehr erhitzt hatten, denn dann hätten sie der Trinkerei Einhalt geboten, um Koliken zu vermeiden. Doch die Pferde hatten hauptsächlich ihre Sinne eingesetzt und waren nicht außergewöhnlich verschwitzt.
Erneut lockerte man die Sattelgurte für einen kurzen Moment und die Reiter füllten ihre Wasserbehälter auf.
"Du sagtest vorhin, dieser Weg habe Vor- und Nachteile. Den Vorteil, dass wir schneller vorankommen, sehe ich. Aber was meintest du mit den Nachteilen?", fragte Dječak Wassilij.
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"Der Krieg ist zwar ein paar Jahre vorbei, aber es treiben sich immer noch Zwielichtige Gestalten herum, die Handelswege mögen. Und alleine unser Erscheinen, ohne Handelsgüter in gewöhnlicher Kleidung aber ein Pferd wie Matsch. So etwas macht interessant. Die andere Alternative ist, dass wir beginnen dem Fluss zu folgen. Er läuft Richtung Süden. Und am Wasser sind immer Siedlungen. Brega ist Richtung Süden, also stimmt die Grundlage. Ob uns der FLuss jetzt die gesamte Zeit hilft, müssen wir abwarten. Aber so wie ich das sehe, können wir dem wasserlauf angenehmer folgen, als ewig hoch und runter zu reiten."
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"Ich bin für den Fluss!", sagte das Stadtkind Jabucica, der nicht so ganz klar war, dass ein Fluss sich seinen Weg durch den Fels fraß und dabei nicht darauf achtete, an seinen Ufern Platz für Reisende zu lassen.
Dječak hingegen schien unschlüssig.
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"Djecak, woran zweifelst du? Wir sind hier nicht in einem Hochgebirge. Deswegen dürfte das auch auf einer längeren Strecke weniger ein Problem sein. Und Handelsrouten sind auch oft in der Nähe zum Wasser oder queren es. Trinken müssen wir schließlich alle. Im Hochgebirge müssten wir zu fus dem FLussfolgen und das wäre noch etwas gefährlicher und mit Pferden absolut unmöglich. Hier ist der Flusslauf eine gute Orientierungsmöglichkeit."
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"Ich bin hier fremd. Jede Entscheidung, die ich treffe, ist genauso gut, wie eine andere. Ich versuche, die Vor- und die Nachteile abzuwägen, aber ich habe nicht genügend Wissen, um alles in Betracht ziehen zu können.", versuchte der Bursche sein Zögern zu erklären.
Etwas hilflos grinsend zuckte er mit den Schultern.
"Also den Fluss entlang. Ich bin gespannt, was für Tiere wir sehen werden!", sagte er nun mit zuversichtlicher Neugierde.
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Wassilij schüttelte lächelnd den Kopf. So viel Naivität...
"Macht einfach, vor den größten Fehlern versuche ich Euch zu bewahren und aus den anderen könnt ihr lernen."
Er musste Grinsen. Wenn er es so bedachte, waren dies seine ersten Schüler. Aber, war er gut genug? Nein, er war noch nicht so weit. Und spätestens in Fanada würden sich ihre Wege wieder trennen. Sie gehörten in Sicherheit. Er aber würde wieder in die Gefahr ziehen.
"Na los, weiter!"
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Sie zogen die Sattelgurte wieder an, stiegen auf und ritten am Flußufer entlang. Das Gelände wechselte zwischen felsigem Untergrund, Kies und grobem Geröll und bewachsenen Uferstreifen, wo Schwemmablagerungen den Pflanzen einen Boden gaben.
Gelegentlich sahen sie tatsächlich einige Tiere: Mufflons, Rehe, Rotwild und Greifvögel, die sie sich von Wassilij benennen ließen. Sie kamen an einer Wildschwein-Suhle vorbei, die Jabucicas Fuchs mit lautem Schnauben in einem großen Bogen umging, was sie alle zum Lachen brachte.
Kurz darauf setzte 'Großer' Dječak fast ab, als neben seinen Hufen ein Auerhahn aus dem Gebüsch trat, um sein Revier zu verteidigen.
Diesmal war es an Wassilij und Jabucica, ausgibig zu kichern...
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Wassilij übernahm nun die Führung. In wenigen augenblicken, war er mit Matsch ein paar Schritte voraus und suchte mit seinen Augen die Gegend ab. Eine umgestürzte Kiefer Lag dort und alles andere, was er brauchte war auch hier.
Wassilij hielt die kleine Gruppe an. Wasser war hier. Die Wildschwiensuhle lag weit zurück. Der boden war trocken und die Lagerstätte leicht erhöht. Perfekt.
"Hier schlagen wir für heute unser Lager auf. Dort an der liegenden Kiefer können wir unseren Unterschlupf aufbauen. Und danach steht ein wenig Schwertkampf auf dem Programm. Aber vorher baut ihr ein vernünftiges Lager auf!" Während er sprach, zog er ein längeres Lederfutteral vom Sattel und holte einen kurzen bogen mit Pfeilen hervor. "Und schaue mal, was ich frisches finde."
Als die beiden Geschwister mit dem Lageraufbau begannen, verschwand Wassilij im Wald und es dauerte einige Zeit, bis er mit zwei aufgebrochenen Hasen ohne Decke zurück kehrte. Alles, was sie nicht brauchen würden, hatte er weit entfernt verscharrt, um keine Wildtiere anzulocken, welche sie nicht im Lager wünschten.
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Inzwischen hatten die Geschwister eine Decke an der Kiefer schräg zum Boden hin abfallend aufgespannt, dass sie einen groben Schutz vor der Witterung abgab. Jabucica polsterte gerade den Raum darunter mit den Satteldecken und einem Umhang.
"Jetzt darf es nur nicht zu stark regnen.", sagte die junge Frau und besah sich das Gemeinschaftswerk kritisch.
Dječak war dabei, einen Bereich von Stolperfallen, wie im Laub verborgenen Ästen, zu befreien, damit sie später einen Platz für die Übungen hätten.
Die Pferde standen, nur mit den Halftern bestückt, mit langen Leinen an einen nahebei stehenden Baum gebunden und suchten im Laub nach Fressbarem.
Unweit der umgestürzten Kiefer wartete zudem eine mit Steinen vom Fluss umrahmten Feuerstelle auf ihre Entzündung.
Offenbar hatten die Geschwister schnell gearbeitet...
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Wassilij sah das Lager und war wirklich erfreut. Für Städter war die Lagerstätte überaus perfekt und so blieb ihnen nur noch das letzte Vorbereiten der Hasen. Jabucica war immer noch nicht wirklich gut auf den Beinen.
"Wir machen gleich nach dem Essen nur noch ein paar langsame und leichte Übungen. Gemütlich ist langsam und langsam ist schnell hat man mich einmal gelehrt. Lernt die Bewegungen richtig, aber langsam und wenn es darauf ankommt ist die Bewegung natürlich und mehr ein Reflex als eine bewusste Handlung."
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Jabucica bot an, sich um die Hasen zu kümmern. Was die Verarbeitung von Nahrungsmitteln anging, wussten die Geschwister bescheid - waren sie doch in einem Haushalt von Lebensmittelhändlern aufgewachsen.
"Dann mach ich das Feuer. So kann ich nochmal üben.", sagte Dječak
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"Nein, dass soll deine schwester machen. Sie gibt zu leicht auf." Sagte Wassilij gelassen. "Aber, was ich mich gerade brennend frage, ist die Tatsache ob ich nicht besser die Hasen zubereite."
Die Geschwister sahen ihn fragend an, worauf hin er mit einem hämischen Grinsen fort fuhr: "Ich habe schließlich das Essen Eurer Familie gekostet, mit welchem ihr Euer Geld verdient habt. Wundert mich das noch jemand in Engonia lebt."
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Jabucica stand der Mund offen.
Dječak presste die Lippen aufeinander, senkte den Blick und legte das Holz, dass er zum Anzünden bereitgelegt hatte, wieder zurück.
"Ich... ich... natürlich, wenn es dir lieber ist...", stammelte die junge Frau schließlich und wandte sich zur Feuerstelle.
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Wassilij musste Lachen. "Koch ruhig wenn du willst. Ich vertraue dir sogar, dass es schmecken wird. Aber ihr müsst schon zugeben, dass es in Engonia als Geheimwaffe des Widerstandes gegen Konar hätte verwendet werden können. Warum?"
Er wurde ernst. Es interessierte ihn wirklich, warum das essen so schlecht war. "Wie habt ihr so überhaupt überlebt?"
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Jabucica hockte sich an der Feuerstelle hin und nahm das Material zum Feuermachen zur Hand. Sie sah die Männer nicht an, als sie antwortete, und das Zittern in ihrer Stimme und in ihren Händen machte ihre Erregung deutlich.
"Wir... wir kennen es nicht anders. Wir... ich... ich habe nie woanders gegessen..."
Sie hob den Blick zu ihrem Bruder, der immer noch da stand und irgendwie nicht wusste, was er mit sich anfangen sollte (im Boden versinken klappte gerade irgendwie nicht).
"Dječak vielleicht - er hat öfter im Stall was gekriegt..."
Der Bursche leckte sich die Lippen, räusperte sich und sagte dann mit leiser Stimme:
"Ich war immer der Meinung, unser Essen ist so, wie bei allen anderen auch. Dann hab ich mal woanders was gegessen und fand es komisch. Es war so... anders. Aber zuerst hab ich das darauf bezogen, dass ich da genug hatte, um satt zu werden. Bei uns zuhause war das selten so. Ich musste oft zurückstehen. Wenn man Hunger hat, isst man alles. Und alles schmeckt. Wenn du dann mal genug hast. Und auch Zeit, in Ruhe zu essen... dann schmeckst du plötzlich, dass Essen auch mehr ist, als nur etwas, um den Bauch zu füllen... Aber vielleicht ist es bei mir auch mit vielen anderen Dingen verwoben. Ich hatte es nie einfach. Alles war für mich schwierig. Da war das Essen einfach nur noch eine Sache mehr."
Er zuckte hilflos mit den Schultern.
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Wassilij hörte aufmerksam zu. Und wiegte nachdenklich den Kopf hin und her.
"Vielleicht verstehe ich Euch besser, als ihr glaubt und weniger, als ich denke. Aber ich weiß wenigstens, wie es ist mit wenig bis gar keinem essen auszukommen. Aber das spielt ehrlich gesagt auch keine Rolle mehr. Ihr seid jetzt Frei und das wird sich bessern. Wo ich gedenke Euch hin zu bringen, gibt es mehr mals am Tag wirklich gutes und reichliches Essen für alle. Aber ihr werdet dafür auch arbeiten müssen. Ich verspreche Euch kein Leben wie in einem traum. Aber ein ehrliches Leben!"
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Da legte sich auf die Gesichter der beiden ein melancholisches Lächeln.
"Aber du hast doch schon einen Traum wahrgemacht, Wassilij!", sagte Jabucica sanft und sah den Krieger gerührt an.
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Wassilij rieb sich durch das Gesicht. Diese heile Welt die die Beiden zu betreiben begannen, wurde langsam anstrengend. Was verstanden sie schon von der Welt? Ja, sie hatten ein schweres Leben. Aber dennoch weitestgehend behütet. Sie hatten nie im Krieg gekämpft. Nicht gesehen, wie Freunde in der Schlacht neben einem starben oder wie Schutzbefohlene gefoltert wurden und man selbst wegen einem höheren Ziel nicht eingreifen konnte. Aber sollte er ihnen diese Naivität nehmen? Hatte er überhaupt das Recht zu so einem Verhalten?
Sein Blick verfinsterte sich. Sie mussten nie ertragen, was Wassilij durch sein Opfer erleiden musste. Durchhalten, etwas Ertragen. Das hatte man ihn gelehrt. Das hatte ihn am Brechen gehindert und ihn wieder auf den Rechten Pfad gebracht nach seiner Rückholung.
Seine Gedanken schossen ferner in die Vergangenheit. Der Sturm im Gebirge. Durchnässt hing er am Seil, seilte sich ab in die Tiefe. Seine Füße sezten auf dem Plateau auf. Die Orks, die versuchten über das Gebirge zu kommen. Der erste Tote Ork, er hatte nicht mal bemerkt, was geschah. Tiefer in das Lager, ein weiterer Toter. Dann die Phiole in die Quelle und Wasservorräte der Orks. Zurück zum Seil und wieder die Wand hinauf. Kaum oben, das Seil hoch ziehen.
Dann war er wieder im hier und jetzt. Ja sie hatte recht. Für sie alle drei war es ein Traum. Für Sie Freiheit, für ihn Friede.
"Wenn du wüsstest, welche Weisheit in deinen Worten liegt." sagte der Krieger sanft. "Macht bitte das Essen und ich bereite die Übungen für heute vor."
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Jabucica machte das Feuer, wobei Dječak daneben saß und ihr, so gut er es konnte, Hilfestellung gab, während er sich um die Hasen kümmerte.
Es dauerte eine Weile, bis die junge Frau das Feuer anbekam, doch dann setzte Dječak sofort die hochwandige Pfanne, die Wassilij auch zur Frühstücksbereitung genutzt hatte, auf das Feuer. Der Bursche ließ etwas Speck aus und briet einzelne Teile der Hasen dann in dem Fett an.
Stirnrunzelnd saßen die beiden Geschwister vor ihrer Aufgabe.
"Es wäre besser, wenn wir Gewürze und etwas zum Dazu-Essen hätten.", sagte Dječak.
"Wassilij, es gibt doch hier bestimmt eine ganze Menge Pflanzen, Beeren und dergleichen, die man essen kann. Kannst du uns nicht ein paar zeigen?", fragte Jabucica den Krieger.
Sie schüttelte den Kopf.
"Ich komme mir vor, wie ein kleines Mädchen, von dem jemand verlangt, dass es ein Buch vorlesen soll...", sagte sie von sich selbst enttäuscht.
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Wassilij zuckte mit den Schultern und dann ging es relativ schnell. Brennnesselblätter, Brombeeren, Sauerampfer, Kiefernadeln und ein paar Eicheln waren schnell gefunden. Und dann gab er Erklärungen für die weitere Verwendung, wobei die Eicheln zum einen als heißes Getränk am Abend dienen sollten als auch zu einer Art Brot für den kommenden Morgen verarbeitet wurden.
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Und so gab es an diesem Abend ein Eintopf-artiges Gericht, das den Geschwistern vom Geschmack her zwar ungewohnt war, ihnen aber dennoch wunderbar schmeckte. Natürlich gaben die Tatsachen, dass sie es selbst zubereitet hatten und dass sie während dieses Tages eine Menge gelernt und geschafft hatten, eine ganz besondere Würze.
Zum Abschluss gab es ein paar von den Brombeeren, die zum Teil auch in das Hauptgericht gewandert waren.
Als auch diese verputzt waren, sah Jabucica ganz verzaubert aus.
"Unglaublich! Ich hätte nie gedacht, dass es so einfach ist, ohne Kochstelle und Vorräte ein derart leckeres Mahl zuzubereiten!"
Völlig begeistert sammelte sie die Koch- und Essutensilien zusammen und ging zum Fluss, um alles abzuwaschen.
Dječak hingegen schüttelte etwas fassungslos den Kopf.
"Hätten wir das alles früher gewusst... und uns einfach getraut..."
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"Wäre das völlig in die Hose gegangen! Wo wärt ihr hin gegangen? Wo gearbeitet und wovon gelebt? Nein, Euch hat nur der richtige Zeitpunkt gefehlt! Und das eine sage ich Euch, wenn Euer Vater oder der dämliche bruder, versucht Euch oder Jenna zu verfolgen, was sie ohne hin nicht können, ohne ausreichend Geld, werden sie es mehr als bereuen!"
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Dječak nickte.
"Glaubst du, sie wären so dumm? Ich habe in den letzten Jahren versucht, so unsichtbar wie möglich für die beiden zu sein. Manchmal habe ich mich auch gefragt, ob Großmutter Baka nicht recht hatte und Jabucica und ich wirklich nicht unseres Vaters Kinder sind... Wir sind in so vielen Dingen so anders, als sie!"
Der Bursche blieb bei Wassilij am Feuer, schnappte sich aber die Materialien zum Feuermachen und nutzte die Zeit, die seine Schwester damit verbrachte das Geschirr zu 'spülen' (sie hielt es in den Fluss und rieb grobe Verschmutzungen mit Sand ab), um noch einmal zu üben.
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Wassilij zuckte mit den Achseln. "Ob sie so dumm wären, werden wir dann sehen. Aber dann, wenn es so weit ist, werde ich mich darum kümmern. Was glaubst ihr beiden? Ist er Euer Vater?"
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Jabucica kam in diesem Moment zurück und war etwas verwundert ob des Gesprächsthemas und wartete Dječaks Antwort ab.
"Ich weiß es nicht. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass unsere Mutter gleich zweimal von einem anderen Mann geschwängert worden sein soll. Dafür ist sie nicht der Typ. Aber Jabucica und ich sind uns so ähnlich, doch zugleich sind wir so anders als die anderen in der Familie. Nicht nur vom Aussehen, sondern auch von unserer Art. Die Liebe zu den Pferden zum Beispiel.", sagte der Bursche.
"Baka hat Glup und früher wohl auch Jenna und davor Mlad ab und an Geschichten von einem primitiven Reitervolk erzählt. Jenna hat die Geschichten dann abgewandelt und auch uns weitergegeben. Aber bei ihr war das Reitervolk immer ein stolzes, kein dummes, primitives. Vielleicht hat sie uns mit diesen Geschichten geprägt, Dječak.", warf Jabucica ein.
"Möglich, aber das erklärt noch nicht unser Aussehen!", gab Dječak zu bedenken.
"Ich weiß es auch nicht. Vielleicht hat Mutter sich verführen lassen. Vielleicht auch schlimmeres. Sie hätte niemals darüber gesprochen, aus Angst, dass Vater es herausfindet. Aber vielleicht war auch gar nichts. Überleg mal, die Kinder von der Magd Ines aus dem Lindenweg! Sie und ihr geliebter Karsten haben beide glattes braunes Haar und blaue Augen. Aber Betti, das mittlere Mädchen? Pechschwarze Locken und dunkelgraue Augen! Ich WEISS, dass Ines nie einen anderen hatte, als Karsten. Dafür liebt sie ihn zu sehr. Aber Karsten hat auch nie Sorgen gehabt, dass Betti nicht von ihm sein könnte, weil er immer gesagt hat, dass eine Tante von ihm genauso aussieht. Vielleicht hat Mutter auch eine schmale, blonde Verwandte!", meinte Jabucica nachdenklich.
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"Hat das eine Bewandnis für Eure Zukunft? Ich glaube nicht. Versucht Euch darauf zu konzentrieren."
Damit stand Wassilij auf und warf ihnen die Stöcke zu.
"Ihr zwei gegeneinander! Ich unterstütze und korrigiere."
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Zuerst waren die Geschwister steif. Dann wurde es eine Zeitlang besser, doch schließlich forderten Muskelkater und das stundenlange Reiten ihren Tribut.
Jabucica baute ihre 'Tricks' weiter aus, doch ihre Verbindung zu Dječak war zu eng, sodass dieser viele ihrer Versuche von vorneherein abblocken konnte. Die junge Frau wurde zunehmend frustrierter und ihr Bruder war sichtlich entnervt von ihrer 'unehrenhaften' Kampfweise.
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Wassilij bemerkte die angespannte Stimmung beim training. Bevor es noch mehr zunahm, galt es einzugreifen.
"Halt! Es reicht für heute mit dem freien Üben. Ich zeige Euch nun einige techniken und ihr ahmt sie nach."
Nun demonstrierte Wassilij verschiedene Kontermöglichkeiten und wie man gegnerische Konter ausnutzen konnte, um doch noch einen Angriff durchführen zu können.
Dabei zwang er beide zur Ruhe und langsamer Durchführung der jeweiligen Übung. Wenn Bedarf bestand griff er ein und korrigierte Haltung, Distanz und Geschwindigkeit. Er achtete jedoch nur einfache, schnell erlernbare Techniken zu demonstrieren.
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Dječak schüttelte verärgert über sich selbst den Kopf, als Wassilij wieder einmal seinen Stand korrigierte.
"Das lern ich nie!", seufzte er entnervt.
"Frag mich mal!", fiel Jabucica ein. "Manchmal hab ich das Gefühl meine Ellenbogen führen ein Eigenleben!"
Doch allem Gejammer zum Trotze, hellten sich die Gesichter von Zeit zu Zeit auf, wenn sie ein Lob bekamen oder selbst merkten, dass sie etwas begriffen hatten.
Schließlich jedoch waren beide redlich platt. Die Arme waren ihnen schwer, alle Muskeln brannten und unter den Bäumen wurde es allmählich dunkel...
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Wassilij nickte zufrieden. "Gut, dass war es für heute. Klopft euch mit den Fäusten ab und geht die Muskulatur Stück für Stück ab. Das beugt Muskelschmerzen vor und lockert eure Muskeln."
Dann bereitete Wassilij einen Kiefernnadel Tee für die drei vor und verteilte großzügige Portionen des sehr Vitamin C reichen Getränks.
"Hier das tut gut."
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"Ich glaube, ich springe gleich nochmal in den Fluss.", sagte Dječak, während er an seinem Tee nippte.
Jabucica nickte ihrem Bruder zu: "Ja, das ist eine gute Idee. Ich komme mit."
Der Bursche grinste: "Das Wasser wird schweinekalt sein!". Er zupfte sich an der Brust am Hemd, als stünden seine Brustwarzen hervor.
Seine Schwester grinste zurück: "Ach! Ich hoffe, du hattest heute Abend nicht noch vor, ein Mädchen zu beglücken! Dann solltest du dir das mit dem Waschen nämlich nochmal überlegen! Das Wasser ist SO kalt!". Sie zeigte einen wenige Zentimeter messenden Abstand zwischen Daumen und Zeigefinger.
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Wassilij zog eine Augenbraue hoch.
"Woran erkennt man wirklich kaltes Wasser? Unten ist's kleiner als oben..."
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Die Geschwister lachten prustend los.
Es wurden noch eine ganze Weile zotige Witze gerissen, die schließlich in einer Wasserschlacht im Fluss mündeten. Allerdings war es eine schnelle Wasserschlacht, denn das Wasser war in der Tat EISIG!
Am Anschluss saßen die drei vergnügt, erschöpft und entspannt um das Feuer herum.
Dječak brachte Jabucica zum Quieken, indem er unreife Haselnüsse in die Flammen warf, wo sie nach unberechenbarer Zeit knallten.
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Sie wurden an diesem Abend nicht mehr alt. Der Unterschlupf war für alle drei doch recht klein, aber es ging und so würde wenigstens niemand in der Nacht frieren.
Über den Bergen senkte sich langsam die Dunkelheit herab und ein Waldkauz begann zu rufen, als sie ruhig einschliefen.
Der nächste Morgen brach an und die Sonne stand schon hoch am Himmel, als die Geschwister alleine in ihrem Unterschlupf erwachten. Von Wassilij war weit und breit keine Spur zu sehen und auch Matsch war fort.
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Dječak und Jabucica sahen sich im Lager um. Ihre Pferde waren noch da, ebenso ihre spärliche Ausrüstung.
"Vielleicht ist er vorrausgeritten, um einen Weg auszukundschaften...", äußerte die junge Frau eine wage Hoffnung.
Ihr Bruder schüttelte den Kopf: "Glaub ich nicht."
"Er würde uns nicht so einfach hier zurücklassen!", behauptete Jabucica fest.
"Also ist irgendetwas passiert. Oder es ist wieder irgendsoeine Aktion, um uns etwas beizubringen.", mutmaßte der Bursche.
"Was sollen wir also tun? Sollen wir das Lager abbrechen und weiterreiten und hoffen, dass wir ihn wiederfinden?", fragte Jabucica.
"Eher, dass ER UNS wiederfindet...", argwöhnte Dječak.
Schulterzuckend und ein wenig irritiert packten die beiden ihre Sachen, löschten das Feuer und zerstreuten die Asche, wie sie es zuvor bei Wassilij gesehen hatten und machten die Pferde fertig.
Schließlich blickten sie sich an ihrem Lagerplatz um, ob sie irgendetwas vergessen hätten.
Dann führten sie die Pferde zurück zum Fluss, kontrollierten noch einmal Sattelzeug und Gepäck und saßen auf.
"Wohin jetzt?" Jabucica war sichtlich verunsichert.
"Wir folgen einfach weiterhin dem Fluss. Sollte Wassilij doch zum Lagerplatz zurückkehren, wird er sich schon denken, dass wir in dieser Richtung weiter geritten sind. Wobei ich wirklich eher vermute, dass er irgendwo auf der Strecke auf uns wartet..."
Dječak sprach seinen Gedanken, dass er mit einer hinterhältigen Erschreck-Aktion von dem Krieger rechnete, nicht aus.
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Kurz bevor sie nun doch endgültig losreiten wollten, tauchte wassilij auf Matsch in etwas größerer Entfernung am Fluss auf. Er trabte auf die Beiden zu und winkte zum Gruß.
Als sie sich dann etwa auf halber Strecke trafen, kam der Krieger den Beiden mit seiner Antwort zuvor.
"Guten Morgen, ich hoffe die wehrte Füsrstin und ihr Bruder sind aus geruht?!" Er grinste schelmisch. "Ich habe die Handelsstraße gefunden, nicht weit von hier, stößt sie auf den Fluss und folgt ihm."
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"'werte Fürstin'?! Ich glaub, dir geht's zu gut! Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt, du Blödmann!", brauste Jabucica auf, lenkte Kupfer an Matsch heran und gab dem Krieger einen Stoß mit der flachen Hand.
Dječak lachte.
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Wassilij zuckte mit den Schultern. "Was denkst du kann dir hier draussen schon passieren? Ausserdem hattet ihr doch die ganze Verpflegung! wenn dann wäre ja wohl ich hier draussen ganz erbärmlich verhungert. Jaha!"
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Da musste auch Jabucica lachen.
"Ja nee, is klar, erbärmlich verhungert...", kicherte sie.
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"Kommt, nicht ganz eine Stunde und wir sind auf der Handelsstraße. Dort wird das Reiten leichter und die Pferde müpssen nicht so konzentriert gehen.
Damit wendete Wassilij Matsch und sie ritten dem Fluß entlang.
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Der Tag war bewölkt, aber trocken. Als sie schließlich auf der Handelsstraße waren, kamen sie wesentlich schneller voran, da der Untergrund ebener war und sie nicht so sehr auf lose Steine oder unter trügerischem Laub verborgene Äste und Wurzeln achtgeben mussten.
Dječak tobte sich wieder in der Dressur seines Pferdes aus, während Jabucica sich mit Wassilij unterhielt.
"Ich bin so gespannt auf das, was uns erwartet! Wie es Jenna geht! Und wie die kleine Malla jetzt aussieht!"
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Wassilij nickte. "Ich auch. Ich habe sie seit ein paar Jahren nicht mehr gesehen. Seit ich sie alle als Späher verlassen habe und dann der Sprung."
Er biss sich auf die zunge. das wollte er nicht sagen. Aber jetzt hatte er es gesagt. Nun ja, er konnte den beiden wenigstens vertrauen. Und das war auch schon eine Wohltat.
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Jabucica sah ihn mit nachdenklichem Gesicht an.
Schließlich fragte sie:
"Wassilij, wie alt bist du eigentlich?"
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Wassilij schaute etwas verwirrt über diese Frage. Aber dann überlegte er eine kurze Zeit und schien zu rechnen.
"29 Winter müssten es sein. Wieso fragst du?"
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"Weil du schon so viel... erlebt hast."
Es war offensichtlich, dass sie gerade viele Eindrücke der letzten Tage zusammenzählte. Unwillkürlich glitt ihr Blick zum Rücken des Kriegers, der jetzt natürlich von Kleidung bedeckt war.
"In den Geschichten klingt es immer aufregend, Abenteuer zu erleben. Aber sie können auch schiefgehen, nicht wahr? Es gibt Dinge, die werden in den Erzählungen nicht erwähnt..."
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Wassilij nickte nachdenklich.
"Das ist wahr. Oft wird verschwiegen, wo die Helden etwas gelernt haben. Oder es wird in Liedern glorifiziert. Die Wahrheit ist meist dreckig und was im Hintergrund geschehen ist, wird gerne verschwiegen. Oder aber es kostet mehr als die meisten wissen wollen."
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"Aber da, wo Jenna jetzt ist, ist es doch sicher, oder?"
Jabucicas Vorfreude und ihr Gespannt-sein auf das Kommende wurde nun von der Sorge überlagert, dass sie ihre Schwester und deren kleine Tochter in einer abenteuerlichen, unsicheren Umwelt wiedersehen würde.
In den Geschichten mochten sich Abenteuer toll anhören, aber hier hatte sie einen Menschen vor sich, der eben solche Abenteuer erlebt hatte und wohl auch noch erleben würde. Und zwar mit all ihren glorreichen und dreckigen Facetten.
Wie mochten also die Leute sein, wo Jenna nun war und wo Dječak und sie hingehen würden? Tauschten sie gerade ein unterdrücktes, aber ansonsten ruhiges Leben gegen eines voller Unstetigkeit und Gefahren? Und wenn ja... wäre das so schlimm?
Dječak bemerkte die starken Gefühle seiner Schwester und lenkte Großer neben sie, sodass die junge Frau nun flankiert von den beiden Männern ritt.
"Ist alles in Ordnung?", fragte der Bursche.
"Ich frage mich gerade, wie es wohl sein wird, wenn wir an dem Ort angekommen sind, wo Jenna lebt.", gab Jabucica zurück und wartete dann auf Wassilijs Antwort.
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"Sie leben in einer Stadt. Allerdings in einem der guten Viertel. Das Kontor ist ein wirklich geräumiges Gebäude mit Ställen und einem Garten. Meist ist es dort sehr betriebsam aber dennoch hängt dort auch ein gewisser Friede in der Luft. Vor allem, ist es dort jedoch sicher. Und es gibt hervorragendes Essen und davon sogar reichlich."
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Dječak schien beeindruckt.
"Jenna hat Glück gehabt, es in so einen Haushalt zu schaffen! Haben sie viele Tiere dort? Und gibt es einen Rossarzt in der Stadt? Ich würde so gerne bei einem lernen!"
Diese Frage interessierte auch Jabucica brennend und so nahm das Gespräch eine angenehmere Wendung...
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"Ein paar Pferde sind dort und auch etwas Vieh. Und einen Rossarzt findet man in Fanada sicher mehr als einmal. Es ist eine große Stadt, die durch Handel reich wurde."
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"Apropos Pferde!", Dječak schien etwas unangenehmes eingefallen zu sein.
"Wie ist es eigentlich mit den beiden hier? Hast du die gekauft oder geliehen?"
Ganz offenbar wusste er nicht so recht, wie er es ausdrücken sollte, dass er seinen Braunen gerne behalten würde...
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"Bei Fremden leiht man keine Pferde. Und ich hätte kaum die Möglichkeit, ihm zu garantieren, dass sie wirklich zurück kommen. Also blieb nur der Kauf. Du hattest noch nie ein eigenes Pferd? Oder besser, ihr beiden?"
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Beide Geschwister guckten den Krieger mit einem 'Bist du verrückt?!?'-Blick an.
Da bekam Dječaks Gesichtsausdruck etwas verschmitztes und er sagte: "Das eheste, wo ich mal sowas wie ein eigenes Pferd hatte, war eine sehr leckere Salami..."
"Boah, Dječak!", rief Jabucica entrüstet und schlug ihrem Bruder auf den Oberarm.
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"Dann hast du jetzt ein brauchbares Pferd, welches nicht nur zum Essen geeignet ist."
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Durch die Kabbelei waren die Geschwister kurz abgelenkt, doch als durchdrang, was Wassilij da gerade gesagt hatte, waren beide Augenpaar wieder auf ihn gerichtet.
Jabucica und Dječak standen die Münder offen.
"wa... äh... w... soll das heißen..."
Scheinbar hatte es dem Burschen die Sprache verschlagen.
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Wassilij schüttelte den Kopf. "Genau das! Fragt nicht weiter danach, sondern nehmt es so hin. Jede Diskussion würde ich ohnehin gewinnen. Macht Euch keine Sorgen um das Geld. Das schadet mir nicht. Und nein, damit ist dieses Thema beendet."
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Von den beiden war eine Weile nur unzusammenhängendes Gebrabbel zu hören, dann kippte Jabucica quietschend nach vorne auf Kupfers Hals und versuchte ihr Pferd zu erdrosseln.
Vielleicht knuddelte sie es auch nur, das war von außen nicht so wirklich zu erkennen.
Dječak bemühte sich um etwas mehr Würde und dankte Wassilij einfach mit glänzenden Augen.
"Das... das ist ein großes Geschenk! Ich danke dir! Wir werden uns erkenntlich zeigen, Wassilij! Für alles!", schwor er voller Ernst.
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Wassilij nickte. "Wenn du meinst. Aber ich tue das nicht für Euch! Wenn ihr nicht Jennas Geschwister wäret, hätte ich vermutlich nicht geholfen."
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"Mag sein, dass Jenna dein Beweggrund ist, aber wir ziehen einen Nutzen daraus. Also sind wir es auch, die sich erkenntlich zeigen müssen!", beharrte Dječak.
"Wenn dir also je etwas einfällt, was wir für dich tun können..."
Jabucica sah von Kupfers Hals auf und beobachtete die Reaktion in Wassilijs Gesicht...
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Wassilijs gesicht verhärtete sich kurz. Aber dann war es wieder entspannt und er setzte zu einer Antwort an.
"Macht etwas aus Eurem Leben und passt ein wenig auf Jelena und Eure Schwester auf."
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Jabucica zog, nur von Wassilij zu sehen, eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts. Sie lag weiterhin über Kupfers Hals, der gutmütig einfach weiterlief.
"Wir werden tun, was wir können!", versprach Dječak.
"Und dennoch. Wir stehen in deiner Schuld!"
Seine Schwester rollte mit den Augen. Sie hatte genug von seinem ehrenhaften Getue (auch wenn sie genau wusste, dass er es todernst meinte).
"Ja, ja, ist gut jetzt! Komm du Schuldiger, zeig mal, was dein neues Spielzeug so drauf hat!"
Mit diesen Worten drückte sie Kupfer die Schenkel an die Seite, lehnte sich vor und ließ den Fuchs losspurten...
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Wassilij schüttelte mit einem Lächeln den Kopf. So etwas verspieltes.
Die Beiden begannen ein Rennen und ließen ihre Pferde in einen langen Galopp übergehen. Das konnte ja nun nicht allzu lange andauern, dachte isch Wassilij und lies Matsch etwas schneller laufen, nur um die Beiden nicht aus den Augen zu verlieren. Sollten sie ihren Spaß haben und genießen.
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Doch kurz darauf waren beide tatsächlich hinter einer Wegbiegung verschwunden.
Plötzlich gellte ein Schrei...
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Das hasste Wassilij. Jedesmal geschah der gleiche Blödsinn. Er lies Matsch etwas langsamer gehen um seinen bogen zu ziehen, spannen und einen Pfeil auf die Sehne zu bringen. Egal, was nun kommen würde, er war vorbereitet. Dann gab er Matsch das Kommando und der Hengst sprengte los.
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Als der Krieger um die Wegbiegung herumkam, bot sich ihm ein unerwartetes Bild:
Dječak versuchte Großer und Kupfer zu beruhigen während er mit Tränen in den Augen lachte.
Jabucica rappelte sich gerade vom Boden auf - sie war über und über mit Erde, Laub und Tannennadeln bedeckt, als habe sie sich über den Weg gewälzt.
Auf allen vieren stierte sie erst ihren Bruder böse an (oh, wenn Blicke töten könnten...), wandte sich dann jedoch etwas zu, das sich links von ihr im Gebüsch befinden musste...
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Wassilij lies Matsch halten und verstaute zunächst Bogen und Pfeil. Dann sah er sich kurz um. Natürlich warum rechnete er mit dem Schlimmsten? Einen erschreckten Schrei von einem ängstlich-panischen, müsste er doch eigentlich auseinanderhalten können. aber das spielte jetzt nun keine Rolle mehr.
"Alles in Ordnung?"
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"Kupfer hat vor irgendwas gescheut. Ich hab es nicht genau gesehen...", begann Jabucica, die - immer noch auf allen vieren - das Gebüsch absuchte.
"...weil sie nicht nach vorne geguckt, sondern mir eine lange Nase gezeigt hat!", beendete Dječak den Satz mit Schadenfreude. Inzwischen waren die Pferde ruhiger, aber Kupfer drehte sich noch immer schnaubend vom linken Straßenrand weg, als sitze dort im Gestrüpp eine Hexe. Großer sah einfach nur mit gespitzten Ohren in die Richtung.
"Da ist doch... AU!"
Jabucica hatte ihre Hand in einen Busch gesteckt und zog sie nun blitzschnell wieder raus.
Ungläubig starrte sie auf ihren Finger, der eine deutliche Quetschung zeigte...
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Wassilij runzelte die Stirn. "Was zum...?" Darauf hin nahm er sich einen längeren Stock und schob vorsichtig das Gebüsch zur Seite.
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Es gab ein fauchendes Geräusch und ein junger Greifvogel kam zum Vorschein. Das Tier hielt einen Flügel in einem seltsamen Winkel und sah insgesamt recht zerzaust aus. Dennoch war der Vogel keineswegs wehrlos und Jabucica konnte von Glück sagen, dass ihr Finger nur eine Quetschung und keine offene Wunde oder Schlimmeres abbekommen hatte.
"Was habt ihr da?", rief Dječak, der von den Pferden aus nichts erkennen konnte.
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"Ein recht junger Greifvogel. Sieht nach einem gebrochenen Flügel aus. Aber davon verstehe ich nichts."
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"Dječak, gib mir doch mal deine Lederhandschuhe, ja!", bat Jabucica.
Dergestalt geschützt, griff die junge Frau erneut nach dem Vogel, der sie warnend anfauchte, bevor er versuchte, mit seinem Schnabel ihre Hand zu zerfetzen.
Jabucica zischte vor Schmerz, doch mit einem schnellen Griff zog sie das Tier aus dem Unterholz. Sie klemmte den jungen Vogel zwischen ihre Beine und wickelte ihm rasch in festen Windungen ihren Schal um den Kopf. Als das Tier nichts mehr sehen konnte, wurde es schlagartig ruhiger.
Nun, außerhalb des Gebüschs, war die unnatürliche Haltung des Flügels gut zu sehen.
"Na, du armes Kerlchen? Die letzte Landung ist wohl nicht so gelaufen, wie geplant, was?!", sagte Jabucica leise und fuhr sanft an den Knochen des Flügels entlang. Auf Höhe des Unterarms gab der Greifvogel einen Schmerzensschrei von sich und begann zu zappeln.
Die junge Frau verzog nachdenklich das Gesicht, sah kurz zu ihren Reisegefährten, hoch zum Himmel und schließlich zurück auf das verletzte Tier.
Schließlich gab sie sich einen Ruck.
"Dječak hilf mir mal!"
Was folgte, war nicht nett, aber effizient: Dječak klemmte sich den Vogel dergestalt unter den Arm, dass der verbundene Kopf an seinem Rücken rausschaute. Die scharfen Klauen wurden kurzerhand mit einem Verband zusammengebunden. Nun hatte Jabucica nur noch den gebrochenen Flügel vor sich, den sie erneut abtastete, bis sie den Bruch gefunden hatte. Mit den Fingerkuppen erfühlte sie die Bruchstelle, bevor sie mit Daumen und Mittelfinger immer mehr Druck ausübte, bis sie die beiden verschobenen Knochenstücke wieder an der richtigen Stelle hatte.
Der Vogel schrie und versuchte zu zappeln, doch Dječak presste ihn unbarmherzig gegen sich.
Erneut tastete Jabucica den Flügel ab. Als sie dieses Mal an die Bruchstelle kam, ging ein Lächeln über ihr Gesicht.
"Ich kann den Bruch nicht mehr spüren! Hier ist die Schwellung, aber ich kann keine Knochenkante mehr finden!"
Sie ließ sich von Wassilij einen weiteren Verband geben und bastelte aus Stöckchen und Stoff eine Schiene. Dann umwickelte sie erst den Flügel und schließlich den ganzen Vogel mit dem Verband, bis sie eine kleine Mumie vor sich hatte.
Die junge Frau hob den Vogel hoch und hielt ihn vor Kupfers Nase, der nicht so recht wusste, ob er scheuen oder schnuppern sollte.
"Da! Gewöhn dich dran!" Mit diesen Worten steckte sie das 'Paket' in ihre Satteltasche und stieg auf Kupfer.
"Der hat's in meinem Rock schön gemütlich! Wollen wir?!", sagte sie mit einem triumphierenden Grinsen zu den beiden Männern.
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Wassilij nickte knapp. "Ja ich bitte darum."
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Dječak stieg kopfschüttelnd auf Großer.
"Heul nicht wieder, wenn dein Patient es nicht schafft!", meinte er nur zu seiner Schwester.
Die machte nur "Pah!", trieb Kupfer an und ritt erhobenen Hauptes voran.
"Naja", wandte sich der Bursche an Wassilij, "SO sind die Chancen des armen Kerls auf jeden Fall gerade beträchtlich gestiegen!"
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Wassilij nickte zustimmend. "Ja, das glaube ich gerne. Vermutlich wird er in der Zeit bis Brega wieder Kunstflüge vorführen."
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Von da an hatte Jabucica eine zusätzliche Aufgabe. Sie schämte sich nicht, Wassilij um etwas Wildbret für ihren Schützling zu bitten, ließ sich aber zugleich auch zeigen, wie man Fallen stellte, um es zukünftig selbst zu können.
Dječak half ihr auf eine ruhige, selbstverständliche Art, ließ sie aber wissen, dass der Patient ihr 'Projekt' war.
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Wassilij schlug nun ein etwas höheres Tempo als bisher an. Sie hatten Zeit genug, sich an den langsamen Schritt zu gewöhnen. Langsam mussten sie lernen, was es bedeutete als Medvjedstani zu reisen. Für die Beiden war das alles scheinbar ein Spiel. Aber Wassilij wusste nur zu gut, wohin das umschlagen konnte. Aber diesen Gedanken wischte er beiseite und ritt voran.
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Weiterhin besaßen beide noch lange keine annähernd ausreichende Fitness, um diese Reise auf die leichte Schulter nehmen zu können.
Selbst Dječak bemerkte, dass er nicht genügend Kondition für stundenlanges Reiten besaß, ganz zu schweigen von zusätzlichen Kampftrainingeinheiten. Morgens fühlte er sich steif und spätestens am frühen Abend waren ihm die Glieder schwer. Ob es sich so anfühlte, wenn man alt war? Bei dem Gedanken schüttelte der junge Mann belustigt den Kopf.
Wenigstens blieben ihm die Qualen erspart, die Jabucica auf sich nehmen musste: Die Innenseite ihrer Schenkel war seit Tagen wund oder zummindest irritiert. Auf ihren Händen prangten erst Blasen, bevor sich die wichtige Hornhaut an jenen Stellen bildete, die häufig durch das Reiten und Kämpfen beansprucht wurde. Zusätzlich sorgte ihr "Patient" noch für eine ganze Menge weiterer Kratzer, Quetschungen und Katschen.
Einmal seufzte sie mit einer guten Portion Selbstironie, von vielen der Stellen, die ihr gerade wehtäten, hätte sie gar nicht gewusst, dass es sie gäbe.
Und durch ihren Sturz hatte sie sich neben dem Muskelkater noch zusätzliche Beschwerden eingehandelt.
Mit sorgenvoller Mine beobachtete Jabucica den Vogel, den sie inzwischen dank des charakteristischen Schreis als Rotmilan identifiziert hatten. Das Tier fraß zunächst gut, verweigerte dann jedoch zunehmend ihre Futtergaben. Zudem hatte sie das Gefühl, dass der Vogel zu warm war. Sie behielt ihre Sorgen für sich ("Es ist DEIN Projekt!"), hoffte aber auf eine baldige Ankunft in dieser Stadt namens Brega, wo sie den Milan an einen Vogelkundigen oder besser noch, an einen Falkner weitergeben wollte. Vielleicht bekäme sie sogar etwas Geld dafür...
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Langsam aber sicher, näherte sich die Nacht. Es wurde Zeit, dass das Trio sich endlich nach einem Nachtlager um sah.
Wassilij überlegte einen kurzen Augenblick. Dann wandte er sich zu den beiden um.
"Ihr beiden wisst, worauf es ankommt. Sucht ihr das Lager und bereitet es vor. Dafür gibt es heute auch keine anderen Übungen mehr und wir genießen den Rest des Tages am Lagerfeuer."
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Dječak und Jabucica hielten nach einer Stelle Ausschau, die etwas vom Hauptweg abgelegen war, Platz für ihr kleines Lager und die Pferde bot und idealerweise von schützenden Bäumen überwachsen war. Die erste Möglichkeit winkte Jabucica sofort ab, weil sie am Rand des Platzes einen riesigen Ameisenhaufen erspäht hatte. Auch eine zweite und dritte wurde von den Geschwistern verworfen.
Schließlich jedoch war eine nahezu perfekte Stelle gefunden. Es war eine natürliche Lichtung, die von Buchen umringt war und an einer Seite durch einer sich erhebenden Felswand begrenzt wurde. Die weit in die Lichtung reichenden, laubtragenden Äste schufen eine Art Dach, das die Reisenden in der Nacht vor eventuellem Regen schützen würde. Der Boden war leicht feucht, aber es gab genügend trockenes Material, um sowohl ein Feuer zu machen, als auch den Schlafbereich zu unterlegen.
Unter den Bäumen war es inzwischen sehr dunkel geworden.
Dječak hatte den Teil mit dem Nachtlager übernommen und Jabucica sich um das Feuer gekümmert.
Gemeinsam hatten sie einen im Sturm abgebrochenen großen Ast herangeschleppt, der als Sitzunterlage taugte. Das Feuer war etwas größer, als ein einfaches Kochfeuer und spendete Wärme und Licht.
Nun breitete der junge Mann noch die Lebensmittel aus, während seine Schwester einen erneuten Versuch startete, den Milan zu füttern. Inzwischen versuchte sie es sogar mit vorgekautem Fleisch - mit einigem Erfolg, wie die Männer ihr zugestehen mussten.
Undankbarerweise hielt die Fürsorge den Greifvogel nicht von seinen regelmäßigen Versuchen ab, ihr die Hand zu zerfetzen.
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Wassilij war die Pflege nicht entgangen.
"Ihr beide habt eine wahre Begabung für andere Lebewesen. Eine Schande, das diese Bestimmung bisher verwehrt wurde. Hat euch eigentlich jemals einer eurer Verwandten unseren Glauben erklärt?"
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Beide Geschwister sahen den Krieger verwirrt an.
Dann sagte Dječak: "Ich glaube, du meinst das, was in unserer Familie immer als 'Bekas Altweibergeschwätz' bezeichnet wurde. Vater hat es nicht geduldet, dass diese Themen aufkamen."
Nun nickte Jabucica. "'Geht in die hiesigen Tempel, wenn ihr schon an irgendwelche Götter glauben wollt!' hat er immer gesagt. Und im gleichen Atemzug verboten, dass wir dort Geld oder andere Dinge geben..."
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Wassilij nickte schwer.
"Ich habe nie viel darüber gesprochen. Doch die Götter wirken und sie existieren. Manche nehmen guten Einfluss, andere schlechten. Unser Glaube lehrt uns, dass jeder Mensch immer mindestens zwei Entscheidungen treffen kann. Egal worum es geht. Wir glauben an eine Gottheit mit 777 Inkarnationen. Jeder Medvjedstani findet mit einem Ritus oder durch besondere Erlebnisse heraus, welche seine Inkarnation ist. Man kann das als Aberglaube abtun, oder daran glauben. Aber nur sehr wenige Menschen wissen das wirklich. Was ihr möchtet, solltet ihr selbst entscheiden. Ihr seht, worauf unser Glaube aufbaut?"
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Dječak legte seinen Kopf schief und versuchte, Wassilijs Worte zu begreifen.
"Also das... das Volk... dem wir entstammen, glaubt an einen Gott mit siebenhundertsiebenundsiebzig Inkar... Gesichtern, ja? Und jeder hat eines dieser... dieser Gesichter als... als... persönlichen ähm... 'Ansprechpartner'?"
Seine Stirn legte sich in Falten.
"Und was ist mit den engonischen Göttern? Sind sie dann auch diese Inkarna... also würde man sie dann auch dazu zählen und das was wir schon kennen, ist nichts anderes? Oder, oder gibt es dann einfach ganz viele Götter? Ich meine, es gibt ja auch ganz viele... ähm... Leute. Und die meisten glauben ja an irgendwas, oder?!"
Jabucica war von dem Thema so fasziniert, dass sie einen Moment nicht achtgab und der Milan wieder einmal seine Chance nutzte und ihre Hand attackierte.
"Au!"
Sie sah hinab auf den Vogel: "Welche Gottheit dich auch immer geschaffen hat, muss eine ganz schön harte Nuss sein!", schmollte sie.
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"Oder jemand, der eine eigene Art hat, zu lehren, Jabucica." gab Wassilij mit einem Lächeln zurück. "Nein, unsere Gottheit hat nichts mit den Engonischen Göttern zu tun. Sie sind einzelne Wesenheiten, die eigenschaften wie Menschen aufweisen und ähnlich handeln. unsere Gottheit, bedient sich der Inkarnationen um uns einen Weg zu weisen, um uns anzuleiten unsere eigenen entscheidungen zu fällen. Es fängt klein an und endet im Großen. Erklärt ein König den Krieg? Oder nimmt sich jemand eines Vogels an? All das kann bedeutungslos sein, oder aber eine Welt verändern. Je nach dem, in welchem Zusammenhang all dies steht."
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"Wenn du also sagst, dass jeder immer zwei Wege gehen kann... zum Beispiel Jabucica mit ihrem Vogel: Sie kann ihn mitnehmen, oder da lassen. Und... "
Dječak runzelte erneut die Stirn. Es war offensichtlich, dass er nicht gewohnt war, derlei abstraktes zu überlegen.
"... und... dann könnte Kupfer rein theoretisch eine der 777 Ink... ach mann! Was für ein Wort!... eins von diesen 777 Gesichtern sein?"
Jabucica rückte ein Stück von ihrem Bruder ab und starrte ihn entgeistert an. Es war als hätte sie eine Schrift auf der Stirn: 'Welche Pilze hast du denn gegessen?!?'
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"Nein! Er war nur deine Entscheidung. Die Inkarnationen sind die Erscheinungen unserer Gottheit, mit denen sie nach unseren Legenden unter uns wandelte oder wandelt. Jelenas Inkarnaton ist beispielsweise Milosti die Heilerin. Sie gilt als die Gnadenreiche und ist die Göttin aller Heiler."
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"Gibt es jemanden, der alle diese 777 Inkarna-Dings kennt? Ich meine, woran bemerke ich, dass sowas vor mir steht?", grübelte Dječak weiter.
Jabucica rollte die Augen: "Bruderherz, manchmal bist du echt dümmlich! Ich meine, wenn eine GOTTHEIT vor dir steht, wirst du das doch wohl merken, oder? Die leuchten bestimmt alle, oder haben so eine Aura oder sowas. Ist vermutlich nicht anders, als wenn irgendwelche hohen Herren durch die Gegend stolzieren. Da weiß man doch auch schon 20 Schritt gegen den Wind, dass man sich JETZT besser unsichtbar macht!"
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Wassilij wiegte den Kopf ein wenig hin und her, es machte den Eindruck, als ob er sehr gut überlegte, was er als nächstes sagen würde.
"Die meisten führen ein Ritual durch, welches von einem Kundigen angeleitet wird, um ihre Inkarnation zu finden. Nur die wirklich aller wenigsten, begegnen ihrer Inkarnation tatsächlich."
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Nun war es an Jabucica, ihre Stirn zu runzeln.
"Das ist tatsächlich etwas vage, nicht?!"
Erneut bildeten die beiden Geschwister ein zwillingshaftes Bild.
"Naja," begann Dječak, "ich denke, uns ist schon klar, dass es da was geben muss. Etwas, das die Welt geschaffen hat, unser Schicksal bestimmt und das Katastrophen und Wunder geschehen lässt. Aber wie dieses Etwas genau funktioniert, weiß ich nicht. Das... das kann ich irgendwie nicht benennen..."
In dem Moment griff Jabucica ihren Bruder aufgeregt am Arm:
"Dječak, erinnerst du dich an die Geschichte, die Jenna uns erzählt hat? Von den beiden heiligen Männern, die auf Reisen sind?"
Der Blick der jungen Frau verschwand in der Ferne und sie wiederholte, was sie von der älteren Schwester gehört hatte:
"Es waren einmal zwei heilige, von den Göttern ausgesandte Männer. Der eine war alt und erfahren, der andere jung und unwissend. Am ersten Abend kamen sie zu einem großen Haus, in dem ein reicher Mann wohnte. Sie klopften an dessen Türe und baten um Unterkunft für die Nacht. Zunächst wollte der reiche Mann die beiden abweisen. Dann jedoch erkannte er die Gott-gesandten und da er sich dadurch einen Vorteil versprach, hieß er sie herein. Er führte sie in den Keller, in einen feuchten, kalten Raum und gab ihnen eine schimmelige und fadenscheinige Decke.
Die beiden Gesandten legten sich zur Nacht. Der jüngere schüttelte verwirrt den Kopf. Es wäre dem reichen Mann doch sicherlich nicht schwer gewesen, sie besser unterzubringen. Aber da der ältere nichts gesagt hatte, hielt auch er sich zurück.
Am folgenden Morgen erwachte der junge Gesandte gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie der ältere eine defekte Mauerstelle im Keller ausbesserte.
Wenig später - sie hatten ein Stück Brot vom Vortag zum Frühmahl erhalten - waren die beiden wieder auf dem Weg.
Der zweite Abend kam und sie waren in einer armen Gegend. Wieder klopften sie an eine Türe. Hier lebte eine kleine, arme Familie in einer sehr bescheidenen Behausung, kaum mehr als eine Bretterbude. Ihr wichtigster Besitz, eine Ziege, lebte mit im Haus. Den beiden Gesandten wurde ein herzlicher Empfang bereitet. Ihre Gastgeber teilten all ihr spärliches Essen mit ihnen, gaben ihnen die besten Plätze am Feuer und ließen sie in ihrem eigenen Bett schlafen.
Am nächsten Tag erwachte der junge Gesandte beim Wehklagen der Frau, die über der toten Ziege kniete.
Dennoch rissen sich alle Familienmitglieder zusammen, frühstückten mit den Gästen gemeinsam und schickten sie dann mit einem kärglichen Proviant wieder auf ihren Weg.
Als sie nun eine Weile gegangen waren, konnte der Jüngere nicht anders, er hinterfragte die Taten des Älteren. 'Warum hast du so gehandelt? Du bist doch mit einigen Mächten unseres Gottes ausgestattet! Im Hause des Geizhalses reparierst du das Fundament, und den armen, guten Leuten lässt du ihre einzige Ziege sterben!'
Der ältere ließ den Jungen in Ruhe aussprechen, nickte dann bedächtig und erklärte: 'Du darfst niemals vorschnell urteilen! Betrachte erst alle Seiten! Im Hause des Geizhalses habe ich hinter der Mauer ein kleines Goldversteck gefunden. Nun wird er es nicht finden, sondern erst sein enterbter Sohn in vielen Jahren. Und in der vergangenen Nacht kam der Schnitter eigentlich für das jüngste Kind in der Wiege. Ich habe ihn davon überzeugen können, stattdessen die Ziege mitzunehmen. Was glaubst du, wieviel größer der Gram der Familie gewesen wäre, wenn sie ihr Kind verloren hätten?!'
Da bedankte sich der Junge bei dem älteren. 'Ich sehe, mir fehlt deine umsichtige Weisheit. Ich hoffe, dass ich diese erlangen kann und verstehe nun, warum den sterblichen die Wege der Götter oft unerklärlich bleiben.'
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Wassilij nickte. "Ja eine weise Legende. Und es steckt viel Wahrheit darin. Nicht alles, was schlecht aussieht ist es auch wirklich und auch nicht immer das offensichtlich Gute."
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"Ich hatte diese Geschichte völlig vergessen!", gestand Dječak.
Ein Kauz gab über ihnen Laut, eines der Pferde schnaubte entspannt, die Blätter der Bäume raschelten im Abendwind und das Feuer knisterte. Für einen Moment hing ein jeder der kleinen Reisegesellschaft seinen eigenen Gedanken nach.
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Der Krieger streckte sich längs aus und faltete die Hände hinter dem Kopf, während er das sich im Wind wiegende Laubdach anschaute. Mit zunehmender Dämmerung, flackterte der Feuerschein stärker im Laubspiel über ihren Köpfen.
Friede.
Wie lange hatte er das schon nicht mehr gekannt. Einfach nur Frieden und Ruhe. Kein Gedanke an Kampf, Krieg, Tod oder dunkle Götter. Aber die Wirklichkeit, würde wieder kommen. Er war nicht dafür geschaffen im Frieden zu leben. Diese eine Entscheidung wurde ihm in seiner Kindheit abgenommen. aber Jahre später, hatte er sie selbst gefällt und seinen Weg gewählt.
Der Sohn.
Der Sohn war sein Schicksal.
Unwillkürlich flüsterte Wassilij dieses eine Wort. Einen Moment unvorsichtig entglitt es seinen Lippen. "Sin." Der Sohn. Als es ihm bewusst wurde, hoffte er die Blätter und das knacken des brennenden Holzes hätte dieses Wort übertont.
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Dječak und Jabucica hatten nun eine ganze Weile sehr intensiven Kontakt zu Wassilij gehabt, um zu bemerken, dass es für diesen offenbar nichts alltägliches war, sich entspannt nach hinten zu legen. Sie lächelten sich in einer dieser Zwillings-artigen Verbundenheits-Situationen zu und widmeten sich dann wieder jeder den eigenen Gedanken, auch wenn der jeweils andere durchaus spüren konnte, um was es beim anderen ging.
Die beiden jungen Menschen hatten ein seltsam ziehendes Gefühl im Bauch. Freiheit. Sie war erfleht worden, unerwartet gekommen und sorgte nun sogar gelegentlich für Unbehagen, weil sie auch eine Menge Unbekanntes beinhaltete.
Dječak malte sich aus, wie er und seine Schwester in Brega, das er sich als kleinere Version von Engonia vorstellte, einritten und gleich von Anfang an einen anderen Status hätten. Sie waren diejenigen auf Pferden, die nach dem Weg zu einem Mietstall fragen würden. Nicht diejenigen, die den Weg erklärten oder ehrfürchtig Platz machen würden. Er würde niemanden anrempeln oder einfach umreiten! Würde keinen armen Schlucker mit der Reitpeitsche fortscheuchen! Und niemand würde ihn scheel anblicken - er wäre einfach ein weiterer Reiter von vielen. Boten, Pagen, Knappen, Söhne reicher oder adeliger Häuser, Abenteurer... all jene ritten durch die ganze Welt und ließen somit Familie und andere Altlasten hinter sich...
Jabucica sah sich als weiblichen Stallknecht von Wassilij in die Zivilisation zurückkehren. Eine junge Frau, die etwas gut konnte und sich damit ihren Lebensunterhalt verdiente. Kein klassisches Mädchen, für das die Familie einen Ehemann fand, sondern eher eine Fachkraft, über die derjenige gebot, dem sie ihre Treue geschworen hatte.
Leise stimmte sie einen der Texte aus dem Liederzyklus, den die Geschwister schon zuvor erwähnt hatten, an und Dječak stieg bald ein....
"Ein weiter Weg und manch ein langes Jahr.
Ich ging auf Straßen, fremd und sonderbar.
Ich habe viele Länder schon bereist.
Mit Mächtigen hab ich am Tisch gespeist.
In kalten Nächten und in höchster Not
Teilte mit mir so mancher Knecht sein Brot
Doch nie war mir ein Freund, so wie ihr's wart
Was dich nicht umbringt, macht dich hart.
Das Schwarze Buch war bei mir alle Zeit.
Was ich begehrte, stand schon bald bereit.
Und leere Taschen sind kaum ein Problem
Wer zaubern kann, der liegt nie unbequem.
Selten allein, ich nahm es, wie es kam,
Verlor mein Mitleid und auch jede Scham.
Tat alles, wie's nie vorher meine Art
Was dich nicht umbringt, macht dich hart.
Verkaufte meine Kunst für teures Gold.
Wo Reichtum lockte, stand ich bald im Sold.
Am Hof von Fürsten ging ich ein und aus
Und lebte schon wie sie in Saus und Braus.
So manchem stand der Argwohn im Gesicht
Für meine Dienste liebten sie mich nicht.
Und doch, aus Furcht ging man mir um den Bart
Was dich nicht umbringt, macht dich hart.
Nur gegen eins war nicht mal ich gefeit.
Denn wo die Macht wächst, da wächst auch der Neid.
Gegen Intrigen und die Politik
Hilft nicht einmal der stärkste Zaubertrick.
Man schob mich ab, mit Geld und Ritterschlag,
Auf Gutsbesitz, der in der Heimat lag.
Der Rückzug blieb mir schließlich nicht erspart
Was dich nicht umbringt, macht dich hart.
Ein weiter Weg und manch ein langes Jahr.
Ich ging auf Straßen, fremd und sonderbar.
Ich habe viele Länder schon bereist
Mit Mächtigen hab ich am Tisch gespeist
In kalten Nächten und in höchster Not
Teilte mit mir so mancher Knecht sein Brot,
Und nie war mir ein Freund, so wie ihr's wart
Was dich nicht umbringt, macht dich hart."
-
Wassilij lauschte mit geschlossenen Augen. Es wirkte fast, als wäre er eingeschlafen.
"Was ist das? Ich glaube ich habe das ein oder andere Mal Teile von diesem Lied gehört."
Langsam öffnete er die Augen und machte sich daran, für sie alle Tee zu kochen.
-
Die Geschwister lächelten einander zu.
Dječak erklärte, dass das Lied Teil eines Liederzyklus war, der von einer Teufelsmühle und einem Jungen namens Krabat handelte.
"Krabat kommt als Waise in die Mühle und geht beim Meister in die Lehre. Sie lernen aus einem schwarzen Buch böse Zauber. Krabat verliebt sich verbotenerweise in ein Mädchen aus dem nahen Dorfe, doch der Meister kommt dahinter und tötet Krabats Geliebte. Daraufhin flieht der und nimmt auch noch das Buch mit. Das Lied von gerade heißt Spottlied auf die harten Wanderjahre und beschreibt die Zeit nach der Flucht. Später kehrt Krabat zur Teufelsmühle zurück, tötet den Meister und hilft den ansässigen Menschen sich von seiner Schreckensherrschaft zu erholen. Zum Schluss stirbt Krabat und er freut sich darauf, im Jenseits endlich wieder mit seiner Geliebten vereint zu sein."
Jabucica ergänzte nickend: "Jenna liebt diesen Liederzyklus."
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Ein kurzes aufstöhnen der ERkenntnis.
"Daher kenne ich das Lied! Natürlich. Aber das ist lange her. Fast wie in einem anderen oder früheren Leben."
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Oberhalb der abfallenden Steinwand blitzte kurz etwas auf. Zwei nebeneinanderliegende leuchtende Punkte.
Dječak hatte es aus den Augenwinkeln gesehen und war zusammengezuckt, konnte jedoch beim zweiten Hinsehen nichts mehr erkennen.
"Was ist los?", fragte Jabucica.
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Aus einem Reflex heraus, kam Wassilij fließend in eine kniende Position und hatte das Schwert zum ziehen griffbereit gefasst. Doch als Djecak berichtete, was er gesehen hatte, lachte Wassilij leise und entspannte sich wieder.
"Was es genau war, weiß ich nicht. Aber sehr wahrscheinlich ein Tier, welches sich auch in der Nacht viel bewegt. Da leuchten die Augen meist im Feuerschein. Wie du sagst eng neben einander? Also tippe ich auf ein kleines Raubtier. Ein Dachs, Marder oder eine Wildkatze vielleicht. Ihr kommt doch aus einer Stadt. Habt ihr nie die Augen einer Katze nachts im Feuerschein gesehen? Wenn ihr wollt, könnt ihr mit einer Fackel nach Spuren suchen. Sonst wartet bis morgen früh."
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"Lass uns das auf morgen früh verschieben!", schlug Jabucica vor, während sie sich streckte und gähnte.
"Ich bin total geplättet für heute...", sagte sie und besah sich mit missmutigem Gesicht noch einmal ihre malträtierte Hand. Vermutlich würde sie sich darum kümmern müssen.
Während die junge Frau sich noch einmal ins Gebüsch 'verabschiedete' (kurz darauf konnte man aus der Richtung ein zischendes Atemgeräusch hören), blieb Dječak noch mit Wassilij am Feuer sitzen.
"Wie bist du zu Matsch gekommen? Und warum hat er diesen Namen?", fragte der Bursche den Krieger.
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Wassilij hatte sich wieder ausgestreckt.
"Ich weiß glaube ich sagte bereits, dass ich aus den Bergen der Heimat stamme. Eines Tages habe ich ein einsames Fohlen am Rand des Gebirges gefunden. Matsch. Ich habe gut über einen Namen nachgedacht und erst ist mir keine eingefallen. Aber als klar wurde, was für ein guter und wendiger Läufer er wird, dachte ich an ein Schwert, das den Wind zerteilt. Und Matsch bedeutet in meiner Heimat Schwert. Hier führt der Name meist zu Verwirrung. Und ich bin ihm mehr als verbunden. Er hat mir mehr als einmal mein Leben gerettet."
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Dječak nickte. Es war nicht verwunderlich, dass der Krieger und sein Hengst eine derart enge Bindung eingegangen waren, da Wassilij das Tier ja quasi an Mutters Statt großgezogen hatte.
"Hast du manchmal Probleme mit ihm, wenn Stuten oder andere Hengste in der Nähe sind?", wollte Dječak wissen.
Derweil gab Jabucica allen Pferden nochmal eine "Gute-Nacht-Streicheleinheit", verpackte den Milan sicher bis zum kommenden Morgen, verschwand unter den Decken und wünschte den Männern noch eine gute Nacht.
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"Ja, wenn die Stuten rossig sind und er nicht gefordert wird, ist es nicht immer leicht. Aber ich suche noch nach einer guten Stute für ihn. Es wäre schade um seine Linie. Obwohl darüber niemand etwas weiß."
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Der Bursche überlegte einen Moment.
"Hm, du könntest viele seiner Merkmale zur Verbesserung von anderen Pferden nutzen. Mit einer kräftigen, schweren Stute würden vermutlich wunderbare Schlachtrösser entstehen, die noch den am stärksten gerüsteten Ritter tragen könnten. Und aus einer Warmblutstute bekämst du sicherlich tolle Vielzweck-Pferde. Und wenn du ihn mit diesen hartgesottenen Vollblütern paarst, wie sie in den Wüstenländern gezüchtet werden, würde bestimmt eine Dynastie von unglaublichen Rennpferden beginnen..."
Dječaks Blick ging in die Ferne, als könne er all diese Nachfahren Matschs dort sehen.
Von der Lagerstatt aus meldete eine müde Stimme: "Und wenn du eine taktklare Zelterstute hast, könntest du auch prima Reitpferde machen. Die schaukeln dich noch nach einem Tagesrennen von hier nach Engonia sanft ins Land der Träume..."
Es folgte ein Gähnen und dann aus der Richtung nichts mehr.
Dječak musste grinsen.
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"Oder so." Kommentierte Wassilij Jabucicas Ausscheiden aus der Gegenwart.
"Weißt du, ich habe noch keine stute Gefunden, wo es sich passend ergeben hätte. Und in diesem Land, habe ich noch kaum Stuten gefunden, die es wert gewesen wären. Pferde haben hier einfach nicht den verdienten Stellenwert. Auf einem Schlachtross mit Kriegssattel, kann jeder Narr sicher reiten. Aber im Gallopp, vom Pferderücken aus mit dem Bogen zu schießen oder schnellste Kerhtwenden und dergleichen, beherrscht fast niemand hier. Dafür gute Pferde zu finden, ist hier schwer. Und mit dem Adel verhandeln, um ein gutes Fohlen zu bekommen, ist hier ebenfalls schwer. Und sonst sind die guten Rösser noch seltener. Mir wäre aber die Wüstenstute die liebste Möglichkeit."
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Dječak sah ein, dass das durchaus wichtige Überlegungen und klar erkennbare Schwierigkeiten waren.
Schließlich begab auch er sich zu seiner Lagerstatt.
Dort lag der junge Mann noch eine Weile genüsslich in Gedanken verloren, auf seiner Unterlippe kauend.
Eine eigene Pferdezucht aufbauen, durch die Lande ziehen und gute Zuchttiere einkaufen, die Fohlen trainieren, Rittmeister ausbilden...
"Das wär was..."
Ein träumerischer Seufzer stahl sich über seine Lippen, während seine Augen mal wieder in eine weite Ferne blickten und sich schließlich schlossen...
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Eingeschlafen, dachte Wassilij, die beiden die ersten Tage hatten sie nur Probleme und jetzt schlafen sie, als ob es das normalste von der Welt für sie Wäre. Mit einem sanften Lächeln stand Wassilij auf und ging fast lautlos zu den Pferden.
Mit einem leisen Schnaufen kündigte Matsch an, wer da kommt und begrüßte seinen Reiter mit einem Stupser. Leise lachend und sein Pferd in der Muttersprache liebkosend, begann Wassilij Matsch zu kraulen.
Was würde er nur ohne seinen Hengst machen? Wie oft hatte er ihm schon das Leben gerettet? All die Jahre, die sie zusammen gereist waren. Er vergas die Zeit, während er dort stand und schließlich gähnte der junge Krieger, verabschiedete sich mit einem Klopfen auf der Flanke von dem Hengst und legte sich schlafen.
Tief und ruhig, war die Nacht. Nicht einmal Erinnerungen an die Zeit nach Tailon Orikos störten seine Nachtruhe und schließlich, schlief er länger als die Geschwister.
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Dječak wurde als erster wach.
Es dämmerte so gerade eben. Die Vogelwelt jedoch begrüßte den Tag schon vielstimmig. Auch der Milan blickte mit seinen hellgelben Augen aufmerksam umher, gab jedoch keinen Laut von sich.
Jabucica lag, völlig fertig von den Anstrengungen der vergangenen Tage, noch immer tiefschlafend auf ihrem Lager.
Verwundert hob der Bursche jedoch die Augenbrauen, als er auch Wassilij noch mit geschlossenen Augen auf dessen Lager vorfand.
Eine Weile blickte Dječak auf den schlafenden Krieger hinab. Gefühle der Dankbarkeit, der Ehrerbietung, der Demut durchströmten ihn. Hinzu kam ein kleines bisschen Freude für Wassilij, dass dieser sich offenbar (endlich?) sicher genug fühlte, um tief zu schlafen.
Dann rief sich der Bursche das in den letzten Tagen Gelernte in den Kopf und versuchte sich daran, den beiden 'Schlafmützen' einen schönen Morgen zu bescheren.
Wassilij hatte das Feuer vor dem Schlafengehen abgedeckt, sodass nun noch genügend Glut vorhanden war, um ohne großen Aufwand mit ein paar trockenen Ästen wieder Flammen auflodern zu lassen.
'Wir haben keine Fallen aufgestellt!', schoss es dem jungen Mann durch den Kopf und er ärgerte sich einen Moment.
Er setzte Wasser auf und suchte in den Provianttaschen nach den hellgrünen Tannennadelspitzen, die er für den Tee nutzen wollte.
Als die Nadeln im Wasser lagen und vor sich hinziehen konnten, überprüfte Dječak rasch die Pferde. Keine verhakten Leinen, keine Verletzungen, keine Steine in den Hufen, alle drei wandten ihm aufmerksam die Köpfe zu und stießen ihn freundlich mit den Mäulern an - der Bursche war zufrieden und gab jedem Tier eine getrocknete Apfelscheibe.
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Es dauerte eine Weile. Beide Geschwister waren bereits wach und die wichtigsten Aufgaben waren bereits erledigt, als Wassilij mit einem scharfen Einatmen schlagartig die Augen aufschlug und sich umsah. Das Lager, die Pferde, die Geschwister. Alles war wie es sein sollte.
Er rieb sich das Gesicht mit beiden Händen.
"Guten Morgen!" Er sah mit einem erschöpften Gesicht in die Flammen und nahm sich etwas Tee.
"Danke." Ein kleiner Schluck Tee und ein kurz leerer Blick in das Feuer. Wie lange? War seine Entscheidung damals die richtige gewesen? Mit einem Kopfschütteln wischte er die letzte Frage beiseite. Ja, es war richtig! Es gehörte zu ihm, schwere Entscheidungen zu fällen. Es war ihm vorher bestimmt. Seine Inkarnation stand dafür. Aber auch dafür, es nicht zu teilen.
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Jabucica und Dječak tauschten einen Blick, als der Krieger so urplötzlich aufwachte.
Dann wandte sich die junge Frau wieder dem Rotmilan zu, dem sie gerade mit einer Engels-Geduld teilweise vorgekautes Fleisch fütterte.
Dječak reichte Wassilij etwas geröstetes Brot mit angeschmolzenem Käse darauf.
Der Morgen war inzwischen grau und es nieselte - da passte ein herzhaftes Frühstück eindeutig besser, als ein süßes!
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Wässrig nickte dankbar. Das Frühstück tat jetzt wirklich gut. Er rang mit sich selbst. Sein Leben drehte sich stets um den Dienst an anderen. Sein Leben drehte sich stets um das Treffen schwerer Entscheidungen. Hatte er den beiden wirklich einen Gefallen getan? Wenn sie bei Jelena im Stall beiden würden auf jeden Fall. Aber wenn nicht wurde ein wenig Stockkampf kaum ausreichen. Vor allem ihre Köpfe waren auf nichts vorbereitet.
Hatte er das Recht, davon zu erzählen? Aber hatten sie es nicht auch verdient? Wenigstens seinen Teil könnte er erzählen. Schweigsam aß Wassilij zu ende.
Schließlich durch brach er mit kalter und ruhiger Stimme die Stille des Lagers.
"Viele unseres Volkes haben ihre Inkarnation durch tiefe Meditation gefunden. Bei mir hatte das nie geholfen. Aber eines Tages, als ich nachts im Gebirge unterwegs war und in große Not geriet, erschien er mir. Sin, übersetzt 'der Sohn. Meine Inkarnation. Die Schamanen und Weisen unserer Heimat streiten sich, ob er überhaupt einen Namen hat. Er steht für die schwersten Entscheidungen. Seine Geschichte beginnt vor langer zeit. Zwei Fürsten führten an einer Brücke über einer Schlucht Krieg. Dieser Krieg dauerte Jahre an und viele starben, ohne dass jemand siegte. Schließlich erschien die Göttin den beiden Fürsten in Gestalt einer weisen bardin und sang alte weisen, doch niemand hörte auf sie. Lovac der Herr der Steppen und Krieger ließ die Brücke mit einem Erdbeben einstürzen, doch verlegte man das Schlachtfeld. Scre, die für die Liebe steht, schuf einen Bund zwischen Tochter und Sohn der Fürsten, doch die Liebe halfnichts. Milosti selbst versuchte auf dem Schlachtfeld die vielen Verwundeten und sterbenden zu heilen, doch es half nichts. Ein letztes mal erschien die Bardin. Doch sie versagte erneut und dann weinte sie. Aus den Tränen in der Dunkelheit erschien Sin und sagte, er könne den Krieg beenden. Weinend nickte die Göttin und Sin verschwand in der Nacht. Am nächsten Morgen waren beide Fürsten tot und die liebe der Nachfahren beendete nun endlich den Krieg. Sin steht seitdem für das Fällen schwerer Entscheidungen und das durchführen eben dieser. Vor einigen Jahren geriet ich in Ereignisse um Szivar. Ich sah Dämonen mit eigenen Augen und kämpfte gegen sie. Schließlich erfuhren wir worum es ging. Szivar wollte durch in Diener ein Portal zwischen seiner und unserer Welt öffnen. Der einzige Weg es zu schließen war, den Schlüssel hindurch zu bringen. Diese Aufgabe fiel mir zu. Als der Schlüssel in meine Hände geriet, War der Kampf am offenen Portal in vollem Gange. Also rannte ich los und sprang. Das Portal schloss sich. Und erst nach über einem Jahr hier und unzähligen in der anderen Welt konnten meine Freunde mich retten. Aber ich War sehr verändert. Die Folter hat ihre Spuren hinterlassen. Aber sie haben mich nicht aufgegeben. Und jetzt bin ich beinahe wieder der Alte. Ihr begebt euch in eine gefährliche Welt. Seid euch sicher, dass ihr das wollt."
Als er geendet hatte, nahm Wasser sich noch etwas Tee u d sah beiden nach einander tief in die Augen.
-
Die Geschwister sahen Wassilij sprachlos an.
Jabucica schien den scharfen Schnabel des Milans, der versuchte, ihren Finger zu zerfetzen (offenbar hatte er sich nun doch entschlossen zu fressen), gar nicht zu spüren.
Dječak fasste sich schließlich als erster.
"Das sind also die dunklen Seiten des Heldentums, stimmt's?!"
Er senkte den Blick, schluckte und sah den Krieger dann wieder an.
"Aber du sprichst auch von Freundschaft, die Zeiten und sogar ... Dimensionen... überdauert. Ich weiß nicht, wie du es siehst, aber ich sehe darin einen wahren Schatz.
Vielleicht ist es Schicksal, dass dein Leben so ist, wie es ist. Ich kann nicht sagen, ob du es anders haben könntest, wenn du wolltest.
Bis vor kurzem glaubte ich, mein Leben wäre vorbestimmt. Doch nun bin ich hier. Du sagst, ich könnte sogar ein ehrenhafter Kämpfer, ja ein Ritter werden..."
"Ich will keine Heldin werden. Ich will einfach nur...", sagte Jabucica leise.
"mein Leben leben.", schlossen beide zusammen und sahen sich dann mit einem gequälten Lächeln an.
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Der Krieger schwieg eine kurze Zeit lang.
"In Euren Worten liegt eine Weisheit, wie ich sie selten von Gelehrten gehört habe. Aber einfach nur leben zu können ist das größte Gut, das ein Mensch haben kann. Frei zu sein, wissen nur wenige zu schätzen. Jetzt ist eure Zeit gekommen, genießt sie! Ausserdem steht ihr unter meinem Schutz. Das mag nicht viel bedeuten, aber eure Familie müsst ihr nie wieder fürchten. Und das ist nicht mein Schicksal, sondern meine Wahl, dieses Leben zu führen. Es hätte andere Möglichkeiten gegeben. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr."
Er lachte leise. "Die Zeiten der Krieger sind jetzt vorbei. Jetzt ist die Zeit des Friedens und damit eure Zeit. Genießt sie."
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Das Lob tat Dječak und Jabucica gut.
Sie wussten nicht wohin das Leben sie führen würde, aber sie empfanden den derzeitigen Zustand vorerst schon mal als große Verbesserung in vielerlei Hinsicht.
Wie lange es jedoch noch dauern würde, bis sie dem Leben "auf der Reise" überdrüssig wurden und die Annehmlichkeiten eines festen Wohnortes vermissen würden, war kaum zu sagen.
Jabucica zog die Augenbrauen und Mundwinkel hoch: "Wenn die Zeit der Krieger vorbei ist und die des Friedens angefangen hat, können wir ja sicherlich heute das Waffentraining ausfallen lassen, oder?!"
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"Zwischen Lehrer und Schüler besteht ein tiefes, beinahe elterliche Verhältnis. Aber dafür ist die Ausbildung streng und hart. Ich betrachte euch als Freunde. Ausserdem bin ich kein Meister. Also ist das auch Eure Wahl."
Er entspannte sich merklich. Der Kampf und Krieg War vorbei. Aber das War es, wofür er ausgebildet wurde. Doch nun galt es den Frieden zu wahren. Welcher weg wir der richtige? Wieder spannte er sich an. Er beobachtete die beiden in ihrem leichten Gehabe und beneidete sie.
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"Jabucica, wir sollten es nicht einreissen lassen! Wenn du nicht willst, gut, aber ich glaube, es ist wichtig, dass man keine Ausreden findet. Sonst fängt man immer wieder damit an und lässt das Lernen schließlich ganz.", sagte Dječak zu seiner Schwester.
An Wassilij gewandt meinte er: "Was auch immer du für eine Übung vorschlägst!"
Jabucica sah mit vorgeschobener Unterlippe zwischen den beiden hin und her und gab schließlich ein tiefes Seufzen von sich.
"Na schön. Als würden ein paar Blutblasen mehr oder weniger noch etwas ausmachen..."
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Wassilij nickte und stand auf.
"Gut, fangen wir an." Lockere Übungen zum erwärmen der Muskulatur eröffneten dass nun Hebel und Griffe auf dem Plan standen.
Darauf folgten Demonstrationen, Erklärungen und ausführliche Übungen zu Gegenangriff ohne Waffen und was man tun konnte, wenn man kaum zeit hat die eigene Waffe zu ziehen.
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Die drei trainierten gut eine Stunde.
Dječak erwartete zuviel von sich und im Geheimen tat dies auch Jabucica, doch die kämpfte primär mit ihren ganz eigenen Schwierigkeiten. Noch immer war ihr Körper die Strapazen nicht gewohnt. Ihre Hände waren wund, ihre Muskeln hart, die Gelenke steif, die Innenseiten ihrer Beine noch immer vom Reiten gereizt und das Gesäß tat seit Tagen einfach nur dumpf weh.
Aber sie biss sich durch. Irgendwie. Sah zu, machte nach, lernte. Und machte eine neue Erfahrung: Wenn du wirklich willst, kommst du immer irgendwie weiter.
Schließlich zeigten sich auch bei Dječak klare Erschöpfungszeichen und Wassilij gewann zudem den Eindruck, dass die Köpfe der Geschwister für heute kein weiteres Kampfwissen aufnehmen konnten.
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"Es reicht. Ihr seid keine Krieger und das sollt ihr auch nicht werden. Also ist es gut."
Er wies sie an zu trinken.
"Setzt Euch und trinkt etwas frischen Tee. Wofür wollt ihr mein Handwerk lernen? "
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Dječak und Jabucica sahen sich an - es war wieder einmal eine ihrer typisch gleichförmigen Bewegungen, als sie einander die Köpfe zuwandten.
Nach einer stummen Absprache setzte der Bursche zu sprechen an:
"Wie können wir es nicht lernen wollen? Unser Leben war nicht gut. Sicher, andere haben es schlechter getroffen, aber wir waren unglücklich. Dann kommst du und holst uns da raus. Zeigst uns einen Teil deiner Welt und gibst uns Ausblicke auf das, was uns am Ende dieser Reise erwarten wird und erwarten könnte. Du bist uns ein Vorbild geworden. Ein Lehrer. Und dazu kommt, dass wir jede Möglichkeit ergreifen werden, Dinge zu lernen, die uns unabhängig machen. Nie wieder wollen wir so leben, wie in Engonia. Selbst wenn..."
Dječak schluckte, sah seine Schwester traurig an und fuhr dann fort:
"Selbst wenn es uns trennt."
In ihren Köpfen war kurz etwas aufgetaucht, das vielleicht eine Vorahnung oder auch einfach nur ein Gedanke sein konnte...
Jabucica saß auf einem Pferd und ritt, eine wichtige Mission in den Satteltaschen in halsbrecherischem Tempo in einer grauen Umgebung über eine Straße mit Schneematsch an den Rändern. Zugleich stand Dječak in einem warmen, sonnendurchschienenen Stall und streichelte eine hochträchtige Stute.
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"Wenn ihr wirklich liebt, spielen Zeit und Raum keine rolle. Die Frau, die ich liebe ist weit weg und ich weiß nicht wann ich sie Wiedersehe."
Er trank Tee und schwieg. Ein Zeichen, dass er nicht gewillt war, dieses Thema zu vertiefen.
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Die Geschwister sahen sich erneut an, zuckten dann gleichzeitig mit den Schultern und konzentrierten sich auf ihren Tee.
Wenig später brachen sie das Lager ab und ritten weiter. Der Himmel zog sich im Laufe des Tages zu und am frühen Nachmittag begann es leicht zu nieseln...