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Briefe
Jelena:
Geschätzte Saskia Isabella!
Es ist bereits einige Zeit vergangen seitdem ich etwas von Euch vernommen habe, daher gehe ich davon aus, dass Euch einige meiner Briefe gar nicht erst erreicht haben. Angesichts der derzeitigen politischen Situation vielleicht auch kein Wunder, aber ich verfasse diese Zeilen dennoch in der Hoffnung, das Ihr sie lesen werdet. Wie Ihr sicherlich wisst, habe ich nach der Hochzeit des Herrn von Argeste und Herrin Arina Lodrien verlassen und all meine Geschäfte dort bis auf weiteres beendet. Wie der Allwissende es so wollte, bin ich immer tiefer in den Strudel der Geschehnisse geraten, die Engonien seit etwa 18 Monden heimsuchen und diesem Land einen neuen Kaiser beschert haben. Es wäre zuviel verlangt von Euch ein Wissen um den Aufbau des Landes zu erwarten oder gar, was an der Sache, das ein neuer Kaiser existiert so katastrophal ist, daher hier nur ein sehr kleiner Abriss der Geschehnisse: Engonien wurde vor etwa 300 Jahren von Jeldrik, dem Gesalbten aller 6 Götter Engoniens, gegründet, indem er die wichtigste Schlacht des damals tobenden Bruderkriegs für sich entschied und die Völker im engonischen Reich einte. Er setzte einen Senat ein und verschwand dann, um wiederzukehren wenn das Reich ihn bräuchte. Ab da regierte der Senat das Land im Namen des Hl. Jeldrik und harrte seiner Wiederkehr, während der Thron leer blieb. Im Spätsommer vor zwei Jahren begannen nun die Ereignisse sich zu überschlagen, durch eine Verkettung unglückseliger Umstände, fehlinterpretierter Visionen und dem Übereifer einiger Magier wurde damals in Tangara ein Artefakt zusammengesetzt, welches es Barad Konar, Baron von Salmar und Herrn des Ordens Lupus Umbra, ermöglichte ins Leben zurückzukehren.
Der Lupus Umbra ist ein kriegerischer Orden, welcher dem wolfsgesichtigen Gotte Tior geweiht ist, ein dunkler Herr des Krieges und Blutes, der das Gesetz des Stärkeren propagiert. Tior ist eine dunkle Gottheit, die im Chaos der Schlacht und den Schmerzen seiner Anhänger ihre Macht findet. Seine Gläubigen sehnen sich danach im tiorsgefälligen Kampf mit seinem Namen auf den Lippen zu sterben, um dann im Jenseits auf die Ketten einschlagen zu können, mit denen Tior gefesselt ist, denn wenn er wieder über die Erde wandelte, würde dies unendliches Leiden und den Tod jedes Nicht - Kriegers nach sich ziehen.
Damals, in jenem Sommer, kümmerte mich das alles herzlich wenig, ich tat das, was ich am besten konnte, indem ich ein Lazarett aufbaute, denn sobald die Nacht herniedersank, erwachten die Toten in ihren Gräbern und gingen zum Angriff auf die Lebenden über. Woher diese Untoten kamen, was das Ziel desjenigen war, der sie rief; ich weiß es nicht. Aber es muß jemand mit sehr großer Macht gewesen sein, denn eine wahre Armee erhob sich mit jedem Abend und hätte bald ohne weiteres unser Lager dem Erdbosen gleich gemacht. Unter diesem Druck entschieden sich die Anführer der Gruppen das Artefakt einzusetzen, um jenen Barad Konar zurückzuholen, der auch das Schlachtenglück zu unseren Gunsten wendete. Das wir nur das Werkzeug ruchloser Gottheiten waren, wurde uns zu spät bewusst.
Wir verließen Tangara mit den besten Vorsätzen Engonien im Allgemeinen und diese Provinz im Besonderen so bald nicht wieder zu bereisen. Gegen Ende des Jahres erreichte uns eine Einladung vom Baron persönlich. Er erbat sich unsere Hilfe, um die Burg seiner Ahnen wieder in Besitz zu nehmen um sich dann anschließend bei uns erkenntlich zeigen zu können. Narren, die wir waren, gingen wir darauf ein!
Wir trafen also auf Burg Salmar ein. Auf dem Weg dorthin war uns in einigen blutigen Scharmützeln klar geworden, das der Orden offenbar eine Spaltung durchlebt hatte. Es gab jene, die an die Rückkehr Barad Konars glaubten und jene, die sich ihm entgegenstellten. Wie wir erst viel später herausfanden, waren sie von Szivars Hand Savart Wolfsheim korrumpiert worden.
Wer ist nun Szivar? Er ist die andere dunkle Gottheit Engoniens, der Herr über Chaos und Hinterlist, Pest und Gift. Von ihm habe ich mehr erfahren müssen, als mir je recht gewesen wäre.
Aber dazu später mehr. Auf der Burg eingetroffen, wurden wir in den großen Saal geführt, wo Barad Konar uns als seine Gäste begrüßte und uns seine Vasallen vorstellte. Was nun passierte, wurde mir eigentlich erst viele Wochen später klar. Der Baron stellte uns seinen Gefährten Savart Wolfsheim vor und in dem Augenblick, in dem ich den Mann sah, wusste ich, dass irgend etwas nicht in Ordnung war. Es war wie ein Jucken, welches mich auf etwas hinweisen wollte, aber ich konnte mich ums Verrecken nicht daran erinnern, was es war! Erst als dieses Aas von einem Mann folgende Worte sprach: "... nun kann ich euch alle endlich Szivar opfern!" durchschoß es mich wie ein Blitz: diesen Namen hatten die Abtrünnigen im Munde geführt! Doch es war zu spät: das Licht verlöschte, ein Schmerzschrei ertönte und als jemand wieder eine Fackel entzündet hatte, war der Verräter verschwunden und der Baron lag mit einem Bolzen niedergestreckt auf dem Boden.
Weshalb ich Euch das so ausführlich schreibe? Ich gestehe, ich tue es auch, um meine eigenen Gedanken zu ordnen. Soviele Einzelheiten sind auf mich eingestürmt, so viele Dinge bauen aufeinander auf und selbst die kleinste Tat zieht Konsequenzen nach sich. Auch muß man, um die jetztige Situation des engonischen Reiches nachvollziehen zu können, die bisherigen Geschehnisse so genau wie möglich kennen. Ich hoffe, es langweilt Euch nicht, all diese Dinge über ein Reich zu lesen, welches so fern Eurer Heimat Alestria ist, aber nur der Wind weiß, wann es Euch in diese Gefilde verschlagen wird. Nun denn, der Baron ist ein Baum von einem Mann, ein Bolzen konnte ihn zwar verletzen, aber schwerlich auf der Stelle töten, die Heimtücke Szivars zeigte sich in der alchemischen Analyse seines Blutes: ich fand das heimtückischte Gift, welches man sich nur vorstellen konnte. Um ehrlich zu sein, ich hatte es mir nicht vorstellen können, dass es ein Gift geben könnte, welches sich von selbst auf jedes neue Antidot einstellte und sogar Magie trotzte! Es war furchterregend! Dann brach die nächste Katastrophe über uns herein: die Geweihten und Novizen stellten bestürzt fest, das sie ihre Gottheiten nicht mehr anrufen konnten, so dass alle Heilung und Hilfe, welche sie hätten geben können, nichtens war. Stellt Euch meine Bestürzung und Angst vor! Ich schäme mich nicht es zuzugeben, mir ist das Blut in den Adern gefroren. Der Grund dieses erschreckenden Phänomens war auch schnell ausgemacht, die gesamte Burg begann in Szivars Sphäre abzudriften! Dieser siebenmal verfluchte Abkömmling eines stinkenden Ziegenbocks und einer schleimigen Natter wollte seine Drohung tatsächlich wahr machen und alle Seelen, die sich in der Burg befanden seinem dunklen Herrn opfern! Stellt Euch die Verzweiflung und Ratlosigkeit vor! Doch die Göttin ist groß, und sie gab uns zwei Dinge an die Hand, die uns helfen konnten: in der Burg gab es einen Tiorstempel, dessen Vorsteher Savart getrotzt hatte und der uns wertvolle Hinweise geben konnte. Gleichzeitig tauchten überall Geister auf, die immer und immer wieder einer bestimmten Aufgabe nachgingen: um als rechtmäßiger Baron Salmars eingesetzt zu werden, musste Barad Konar wohl drei Aufgaben erfüllen, welche ihm das Erbe seiner Vorväter aushändigen würden. Ich maße mir nicht an, etwas von Magie zu verstehen, dies ist eher Euer Gebiet, werte Saskia Isabella, aber wenn ich das richtig verstanden habe, dann war dieses Ritual wohl mächtig genug, um Szivars Einfluß zu brechen. Da wir nun nicht kampflos untergehen wollten, entschlossen wir uns diese Aufgaben an Barad Konars Stelle zu erfüllen. Nach einer Nacht übelster Träume und Visionen und einem Tag angefüllt mit Kämpfen und dem steten Gefühl, das uns die Zeit wegliefe, wurde es gerade rechtzeitig vollbracht: die Krone derer von Salmar zierte das Haupt des Barons, der Bann Szivars brach und wir waren dazu in der Lage die Burg zu verlassen. Überflüssig zu erwähnen, das ich mir damals schwor nie wieder einen Fuß freiwillig in diese Baronie zu setzen.
Es war eine Zeitlang ruhig um den neuen/ alten Führer des Lupus Umbra, aber uns allen war inzwischen klar, das uns der Teufel geritten hatte, als wir Tior halfen ihn zurück zu holen. Viele Dinge, die wir in Salmar erlebt hatten, hatten uns klar aufgezeigt, dass Tior verglichen mit Szivar zwar das kleinere Übel war, aber immer noch ein Übel und so hofften wir in Zukunft von einer näheren Bekanntschaft verschont zu werden. Eine Hoffnung, von der ich im Grunde meines Herzens bereits wusste, das sie nichtig war.
Zu Beginn des fünften Mondes versammelten wir uns wieder, denn es galt die Hochzeit des Barons zu begehen. Eine der drei Aufgaben war es gewesen, eine Braut zu suchen, Ariann zu Gutenböckig stellte sich zur Verfügung, wurde anerkannt und sollte nun vermählt werden. Nur soviel sei gesagt: die Hochzeitsgesellschafft war ebenso bereit die Braut zu bemitleiden, wie auch ihr zu gratulieren, falls der Baron ein unerwartet jähes Ende finden sollte.
Der Baron ließ sich nicht blicken, offiziell hieß es, er sei auf der Jagd. Wie dem auch sei, das ganze hätte eine amüsante Anekdote bleiben können, wenn mir nicht etwas höchst beängstigendes widerfahren wäre: Ich saß nachts mit meinen teuren Gefährten am Feuer, als eine etwa 2 Schritt große, furchterregende Gestalt in Plattenrüstung mit einem Wolfskopf das Lager durchschritt. Ich war völlig gelähmt von diesem Anblick und bevor ich mich versah, griff er nach mir und ... ich musste die Feder niederlegen und mein klopfendes Herz beruhigen, alleine die Erinnerung reicht bereits aus um mir den kalten Schweiß ausbrechen zu lassen. Diese Gestalt war niemand anderes als Tior und seine Berührung brachte mich geradewegs in sein Totenreich.
Ich weiß, wie unglaublich das klingt, aber ich versichere Euch, teure Freundin, das es wirklich so war! Ich traf auf andere Gefährten und auf einen Tiorsnovizen namens Grendar Ermoites. Er war mir namentlich bereits bekannt gewesen, da ich den Hauptmann des Söldnerbanners kenne zu dem er gehört, aber mir war immer noch nicht klar, was, bei allen sieben Höllen der Unentschlossenen Ewigkeit, ich denn nun sa sollte! Ich bin eine Heilerin, dies ist nicht mein Beruf, sondern meine Berufung, meine Eide gegenüber der Göttin gelten allen Kranken, Schwachen und Beeinträchtigten, kurzum, ich diene dem genau entgegengesetzten Prinzip als Tior! Warum pfuscht er immer wieder in meinem Leben herum? Doch meine hilflose Wut nutzte mir nicht, ich war in Tiors Totenreich und wenn ich daraus wieder hervorgehen wollte, so musste ich die mir zugedachte Aufgabe erledigen: Grendar Ermoites und die Novizenanwärterin Kandra während ihrer Prüfungen am Leben erhalten. Etwas, was mir glücklicherweise auch gelang. Grendar und Kandra durchliefen ihre Weihen und wir gelangten wieder zurück in unsere Welt.
All das liest sich wie das Geschreibsel eines verrückt gewordenen Dichters, der versucht seine Geschichte an die nächste Postille zu verkaufen, aber ich kann nur immer wieder beteuern, das es die Wahrheit ist, die ich Euch hier berichte!
Mit heiligem Zorn erfüllt, ging ich zum nächsten Aine - Tempel. Diese, der neutralen Göttin der Magie und des Wissens geweihten Orte sind gleichzeitig Bibliotheken und ich hoffte dort Informationen über diesen Gott zu erhalten, der so unerwünscht Teil meines Lebens geworden ist. In dem Tempel in Fanada traf ich auf einen jungen Mönch namens Elias Cameron, der mir gar hochnäsige Antworten auf meine Fragen gab, ich wollte mich schon von ihm abwenden, als er mir Einzelheiten unterbreitete, die er unmöglich hatte wissen können! Was genau dieser Wahnsinnige von sich gegeben hat, das will ich gar nicht wiederholen, ich hätte Angst das ein Blitz vom Himmel herniederfährt und mich erschlägt, wenn ich es wagen würde solche Dinge aufzuschreiben. Aus all dem wurde mir jedoch eines klar: meine Gefährten, und ich mit ihnen, waren zu einem Spielball unkontrollierbarer Mächte geworden.
Wie mächtig diese Kräfte waren, wurde uns einige Monde später schmerzhaft verdeutlicht: egal wo ich war, der Mönch Cameron machte mich ausfindig und ließ uns Botschaften zukommen, in denen er gerade soviel Informationen preisgab, um uns nicht von der Angel zu lassen. Schließlich flehte er uns an, nach Fanada zurückzukehren, da er sich in Gefahr befände und nur wir ihm helfen könnten. Wir kehrten also in die Stadt zurück, wo uns wieder ein Papier in die Hände gespielt wurde, welches uns auf der Suche nach einem wichtigen Artefakt kreuz und quer durch die gesamte Stadt schickte. Und Fanada ist wahrlich ein große Stadt!
Nach einiger Mühe und Anstrengung, wobei wir immer wieder von lichtscheuem Gesindel angegeriffen wurden, fanden wir denn nun auch den gesuchten Ort und erhielten dafür einen wahrlich großartigen Preis: in einer Vision sahen wir, wie die 6 Götter Engoniens ihren Pakt, der das Land überhaupt erst entstehen ließ, aufkündigten! Ich war drauf und dran in Panik auszubrechen, ein Bürgerkrieg ist eine Katastrophe, aber ein Krieg unter Göttern! Das wären nun wahrhaft kataklysmische Ausmaße! Hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch auf mein geliebtes Pferd zu steigen und dieses Land auf ewig hinter mir zu lassen und der Angst, dass das, was wir dort gesehen hatten Wirklichkeit sein könnte, besteigen wir also die Treppen zur Hochstadt, wo wir einem Trupp eben jener Lupus Umbra begegeneten. Ohne einen wirklichen Grund zu haben, griffen sie uns mit einem dreifachen Übermacht an. Mir wurde der Oberschenkel zertrümmert und ich hatte bereits mit meinem Leben abgeschlossen, als Elias Cameron in einem geheimnisvollen Nebel auftauchte, der irgendwie die Zeit anzuhalten schien. Alles gefror einen winzigen Augenblick lang und er gab uns die Wahl ihm zu folgen, oder elendig zu verrecken. Ein wahrer Wohltäter, nicht wahr? Nun ja, seine Seele schmort inzwischen in der Hölle, die sein persönlicher Gott für richtig erachtet. Aber ich greife voraus. Meine Gefährten entschieden ihm zu folgen, etwas, wovon ich nichts mehr mitbekam, da die Schmerzen meine Sinne hatten Schwinden lassen. Am nächsten Morgen erwachte ich, geheilt von Hegens Feldscherei und Gorix' Magie in einem größeren Lager. Seltsamerweise erkannte ich auf Anhieb einige der Zelte und Feldzeichen, wo waren wir nur gelandet? Die Erklärung folgte bald darauf aus dem Munde eines Einheimischen: Wir befanden uns in einem Flüchtlingslager im Jahre 1 vor Jeldrik! Cameron, diese Pestbeule auf dem Arsch eines räudigen Hundes hatte die Zeit manipuliert und uns in die Zeit des großen Bruderkrieges versetzt, als das damalige caldrische Imperium versuchte die Stämme von Tangara zu unterjochen und gleichzeitig der Armeen Nekas versuchten Caldrien wieder einzugliedern. Ich weiß, dies klingt alles sehr verwirrend, wer sind die Caldrier? Und was ist ein Neka? Auch hier muß ich etwas weiter ausholen: Caldrien ist heute ein Teil des engonischen Reiches und wird von einer Königin regiert, die auch einen Sitz im Senat hat. Damals kamen die Caldrier über das Meer und eroberten Land, wo sie ihr caldrisches Imperium errichteten. Wie wir damals herausfanden, kamen die Caldrier aus dem Lande Neka, welches uns heute unter dem Namen Condra bekannt ist. Die Nekaner ließen ihre "ausgewanderten Brüder" einige Jahre in Ruhe, als sie jedoch sahen, das sich die Caldrier ein stattliches Reich aufbauten, wollten sie dieses dem Nekanischen wieder eingliedern. Daraus resultierte nun der Bruderkrieg. Soweit also die Zeit in die wir versetzt wurden. Aber was bei den sieben Höllen der Verdammnis sollten wir denn nun da?
Als wir das Lager und die nähere Umgebung untersuchten, fanden wir heraus, dass es an der Stelle errichtet wurde, an der das berühmte Orakel von Isi seine Stätte hatte. In "unserer" Zeit (ich glaube dies wird einer der verwirrendsten Briefe, die ich je geschrieben habe) gab es nur einige halbvergessene Legenden darüber, aber da stand es tatsächlich!
Außer uns waren noch einige weitere Gruppen in "diese" Zeit versetzt worden, unter anderem eine Gruppe mir gut bekannter Condrianer, wofür ich persönlich sehr dankbar war, denn unter ihnen war auch Lix, eine Heilerin, die sich ebenfalls aufs Feldschern und die Magie versteht. Etwas, von dem wir in den kommenden Tagen mehr als genug benötigten.
Ich wünschte, ich könnte Euch einen genauen Bericht der folgenden Tage liefern, aber in meinem Kopfe ist alles zu einem Alptraum aus Verwundeten, Soldaten, Visionen und Schmerzen verschmolzen. Es kristallisierten sich einige wichtige Details heraus: das Orakel von Isi sollte vor seiner Zerstörung bewahrt werden, es musste eine Art Artefakt-Maschiene zusammengesetzt werden, die es uns ermöglichte in "unsere" Zeit zurückzukommen, wir sollten Wissen um die Geschehnisse der damaligen Zeit erhalten, die in "unserer" Zeit verloren waren. Genauer kann ich es leider nicht fassen, denn während meine Gefährten damit beschäftigt waren dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, zog an mir ein endlos scheinender Strom von Verwundeten vorüber. Wie es sich herausstellte waren Lix und ich anscheinend die einzigen beiden Feldscherinnen und Alchemistinnen im Lager! Dem standen nun folgende Probleme gegenüber: die Armee der Nekaner einerseits, andererseits eine Eliteeinheit in blau-schwarzen Wappenröcken, genannt "die Wölfe", welche an dem Tag, an dem sie ihre Wappenröcke anzogen ihre Menschlichkeit ablegten und dann schließlich ein seltsamer Orden von Priestern, der über die Einhaltung der Zeitlinien wachte. Wie es sich zeigte, gehörte Elias Cameron diesem Orden an und war abtrünnig geworden. Ob nun aus edlen oder eigennützigen Motiven wird alleine Gott wissen! Jedenfalls hatte er mehr als eine Zeitlinie manipuliert um diese Geschehnisse herbeizuführen und der restliche Orden empfand es nun als einfacher uns zu töten, als uns dorthin zurück zu schicken wo wir herkamen! Dafür riefen sie seltsame Wesen herbei, die während der Angriffe ihre Opfer bissen oder mit Krallen verletzten. Auch Lix und ich wurden Opfer dieser Angriffe. Wir behandelten uns mit Antidot und da sich keine Vergiftung bemerkbar machte, gingen wir davon aus, die Sache überstanden zu haben. Ein frommer Wunsch, wie sich am darauf folgenden Morgen zeigte! Ich wachte mit einem seltsam tauben Gefühl in den Händen auf und mein Gesicht kribbelte so seltsam, also griff ich zu meinem Spiegel... mir dreht sich jetzt noch der Magen um, wenn ich an das grausige Bild denke, welches sich mir bot: mein Gesicht hatte begonnen zu faulen.
Jelena:
Es ist inzwischen abend, ich hatte die Feder niedergelegt, um wieder zu Atem zu kommen und die Angst, die bei dieser Erinnerung in mir hochkochte, zu bekämpfen. Könnt Ihr Euch das vorstellen? Eine Heilerin, die bei lebendigem Leibe verfault! Wenn es unter anderen Umständen passiert wäre, hätte ich geglaubt, dass Gott sein Gesicht von mir abgewandt hat und wäre ins nächste Wasser gegangen. Um ehrlich zu sein, stand ich immer noch kurz davor. Wie es sich herausstellte, war dieses keine wirkliche Krankheit, sondern ein Fluch, der solange andauern würde, wie ich mich in dieser Zeit aufhielte, die nicht die meine war. Sie sprang von einem Stadium ins andere, so daß es mir mal besser und dann wieder grottenschlecht ging. Wie sich zeigte, war Lix ebenfalls von dieser Krankheit befallen, so daß die ohnehin schon geringe Zahl an Feldschern gefährlich reduziert war. Ich kann unmöglich alles beschreiben, was sich in den folgenden Tagen ereignete, es würde diesen Rahmen bei weitem sprengen. Nur soviel: wir gelangten in unsere Zeit zurück, retteten das Orakel von Isi und blieben alle dabei am Leben. Genug um den Göttern zutiefst dankbar zu sein.
Einige Wochen vergingen, in denen sich die Ereignisse in Engonien gefährlich zuspitzten: der Fürst von Middenfels (ein mächtiges Fürstentum innerhalb des caldrischen Königreiches) hatte seinen einzigen Sohn Isaac enterben lassen und in Anwesenheit von Richard Brin von Fingara, dem Kommandierenden der Reichsgarde, Barad Konar zu seinem rechtmäßigen Erben ernannt. Die Gerüchte mehrten sich, dass dieser nun nach der Kaiserkrone streben würde. Das ganze Land hielt den Atem an und wartete darauf, das jemand den ersten Schritt machte.
Zu Beginn des 12. Mondes befand ich mich gerade auf einem Pferdemarkt in Tangara und feilschte um einige Lasttiere. Es war ein ziemlich erfolgreiches Geschäft und abends gönnte ich mir den Komfort eines anständigen Gasthauses. Kaum hatte mein Kopf das Kissen berührt, da träumte ich bereits einen schrecklichen Albtraum in welchem ein gesamtes Dorf von elenden Lupus Umbra hiedergemetzelt wurde. Ich versuchte voller Panik aufzuwachen, als es mir endlich gelang, musste ich voller Entsetzen feststellen, das die Kleider an mir nicht meine waren, sondern die einer der Bewohnerinnen des Dorfes. Die Stimme der Göttin Lavinia drang an mein Ohr: sie hatte einen mächtigen Zauber gewirkt, der einige meiner Kampfgefährten und mich an die Stelle der getöteten Bewohner gesetzt hatte. Offenbar haben diese Dorfbewohner unwissentlich jedes Jahr ein mächtiges Ritual gewirkt, welches den See und das Dorf schützte: Dies war wohl auch der Grund für ihre Ermordung. Die Göttin befahl uns also an Stelle der Dorfbewohner dieses Ritual zu wirken und den Ort so vor dem Zugriff ihres brutalen Bruders zu schützen. Damit wir das erforderliche Wissen dafür hatten, wohnte jedem von uns die Seele eines ermordeten Dorfbewohners inne. Es würde zu einem langatmigen Bericht werden, wenn ich alle Einzelheiten der Kämpfe und des Suchens nach Informationen hier vor Euch ausbreiten würde und ich bin mir sicher, das ihr die Hälfte als Seemannsgarn abtun würdet. Die andere Hälfte würde solch brisantes Wissen enthalten, dass es für Euch nicht sicher wäre, es zu besitzen. Nur soviel sei gesagt: wie erfuhren das an diesem Ort die alte Akademie zu Ayd Owl gewesen war und der See das Tor zu einer anderen Welt. Dort leben Wasserwesen, welche offenbar in den Mythen der Condrianer zu Hause waren. Wir schafften es in einem grotesken Wettlauf das Ritual durchzuführen, das Tor zwischen diesen Welten verschlossen zu lassen und den Seelen der Dorfbewohner Frieden zu geben. Und, worauf ich besonders Stolz bin, wir schafften all dies ohne einen Gefährten zu verlieren! Dank sei der gütigen Göttin! Als unsere Aufgaben in dem Dorf Tiefensee beendet waren, machten wir uns auf den Weg zurück nach Fanada, nur um die nächste Hiobsbotschaft zu erfahren: Barad Konar hatte den Kaiserthron ursupiert!
Die neue politische Lage ist höchst verwirrend und würde euch nur ermüden: ein Teil Caldriens steht treu zu seiner Königin, die sich gegen den neuen Kaiser ausgesprochen hat, ein Teil ist unter der direkten Herrschaft desselben. Fanada steht unter dem Schutz der Reichsgarde, welche sich zu einem großen Teil entschlossen hat ihre Wappenröcke nicht einzutauschen und was in Silvanaja passiert, wissen nicht einmal die dort lebenden.
Eines ist jedoch gewiß: der Bürgerkrieg hat begonnen und wenn der Hader zwischen den Göttern Engoniens zu einem Krieg wird, dann wird das Blut in Strömen fließen und wir alle werden das Unausweichliche erst dann erkennen, wenn es daraus kein Entrinnen mehr gibt.
Gott steh uns bei!
Geschrieben während der Geschehnisse zu Beginn des vierten Mondes in Fanada, Engonien
Möget Ihr immer den rechten Weg wählen
Jelena Jakovljeva
Jelena:
Geschätzte Saskia Isabella!
Dank sei der lichten Göttin für die Nachricht, die ich von Euch erhalten habe!
Es freut mich zu lesen, das Ihr und Euer Vater bei guter Gesundheit seid und das es unserem gemeinsamer Freund, dem Herrn von Sonnenburg ebenfalls gut geht. Zu Recht fragt ihr Euch weshalb ich diesem Land nicht einfach den Rücken kehre und woanders Zuflucht suche, zumal die Situation von Tag zu Tag unübersichtlicher und gefährlicher wird.
Zum einen ist es ein guter Teil Pflichtgefühl, denn auch ich habe, wenn auch unwissentlich, dabei geholfen das der einstige Herr von Salmar nun dort ist, wo er ist. Zum anderen haben sich die Menschen, die meiner Familie am nächsten kommen dafür entschieden bei diesem Kampf ihre Kräfte in die Waagschale zu werfen und wie könnte ich sie alleine lassen? Außerdem beschleicht mich immer stärker das Gefühl das ich, selbst wenn ich es wollte, mich nicht mehr aus diesen Wirren befreien könnte, denn zu oft schon ist mein Name an das Ohr eines wahrlich blutigen Gottes gedrungen.
Was mich zu Eurer Kernfrage führt: wie ist es zu diesen Banden mit dem wolfsgesichtigen Gott gekommen?
Dazu muss ich Euch einige Dinge aus meiner Vergangenheit berichten: ich war fast mein leben lang von Wölfen umgeben. Meine selige Mutter war Schamanin meines Volkes und ihr Seelentier war eine Wölfin. Für mich war ihre Wolfsgestalt ebenso natürlich wie ihre menschliche und ich erinnere mich, das ihre Körpersprache in den ersten Jahren viel wichtiger für mich war als das was sie sagte. Als meine Reisen in den Westen begannen lernte ich Sasha Timberlore Schattenwolf, den Paladin Askars kennen, eine Wolfselfe, die Askar, dem Wolfsgestaltigen Sohn der Göttin Luna dient. Und sehr schnell war diese Verbundenheit wieder da, etwas, von dem ich gar nicht gewusst hatte, das ich es vermisste.
Wir reisten gemeinsam nach Andarra und gerieten in den Strudel der Geschehnisse, die Barad Konar zurück zu den Lebenden hollten.
Dort sah ich ihn das erste Mal.
Barad Konar fegte wie eine Fackel durch die Reihen der Untoten und an seiner Seite schritt eine über zwei Fuß hohe Gestalt in Plattenharnisch, mit einem Wolfskopf und Krallen, von einem glosenden Licht umgeben.
Als sie an mir vorbeischritten fasste eine kalte Hand an mein Herz, aber ich schüttelte es ab, mit der Versorgung der Verwundeten beschäftigt. Hinterher erzählte man mir es sei Tior gewesen, der über seinen zurückgekehrten Sohn wachen würde. Ich ließ diese Nacht und dieses Land schnellstmöglich hinter mir und kehrte nach Lodrien zurück.
Dort kam es zu einer schicksalhaften Begegnung mit Rogar Svanson, dem Hauptmann des 3. tiorschen Söldnerbanners. Rogar war der Meinung das ich angegriffen würde und griff seinerseits zwei Soldaten, die mich eigentlich schützten, an. Während des Kampfes wurde er niedergeschlagen und gebunden. Als er erwachte, begann eine seltsame Metarmophose mit ihm, zuerst dachte ich er würde in Berserkerwut fallen, aber dann sah ich das Zeichen des Wolfes auf ihm. Was dann geschah war rein instinktiv, denn ich wusste das ich die Verwandlung stoppen musste, sonst wären er, ich und die Soldaten die ihn bewachten des Teufels gewesen. Ich holte ihn von der Schwelle der Verwandlung zurück, mit mehr Glück als Verstand, denn wenn mir klar gewesen wäre das ich gerade mit einer göttlich induzierten Transformation herumspiele, wäre ich wahrscheinlich einfach laufen gegangen! Wie dem aus sei, es glückte und Rogar erwachte. Er musste an seiner Willensstärke arbeiten, damit die Verwandlung zumindest kontrolliert vor sich ging. Ich entschied mich ihm mittels Meditation zu helfen. Bei der Meditation versenkt sich der Heiler in die Gedanken seines Gegenüber, fungiert als Anker um dem betroffenen zu helfen Kontrolle zu erlangen, damit er nicht im Strudel seiner Ängste und Erinnerungen verloren geht. Bei Rogar war die Sache ein wenig anders, er musste in den Kern seiner Seele tauchen, dort wo seine Verbindung zu seinem Gott lag, musste sich dieses Ortes gewahr werden, um in Zukunft bewusst darauf zurückgreifen zu können. Das Problem an dieser Situation war, das ich mit musste.
Tior ist ein grausamer, blutlechzender Gott, vor Äonen durch Ketten gebunden, erfüllt er seine Anhänger mit einem blinden Zorn, der sie irgenwann innerlich zerreissen wird. Denn welcher Mensch ist in der Lage stetig mit diesem Dilemma zu leben? Ziel derjenigen, die sich Tior verschrieben haben ist der Tod mit seinem Namen auf den Lippen, um dann im Jenseits auf seine Ketten einschlagen zu können, in dem Bemühen ihn zu befreien. Doch der einzige Weg sich seines Gottes würdig zu erweisen ist ein Leben ständigen siegreichen Kampfes! So kämpfen in der Brust des Gläubigen zwei Herzen: der Wunsch im Kampfe siegreich zu sein und der nicht minder brennende Wunsch im Kampfe zu unterliegen um mit seinem Gott vereint zu sein.
Es genügt zu sagen, das mich diese Heilung erschöpft und erschüttert zurück ließ, denn Tior ist das mir entgegengesetzte Prinzip: mein Ziel ist das Heilen, Lindern und Beschützen, seines das Herrschen, Töten und Unterwerfen.
Mit dieser Erkenntnis im Herzen brach ich im 12. Mond mit meinen Freunden auf nach Salmar, um dabei zu sein, wenn Barad Konar in die Rechte und Pflichten des Barons von Salmar eingesetzt werden würde. Ich habe Euch bereits in meinem letzten Brief davon berichtet. Was ich euch allerdings nicht schrieb, war, das ich auf verschiedene Weise meine "Bekanntschaft" (verzeiht mir solch profanes Wort!) mit Tior vertiefte.
Es begann damit, das ich darauf aufmerksam gemacht wurde, dass der Vorsteher des Tior - Tempels der Burg, der einzige der Szivars Einfluss noch trotzen konnte, schon seit einiger Zeit vergiftet wurde. Ich braute ein entsprechendes Antidot und half ihm so einen Teil seiner verlorenen Kraft wiederzuerlangen.
Ich weiß nicht welche dieser Taten es nun war, die Tiors Blick auf mich lenkte, aber eine muß es gewesen sein, denn als es daran ging die zweite Aufgabe zu lösen und einen Tiorsgefälligen Kampf auszufechten, da wählte Tior seine Streiter und er machte sich einen Spaß daraus auch mich zu bestimmen!
Ich möchte Euch hier nicht mit einer Erzählung meiner mangelhaften Kriegskünste langweilen, ich kann zwar mit der Axt umgehen, aber wirklich kämpfen ist was anderes. Das Ende vom Lied war, das ich übelst zusammengeschlagen wurde und wahrscheinlich von Glück reden kann, dass ich alle meine Gliedmaßen behalten habe. Ich kann mir bis heute nicht erklären wieso genau ich in diesen Kampf hineingezogen wurde, denn Krieger gab es dort wahrlich zuhauf, doch wie kann man den Sinn eines Gottes ergründen?
Also verließ ich Salmar mit dem inbrünstigen Wunsch niemals wieder etwas mit dem kriegerischen Wolf zu tun haben. Ein Wunsch der, wie Ihr bereits wisst, bitterlich enttäuscht wurde. Als wir vor Fanada lagerten geschah die Euch bereits berichtete Geschichte: ich wurde in Tiors Totenreich entsandt um einem Priester und seiner Novizin bei ihren Weihen beizustehen. In einem schemenhaften Zwischenreich begegneten wir Allaron von Norngard, einem Ritter des Lupus Umbra, der mir zu Lebzeiten bekannt gewesen war. Dieser Ritter war hinterrücks erstochen worden, war also keinen Tiorsgefälligen Tod gestorben und konnte deshalb nicht vor das Antlitz seines Gottes treten um auf dessen Ketten einzuschlagen. Teil der Priesterweihe war es Allaron und seinen Gefährten diesen Übergang zu ermöglichen, was anscheinend auch glückte.
Nun aber erreichen uns Nachrichten wonach der neue Vogt von Salmar, dessen Grausamkeit völlig neue Maßstäbe setzt, niemand anderes als der wiedergekehrte Allaron von Norngard sein soll!
Wie oft bin ich bereits von diesem Gott benutzt worden um Ziele zu erreichen die meinen so völlig entgegengesetzt sind? Ich weiß es nicht. Ich bin, nicht als Einzige, zu einem Spielball unkontrollierbarer Mächte geworden.
Ich habe Angst.
Geschrieben während der Ereignisse im 8. Mond des Jahres 257 n. Jeldrik in Fanada, Engonien.
Möget Ihr immer den rechten Weg wählen
Jelena Jakovljeva
Jelena:
Milostis Gnade und der Segen Gottes in all seinen 777 Inkarnationen über Euch,
geschätzte Saskia Isabella!
Aus tiefer Trauer schreibe ich euch, werte Freundin, und mit einem Herzen voller Verzweiflung.
Die Götter haben binnen eines Jahres drei Männer von mir genommen und ich weiß nicht mehr ob ich diese Last noch tragen kann. Meine Augen sind trocken wie die brennenden Wüsten des fernen Ostens, wo der Wind den Sand zu stürmen peitscht die einem das Fleisch von den Knochen schälen. Ich denke der Schmerz in diesem Sturm gefangen zu sein ist dem Schmerz ähnlich, den ich in meiner Brust trage. Und nachts, alleine in meinem Bett, sitzt er wie ein Fels auf meiner Brust, schnürt mir den Hals zu und droht mich in ihm ertrinken zu lassen.
Ich schrieb dir von Gerhardt, dem Valkensteiner der mein Herz berührt hatte. Wir waren zusammen gekommen in den letzten Zügen des Bruderkrieges, haben ihn überlebt und von einer gemeinsamen Zukunft geträumt.
Doch ich wusste bereits sehr früh, dass er der Diener zweier Herren war und sein Herz musste gegenüber Valkenstein immer den zweiten Platz einnehmen. Er verließ mich bald darauf in einem fehlgeleiteten Versuch mich vor den Schatten seiner Vergangenheit zu schützen. Ich musste ihn ziehen lassen, denn sonst hätte sich die Liebe in Bitternis verwandelt.
Und so war er weit weg von mir als er einem heimtückischen Gift zum Opfer fiel.
Dieses Gift fraß sich langsam durch seine Eingeweide und weder der Segen der Götter noch Magie oder Alchemie konnten eine Heilung bewirken. Wir gewannen nur Zeit.
"Nur". Ich frevele wenn ich "nur" schreibe. Es war eine gute Zeit. Eine wichtige Zeit. Er genoß sie in vollen Zügen und verfolgte seine Ziele unermüdlich weiter bis das Gift ihn schließlich von uns nahm.
Es war im Frühjahr als es soweit war und ich sehe ihn immer noch vor mir, grinsend und witzelnd trotz ausgemergelter Gestalt und den Schmerzen die in seinem Körper hausten.
Ich will mich nicht so an ihn erinnern, aber des nachts, wenn das Bett kalt ist und die Augen brennen, da fällt es schwer sich an die guten Erinnerungen zu klammern. Ich trage immer noch den Löffel an meinem Gürtel den er mir geschenkt hat, die Mulde inzwischen abgewetzt von all den Malen bei denen ich ihn gedankenverloren durch die Finger gleiten ließ.
Ich kann ihn immer noch nicht loslassen.
Gerhardt war Roberts bester Freund.
Ja, Robert MacMannahugh, der Valkensteiner Zwerg an dessen Seite ich große Teile des Bruderkrieges verbrachte und den ich gleichzeitig wie einen Bruder liebte und hasste.
Nach der Geschichte in den Japalsümpfen waren wir im Streite auseinandergegangen und es hatte eine lange Zeit gebraucht bis wir uns versöhnt hatten.
Wir waren beide stur und stolz, keine gute Kombination. Aber wir kamen auch nie wirklich voneinander los. In einem anderen Leben wären wir vielleicht als Mann und Frau zusammen gekommen, aber so waren wir uns in Respekt verbunden und durchlebten und durchlitten diesen Krieg und seine Folgen gemeinsam.
Er war es, der mir Gerhardts Wappenrock überbrachte und mit dem ich mich bis zur Besinnungslosigkeit betrank.
Unser Kontakt brach danach nahezu ab, ich dachte er wäre zurück in Valkenstein um seine Strafexpeditionen abzuleisten, aber das nächste was ich hörte war, dass er nach einer durchzechten Nacht in einer Taverne in Condra spontan eine silvanajische Barbarin geheiratet hatte!
Ja, du liest richtig, er hat sich in Condra von einer Furata-Priesterin verheiraten lassen. Ich habe laut, lange und herzhaft gelacht als ich das gehört habe, denn ich hielt es für einen Scherz der das nächste Tageslicht nicht überleben würde.
Und weißt du was? Ich habe mich geirrt! Ja! Tatsächlich, Srce hatte ein Einsehen und schenkte ihm die eine Frau die sein Herz erwärmen konnte.
Beide reisten auf Geheiß der Amabilis Leonie in das Lavinia-Spital in der Nähe von Engonia um dort im Konflikt gegen die wieder erstarkende Inquisition zu helfen und den Kampf gegen den Lich Atos beizustehen.
Atos! Dieser Name kann nicht meine Lippen verlassen ohne von einem Fluch begleitet zu werden und auf den Boden ausgespuckt zu werden. Sollte mir diese Missgeburt jemals begegnen, so werde ich...
Aber ich greife vor.
Ich war bei den Geschehnissen am Spital nicht vor Ort. Man erzählte mir, dass Kydora, Roberts Frau, durch eine Beherrschung in den Wald gelockt wurde und dort dann in die Fänge des Lichs geriet. Als er seine Schergen und Untoten am Spital in den Kampf führte, da legte er eine Aura des Schweigens über den Ort und niemand konnte auch nur einen Ton von sich geben. Es muss die absolute Stille gewesen sein: kein Schlachterlärm, kein Klirren der Waffen, keine Schmerzensschreie, keine Gebete. Einzig die Stimme des Wahnsinnigen, die durch die Nacht trug und meine Freunde und Kameraden verhöhnte.
Jelena:
Sasha berichtete mir später davon. Atos führte Kydora vor und fragte lachend ob sie es überhaupt wert wäre sie retten zu wollen. Robert ging ohne zu zögern zu ihm und löste Kydora gegen sich selbst aus...
Unter den Augen seiner fassungslosen Frau und mit einem letzten Gruß an seine Kampfschwester Sasha auf den Lippen starb er als Atos sein Herz herausriss.
mehrere durchgestrichene Worte und verschmierte Tinte
Ich war nicht dabei, ich kam erst dazu als bereits alles geschehen war. Ich konnte ihn nur beklagen, so wie ich es ihm vor langer, langer Zeit versprochen hatte. Ich... ich beklagte ihn und gelobte Kydora Treue. Ich tröstete meine Wölfe, die außer sich vor Wut waren. Ich weinte mit Galoria, die fast den Verstand verlor. Und ich wurde Zeugin eines Wunders:
Wulfkjor selbst kam und nahm Robert mit in die Halle seines Vaters.
Es schien als ob dieses letzte Opfer die Waagschale in die richtige Richtung beschwert hatte und er nun an Tormentors Tafel sitzt. Friede und Ehre sei meinem Bruder dort. Ich hoffe er hat Gerhardt meine Grüße überbracht und das beide im Wohlwollen an mich denken.
Das Herz und die Hand wird mir schwer von diesen Erinnerungen und ich bin müde. Dabei liegt das schlimmste noch vor mir.
Es ist nicht ein ganzes Jahr vergangen seit diesen Geschehnissen. Während dieser Zeit verschwand Ninim Mirhelfaen i Heledirallon, eine Frostelfe und Mitglied unseres Rudels nachdem sie ein Problem mit ihrer Magie entwickelt hatte.
Offenbar war ein "Schatten" über sie gekommen, der ihre Emotionen unterdrückte und ihre Entscheidungen beeinflußte.
Ich will dich nicht mit den magischen Einzelheiten langweilen, zumal ich sie sowieso nur rudimentär habe und wahrscheinlich halb falsch wiedergeben würde.
Es dauerte nicht lange und bei uns keimte der schreckliche Verdacht, dass sie in die Hände des Lichs gefallen war. In all der Zeit hörten wir nichts von ihr und die Suche nach Atos war wie Treibsand: jedes Mal wenn wir dachten wir stünden auf solidem Grund sackte uns der Boden unter den Füßen weg.
Die Probleme mit der Inquisition nahmen eine politische Dimension an die weit über mein Einflussgebiet hinaus geht und von denen ich dir in einem gesonderten Brief berichten werde.
Wichtig ist, dass Gorix Feuerklinge, jaaaaa, genau der Gorix, zum Baron ernannt wurde! Ja, du kannst den Worten ruhig glauben die du hier liest, er hat geheiratet und ist zum Baron ernannt worden. Seine Frau ist die Ricke Svenja, eine Geweihte der Nedra und liebe Freundin von mir.
Ich bemerke, wie ich die versuche das Unausweichliche vor mir her zu schieben und den Brief mit süßen Nichtigkeiten zu füllen, Wie gerne würde ich dir mal wieder einen Brief schreiben in dem es um nichts anderes geht als um die Kinder die geboren und die Ehen die geschlossen wurden.
Aber so ein Brief ist das hier nicht.
Vor über zwei Jahren waren wir in Condra unterwegs und verloren Maugrim Wolfsfang nahezu nach einem Kampf mit einer Destrutepgeweihten.
Du erinnerst dich vielleicht an Destrutep, den Sohn Pyrdracors und Gott der Nekaner? Als wir schon glaubten ihn beklagen zu müssen legte Destrutep selbst seine Hand auf ihn und hauchte ihm Leben ein.
Die Zeit danach verbrachte Maugrimm im Kampf gegen sich selbst, denn Tormentor und Destrutep kämpften um seine Seele und sein Körper war das Schlachtfeld.
In den letzten 12 Monaten kam es immer wieder zu Situationen, in denen das Feuer Destruteps aus ihm ausbrach und er wie ein Berserker durch Freund und Feine fegte. Bei seiner Kraft und Größe war das alleine schon vernichtend genug, aber die Verbindung zu meinen anderen Wölfen ließ die Situation zu einem Topf Säure werden der jederzeit explodieren konnte.
Siehst du, Maugrim war Sashas und Kassos Fels. Er war der Ruhepol, der Anker.
All das änderte sich unter Destruteps Einfluss.
Fiel Maugrim in Raserei, dann dauerte es nicht lange und Sasha und Kassos folgten ihm. Die drei Wölfe als Berserker in den eigenen Reihen? Eine Katastrophe!
In den letzten Monaten schien es stabilisiert zu haben. Er war nach Weißenthurm in Valkenstein zum Obersten seines Tempels gereist und hatte dort Exerzitien durchlaufen, die ihm Kontrolle gaben.
Zumindest glaubte ich das.
Vor einigen Wochen berichtete Svenja von Spuren die zu Atos zu führen schienen. Wir trommelten alle zusammen die ein Hühnchen mit diesem Arschloch zu rupfen hatten und zogen Richtung Uld zu einem kleinen Örtchen namens Graufelden, wo wir verlassene Dörfer und Weiler vorfanden deren Einwohner alle zu Opfern des Lichs geworden waren.
Da waren wir also: Magier, Geweihte, Alchemisten und Krieger, Späher und Schamanen, alle unterwegs zu dem Mann dessen Moral bereits vor 125 Jahren unwiederbringlich verloren war.
Wir hofften Ninim zu finden und retten zu können, Robert und all die Toten zu rächen und nicht zuletzt den elenden Lich auf ewig in die Feuer der Unentschlossenheit zu verbannen.
Wir haben Ninim gerettet.
Aber, oh Milosti, um welchen Preis?
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