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Briefe

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Jelena:
Es ist nun einige Tage her, dass ich den Brief an dich begonnen habe, aber ich konnte ihn nicht vollenden.
Ich musste ihn beiseite legen und andere Dinge tun, damit die Wut mich nicht übermannte und das, was von meinem Herzen übrig ist, zu schwarzer Asche verbrannte.
Ninim war tatsächlich in Atos Fängen gewesen. Er hatte sie gebrochen und zu einem seiner Lakaien gemacht die in seinem Namen unaussprechliche Dinge tat.
Als wir im Kampf verstrickt waren erschien sie und befehligte die Untaten die uns angriffen. Sasha tat, was sie immer tun würde: sie versuchte sie zu retten und wurde dabei gefangen genommen.
Die folgenden Stunden gehören zu den schrecklichsten meines Lebens. Und du, die du schon so vieles von mir weißt, weißt das ich diese Worte nicht leichtfertig verwende.
Sie folterte Sasha, schnitt ihr die Ohren ab, riss ihr die Zähne aus... sie brach ihr das Rückgrat und heilte sie wieder, brachte sie an die Schwelle des Todes und riss sie wieder zurück.
Gnadenlos. Herzlos.
Böse.
Kassos und Maugrim wurden darüber wahnsinnig.
Maugrim war an der Schwelle dazu die Kontrolle zu verlieren. Er gab sich Destrutep hin und rief nach ihm, seine Wut schlug mir entgegen wie die heiße Glut lodernder Flammen, alles in ihrem Weg verzehrend.
Ich war die einzige die sich ihm in den Weg stellen konnte ohne sich eine zu fangen, aber beruhigen oder gar kontrollieren konnte ich nichts. Ich war wütend auf sie alle.
Auf Sasha, dass sie sich hatte gefangen nehmen lassen, auf Maugrim, weil er seine Kontrolle verlor, auf Kassos, weil er in seiner Glaubenskrise gefangen war. Ich spürte diese Last auf mir den kühlen Kopf zu haben, sie zusammen zu halten, am Leben zu halten, auf alles vorbereitet zu sein wenn wir endlich zu Sasha vordrangen.
Wenn und nicht Falls!
Eine andere Möglichkeit konnte und durfte es nicht geben.
Ich werde dir nicht von den Schrecken erzählen die Atos uns entgegenbrachte oder vom Kampf des Magister Sonnenwende gegen seine sterbliche Hülle. Zumindest nicht jetzt.
Jetzt werde ich versuchen dir zu erzählen was wir vorfanden nachdem dieser Kampf "siegreich" für uns ausging und wir den Weg an diesen schrecklichen Orten fanden den ich seitdem Nacht für Nacht in meinen Träumen sehe.
Wir standen vor einer Barriere und Magister Ardor sowie die Gräfin von Quellengrund verausgabten sich total dabei den Phylakter, der dort verankert war, zu zerstören. Als dies geschehen war und wir begannen die Mauer einzureissen hörte ich Maugrim Stimme.
Und ich erschauerte.
Denn ich hörte die Worte die er schrie und verstand was er tat.
Er rief Destruteps Feuer auf sich herab.
Er opferte sich um Sasha zu retten.
Und wir hörten ihn sterben.
Die Bilder in meinem Kopf sind frakturiert und chaotisch. Ich sehe die Mauer fallen. Und dann als nächstes Wie ich vor Maugrims verbranntem Körper knie, meine Beine nass von der Lache Blut in der ich bin.
Neben ihm Sasha, eine Masse rohen Fleisches auf ihrem Torso... Leonie über ihr kniend, die Hände an ihrem Puls.
Maugrim hat keinen.
Svenja kniet neben mir, schluchzend seinen Namen rufend. In meinem Kopf ist leere, ich schlage ihm auf die Brust, schreien ihn an. Ich will sein Herz zwingen.
Auf einmal ist in meiner Hand das Skalpell und ich setze an um seinen Brustkorb zu öffnen. Ich hatte sein Herz bereits einmal in der Hand gehalten und ich hatte vor es erneut zu zwingen.
Kassos, der weinend meinen Namen ruft.
"Bitte, Jelena, bitte, vertrau mir! Es war seine Wahl! Du musst dich um Sasha kümmern, sonst verlieren wir sie!"
Es war das einzige was er sagen konnte welches den Nebel in meinem Kopf durchstoßen konnte.
Ein Blick auf die schrecklichen Wunden.
Der Geschmack von Erbrochenem in meinem Mund.
Ich schlitze mein Handgelenk auf und zwinge mein Blut in ihren Mund.
Mehr Blut.
Wo sie hingeht gehe ich auch hin.
So war es seit Beginn an, seit jener schrecklichen Reise auf dem Wagen, auf dem ich mit zertrümmertem Rückgrat lag und sie neben mir, nachdem ich den Blutschwur geleistet hatte um niemals wieder beherrscht werden zu können.
Mira und Leonie und Boris.
Kassos und Destus und Gorix.
Rohe Gewalt.
Blut von meinem Blut.
Kraft von meiner Kraft.
Geist von meinem Geist.
Sie versuchte ihn von der Schwelle zurück zu holen und war bereit ihm zu folgen.
Treu zu leben heißt treu zu sterben.
Aber wenn sie gegangen wäre, dann wäre ich gefolgt. Und wenn wir gegangen wären, dann wäre Kassos mitgegangen.
Ich weiß nicht wie lange es dauerte. Stunden?
Leonie sorgte dafür, dass ich nicht verblutete bei dem verzweifelten Versuch Sasha am Leben zu erhalten.
Das Blut in dem wir lagen erkaltete und die letzten Spuren von Leben wichen aus Maugrims Leib. Behutsam lockten wir Sasha zurück zu uns. Als sie schließlich erwachte, da war es der Wolf und nicht meine Schwester.
Ich spüre noch immer diesen Schrei in meiner Kehle. Das Wehklagen welches sich seinen Weg bahnen wollte um die schreckliche Stille um mich herum zu zerreißen und meine Trauer zu den Sternen zu tragen.
Aber noch durfte ich nicht.
Sasha ließ niemanden außer Kassos und mich den Leichnam berühren. Sie ließ nicht zu, dass ich ihre Wunden besser versorgte. Ich schickte Destus ins Lager um den Scheiterhaufen zu bereiten und ich war barsch zu ihm.
Dann wusch ich Maugrim.
Jede Narbe weckte schmerzliche Erinnerungen an die Schlachten die wir gemeinsam durchgestanden hatten, meine Nähte die seine Wunden geschlossen hatten, die Muskeln die ich so gut kannte und die breite Brust an der ich oft geruht hatte.
Das Zeichen Tormentors, welches seinen Rücken bis zu seinem Nacken bedeckte.
Als meine meine Finger es nachfuhren, da war wieder diese Wut in mir und ich schluckte den Schrei wieder herunter, denn wenn ich einmal begonnen hätte, dann hätte ich nicht mehr aufhören können.
Der Ritus war angemessen.
Ich verteilte seinen Besitz wie er es gewollt hätte. Ich gab ihm einen silbernen Reif von mir, damit er etwas im Jenseits hatte was ihn an mich erinnerte.
Und dann, als sich alle verabschiedet hatten. Als alle Worte gesprochen und alle Dinge verteilt waren.
Dann endlich konnte sich das Wehklagen aus meiner Brust lösen und seinen Namen gen Himmel tragen.
Und der Druck aus meiner Brust wich, als mein Herz brach.

Ich bin müde.
Und die Trauer um diese drei Männer will nicht von mir weichen.
Bis wir uns wiedersehen.

Mögest du immer den rechten Weg wählen.

Deine Freundin
Jelena Jakovljeva

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