Hier und dort: In Engonien und außerhalb des Kaiserreiches > Geschichten und Gespräche
Einwände
Yorik:
Als er die Nachricht erhalten hatte, war er zutiefst erschrocken gewesen. Nein, nicht erschrocken - bestürzt. Bestürzt und fassungslos. Er hatte es nicht wahrhaben wollen, doch die Quelle seiner Informationen war zuverlässig. Also hatte er nachgedacht, überlegt. Sich gefragt, wie es dazu hatte kommen können. Er fand keine zufriedenstellende Antwort. Schließlich hatten sie alle so einen weiten Weg hinter sich, und er war von Anfang an dabei gewesen. Er hatte ihm den Kopf immer dann grade gerückt, wenn er in die Wolken abgedriftet war. Und jetzt, so kurz vor dem Ziel, verschwand er einfach sang- und klanglos? Ohne sich überhaupt zu verabschieden? Wie er es auch drehte und wendete, es machte keinen Sinn, also packte er das nötigste zusammen und meldete sich für einen Tag ab. Dann, am nächsten Morgen, brach er auf.
Auf einem kleinen Hof vor Fanada
Der Bursche preschte über die Felder. Er war noch jung, hatte grade mal 9 Sommer gesehen und den heimischen Hof in dieser Zeit noch nie verlassen. Umso mehr war er jedes Mal fasziniert, wenn hier in der Gegend etwas besonderes passierte. Und so ein fein gekleideter Herr, der auf eine Krücke gestützt über den kleinen Feldweg gehumpelt kam - das war auf jeden Fall besonders. Und er wollte einen der Nachbarn sprechen! Er preschte weiter, und war daher ganz außer Atem, als er auf dem Hof ankam, zu dem er wollte. "Meister Bachlauf!", rief er schon von weitem, "Meister Bachlauf! Da draußen kommt ein Krüppel über den Weg, und er sagt, er will Euch sprechen!"
Vanion:
"Ein Krüppel?" Vanion schmunzelte über den Eifer des Knaben. Er gab ihm einen Klaps auf die Schulter, dann schickte er ihn hinein. "Geh und bereite in der Küche etwas Brot, und wärm die Suppe von gestern auf. Ich glaube, das Gesicht kenne ich."
Als Yorik auf ihn zu humpelte, lächelte Vanion. Er freute sich schlichtweg, den Novizen zu sehen. Die Farbe war in seine Gesicht zurückgekehrt, und die Ereignisse in Westmynd schienen ihn zumindest nicht sichtbar zu verfolgen.
Yorik:
Fast wäre Yorik gestolpert, als er Vanion auf sich zukommen sah. Zwar erkannte er seinen alten Weggefährten auf Anhieb, doch gleichzeitig sah er auf den ersten Blick, dass sich etwas verändert hatte. Zum einen natürlich die Kleidung, die nicht mehr die eines Knappen, sondern die eines normalen tangaranischen Bauern war - doch da war noch mehr. Er wirkte älter, so als seien nicht Wochen, sondern einige Jahre vergangen, und irgendetwas in seinem Gesicht hatte sich verändert. Yorik konnte es nicht genau benennen, aber es machte ihn sprachlos. Also tat er das naheliegendste: Er blieb stehen und wartete, bis der Andere die letzten Meter zwischen ihnen überbrückt hatte.
Dabei stürzte er sich auf die Krücke, die mittlerweile eine echte, vernünftige war und schaute zu Boden. Er tat sich immer noch schwer, Leuten direkt in sie Augen zu schauen, da er vermeiden wollte, dass sie die zwei langen Narben sahen, die sein Gesicht nun "zierten". Sie waren Vanion offensichtlich noch nicht aufgefallen, genau wie Yoriks Augenringe. Ja, dem Novizen ging es besser, dank Lyra, Rania und einer Menge Besinnung im Tempel, doch die Nächte waren immer noch kurz und hässlich. Als Vanion schließlich bei ihm ankam, hob er dann doch den Kopf. "Hallo Vanion", begrüßte er den alten Freund und versuchte sich an einem zerknirschten Lächeln.
Vanion:
"Yorik, sei willkommen!"
Kurze, unverbindliche Worte der Begrüßung wurden ausgetauscht, dann bat Vanion den Besucher in die Küche. Tom hatte tatsächlich Brot aufgetischt, doch an Getränke oder gar Aufschnitt hatte er nicht gedacht.
"Gib mir ein paar Minuten, Yorik."
Während Vanion in der Vorratskammer kramte, konnte Yorik sich ausgiebig den Raum ansehen. Das Gehöft war schon älter, teils aus Stein, teils aus Holz errichtet. Die Küche selbst war ein langgezogener, rechteckiger Raum und besaß eine hölzerne Decke mit einem durchgehenden Mittelbalken. Sie war liebevoll eingerichtet, einige Blumen standen auf der Fensterbank und auch auf dem Tisch, und in einer Ecke konnte man einen recht großen Ofen erkennen.
Als Vanion wiederkam, balancierte er Schinken, Käse, Butter und einen großen Krug Milch auf seinen Armen. Als er endlich alles ausgebreitet hatte, sah er Yorik aufmerksam an. Aus der Nähe war ihm sein Schicksal aus dem Gesicht abzulesen.
"Nun, was treibt dich her? Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich hab nicht mit Besuch gerechnet."
Im Grunde wusste Vanion sehr genau, warum Yorik gekommen war. Vanion fragte sich nur, ob der Novize ihn schelten wollte, ihn überzeugen wollte, in Lorainnes Dienste zurückzukehren, oder sich einfach nur Sorgen machte.
Yorik:
Yorik war beeindruckt und geschmeichelt von der herzlichen Begrüßung. Als er sah, wie reich Vanion den Tisch deckte, war er sogar fast beschämt, schließlich hatte er sich wirklich nicht angekündigt und platzte einfach hier herein. Einen Moment lang galten seine Gedanken nur diesem schönen Hof und dem spontanen Mal, doch Vanions Frage brachte ihn schnell wieder auf Kurs, und sein Blick wurde ernst. "Was mich hierher treibt?" Er gab einen ratlosen Laut von sich, der wie ein leises Auflachen klang, aber nichts lustiges an sich hatte. "Eigentlich bin ich hier, um genau das dich zu fragen." Die Antwort klang leicht bitter, doch es lag weder Zorn noch Vorwurf in seiner Stimme, nur Fragen. Viele, viele Fragen und eine große Portion Verständnislosigkeit. "Bitte versteh mich nicht falsch", fügte er hinzu, "dieser Hof ist wunderbar, und ich danke dir für deine Gastfreundschaft, aber... Warum? Warum bist du hier? Und warum jetzt? Das alles kam so... plötzlich..."
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