Hier und dort: In Engonien und außerhalb des Kaiserreiches > Geschichten und Gespräche
Fort
Mel:
Es war vorbei. Endgültig.
Sie war die rechtmäßige und anerkannte Herrin von La Follye.
Eine drohende Fehde zwischen zwei Baronen war für das erste verhindert worden.
Sie würde so lange im Lillienorden bleiben, wie es nötig war, um den Frieden zu sichern.
In ihrer Abwesenheit würde Fulk sich um alles kümmern.
Der gute alte Fulk, unerschütterlich in seiner Treue zu ihrer Familie.
Der Überschuss würde wie vereinbart an den Orden gehen, und sie würde ihre Kampfkraft Lavinia zur Verfügung stellen. Im Gegenzug war La Follye nun geweihter Boden, auf dem kein Blut mehr vergossen werden durfte. Auf dem keine Schlacht stattfinden durfte. Der dem Frieden und Lavinia geweiht war.
Sie war von Lavinia verflucht wordenund gleichzeitig waren La Follye und ihre Nachfahren gesegnet. Der Preis, den sie zu zahlen hatte, war im Verhältnis gering.
Vielleicht würde es nur ein Jahr sein, vielleicht zwe ioder einige mehr. Doch es gehörte ihr. Und viel wichtiger: ihren Nachkommen. Ihren und Benjens Sohn oder Tochter.
Im Morgengrauen hatten sie die Grenze La Follyes erreicht. Ludivica, Sophies Schwester, würde sicher in ihr Haus zurückkehren. Vanion, er war nichtmehr durch einen Eid an sie gebunden, ebensowenig wie Sophie.
Doch Sophie hatte sich geweigert, zurückzukehren. Starrsinnig und erbost hatte sie Lorainne angeschaut, als sie dies vorgeschlagen hatte. "Seid Du ein säugling warst, habe ich mich um dich gekümmert-und ich werde jetzt nicht damit aufhören", mehr Worte hatte es nicht gebraucht.
Lorainne saß alleine auf einem stein und schaute zurück. Nachdenklich drehte sie an Benjens Ring, den ihr Sasha und Maugrim gebracht hatten, bis sie ihn schließlich entschlossen vonihrem Finger zog.
Genau auf der Grenze zu La Follye, an einem Birkenbaum, vergrub sie ihn. Mit ihrem Dolch ritzte sie ein "B" in die Rinde und fügte nach einem kurzen Zögern ein "L" hinzu.
Zärtlich strich sie über die Buchstaben und flüsterte erstickt: "Ich werde zurückkehren,und wenn Lavinia mir dann erneut gnädig ist,werden wir wieder vereint sein. Je t´aime."
Mit Tränen in den Augen schaute sie zum Mond, ein Blutmond, der seltsam dunkel schien.
Ein Zeichen der Götter.
Ihre Gebete würden erhört werden.
Früher oder später.
Mel:
Die große Reichsstraße lag in goldenes Licht getaucht. Teilweise konnte man weit über die Felder, nach Norden in die Berge sehen, manchmal konnte man im Südwesten die Bucht von Firanos erahnen, wenn der Nebel vom Wasser über das Land zog. Und dorthin zog es sie.
Sie wollte nach Reines um dort ihre neuen Aufgaben zu empfangen. Um das Kloster in der Nähe würde sie diesmal einen Bogen machen, die Gastfreundschaft dort war ihr nicht länger vergönnt.
Dreimal verflucht sollst Du sein.
Doch sie würde es nicht sein, denn sie war es schon längst. Dreimal drei.
Jetzt war sie gesegnet, trotz allem. Dumm und blind, wer das nicht sah.
Lavinia hatte ihrem Land, ihren Leuten und vor allem ihr endlich Frieden geschenkt.
Jede Bitte an einen Gott verlangte ein Opfer. Und sie war nur zu gern bereit gewesen, es darzubringen.
La Follye ist nicht für Euch beide bestimmt.
Jetzt erst schien sie die Worte der Seherin, überbracht von ihren Freunden, zu begreifen.
Es war niemals darum gegangen, dass La Follye nur für einen bestimmt war, sondern für niemanden.
Aber ihre Nachfahren würden dort leben. Friedlich. Glücklich. Gesegnet von den Göttern.
Sie wäre geblieben, weil sie verantwortlich war. Doch ohne IHN wäre es ein leerer Ort gewesen.
Voller Kummer und Tränen.
Doch ohne sie würde der La Follye wieder in altem Glanz erstrahlen.
Das Schwert, Voronwe, hing an ihrer Seite. In Lavinias Namen würde sie künftig ein Schwert führen.
In Lavinias Namen Blut vergießen. In Lavinias Namen töten.
Um dennoch nach dem Tode hoffentlich gnädig von ihr aufgenommen zu werden, musste sie deshalb schon jetzt Abbitte für diese Taten leisten.
Für Taten, die sie zwar in ihrem Namen begann, die aber ganz und gar nicht Laviniagefällig sein würden.
Ein faierer Tausch, wie sie fand.
Obwohl sie bereit gewesen wäre, weit mehr zu opfern.
Gelegentlich kam man durch Alleen, deren Bäume rot, gelb, grün und braun gefärbt waren.
In einigen Wochen würde sich das Land weiss verfärben und in kalten bläulichem Licht schimmern.
Wenn dann der Frühling wieder kam, würde die Straße von dem Schmelzwasser aus den Bergen schlammig sein, eine Rückkehr in den Norden beschwerlich werden.
Aber sie hatte nicht vor zurück zu kehren.
Mel:
Nun war sie offiziell ein Ritter Lavinias, leicht erkennbar an Minneband und Wappenrock.
Sie war überall stets freundlich und zuvorkommend behandelt worden, nicht länger mit der sonstigen Skepsis, die ihr Rittersein als Frau mit sich gebracht hatte. Im Gegenteil, jetzt hatte man sich ehrfürchtig vor ihr verneigt, ihr überall Tür und Tor geöffnet.
Dennoch brachte ihr neuer Status eine gewisse Einsamkeit mit sich, konnte sie jetzt weder den Tempel betreten noch einen Segen Lavinias empfangen. Und auch, wenn sie irgendwo Ehrengast war, so wahrte man stets ein gewissen Abstand zu ihr, der hr zeigte, dass Blutvergießen nicht in Lavinias Sinn war.
Das Kind in ihrem Leib ließ sich kaum noch verbergen und auf Nachfragen antwortete sie immer dasgleiche: "Es ist ein Kind Lavinias, einer der letzten Segen, die ich empfangen durfte." Und jeder gab sich damit nicht nur zufrieden, sondern wünschte ihr und vor allem dem Kind stets Gutes. Es spielte keine Rolle mehr, dass dieses Kind ein unehelicher Bastard war, was unter anderen Umständen sicher zu Gerede geführt hätte.
So hatte sie Glück im Unglück und war zufrieden mit sich und der Welt.
Gelegentlich erreichten sie Briefe von Fulk, der ihr die Neuigkeiten auf La Follye berichtete, mal ging es um den Müller, der eine schwere Herbstgrippe hatte, mal um die Komplizierte Niederkunft einer der Mägde, aber immer schlossen die Briefe mit sorgenvollen Ermahnungen, ergebenen Wünschen und der Bitte, nach Hause zu kommen, sobald zwischen den Baronien Marnois und Blanchefleur Ruhe herrschte.
Doch sie beide wusste, dass würde eine lange Zeit werden- wenn sich dieser Wunsch überhaupt erfüllen würde.
Der Herbst schritt voran, das Wetter wurde schlechter, die Bäume kahler.
Lorainne überlegte, wo sie überwintern konnte, vor allem, WO sie ihr Kind zur Welt bringen sollte, jetzt, da ihr der Weg nach Hause verwehrt war.
Sie würde auf die Hilfe von Freunden angewiesen sein, was ihr nicht unbekannt war, doch es behagte ihr immer noch nicht.
Nur noch wenige Wochen würde sie reisen können, danach wäre es für sie und das Kind zu gefährlich, vor allem, wenn es weitere Reisen waren, weg von Engonien, würde sie sie nicht mehr lange alleine nur mit Sophie antreten können.
Langsam trug sie sich mit dem Gedanken, eine Freundin, fernab von Engonien zu besuchen. Der Besuch war längst überfällig und sie hatte ihre letzte Einladung ausschlagen müssen, weil ihre Geschäfte sie in Firngard gehalten hatten. Doch jetzt stand diesem Besuch nichts mehr im Wege.
Vielleicht war gerade jetzt die richtige Zeit dafür.
Anders:
Es war im die Zeit als sich ihrer derzeitigen Bleibe ein kleines Pferd mit struppigem Fell und Federn in der Mähne näherte. Springer war gesattelt und trug die zusammengerollte Decke und die Kenderin diecauf ihm saß.
Es hatte länger gedauert als gewollt, doch durch ihre übereilte Flucht war ihre Spur schnell verschwommen.
Anders stieg ab und versorgte ihr Pferd. Lorainne war für Heute in einer Gaststätte untergekommen und so drückte sie einem Knecht ein paar der Münzen in die Hand und sagte ihm er solle die Ritterin im Namen Lavinias finden und ihr sagen, dass eine Freundin hier sei und nach ihr suche.
Sie klopfte ihrem Pferd den Hals und stiefelte dann in die Taverne. Sie hatte Fragen.
Und Hunger.
Mel:
Nach kurzer Zeit kam der Knecht zurück und zeigte in den hinteren Winkel des Schankraumes. Lorainne saß mit Sophie etwas abseits der Anderen, aber nahe am Feuer, so dass die feinen Linien um ihr linkes Augen bei einer Neigung des Kopfes weiss aufleuchteten.
Vor Lorainne stand eine Schüssel mit deftigen Eintopf, auf einer Platte daneben lagen Fleisch und Käse und frisches, duftendes Brot.
So nahe an Reines, wie sie sich (noch) befanden, hatte sich die Neuigkeit um Lorainne de la Follye, Ritterin Lavinias, schnell herumgesprochen und offenbar hatte man es hier als Ehre empfunden, als sie, mittellos, um eine Übernachtungsmöglichkeit gebeten hatte.
Anders wurde an den Tisch geführt, und Lorainne blickte auf.
Ihre typischen Zornesfalten auf der Stirn schienen tiefer geworden zu sein, ebenso die Lachfältchen um Mund und Augen, so dass sie jetzt, wenn sie nicht lachte, eher von Sorgen als von Freude erzählten.
Doch als sie Anders erblickte, leuchteten ihre Augen auf und lächelnd grüßte sie die kleine Kenderin.
"Du hast mich also gefunden." Tatsächlich schien ein wenig schuldbewusstesein bei dieser neutralen Feststellung mitzuschwingen.
Doch ihr Gesicht verriet nicht weiter als Freude.
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