Hier und dort: In Engonien und außerhalb des Kaiserreiches > Gruppen auf Reisen im In- und Ausland
Der Rückweg von der Insel der Stürme
Rikhard Kraftweber:
Möwen krächzten, und überall wimmelten Menschen herum. Der Hafen, an dem Rikhard angelangt war, war dreckig, laut und groß. Kaum verhüllte Huren boten sich an, bärtige Seeleute torkelten durch die Gassen, und überall roch es nach Salz und Teer.
Er hasste es. Seine Robe hatte er etwas gerafft, damit der Saum nicht durch den Matsch gezogen wurde, und sein Schädel brummte ordentlich. Er hatte keine Ahnung, wie genau er des nachts zum Hafen gelangt war, und als er die Kammer, in der er genächtigt hatte, verlassen hatte, hatte die Rechnung des Wirts ihm den Atem verschlagen.
Und nun war er hier.
So viele Schiffe. Bestimmt zehn Schiffe mit hohen Masten schaukelten auf den sanften Wellen.
Rikhard schritt gradewegs zum Größten.
"Bursche, wo ist dein Kapitän?"
Der Seemann, den er ansprach, zuckte jedoch nur mit den Schultern. Seine Antwort war dermaßen durch einen starken Akzent geprägt, dass Rikhard kein Wort verstand.
"Ich muss insistieren, Bursche. Kapitän. Wo. Kapitän. Wo!?"
Die Kupfermünze, die er schließlich hervor zog, half offensichtlich, und er folgte dem ausgestreckten Arm hin zu einer heruntergekommen aussehenden Kaschemme.
Rikhard Kraftweber:
"Nach Engonien? Klar, fahr'ch hin. Und du willst heuern?"
Verwirrt sah Rikhard den Kapitän an.
"Ja, ich will mitfahren."
Mit einer neutralen Antwort konnte man nicht viel falsch machen.
"Da musste aber die feine Robe ausziehen. Beim Abbacken wird die dreckisch, beim Abbrassen gehtse kapott, und für's abbringen isse nunmal im Wech. Du siehst mir aber nich so aus wie jemand, der schonmal aufgeentert ist, also weiß ich nich, ob ich dich wirklich aufmustern kann. Aber jut, was nich is, kann ja noch werden. Hör einfach immer uff den Baas, und halt dich von der Balkenbucht fern, denn sonst wirste mit ins Meer jespült, wenn's Wasser rausläuft."
Pikiert schüttelte Rikhard den Kopf. Er verstand nicht ein Wort von dem, was der Mann da faselte.
"Was immer ihr da sagt, Herr Kapitän, ich habe nicht vor, solcherlei Arbeit auf dem Schiffe nachzugehen. Vielmehr möcht' ich in meiner Kajüte meine Ruhe haben und mich vielleicht dem ein oder anderen Buche widmen. Ihr habt Bücher an Bord, schätze ich doch?"
Rikhard Kraftweber:
Er erntete ein lautes Lachen. Nicht nur vom Kapitän, sondern auch vom Baas, dem Steuermann, und dem Smutje.
"Du bist ja nicht mal ein Bambuse! Und du willst heuern, nicht zu fassen. Sicher, dass du nicht einfach für die Überfahrt bezahlen willst?"
Nun war Rikhard erst recht verwirrt.
"Natürlich will ich bezahlen für die Überfahrt! Ich bin ein Magier, und als solcher sollten körperliche Arbeiten mir wahrhaftig erspart bleiben!"
"Ein Magier, aha. Na, sollten wir bekalmt sein, kannt du bestimmt ein wenig Wind hervorzaubern. Also dann. Wieviel zahlst du?"
Er zahlte viel zu viel. Aber woher sollte Rikhard auch wissen, was ein angemessener Preis war?
Rikhard Kraftweber:
Die Abfahrt zog sich noch drei Tage hin. Die faulen Seeleute ließen sich Zeit, die Ladung zu löschen und die neue Ladung heranzukarren, und dann vergnügte der Kapitän sich noch mit zwei Freudenmädchen. Aber dann, am vierten Tag, legte das Schiff endlich ab, mit Rikhard an Bord.
Er genoss den frischen Wind um die Nase. Drei lange Tage ohne Bücher waren unglaublich langweilig gewesen, und durch die Umstände hatte er sich auch nicht in der angewandten Magie üben können. Eine Schande, vertane Zeit.
Ein Magier gehört wirklich an die Akademie. Ich hätte diese Dämonenbeschwörung von Arkadius nachschlagen können, oder mich mit dem Ritual aus dem Brief beschäftigen können.
Und dann war noch dieser Schmierfink aufgetaucht. Rikhard hatte getan, was er konnte, um ihm auszuweichen, aber es war ganz schön knapp gewesen. Nein, je schneller er diese Insel verlassen würde, desto besser wäre es. Und bloß keinen Fuß mehr hierhin zurück setzen.
Vor allem die Nächte waren schlimm gewesen. Rikhard hatte begonnen, zu träumen. Von Messern, die in Körper eindrangen, und der Gesichtsausdruck dieses Lumps, als sein Leben ihn verließ, hatte Rikhard fest im Griff.
Wäre Lyra doch nur zehn Minuten früher angekommen. Rikhard hatte nichts tun können. Nicht mal ein Zauber, um die Streithähne zu trennen.
Das hatte ihm gezeigt, wie machtlos er eigentlich war.
Wenn ich wieder an der Ayd'Owl bin, werde ich Zauber lernen. Weniger Magietheorie. Trockener Kram, der gut zu wissen, aber am Ende doch keine Relevanz hat. Ich muss mächtiger werden, koste es, was es wolle.
Dieses Ritual... Stella hatte das, was er dazu brauchte. Und dann musste er es noch irgendwie bewerkstelligen, dass niemand davon etwas mitbekam. Keine leichte Aufgabe, aber Rikhard war nicht umsonst einer der fähigsten Schüler der Akademie. Wer, wenn nicht er, sollte das schaffen?
Er starrte auf die See hinaus. Die Schifffahrt machte ihm nichts aus, wie er erfreut festgestellt hatte. Aber die Gischt sprang ihm ins Gesicht, und das fand er wirklich unangenehm. Also machte er sich auf den Weg in seine Kajüte.
Die niedrige Holztür knarrte, als er sie öffnete - und er drehte sich auf dem Absatz um, als er sah, was in seiner Kabine war und machte sich wutschnaubend auf den Weg zum Kapitän.
Rikhard Kraftweber:
Die beiden leichten Mädchen waren in seiner Kajüte einquartiert worden. Und der Kapitän ließ sich nicht davon abbringen. Nach einer kurzen, aber heftigen Diskussion war Rikhard wütend in Richtung Achtern marschiert. Dort saß er nun auf einer Kiste. Die See war verhältnismäßig ruhig, das Schiff schwankte kaum auf und ab, und ein leichter, aber konstanter Wind blähte die hellen Segel auf.
Er hatte hier seine Ruhe. Vorne im Bug saßen ein paar Soldaten irgendeines fremden Landes in ihren Affenjacken und lungerten herum, und immer wieder schallten Seemansrufe quer über das Deck.
"Die Brassen auslugen, na los!"
Irgendwann hörte Rikhard nicht mehr auf die Zwischenrufe. Seine Gedanken schweiften ab, zurück zur Insel der Stürme.
Behutsam begann er, den Abend geistig zu rekonstruieren. Begonnen hatte es recht fröhlich. War die Taverne auch nicht mehr als eine schiefe Absteige gewesen, so war das Bier doch gut und das Essen lecker gewesen. Aber die anderen Gäste schienen allesamt von zweifelhafter Coleur gewesen zu sein. Ein Bier hatte er trinken wollen, und der ungehobelte Schankbursche hatte ihm gleich einen halben Liter davon gebracht. Doch Rikhard hatte Geschmack daran gefunden und kurzerhand ein zweites bestellt - wieder ein halber Liter - und dieses Getränk hatte er genießen wollen für den Rest des Abends.
Dass dieser Bootsmann dann abgestochen wurde, damit hatte er nicht gerechnet.
Der Moment, als die Augen des Mannes leer wurden und nach oben rollten, sodass das Weiße sichtbar wurde - dieser Moment war ihm durch Mark und Bein gegangen. Menschen waren so verletzlich, so verwundbar, so einfach zu töten. Und dieser Tod war so unnötig, so, so - zufällig gewesen. Und Rikhard Kraftweber, Musterschüler der Ayd'Owl und Assistenz der Akademieleitung unter Stauffer, hatte nichts tun können. Er hatte keinen Zauber beherrscht, um das Unglück zu verhindern.
Die Theorie, der ich soviel Bedeutung beigemessen habe, sie schwindet angesichts des Bedürfnisses, wirkliche Magie zu wirken.
Und nun saß er hier, auf diesem Schiff, völlig alleine. Mit den Seeleuten verband ihn nichts, ihre Gespräche waren profan und langweilig. Die beiden leichten Mädchen in seiner Kajüte - daran wollte er gar nicht denken. Und doch konnte er sich nicht so recht vom Anblick der Kleidung, oder eher dem Mangel an Kleidung an gewissen Stellen, lösen.
Wie es wohl ist, jemandem so nah zu sein?
Diese Frage konnte Rikhard nicht beantworten. Doch ein gewisses Verlangen hatte sich seiner durchaus bemächtigt. Aber so etwas war nichts, wonach er streben sollte. Er hatte sich schließlich entschlossen, Nähe nicht zuzulassen.
Seit er aus Silvanaja geflohen war, teils vor dem Schamanen, teils vor sich selbst, hatte er keine Freundschaft geschlossen. Nicht einmal eine wirkliche Bekanntschaft. Und damit war es ihm bisher sehr gut gegangen. Aber hier, die Unendlichkeit der See vor Augen, und seine Welt beschränkt auf diese unbequeme Holzkiste, auf der saß, kam er sich plötzlich sehr, sehr klein und alleine vor. Unwillkürlich musste er an Runa denken, und er begann unbewusst, mit dem Ring an seinem Finger herum zu spielen. Runa und Kydora waren ihm gegenüber meist freundlich, oder zumindest nicht feindlich, begegnet. Kydoras Freundschaft brachte keine Vorteile. Sie beherrscht ja nicht einmal die einfachsten Zauber. Doch Runas Freundschaft war viel wert! Eine Magierin, die, wenn er ehrlich zu sich selbst war, selbst sein Wissen übertraf. Eine Schande, dass ihr Vater sie verschachern will. Der Mann weiß nicht, was für einen Schatz er da eigentlich hat. Und noch etwas ging ihm durch den Kopf. Gedanken, die ihm neu waren. Sie hatten damit zu tun, wie nahe ihm Kydora gekommen war auf der Insel. Wie er sich, volltrunken, an sie geschmiegt hatte, sich an ihr festgehalten hatte. Nähe. Zu einer Silvanaja-Frau.
Wie unzivilisiert.
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