Der Städtebund von Tangara > Brega

Frühjahr 269 n.J. - Goldene Nachtigall in Brega

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Kydora:
Wort um Wort, das er sprach schlugen Wunden. Verletzten und zogen feine Risse durch die so mühselig aufgebaute Fassade. Sie hatte verlernt dem Wind zu folgen und doch waren es nun sich anbahnende Stürme, welche sich gegen die dünne Schicht Eis stemmten, welche sie so sorgsam um ihren Schmerz gelegt hatte.

Kurz nachdem Vanion seine letzen Worte sprach, sich abwendete und dabei war zu gehen, durchbrach das Geräusch von zerschellendem Ton die sich anbahnende drückende Stille.

Kydora stand aufrecht dort wo eben noch Beide in gemütlicher Runde gesessen hatten. Am Boden ein zerbrochener Tonbecher und roter Wein, der sich langsam über den Boden ausbreitete. Die Hand der Hausherrin war an der Seite zur Faust geballt und sie funkelte Vanion an.

"Du denkst, dass ich mich verstecke?" zischte sie.

Er hatte doch keine Ahnung dieser Narr... Er wusste nicht, was sie anfing aufzubauen, auszuweiten... Er sah nur das Schlachtfeld... Heldentaten... Aktion und Reaktion.
Für ihn war man scheinbar direkt feige, wenn man nicht offen mit ins Feld zog.
Ja, sie hatte Angst. Vor so vielen Dingen.
Aber sie versteckte sich nicht.
Sie focht andere Kämpfe.
Kämpfe, die sie alle nicht sahen...

"Ihr seid alle so stark. Stark im Glauben. Stark im Kämpfen. Ihr zweifelt nicht. Wankt nicht. Und schafft es doch immer wieder erneut aufzustehen." sprach sie nicht übermäßig laut und doch deutlich hörbar mit einem leichten Zittern in der Stimme.
"Ihr... fallt nicht." Und wenn doch, so steht ihr immer wieder auf...

Tief atmete die Silvanaja durch, lockerte die Hand an ihrer Seite und senkte leicht den Blick. Der innere Sturm legte sich etwas und doch wehten die Böen in ihr noch stark.

"Ich beneide dich Vanion de Roquefort... wirklich. Du hast die Fähigkeiten offene Schlachten zu führen. Man sieht was du tust. Du hast schlimme Dinge getan und schaffst es dennoch nach vorne zu blicken und die Dunkelheit nicht in dein Herz zu lassen."

Eine kurze Pause von der Dauer eines Herzschlags. Kydora machte einen Schritt auf Vanion zu.

"Wenn ich entschieden hätte Frieden zu finden, wäre ich nicht hier." sagte sie ruhig... bestimmt. "Dann wäre ich nicht mehr hier in Engonien... Du willst wissen, was mich beschäftigt."

Ihr Blick suchte wieder den seinen.

"Die Angst von euch allen verurteilt zu werden. Die Angst als schwach dahingestellt zu werden. Als Last..." Sie sah ihn ernst an. "Wie soll ein Spross wachsen, wenn die umliegenden Bäume ihm das Sonnenlicht nehmen?"

Sie schüttelte den Kopf und ihr Blick ging seufzend zu Seite.

"Als ich sagte, dass ich für euch da bin... meine Tür offen steht und ich jederzeit helfen werde... war das nicht gelogen."

Kydora atmete erneut tief durch. Wie oft war sie nutzlos gewesen? Hatte gar noch mehr Probleme gebracht? Bei ihrer ersten Begegnung mit der Inquisition... Bei ihrer zweiten Begegnung... Ohne ihren angreifbaren Geist wäre das mit Robert nie geschehen. Doch sie hatte damit ihren Frieden gefunden. Vor langer Zeit schon.
Dinge waren nicht zu ändern.
Der Kreislauf hielt nicht an.

"Ihr habt alle schon genug Sorgen und Nöte, die euch bedrücken." Vorsichtig suchte sie wieder seinen Blick. "Ich will euch nicht noch mehr aufbürden... Immer wieder aufs Neue."

Vanion:
Er hatte den Raum beinahe verlassen, als der Krug zersprang. Das Geräusch sprengte den Klammergriff, den Trauer und Enttäuschung um sein Herz gelegt hatten. Doch der Schmerz in Kydoras Stimme bedrängte ihn hart.

Ihr Zorn, ihre Wut, ihre - Trauer. Und die tiefe Furcht, die sie empfand.

Er drehte sich zu ihr um und ließ ihren Ausbruch über sich ergehen. Ihre Worte trieben die Zornesröte auf sein Gesicht, und nur mühsam beherrschte er sich. Er legte die Rüstung an, die Rüstung der Courtois. Bewehrte sich mit Milde und Demut, wie es einem Ritter anstand. Er bezwang den Drang, ihr sein eigenes Leid ins Gesicht zu schleudern. Wie oft hatte er gezweifelt? Wie lange hatte er geschwankt? Und zu welchem Leid hatte das geführt?! Sein Eid wäre nicht gebrochen, hätte er sich von Anfang an gegen seinen Onkel entschieden. Sein Onkel wäre noch am Leben, hätte er zu ihm gestanden. Doch Vanion Bachlauf hatte beide verraten, und für beide Taten hatte er bezahlt. Und würde es noch.

Mit Macht drängte er die Emotionen zurück. Es war so ungerecht! Er mühte sich um sie, und sie dankte es ihm mit Vorwürfen und Wut und Zorn.

Ihre Blicken trafen aufeinander, und die Verletzlichkeit und die Verletzungen, die in ihrem lagen, berührten ihn. Mühsam, fast verzweifelt stieß der Ritter hervor:

"Du hältst dich für schwach! Schuldig! Eine Last! Du wähnst dich im Schatten derer, die du für groß hältst - doch du bist blind für das, was all jene ausmacht!"

Er holte tief Luft. Courtois. Demut. Milde.

"Du spuckst auf deine eigenen Worte. Mir rätst du, mich stützen zu lassen! Aber selbst schlägst du die zur Hilfe ausgestreckte Hand aus. Du ... du bist Teil einer Gemeinschaft von Männern und Frauen, die vor allem eines eint: Die Geschicke dieser Welt haben sie berührt. Haben sie gefordert. Haben sie verbrannt."

Die Bitterkeit in seiner Stimme war unüberhörbar, doch als er fortfuhr, klang sein Tonfall erstaunlich belegt.

"Du weist meine Freundschaft zurück. Du lehnst die Gemeinschaft derer ab, die einander stets aufhelfen. Niemand von denen, die du als stark erachtest, steht allein. Sasha wäre nach Maugrims Tod dem Wahnsinn anheim gefallen, wäre Anders nicht gewesen. Ich ... nach Lorainnes ..."

Er unterbrach sich und zwang sich zur Ruhe.

"Der Punkt ist - du bist keine Bürde. Du hast das Recht, zu trauern. Wie jeder von uns. An dir zu zweifeln, an allem zu zweifeln - wie jeder auf dieser Welt es gewiss tut. Doch was du tust, geht über diese Trauer hinaus. Du weist Roberts Erbe zurück. Schlägst meine Hand aus. Und das tut weh."

Kydora:
Es herrschte Stille zwischen ihnen beiden. Kydora blinzelte einen Moment.
Nach einem Sturm, herrschte immer Stille.
Sie sah nachdenklich zur Seite, die Schultern gestrafft. Vanions Worte taten weh. Doch sie blieb aufrecht, sank nicht in sich zusammen, wie sie es einst getan hätte. Sie nahm die Worte an, hörte ihnen zu.

Da war es... Dieses Gefühl des Bedauerns, dass sie sich hatte gehen lassen. Ihr Blick ging zu Vanion und eine leichte Härte lag in ihm.

"Ich habe niemals die Gemeinschaft abgelehnt. Und wenn du denkst, dass eine Mitgliedschaft allein bedeutet, ob man Teil einer Gemeinschaft ist oder nicht... dann weiß ich nicht ob wir auf der selben Grundlage denken. Eine Gemeinschaft beschränkt sich doch nicht auf ... Grenzen."

Sie seufzte. Was brachte es, über seinen Schatten zu springen... darüber zu reden, was einen bewegte, wenn man dann doch nur wieder erklärt bekam, wie die Welt angeblich wirklich war. Hier in den Geschäften der Bordelle hatte Kydora endlich einen Platz gefunden, eine Aufgabe in der sie gut war. Kontakte pflegen... Informationen handeln. All das schien ihr wahrlich zu liegen. Doch wirkte es für andere scheinbar wie davon laufen. Weil sie nicht das tat, was andere erwarteten.
Und Trauer? Sie trauerte doch schon lange nicht mehr... Für Trauer hatte sie keinen Platz.

Ihr Blick musterte Vanion... musterte den Ritter vor sich, der schlichtweg in einer anderen Welt als sie lebte. Sie hätte es einfach nicht ansprechen sollen. Es hätte sicherlich weniger Leid verursacht.

Und dann neigte sie vor dem Ritter den Kopf. Wie, um ihren Dank auszudrücken. Ihre blauen Augen suchten wieder seinen Blick als sie den Kopf wieder hob und ihre Stimme klang etwas belegt, als sie zu sprechen fortfuhr.

"Ich danke dir für deine Worte. Es wäre gelogen, würde ich sagen, dass sie nicht schmerzten. Doch ein Geschwür herauszuschneiden ist ebenfalls schmerzvoll und doch heilsam und notwendig." Sie holte Luft. "Ich bin keine Bürde. Ich bin keine Last." sprach sie nun mit etwas festerer Stimme. "Ich weiß das und wenn du mir zugehört hättest... Ich sagte, dass ich fürchte als solches dahingestellt zu werden. Ich selber weiß schon länger, was ich kann. Worin ich gut bin..." Ja das wusste sie... und sie wusste auch, dass es Personen gab, die das ebenfalls sahen.

Ein leichtes Funkeln gesellte sich in ihren Blick doch war er schon mit dem nächsten Blinzeln wieder fort.
Wie sie alle immer meinten zu wissen, was Kydora tat oder nicht tat... Wie sie sie einfach immer noch wie die kleine Wilde behandelten. Ihr sagten, was sie angeblich fühlte. Was sie angeblich durchmachte.

"Ich danke dir für diesen Augenblick... hier. Lange habe ich in der Windstille verharrt und meinen Platz gefestigt. Aber es ist Zeit, dass ich mich wieder leiten lasse und meinem Instinkt folge. Es tut mir aufrichtig Leid, dass ich dir wehgetan habe. Es war einer Vorsicht geschuldet, größeres Leid zu verhindern. Doch ich sehe, dass das falsch war."

Erneut nickte sie ihm zu.

"Ich wünsche dir auf deinem Weg alles Gute, Vanion." Ein zuversichtliches Lächeln zeigt sich auf Kydoras Lippen. "Wenn wir uns das nächste Mal begegnen, werde ich gefestigter sein und auch die letzten Zweifel werden fortgeweht sein."

Vanion:
Vanion brauchte lange, bevor er zu einer Antwort fand. Je mehr Zeit verstrich, desto besser verstand er, dass Kydora sich auf eine Art und Weise verändert hatte, die er nicht verstand. Und je stärker er sie musterte, je inniger er über das nachdachte, was sie ihm gesagt, wie sie sich verhalten hatte, desto klarer wurde ihm, was mit ihr geschehen war.

"Zwei Jahre ist es her, dass wir beide das letzte Mal offen miteinander gesprochen haben."
Er sah sich um. Betrachtete ihre Welt. Roch und schmeckte sie. Und sie gefiel ihm ganz und gar nicht.
"Zwei Jahre, in denen Vieles geschehen ist. Du sprichst von einer Gemeinschaft ohne Grenzen, doch dann redest du von einem Geschwür."

Er sah sie aufmerksam an.
"Ich verstehe nun, worum es dir geht. Und ich bereue meine auffahrenden Worte von vorhin. Du hast Recht: Ich habe nicht gesehen, was du tust. Ich habe nicht gesehen, was du kannst. Alles, was ich sehe, ist deine Abwesenheit. Unbeantwortete Briefe. Unpersönliche Begegnungen. Ich gehöre zu denen, die einen Schatten werfen, und als solcher bin ich Teil des Geschwürs."

Er straffte sich.
"Dann ist es wohl so. Du und ich ... was uns verbunden hat, ist nicht mehr."

Kydora:
"Das Geschwür..." setzte sie leise an. "Das bist nicht du... oder andere." Sie zögerte kurz. "Das sind Gedanken mit denen ich mich im Kreis drehe, wieder und wieder. Gedanken der Angst, dass nicht gesehen wird, dass ich mich entwickelt habe... In einer Welt voller Verführungen, kannst man nicht immer dem Wort des Gegenübers trauen... Aber deinem Wort kann ich trauen. Deinen Worten, die du mir - wenn auch etwas energisch - entgegen geworfen hast, kann ich Glauben schenken. Sie waren wahr und gut. Und sie helfen mir meine Sicht zu klären. Helfen mir zu sehen, dass meine Angst als schwach gesehen zu werden... unbegründet ist und nur lähmt. So wie Ängste einen immer lähmen."

Sie senkte den Blick leicht. Kydora schienen ein paar Dinge in einem etwas anderen Licht zu scheinen.

"Wir haben uns unterschiedlich entwickelt. Ich weiß nicht, wo verloren gegangen ist, was einst wahr." Langsam hob sie wieder den Blick. "Doch was immer uns verloren gegangen ist... Immer wenn etwas geht, wird Platz geschaffen für Neues. Und ich würde mich freuen, wenn wir es schaffen würden, etwas Neues aufzubauen. Etwas, dessen Fundament stabiler ist als dessen, was zerbrochen ist."

Ihr Blick war zuversichtlich. Sie meinte ihre Worte ernst, doch es lag keinerlei Druck in ihrer Stimme. Kydora hatte verstanden, dass etwas fort war. Kydora war bereit sich einander neu zu begegnen. Unverbindlich und ohne Zwang und Druck.

"Ich möchte dich kennen lernen Vanion... erneut. Zwei Jahre ... sind eine lange Zeit. Auch ich merke, dass ich kaum noch weiß, wen ich eigentlich vor mir stehen habe. Der Wandel findet überall statt und schnell verliert man den Fokus... Und so möchte ich dich erneut kennen lernen. Vielleicht nicht heute. Vielleicht nicht hier und jetzt. Doch ich würde mich freuen, die Person, die hier vor mir steht, kennen lernen zu können."

Es war ein vorsichtiger Schritt in seine Richtung. Unverbindlich und ungezwungen. Und sie würde es ohne Feindseligkeit akzeptieren, falls Vanion kein Interesse mehr hätte. Zwei Jahre waren wirklich zu lange... und Kydora hatte definitiv Fehler gemacht. Doch im steten Ausgleich der Dinge lag eben auch, Fehler zuzulassen, sie zu aktzeptiern und aus ihnen zu lernen.
Vielleicht würden sich die Beiden neu begegnen... sofern Vanion interesse hätte.

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