Hier und dort: In Engonien und außerhalb des Kaiserreiches > Gruppen auf Reisen im In- und Ausland
Nach dem Melekahrt.
Vanion:
Vanion wurde nicht oft rot, aber mit soviel Lob konnte er nicht umgehen. So - gar nicht. Keks' Worte brachten die Erinnerung zurück, als er auf der Schwelle gewesen war, und er mühte sich, das wieder zu verdrängen. "Was ich getan hab, war der kleinste Beitrag zu einem großen Ganzen, wie du ganz richtig sagst." Er zuckte leicht, als sie sich an die Verbände machte, aber es schmerzte längst nicht so sehr wie noch gestern.
"Was ich tu, tu ich seit einer Weile. Ich hoffe, dass meine Taten nicht vergessen werden und dass Baron Norwin -", er hielt kurz inne und berichtigte sich, "- wer auch immer ihm nachfolgt, nicht vergisst, was ein Ritter aus Voranenburg und für ihn getan hat. Doch du übertreibst - maßlos. Du warst es, die mein Leben gerettet hat. Ich bin dir zu Dank verpflichtet - dir, und der Herrin Lavinia, die gewiss gelächelt hat und sich gedacht hat, dass es noch zu früh für mich ist."
Vanion ließ nicht zu, dass Keks dieses Thema vertiefte. Es gehörte sich nicht, soviel Lob zu hören und anzunehmen, fand er. Schließlich hatte er, kaum zwei Jahre war's her, genug Zeit in einem gewissen Laviniakloster verbracht, um sich der Tugend der Demut zu widmen. "Ich hoffe nur, dass Larodar nichts Schlimmes fordern wird. Du weigerst dich, mich das begleichen zu lassen, und ich konnte ihn ebensowenig davon überzeugen wie dich. Du bist schrecklich stur!"
Der Ritter war noch nicht so recht einig mit sich selbst, ob Keks das Beste - oder das Schlechteste in ihm zum Vorschein brachte. "Als ich dich kennengelernt hab, da war das erste, was du zu mir gesagt hast: 'Du bist der, von dem Marius immer erzählt!'. Mit dir hat mich ein Teil meiner Vergangenheit eingeholt, der sehr lange her ist. Marius würde mich heute nicht wiedererkennen, und nach all dem, was du mir erählt hast, frag ich mich, ob er dich wiedererkennen würde. Da ist soviel in dir, was mich an Anders erinnert. An die Welt, die keine Stände kennt. Das ist nicht länger meine Welt, fürchte ich."
Keks:
Keks atmete tief durch. Was jetzt kommen würde, wäre schmerzhaft. Sie musste das Bein noch einmal nachrichten und die Schiene etwas anders anlegen.
Also entschied sie sich, einen rauheren Ton anzuschlagen und ihm nichts vom bevorstehenden zu sagen.
Denn obwohl sie das Gespräch emotinal mitnahm, war sie in erster Linie gerade Heilerin.
"Erstens: Ja, ich bin stur. Sonst wäre ich nicht mehr am Leben.
Zweitens: Also ob ich nicht Recht hätte mit dem Sieg, den du errungen hast.
Und drittens: Gerade in diesem Moment sind alle Stände aufgehoben!"
Und mit einem Ruck richtete sie sein Bein.
Dann lächelte sie ihn an.
"Atme, atme ganz in Ruhe ein und aus."
Sie tupfte ihm die Schweißperlen von der Stirn.
"Ich mache dir einen Vorschlag. Wir beide sprechen nicht mehr von der Vergangenheit. Marius und ich haben uns lange nicht gesehen. Außerdem ist es gut, dass Menschen sich verändern. Du hast dich sicherlich genauso verändert, wie es gut ist. Viele erkennen micht nicht mehr und dennoch bin ich noch die, die ich war. Neuanfänge können nämlich nur geschehen, wenn Altes transformiert wird.
Apropos Anders: Ich freue mich, dass ihr euch wieder angenähert habt!
Ich habe mir echt Sorgen um sie gemacht, als sie in meine Arme gestolpert ist. Sie war total kaputt. Fast wie du. Aber sie hat noch geatmet und war wach. Also war sie nicht ganz so kaputt. Aber ziemlich. Also wenn ich euch jetzt vergleich würde..." Keks lachte auf. "Ohweh...jetzt geht es los! Komm, Vanion. Lass uns noch mal in den Hof gehen.
Und..." Hier wurde ihr Blick sehr ernst und streng: "Gönn dir ein paar Tage Ruhe. Wenn du wieder ganz gesunden möchtest und kampffähig werden magst, hälst du dich strikt an meine Anweisungen.
Es nützt niemandem, wenn du künftig nur noch halb einsatzfähig bist.
Die nächste Woche hast du absolutes Kampfverbot und musst dich mindestens heute und morgen mit gutem Essen und Pausen erholen.
Für die Schiffsreise kann ich dir etwas mitgeben, dass dich schlummern lässt. Vielleicht überstehst du sie dann besser.
Und jetzt muss ich mich um andere kümmern."
Mit diesen Worten ging sie aus der Tür.
Kurz darauf steckte sie noch einmal den Kopf herein und sagte: "Vanion. Auch wenn wir uns nicht so gut kennen, ich betrachte dich als Freund."
Dann ging sie wieder. Aber nocheinmal kam sie zurück: "Und: Hör auf mich! Es bekommt ja gerade kein anderer mit!"
Vanion:
Vanion biss die Zähne zusammen, als Keks (schon wieder) irgendwas an seinem Bein tat. Er hasste das aus tiefstem Herzen. Lorainne hätte über ihm gestanden und ihn ausgelacht, und sie hätte ihn gescholten, weil er sich so dumm angestellt hatte. Er wusste, er brauchte die Hilfe und die Heilung, aber zur Untätigkeit verdammt zu sein, das stand einem Ritter nicht gut an. Er atmete tief durch, wie Keks es ihm geraten hatte, und während das Pochen in seinem Bein langsam nachließ, hörte er ihr nur mit einem halben Ohr zu - und schon wackelte sie davon.
"Ich -"
Keks verließ den Raum.
Keks kam wieder herein.
"Du -"
Keks verließ erneut den Raum.
Keks kam wieder herein.
"Keks!!"
Vanion keuchte, als er laut wurde, und seine Stimme war gereizt. Ihm schien es gelungen zu sein, die sprunghafte Frau zumindest für einen Moment aufzuhalten. Alles Mögliche ging ihm durch den Kopf, aber nun war vor allem eines wichtig. In wieder ruhigem Tonfall sagte er:
"Stand ist kein Kleid, das man an- oder auszieht, wie es einem passt! Das darfst du nicht vergessen. Du sprichst von der Courtois - von dem angemessenen Benehmen, einer Höfigkeit. Das war eines der Probleme, das ich mit Anders hatte. Sie hat sich einmal von hinten an mich heran geschlichen und mir Kuchen in den Mund gesteckt, während ich mich in einem Gespräch mit Edlen befand!"
Einen Moment musste er grinsen, aber er fing sich sofort wieder. Das war schließlich nicht lustig und er war ein Ritter.
"Immer, wenn du versucht hast, mich von einem Kampf abzuhalten, hab ich gedacht, sie steht vor mir. Sie kann das nicht. Sie kann nicht dabei zusehen, wie ihre Freunde verletzt werden, oder schlimmer, einander verletzen. Sie - sie geht kaputt an dem, was sie tun muss, um ihre Freunde zu schützen. Ich ... ich hatte gehofft, dass du einmal mit ihr sprechen kannst. Ihr seid euch in gewisser Weise sehr ähnlich, und vielleicht könnt ihr einander etwas geben, was weder Edler noch Gemeiner euch geben kann. Ich kann sie vor Schwertern und Äxten und Speeren schützen, aber ihre Seele vermag ich nicht zu verteidigen. Sie gibt sich auf, fürchte ich, Stück für Stück für Stück, und versteht nicht, warum wir Menschen einander ständig schlimme Dinge antun."
Mit einem Mal sah der Ritter blass aus, erschöpft, und auch müde. Man sah ihm an, dass es ihn einiges kostete, so offen zu sein, abseits des Standes, den er bekleidete.
"Sie hat mehr Ehre im Leib als mancher Ritterbruder, ist tapferer als viele Krieger. Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal über - ausgerechnet - einen Kender sage. Nur ist sie so kindlich und unschuldig - zumindest ist sie das einmal gewesen. Sie kann sich das nicht bewahren, fürchte ich, und das wird sie umbringen, bis sie nur noch einen leeren Körper zur Schau trägt und irgendwann einfach tot umfällt."
Vanion vergrub das Gesicht in den Händen. "Ich kann vieles. Kämpfen, Männer in den Kampf führen, ich kann tanzen, gute Rede führen - aber hier bin ich so machtlos wie ein Blinder und Tauber und Stummer." Dann hob er den Kopf und sah Keks ins Gesicht. "Geh, kümmere dich um die anderen. Ich komme gleich nach, wenn mein Bein mich nicht mehr anschreit und ich mit etwas Würde diese Kammer verlassen kann. Ich versteh schon - du glaubst, ich weigere mich, Schwäche zu zeigen. Aber meinesgleichen muss nun einmal Vorbild sein, mit Herz und Verstand. Sieht man die Schwäche eines Ritters, wie soll man ihm dann folgen, sich von ihm inspirieren lassen? Lorainne hat diese Kunst zu einer Meisterschaft gemacht. Sie konnte noch so zerschlagen sein, sie hat es sich nicht anmerken lassen und streng dafür gesorgt, dass all die Schwachen vor ihr versorgt wurden. Und ich sitze nun hier, umsorgt von dir, während andere gewiss noch bluten und leiden. Sieh nun nach diesen. Wir sehen uns gleich im Hof. Vielleicht ist dann auch Anders wieder aufgetaucht. Falk hab ich jedenfalls schon gesehen."
Keks:
Keks hielt inne, atmete tief durch. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, Vanion tatsächlich alleine zu lassen und sich um andere zu kümmern. Es fiel ihm gewiss nicht leicht, sich ihr anzuvertrauen. Und garantiert hatte er nicht ein Wort von dem gehört, was sie gesagt hatte.
Sie seufzte, drehte sich um, schloss die Tür und lächelte ihn an.
"Thomar ist auch schon auf, er wird sich um die anderen kümmern. Du bedarfst der Fürsorge gerade mehr. Und damit meine ich nicht die Versorgung deiner Wunden." Sie ging zu den Fensterläden und stieß sie auf. Kaltes Sonnenlicht fiel herein.
"Ich werde dir jetzt etwas erzählen. Unabhängig von deinem Stand.
Aber zuvor: Ich weiß sehr wohl, dass Stand kein Kleid ist, das man einfach so ablegen kann.
Gestern hast du meinen letzten Vertrauten kennen gelernt, der mich noch kannte, als ich noch nicht auf den Wegen der TSA gewandert bin.
Wie kommt ein Prinz dazu, ein enger Vertrauter von einem gemeinen Mädchen zu sein, die anscheindend von der Wirklichkeit entrückt ist?
Wir lernten uns kennen in Melekahrt, auch auf einer Burg und fochten gegen den Stillstand. Später reisten wir dann gemeinsam nach Mithrasphera, unterstützen Freunde von uns in ihrem Massagehaus und verhandelten um Menschenleben.
Wir trafen nie als Herrscher und Dienerin aufeinander, sondern immer als gleichberechtigte Reisegefährten aus unterschiedlichen Ländern dieser Erden.
Viele Gefahren meisterten wir und ich vertrieb einen dunklen Schatten aus seinem Leben. Er war da, als mein Licht, meine Vertraute, verschwand. Wir verankerten uns gegenseitig in diesem Leben.
Aber sollte er jemals seinen Thron besteigen, wird zwar unser Band bestehen, aber niemals werde ich seine Autorität vor anderen in Frage stellen. Denn in meinen Augen ist er edel und würdig, einer zu sein, der andere lenkt.
Auch Berengar von Thurstein ist jemand, dem ich mich anvertraue und, wenn er es denn forderte, unterordnen würde. So läuft die Gesellschaft von Menschen nunmal.
Aber jeder, egal ob von Stand oder nicht, muss seinen Wert zeigen. Und das höchste Gut ist es, andere zu schützen.
Also gehörst auch du dazu. Habe keine Sorge, dass ich das nicht anerkenne oder dich vor anderen bloßstelle. Zweimal habe ich diese Grenze fast überschritten, das wird nicht wieder passieren."
Keks drehte sich um und ein verschmitzes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, als sie sich neben das Bett setzte.
"Das Grinsen habe ich übrigens ganz genau gesehen! Ein bisschen was von dem alten Vanion steckt wohl noch in dir!"
Dann wurde sie wieder ernst. "Anders...gestern sind wir gemeinsam um einen Kristall herum getanzt und gerannt. Das war sehr lustig! Und wir haben ihn mit unserer Energie und unserer Freude geschwächt.
Sie ist eine Kenderin, für sie dreht sich die Welt anders als für uns Menschen.
Warum sind es eigentlich unsere menschlichen Maßstäbe, die wir als Urteilsgrundlage nutzen?
Vielleicht täte es uns hin und wieder gut, die Welt mit den Augen einer Kenderin zu erblicken.
Wenn du möchtest, rede ich mal mit ihr und versuche, ihr neue Hoffnung aufzuzeigen. Tatsächlich habe ich etwas, dass ihr vielleicht Freude bereiten könnte."
Keks stand auf. "Ruh dich noch etwas aus und komme dann nach. Ach...und Vanion..." Ihr Blick wurde streng und sie vergewisserte sich, dass er ihr in jedem Fall zuhörte. "Wenn du wieder ganz gesund werden möchtest, darfst du eine Woche lang nicht kämpfen oder dich übermäßig anstrengen. Heute und morgen solltest du dich erholen und pausieren. Das fällt dir sicherlich schwer, aber es nützt niemandem und dir am allerwenigsten, wenn du künftig nicht mehr 100% geben kannst. Bis später!"
Und sie ging in den Hof, um Falk zu suchen.
Vanion:
"Ich werde mich schonen, keine Sorge."
Vanion ließ nicht erkennen, was er über die Worte dachte, die Keks gesprochen hatte, und als sie den Raum verlassen hatte, da sann er noch eine Weile darüber nach.
An der Tsa-Anhängerin war mehr, als das bloße Auge sehen konnte. Allein ihre Worte vom gestrigen Abend, die wenigen Andeutungen über ihre Vergangenheit, der Umgang, den sie pflegte - all das waren sehr deutliche Anzeichen eines bewegten Lebens. Und hatte sie nicht sogar angedeutet, dass sie auch einmal Stand und Titel bekleidet hatte?
Eine ganze Weile fragte er sich, was wohl dahinter für eine Geschichte stecken würde. Wie kam man zu einem Namen wie "Keks"?
Mutter Lavinia, du sendest mir immer wieder neue Wunder.
Dann endlich entspannte er sich und dachte nicht mehr an die Dämmerung, an Keks, an seine Wunden und seine Pflichten. Er gönnte seinen Augen einige wenige Sekunden Entspannung, während er sich auf die Bettstatt legte und die Hände hinter dem Kopf verschränkte. Zumindest war das sein Plan, aber als er eine halbe Stunde später aufwachte, hatte er geträumt - von Falken und Schwänen und einem Tanz.
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