Hier und dort: In Engonien und außerhalb des Kaiserreiches > Gruppen auf Reisen im In- und Ausland

Zlaticas Tränen

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Jelena:
Einige Wochen nach Beginn ihrer Reise kehrte Anica in einer Karawanserei am Wege ein. Engonien zu verlassen war relativ einfach gewesen, auch wenn die Reise über den Rothornpass anstrengend gewesen war. Nun, in den Mittellanden angekommen und stetig nach Süden reisend, hatte sich eine gewisse Routine aufgebaut.
Anica reiste mit Handelskarawanen mit, ihre Herrin hatte ihr Empfehlungsschreiben für alle wichtigen Handelsherren auf ihrere Route mitgegeben, sowie Geldwechsel und Edelsteine, die sicher im Futter ihres Unterkleides vernäht waren.
Es wäre schneller gegangen direkt gen Osten, durch die Einöde und Lodrien hindurch zu reisen, aber Jelena hatte sich standhaft geweigert dies auch nur in Betracht zu ziehen, denn die Chancen Silvanaja unbeschadet zu durchqueren lagen bei Null.
Also würde sie gen Süden reisen, bis sie zum großen Wasser kam und sich dann auf einem der Schiffe, die den Kaffee brachten, einschiffen. Wenn sie Turkmenistan erreichte, würde sie sich wieder einer Karawane anschließen und stetig gen Nordosten ziehen. Wenn alles gut verlief, würde sie in 4 bis 6 Monden wieder die endlosen Steppen sehen.
Der Abschied von Jelena war herzzerreissend gewesen, denn beide wussten, dass die Möglichkeit bestand, dass sie sich niemals wiedersehen; in Engonien tobte der Krieg und die Reise war alles andere als gefahrlos. Jelena hatte ihrer Magd ein robustes Pferd geschenkt, das sie selbst ausgebildet hatte, damit es sie sicher wieder zurück brachte.
"Gib ihm einen Namen und beginne so die bevorstehende Reise!" waren ihre Worte gewesen.

Jelena:
"Wenn Du die südlichen Länder erreichst, dann nimm Dir eine Dienerschaft. Wähle einen zuverlässigen Krieger als Leibwächter und eine Magd. Die Menschen in dieser Gegend haben eine etwas seltsame Auffassung von Männern und Frauen. Wenn du alleine reisen würdest, würde man dich unweigerlich belästigen und dich für eine käufliche Frau halten... nun ja, ich habe schon vor langem aufgehört das verstehen zu wollen! Also weise ich dich an, dies zu deinem Schutz zu tun. Ich weiß, dass du gut in anderen Menschen lesen kannst, deshalb wird es kein großes Problem für dich sein, treue Diener zu finden, aber dennoch...nimm diese Phiole. Sie enthält ein mildes Wahrheitsserum, falls du der Meinung bist jemanden tiefer ergründen zu müssen, gib einige Tropfen in seinen Wein und die ersten zwei Fragen wird er wahrheitsgemäß beantworten."

Anica:
Mittlerweile waren schon einige Wochen vergangen seit Anica sich von ihrer Herrin verabschiedet hatte, um die weite Reise in die Heimat anzutreten. Sie befand sich wieder auf dem Weg in das Land ihrer Geburt, dass sie vor noch nicht mal drei Jahren verlassen hatte. Aber so viel hatte sich seit dem verändert. Es kam ihr wie eine halbe Ewigkeit vor. Bisher verlief die Reise ohne Probleme, da sie im Moment mit einer großen Karawane reiste. Mehrere Händler hatten sich zusammen getan, einer davon ein Bekannter der Herrin. Die Karawanserei die sie diesen Abend erreicht hatten war recht groß, und gut befestigt.
Nachdem sie ihr Pferd Nazaren versorgt hatte, und sicher war, dass er hier Ruhe und gutes Futter bekam, machte sie sich auf die Suche, nach etwas zu Essen. Sie wusste wo die meisten Mitreisenden der Karawane essen würden - sie konnte sie jetzt schon über den Hof hören. Aber heute war ihr nicht nach Singen und Reden zu Mute. Sie wollte irgendwo hin, wo es etwas ruhiger war, und wo sie in Ruhe über alles was bisher gewesen war, und was vielleicht noch kommen sollte, nachdenken konnte. Von den beiden Schankräumen, die es hier gab, war der eine zu gut besucht und zu laut, und der andere zu dunkel als das sie dort einkehren wollte. Also schnappte sie sich zwei Äpfel, etwas Brot und Käse aus ihrem Proviantbeutel und machte sich auf den Weg zu den Ställen. Hier war sie zwar auch nicht alleine, aber wenigstens würde sie hier keiner zum Mitsingen bringen wollen, und sie konnte in Ruhe ihren Gedanken nachhängen. Sie setzte sich zu Nazaren in den Stall und biss herzhaft in einen Apfel. Wie erwartet stupste der Braune sie mit dem Maul am Kopf an, und sie gab den zweiten Apfel ihrem treuen Freund.
Sie saß lange einfach da und dachte über die Aufgabe nach, die vor ihr lag. Über den Abschied von der Herrin Jelena, über die Gefahren und die Chancen. Zlaticas Tränen - eine verantwortungsvolle Aufgabe. Sie hoffte, wie so oft, dass sie sie erfüllen könnte. Und dann die Anweisungen der Herrin. Eine Magd und ein Leibwächter einstellen! Naja, wenigstens kam sie bei der Sache mit dem Lesen langsam voran. Seit einer Woche reiste ein junger Gelehrter in der Karawane mit, der ihr das Lesen und Schreiben beibrachte (er versuchte es), und sie half ihm im Gegenzug mit seinem Pferd. So profitierten beide davon, und es war nicht ganz so langweilig während der Reiserei. Das Lesen ging langsam voran, zu langsam ihrer Meinung nach, aber wenigstens ging es voran. Sie konnte immerhin schon ihren Namen lesen, und das war doch schon mal nicht schlecht für den Anfang.
Sie wachte auf, als es noch dunkel war, anscheinend hatte sie fast die ganze Nacht hier verbracht. Auf dem Hof waren die ersten (oder die letzten?) Helfer schon wieder (oder immer noch?) an der Arbeit. „Tja, dann wollen wir mal sehen spät es ist, nicht wahr Nazaren? Und wir kommen unserem Ziel immer näher.“ Wie zur Bestätigung schnaubte der Braune einmal. Anica stand auf, klopfte sich den Staub vom Rock und begann ihr Morgenritual.

Jelena:
Nachdem Anica ihr Ritual beendet hatte hörte sie ein leises Räuspern. Es war der junge Gelehrte mit Namen Otto, mit dem sie in den letzten Tagen Bekanntschaft geschlossen hatte.
"Verzeiht, wenn ich frage, aber was genau macht ihr da eigentlich?" legte er sofort los, nachdem er sich ihrer aufmerksamkeit sicher war, während er sich mit der rechten Hand die Nase rieb. Eine angewohnheit, die er immer zeigte, wenn er etwas interessantes vor sich hatte. Für solche Dinge wie Begrüßungen blieb bei seinem Wissensdurst meistens keine Zeit, etwas das Anica bereits häufiger aufgefallen war. Für jemanden, der die strenge Förmlichkeit der Steppen gewohnt war ein Unding.

Anica:
Nach dem Ritual saß sie noch kurz still da und ging in Gedanken die Stationen des heutigen Tages durch, als sie auf einmal das Räuspern hörte. Es war zwar ein leises, aber in der Stille des Morgens und nach der Ruhe des Rituals erschien es recht laut. Sie schaute Richtung Stalltür und sah Otto dort stehen. Kaum schaute sie in seine Richtung fing er auch schon wieder mit seinen Fragen an. "Einen guten Morgen Euch auch, Otto!" antwortete Anica auf seine Frage. Sie mochte den jungen Gelehrten, keine Frage! Die Tage in der Karawane waren angenehmer, wenn man sich mal mit jemandem unterhalten konnte. Und dafür, dass Otto ihr das Lesen beizubringen versuchte, war sie ihm auch auf jeden Fall was schuldig - aber es war auch schwierig mit jemandem zu reisen, der so ... nun... so neugierig war. Und der dabei an nichts anderes dachte, außer an die Befriedigung der eigenen Neugier. Sie schloss kurz die Augen und atmete einmal tief durch. Dann schaute sie ihn an, und wartete auf seine Erwiederung.

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