Es war eisig. Wirklich eisig. Der Winter im Forêt d'Artroux war hart und kalt. Das hatten sie alle gewusst. Ein Feuer hatten sie lange nicht gewagt, anzuzünden. Die Häscher Savarics gingen um, und wen sie fanden, den brachten sie zum Sprechen, ganz gleich, ob man etwas zu sagen hatte oder nicht.
Tag für Tag war es tiefer in den Wald hinein gegangen. Die Lichtung kam ihnen schon fast wie eine Heimstatt vor. Hier standen die Verschläge, in denen Jules' Gefolgsleute hausten. Keine feste Wand und kein Dach gab es hier. Und dann war sie krank geworden. Die Kälte hatte ihr zugesetzt.
"Verflucht", stieß er hervor, als das kleine, freche Wesen mit den spitzen Ohren sich erneut bewegte.
Unter ihm knackten die laubigen Äste, die die Kälte des Bodens von seinen Gliedern fernhielten, und die Decke, die die kostbare Wärme da hielt, wo sie hingehörte, verrutschte.
"Ich will raus in den Schnee!" Anders' Stimme war heiser und kratzig, aber voller Tatendrang. Natürlich war sie das. Sie war krank. Hier draußen konnte das den Tod bedeuten. Das war ihr nur herzlich egal. Sie wollte spielen. Im Schnee.
Vanion grunzte etwas Unwirsches und schlang die Arme um den Kender, um sie bei sich zu behalten. Sie wand sich, und ihr Ellbogen drängte sich in seine Magengrube. Nun grunzte er etwas sehr Unhöfliches, legte sich etwas anders hin - aber der Kender lag quer über ihm. Ihr Kopf lag auf seinem Gesicht, sodass er Gefahr lief, an ihrem dichten Haarschopf zu ersticken. Ihr Rücken lag zum Teil auf seiner Brust, aber sie hatte sich so eingeknautscht, dass nicht mehr so recht festzustellen war, welche der restlichen Gliedmaßen nun eigentlich zu wem gehörten.
Als sie sich erneut wand, knallte ihr Hinterkopf gegen seine Nase.
"Jetzt hör auf! Du bist krank! Es ist scheiße kalt!"
"Aber der Schnee glitzert so schön unter den Sternen!"
"Du bist krank!"
"Aber der Schnee -"
"KRANK!"
Anders erschrak, als Vanion laut wurde. Dann zog sie trotzig den Kopf zwischen die Schultern. "Mir ist gar nicht kalt."
Vanion legte die Hand auf ihre Stirn. Nüchtern stellte er fest: "Natürlich nicht. Du glühst."
Rasch drehte Anders sich zu ihm um, wobei sie ihm weitere Glieder in diverse Körperteile bohrte, und stützte sich mit spitzen Ellenbogen auf Vanions Brustkorb auf.
Mit einem frohen Grinsen auf den Lippen sagte sie in einem Tonfall, als hätte sie grade eine Diskussion erfolgreich beendet: "Ja dann kann ich ja spielen!"
Vanion seufzte und resignierte. Dann schlang er die Arme fester um Anders und hielt sie fürsorglich fest, in dem Kokon aus der wenigen Wärme, die sie sich teilten, gefangen.
Diese Nacht würde noch sehr lang werden.
"Was schmunzelst du denn, Bruder Vanion?"
Die nicht unfreundliche Frage kam von einer der Schwestern des Klosters, als sie beim Frühstück saßen und einen Brei löffelten.
"Ich musste an einen Traum denken, den ich in der letzten Nacht hatte, Schwester."
"Dann war es ein guter Traum?"
"Ja, das war es. Lob sei Lavinia dafür." Vanion hatte in den letzten Monaten, wenn er denn geträumt hatte, nichts als Albträume gehabt. Seit er in dem Kloster war, mehrten sich die schönen Erinnerungen, und trotz des harten Alltags spürte er von Tag zu Tag, wie eine innere Ruhe einkehrte. Die Wunde, die Lorainnes Tod gerissen hatte, wurde hier geheilt, und mochte sie gewiss niemals gänzlich heilen, so lernte er doch mehr und mehr, den Verlust zu ertragen.
Gestern noch hatte er mit der Mutter Oberin gesprochen, und er erinnerte sich ihrer Worte: So fügt es die Mutter, dass die, die Frieden und Heilung suchen, zur rechten Zeit hier einkehren.
Er unterhielt sich noch eine Weile mit der Schwester, bis ein junger Bursche an sie herantrat. "Mit Verlaub, Bruder Vanion - die Mutter Oberin möchte mit dir sprechen."
Er folgte dem Burschen rasch und war gespannt, was die Äbtissin von ihm wollte. Als er in ihre Kammer trat, schrieb sie grade einige Zeilen auf ein Papier. Kaum war sie fertig, faltete sie die Seiten und siegelte sie. Dann erklärte sie, was sie von Bruder Vanion wollte: "Dieser Brief und auch einige Spenden müssen zum Tempel in Fanada gelangen. Reise als Bruder Vanion dorthin, ruhe dich einen Tag aus, dann kehre zurück nach hier."
Mit mildem Erstaunen sah Vanion die Äbtissin an. Er hatte nicht damit gerechnet, das Kloster verlassen zu dürfen. Sie lächelte, als sie seinen fragenden Blick sah, und sprach: "Die Zeiten sind unsicher geworden. Wir sind friedfertig, aber nicht naiv. Dein starker Arm wird dafür sorgen, dass die Münzen ihren Weg in die richtigen Hände finden, und dein gutes Pferd wird dich davon tragen, bevor die Kirchengelder in falsche Hände geraten. Doch nimm dir einen guten Knüppel mit. Solange du unser Bruder Vanion bist, ist dein Schwert in diesem Kloster besser aufgehoben als an deiner Hüfte."
Respektvoll verneigte Vanion sich. Dann kehrte er zurück in seine Kammer, um das wenige, was er für den Ritt benötigte, einzupacken. Während er sein Bündel zurrte, kam er nicht umhin, etwas zu grinsen: Balerians Taverne war nicht weit von Fanada. Und so er in Demut handeln würde, sprach nichts dagegen, vielleicht einige bekannte Gesichter zu sehen an dem einen Abend, den er dort hatte.