"Ein paar Wochen also?" Lorainne nickte nur auf Vanions Nachfrage. Als der Knappe Simon zum Gebet schreiten sah, schämte er sich ein wenig. Vanion war es gewohnt, jeden Morgen und jeden Abend zu Lavinia zu beten; doch hatte das, was er vor ein paar Monaten über Rania erfahren hatte, seinen Glauben erschüttert. Er ertappte sich immer wieder dabei, dem Zwiegespräch mit der Göttin aus dem Weg zu gehen. Auch jetzt verzichtete er darauf, zu beten.
"Nun, ich bin gespannt, wer sich in Reichsfeld findet. Es behagt mir nicht, solche Wege zu gehen, muss ich ehrlich zugeben. Roquefort so zu bekämpfen hat wenig Ritterliches." Der Knappe legte sehr viel Ernst und Schärfe in dieses Wort, jedoch ohne von seinem Essen aufzusehen. Seit Anders ihm erzählt hatte, was Alain widerfahren war, sah er Lorainne mit anderen Augen. Er hoffte, dass sie das nicht bemerkte. Doch die Ritterin im weißen Mantel, heldenhaft auf einem weißen Pferd reitend, war sie nicht länger. Vanion schalt sich selbst einen Idioten, Lorainne und auch Simon so wahrgenommen zu haben. Doch konnte er das Denken, das ihn dazu gebracht hatte, den Hof seiner Eltern zu verlassen, nicht abschütteln: ein Ritter zu sein, hieß, Perfektion zu erreichen, ein tugendhaftes Leben zu leben. Und so sehr Vanion wusste, dass sein Verhalten nicht stets ritterlich war, so sehr wusste er, dass doch seine Moralität, sein Denken, seine Ideale um so reiner waren.
Und je mehr Zeit verging, desto öfter verschwieg Vanion seine Gedanken. Es machte ihm ein wenig Angst, dass er verschlossener wurde - Bei den Göttern, bald werde ich so geheimnisvoll wie Wassilij und so schweigsam wie Jelena in der Meditation! -, aber er tat dies ab als eine natürliche Konsequenz daraus, dass er nicht länger frei Schnauze sprach.
Unwillig schüttelte Vanion diese Gedanken ab und wandte sich Anders zu.
"Ich selbst war noch nie in Savarics - meinem - Lehen. Jedenfalls nicht wissentlich. Ich kenne viel zu wenig von Caldrien, nicht einmal Firngard ist mir vollständig bekannt." Bei der Erwähnung der Grafschaft fing Vanion einen Seitenblick Simons auf, der Bände sprach: Simon hatte vor einiger Zeit versucht, Vanion ein wenig der l'histoire dieses Landes zu vermitteln, und Vanion hatte sich nicht viel davon gemerkt.
"Ich glaube, wenn das alles hier vorbei ist, Lorainne auf La Follye lebt und alle anderen Angelegenheiten geregelt sind - eines fernen Tages, wenn ich den Ritterschlag erhalten habe - dann werde ich, so die Zeit und die Pflichten es erlauben, Caldrien bereisen. Ich kenne mich in Tangara sehr gut aus, zumindest im Norden und im Westen, sogar bis runter nach Uld. Aber hier oben? Ich fürchte, selbst jetzt würde ich mich noch auf dem Weg nach Bourvis verlaufen, obwohl ich diesen Weg schon einige Male geritten bin."