"Simon hat viel erlebt."
Zumindest das konnte Vanion mit Sicherheit sagen. Er versuchte, sich in Erinnerung zu rufen, was er über Simon wusste - und das war beileibe nicht viel.
"Du hast schon viel über meine Ängste gehört. Darüber, dass ich Angst habe, zu verrohen, dass ich Angst habe, den Tod auf die leichte Schulter zu nehmen. Auch Angst, die zu verlieren, die ich liebe und achte. Simon.. hat diese Verluste erlitten."
Kann ich ihr von Laura erzählen? Und von Simons ungeborenem Kind?
Der Knappe hoffte, dass Anders den Streit zwischen dem alten Eid und dem Bedürfnis, ihr zu helfen und aufrichtig zu ihr zu sein, im Dunkeln nichts bemerkte. Er raffte seinen Umhang fester um sich und sah zwischen die Bäume. Als jedoch soviel Zeit verstrichen war, dass er unmöglich länger vortäuschen konnte, irgendetwas Interessantes oder Ablenkendes gesehen zu haben, seufzte er und sah Anders direkt an. Ihm fiel auf, dass ihre Augen trotz der Dunkelheit leuchteten und so lebhaft, so lebendig wirkten wie wenig, was er sonst in seinem Leben entdeckt hatte.
"Der Chevalier de Bourvis ist ein Held. Er hat im Namen der Kaiserin einen hohen Platz unter den Kommandeuren des Pilgerzuges eingenommen. In seinem Namen und durch seine Entscheidungen sind viele gestorben, doch noch mehr leben. Außerdem hat er ein ums andere Mal seine Treue, sein Pflichtgefühl und seine Ehre unter Beweis gestellt - die Geschichte über den Tod eines seiner besten Freunde kennst du. Heil Konar, Heil Jeldrik! Er hat zahlreiche Eide geschworen, und ich weiß von keinem, den er je gebrochen hat. Er hat Kriege, Fehden und Ehrenhändel überlebt, und das hat ihn hart gemacht. Ich glaube, er hat Antoine wie einen Sohn geliebt, selbst dann noch, als er die Wahrheit herausfand. Und obwohl er belogen wurde, seine Ehre befleckt wurde, hat er seinen Eid gehalten: er hat Lorainne als Ecuyère an seiner Seite gehalten, war für sie Vater, Mutter, Bruder und Freund. Und dann zwingt ihn die Ehre und der Stand dazu, sein Schwert gegen sie zu führen.
Wenn du ein solches Leben führst - voller Verantwortung, voller Pflichten, gebunden an Haus und Lehnsherr - und wenn du die schlechten, schweren Seiten dieses Lebens ein ums andere Mal gekostet hast, dann fällt es schwer, daran zu glauben, dass alles einmal gut wird. Der Herr Ritter spricht nicht so, damit du dich schlecht fühlst. Er spricht so, weil er möchte, dass wir stets wachsam sind. Stets vorbereitet. Niemals vergessen, was geschehen kann. Rechne mit dem Schlimmsten, und wenn Gutes geschieht, ist es umso schöner."
Nun wünschte sich Vanion, noch einen Schluck Oscronner bei der Hand zu haben. Das Zeug wurde von Mal zu Mal schmackhafter.
"Leonie und Rania - Priesterinnen der Lavinia - versprechen Heil. Sie versprechen Frieden, wo Krieg herrscht, Heilung, wo Schmerzen sind, und Glück, wo Unglück liegt. Sie entfachen Hoffnung, und ihnen blutet das Herz, wenn dieser kleine, helle, warme Funken, den sie in einem Herzen entflammt haben, wieder erlischt. Doch sollte dieser Funken überspringen, ein hoch schlagendes Leuchtfeuer entfachen, dann knien sie nieder und danken Lavinia. Sie sind Idealisten, sie glauben an das Gute und daran, dass es einem stets widerfahren kann.
Simon ist Realist. Er sieht die Bedrohungen, denen er und die seinen ausgesetzt sind. Er sieht lieber einen Feind zuviel als einen zu wenig."