Hier und dort: In Engonien und außerhalb des Kaiserreiches > Geschichten und Gespräche
Einwände
Vanion:
"Was auch immer. Die Entscheidung ist gefallen."
Unwirsch wandte Vanion sich ab.
"Mit den Konsequenzen müssen wir alle leben, nicht nur ich. Auch Lorainne. Du entschuldigst mich gewiss, ein Hof pflegt sich nicht von alleine."
Er verließ den Raum, ohne auch nur einen Blick zurück zu werfen. Stellas Bemühungen waren nur zu verständlich, aber ein totes Pferd konnte man nicht reiten.
Und Stellas Worte enthielten einen versteckten Vorwurf. Einen Vorwurf, den er auch sich selbst machte, doch hatte er genug zu tun und konnte solche Gedanken nicht brauchen.
Er hoffte nur, dass sie bei seiner Rückkehr nicht mehr anwesend wäre.
Sandra:
Damit sie einfach so stehen zu lassen hatte Vanion Stella mehr getroffen als ihm vielleicht klar war und Wut brandete in ihr auf über sein verächtliches Verhalten ihr gegenüber.
Die ganze Zeit hatte sie ihm zugehört, ihn nicht für sein Verhalten vorverurteilt und war daran interessiert gewesen zu verstehen.
Dass er sich wohl entschieden hatte und sie das erkannt und seine Gründe hingenommen hatte war jetzt keine drei Sätze her.
Ein "lass uns bitte nicht mehr davon sprechen" oder jede vergleichbare Aussage wäre für sie also vollkommen akzeptabel gewesen. Aber nicht sie einfach so dumm hier stehen zu lassen wie bestellt und nicht abgeholt.
Unbewusst ballte sie die Hand zu einer Faust und die Knöchel traten weiß hervor, ihr Blick verfinsterte sich augenblicklich als Vanion Anstalten machte, den Raum zu verlassen und jede Freundlichkeit, jedes Lächeln war restlos aus ihrem Gesicht und ihren Augen verschwunden und sie spürte ein leichtes Kribbeln auf der Haut.
Mit großen Schritten setzte sie ihm nach und hatte ihn schnell eingeholt. Mit einer Hand griff sie nach seinem Arm, packte ihn, drehte ihn zu sich und sah ihm mit eisigem Blick in die Augen, den Vanion von Stella so vermutlich noch nie gesehen hatte. "Wenn du meinst, dass das hier ab jetzt alles ist, was dich interessiert. Aber du hältst es nicht mal für nötig, mich anständig zu verabschieden? Deine Manieren hast du dann wohl gleich mit in Caldrien gelassen?!"
Mit diesen Worten ließ sie seinen Arm wieder los und funkelte ihn weiter an.
Vanion:
Als sie ihn an der Schulter packte, war sein erster Reflex gewesen, zuzuschlagen. Dann meldete sich sein Verstand wieder zu Wort und ließ ihn inne halten.
"Ich hab einfach genug Abschiede in der letzten Zeit gehabt. Yorik war auch hier, weißt du? Meine Tage mit euch allen sind vorbei. Ich hab immer gedacht, dass ich dazu bestimmt bin, ein Ritter zu werden, und das hat sich schlichtweg als falsch heraus gestellt. Die Götter haben mich geprüft, so wie sie Lorainne und Yorik und Anders und auch dich geprüft haben, und ich hab diese Prüfung nicht bestanden. Die Götter sind gnädig, mir eine wundervolle Familie gelassen zu haben. Da siehst du, wie wichtig Blutsbande sind."
Resigniert schüttelte er den Kopf.
"Lass uns ein paar Schritte gehen. Hier drinnen fällt mir grade die Decke auf den Kopf."
Zögerlich zwar, und immer noch sichtlich wütend, folgte Stella ihm nach draußen. Ohne viel zu reden schlug Vanion eine Richtung ein, die sie weiter weg von Fanada bringen würde. Ein Weg, der durch ein Wäldchen führte, in dem Vanion in seiner Kindheit oft Stöcke aufgehoben hatte und damit auf Büsche und Bäume eingedroschen hatte.
Irgendwann wurde die Stille unterbrochen.
"Du hast Recht, ich hätte dich nicht so behandeln sollen. Das hast du nicht verdient. Ich möchte einfach nicht an die Zeit erinnert werden, die zwar schrecklich und traurig war, aber auch voller Freude, Lachen und Frohsinn! An Lorainnes Seite hab ich das Leben so intensiv gespürt wie nirgends sonst. Ich war jemand, kein niemand. Nun bin ich wieder ein niemand. Zwar hab ich die ein oder andere Geschichte zu erzählen, aber es ist nicht die eines strahlenden Heldens.
Also. Ich bin gegangen, fortgelaufen. Ich hab mich von niemandem verabschiedet, und dabei möchte ich es auch belassen. Ich habe eine einzige Rechnung nicht beglichen. Silas gab sein Leben für mich und ich schwor, dass er das nicht umsonst getan hat. Hier bleibe ich nur solange, bis der Hof in guten Händen ist. Zwei meiner Schwestern heiraten, und sie und ihre Männer können bei der Arbeit wirklich helfen. Meine Tochter wächst und wächst, noch zwei, drei Jahre und sie kann in der Küche helfen. Lange wird es mich hier also nicht halten. Vielleicht verlasse ich Engonien und bereise die Welt. Es gibt überall Gelegenheiten, Gutes zu tun, für Schwache einzustehen und Silas' Andenken zu ehren."
Sandra:
Stumm war Stella Vanion hinaus gefolgt und neben ihm her gegangen und langsam legte sich auch ihre Wut wieder. Auch ihr tat es gut, wieder draußen zu sein, während sie bewusst atmete und ihm zuhörte.
Die Sonnenstrahlen fielen durch das Blätterdach des Waldes und malten Bilder aus Sonne und Schatten auf den Waldboden vor ihnen.
Zumindest wusste ich doch, dass es dich vermutlich nicht dauerhaft hier halten wird, was auch immer du danach vor hast..
Als er geendet hatte nickte sie bloß.
"Ich finde Erinnerungen wichtig. Sie helfen dabei, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, auch wenn wir die Richtung ändern und bewahren vor Fehlern genauso wie schöne Erinnerungen uns Mut und Kraft geben können.
Und was Abschiede angeht... Ich verstehe dein Problem nicht damit, sich alles Gute für die Zukunft zu wünschen und dass sich vielleicht die Wege noch einmal kreuzen werden. Genauso wie ich gerne immer mal wieder bei dir vorbei schaue, wenn ich in der Stadt bin, falls du das willst. Falls du aber unter alle Bekanntschaften und dein früheres Leben einen Strich ziehen willst, steige ich gleich am Hof einfach aufs Pferd und bin weg."
Vanion:
"Ich möchte keinen von euch missen. Aber ich kann Lorainne wohl kaum wieder unter die Augen treten, und ich glaube, auch andere sind enttäuscht von mir. Eine Entscheidung zu treffen heißt nicht, dass sie einem gefällt. Im Gegenteil."
In ihrem Blick schien eine Art Bestätigung zu liegen, als er sie genauer ansah. Hatte sie geahnt, dass er auf lange Sicht nicht vorhatte, auf dem Hof, der nun ihm gehörte, zu bleiben? Ein saurer Bäcker backt stets saures Brot, so etwas hatte auch Yorik gesagt. So oder so, Stella hatte Vanion mit der Nase auf einen Gedanken gestoßen, den er bisher nicht wirklich bedacht hatte: Roquefort und das Rittertum waren ihm verwehrt, diese Tür hatte er selbst zu geschlagen. Doch seine Freunde mochten seine Entscheidung vielleicht verstehen.
Im Grunde verurteilte Vanion sich hart dafür, Lorainne und auch Anders im Stich gelassen zu haben. Er hatte schlicht ein schlechtes Gewissen, obwohl er sich immer und immer wieder sagte, dass es die richtige, die einzig richtige Entscheidung gewesen war. Er war geflohen, und zwar dorthin, wo er stets Sicherheit hatte und wo niemand ihn hinterfragte: zu seiner Familie. Hier hatte er ein Ziel, einen Lebenssinn.
Vanion fürchtete den Zorn eines Damian, und noch mehr den eines Gorix', wenn dieser erfahren würde, wie leichtfertig Vanion Silas' Opfer beschmutzt hatte. Zwar hatte er vor, das Opfer des Mannes aus La Follye zu ehren, so gut er konnte, doch war Vanion sehr genau klar, dass Silas' sich kaum für ihn persönlich oder für irgendwelche obskuren Heldentaten in der Zukunft geopfert hatte - sondern für La Follye.
Ich wäre wahrhaftig für sie gestorben. Doch für sie töten, das konnte ich nicht.
"Ich möchte keinen Strich unter mein früheres Leben ziehen. Ich habe so vielen von euch so Vieles zu verdanken. Wir haben gemeinsam so viel erreicht in den letzten Jahren, nicht nur im Kleinen, auch im Großen! Darunter kann ich keinen Schlussstrich ziehen, selbst wenn ich wollte. Ich bin kein dämlicher Barde, der Freibeuter werden möchte, nein. Ich hab einfach Angst davor, dass ihr alle mich nun als Feigling anseht. Als jemanden, der seine Eide bricht."
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