Hier und dort: In Engonien und außerhalb des Kaiserreiches > Geschichten und Gespräche
Einwände
Sandra:
"Tja, das scheint wohl allgemein das Problem bei Rittern und Knappen zu sein - alle Eide zu halten erscheint mir bei euch manchmal unmöglich. Es gibt so viel Raum für Konflikte zwischen all euren Tugenden und Schwüren... Aber vielleicht liegt es auch daran, dass ich da keine Details mitbekomme. Aber wo wir schon bei Versprechen sind - ich dachte in Westmynd hattest du bei Silas' Tod noch etwas in der Richtung versprochen? Entschuldige die vielleicht etwas plumpe Frage, aber ich war nicht dabei..."
Sie strich sich eine Haarsträhne zurück hinters Ohr und sah Vanion direkt an.
"Ich kann verstehen, dass man keine Unschuldigen töten will, aber was für dich den großen Unterschied macht, ob es Familie ist oder nicht verstehe ich nicht... Zumindest, wenn es niemand ist, der einem nahe steht. Mir würde es viel schwerer fallen, aus irgendwelchen Gründen Waffen gegen meine Freunde zu richten als irgendeinen Onkel, den ich nicht mal kenne und der solche Dinge tut. Und seit wann wolltest du Savaric töten? Wenn es sich vermeiden lässt bin ich auch immer noch dafür, dass man ihn nicht tötet."
Vanion:
Wie sollte er Stella darlegen, weshalb er sich so entschieden hatte? Indem du einfach erzählst, wie du gefühlt hast, und immer noch fühlst. Wenn sie es nicht versteht, nun.. dann hast du wohl einen Freund weniger.
"Ich habe geschworen, dass Silas' Tod nicht umsonst war. Dass ich sein Opfer niemals vergessen werde, und versuchen werde, ein so guter Mann zu sein, wie ich nur kann, um ihn zu würdigen." Ein langes, bedrücktes Schweigen folgte diesen Worten. Vanion wusste nur zu gut, dass er Silas' Opfer nicht ehrte, indem er hier Felder beackerte und Vieh hin und her trieb. Aber welche Möglichkeiten hatte er nun noch? Doch Stella hatte noch einen weiteren Satz gesagt, und der war gewohntes Terrain. Er hatte sich so oft erklärt, gegenüber Ysander in Westmynd zuletzt. Die Worte kamen fast von selbst von seinen Lippen:
"Der Anspruch auf Roquefort, auf das Lehen, das momentan in Savarics Händen ist, kommt durch meine Geburt. Mein Stand kommt durch meine Geburt. Meine Rechte und meine Pflichten kommen durch meine Geburt. Alles, was einen caldrischen Ritter ausmacht, wird ihm in die Wiege gelegt. Als die Baronin von Goldbach mich kennenlernte, würdigte sie mich keines Blickes. Ich war ein tangaranischer Bauer, Schmutz an Lorainnes Rocksaum, aber als sie erfuhr, dass ich ein Roquefort war, da sprach sie mit mir. Ließ mir Kleider anfertigen, versorgte mich in ihrem Haus. Verstehst du? Jedes Recht und jedes Privileg meines Standes hab ich nur durch meine Geburt inne gehabt. Und wenn meine Geburt mir solche Rechte gibt, dann muss ich auch die Pflichten ernst nehmen. Dann sind die Verwandten des Mannes, der mich gezeugt hat, auch die meinen. Mit allen Rechten, die es mit sich bringt - und mit allen Pflichten. Savaric zu töten, im Grunde selbst nur gegen ihn zu arbeiten, wäre ein Verrat an meinem Blut. Es sei denn, er wäre verurteilt, gerichtet für das, was er getan hat. Doch am Ende ging es nicht mehr darum, Beweise für seine Schuld zu finden, oh nein. So richtig tat es das nie. Wie auch, wenn jemand über ein Jahr gefangen gehalten und gefoltert, seine Seele zersplittert und sein Körper zerschlagen wird? Genau das ist Lorainne geschehen durch Savarics Hand und durch seine Helfer."
Ein verbitterter Ausdruck trat auf Vanions Gesicht.
"Lorainne - sie war nicht irgendjemand für mich, nein. Sie war mein Vorbild, eine leuchtende Fackel der Ritterlichkeit! Doch je besser ich sie kennenlernte, je mehr Zeit ich mit ihr verbrachte - seit ihrer Entführung kannte sie kein Maß mehr. Sie tötete Alain, Silas' Bruder - er wollte fortlaufen im Forêt d'Artroux, er wollte niemandem folgen, der einen Roquefort als Knappen genommen hatte. In Reichsfeld folterte sie Gefangene. Savarics Tochter, Leah, ist seit Jahren in ihrer Hand. Ich weiß nicht, ob sie immer noch so denkt, doch sie sprach davon, die Tochter gegen den Vater einzusetzen. Kannst du dir das vorstellen? Und auf dem Fest der Grenzen, oben in Salmar, als dieser Kerl sie vergiftet hatte - sie verzieh ihm, weil sie Informationen brauchte. Und doch war Lorainne wie eine Mutter und eine Tochter für mich. Ich bin ihr gefolgt, hab keine ihrer Entscheidungen in Frage gestellt. Aber grade in den letzten Monaten sagte ich nur allzu oft: 'Es steht mir nicht zu, etwas in Frage zu stellen.' Ich versteckte mich hinter meinem Dasein als Knappe. In Salmar hat sie versucht, in den Ritualkreis einzudringen. Wer weiß, was das Anders..."
Anders. Mit Macht drängte Vanion seine Sorgen um sie beiseite. Sie hatte ein Talent, sich in Gefahr zu bringen, doch genauso hatte sie ein Talent, da wieder heraus zu kommen!
"Ich geriet ins Zweifeln. Ob es richtig war, Savaric zu töten, ob es richtig war, jedes Mittel dafür einzusetzen. Die Ideale, die mich überhaupt auf diesen Weg gebracht hatten, die waren allesamt beschmutzt. Mit Ehre und Gerechtigkeit hatte es nichts mehr zu tun. Nur noch mit Rache. Und so hab ich mich entschieden, nicht mehr weiter zu gehen. Ich konnte nur Lorainne in den Rücken fallen und für Savaric kämpfen - oder aber meinen Onkel umbringen, mein eigen Fleisch und Blut, dem ich zu Treue verpflichtet bin. Lorainne nicht zu verraten, gebot mir die Ehre, und Savaric zu schonen, die Geburt. Also was tun? Allein eine Lösung ist geblieben: dass ich gehe."
In diesen lapidaren letzten Worten lag eine Bitterkeit, die Bände sprach.
Sandra:
Stella war sichtlich schockiert von Vanions Vorwürfen gegen Lorainne, die gleich so zahlreich waren.
Sie schluckte schwer und atmete tief ein.
"Weißt du Vanion, wenn es so ist wie du sagst... Kann ich dich verstehen... Und kann es gleichzeitig nicht. Blut macht dich vielleicht zu einem Ritter - aber es ändert nichts daran, wer du in deinem Innersten bist. Alles was den Adel an einem Ritter interessiert mag dir deine Geburt geben - nicht das, was du daraus machst. Die Tugenden bekommst du nicht durch deine Geburt. Und du hast es auch ohne die Bekanntheit deiner Herkunft weit gebracht - als Sohn eines Bauern.
Ich kann verstehen, dass du nicht weiterhin damit argumentieren konntest, dass es dir nicht zusteht, etwas dazu zu sagen. Und ich kann verstehen, dass du Skrupel hast, ihn zu töten. Aber als ich dich in Westmynd habe verzweifelt um sie weinen sehen - wie kann dir da egal sein, was sie tut? Du sagst, es sei nicht deine Verantwortung oder deine Schuld. Nein, für die Taten wird sie selbst verantwortlich sein und ich weiß selbst noch nicht, was der richtige Umgang mit Savaric wäre. Was die Sache mit dem Herz dafür bedeutet. Darüber zermartere ich mir selbst schon seit einiger Zeit den Kopf. Was wäre, wenn Lorainne der Blutdurst übermannt - ob es richtig oder falsch wäre, sich in den Weg zu stellen.
Aber ich finde als eine der Personen, die ihr am nächsten stand hättest du nicht einfach gehen sollen. Du solltest derjenige sein, der ihr sagt, dass sie zu weit geht. Und ich finde, das ist deine Verantwortung.
Du sagst immer, es stand dir nicht zu, etwas zu sagen. Ja, so wie ich Schülerin bin und auf das höre, was Gorix sagt so folgst du dem, was Lorainne sagt. Das ist erst mal auch unsere Aufgabe, immerhin lernen wir von ihnen. Aber gleichzeitig habt ihr eine enge Verbindung zueinander, etwas wie Meister und Schüler unter Magiern würde ich sagen, und das ist etwas besonderes. Man verbringt sehr viel Zeit miteinander, viele private, gar intime Momente und man lernt den anderen sehr gut kennen."
Sie war zwar noch nicht Gorix' Schülerin, aber das war ihre Vorstellung einer solchen Beziehung wenn sie so an ihr Umfeld dachte und was sie so über Ritter und ihre Knappen gehört hatte.
"Und in dieser Position passen sie üblicherweise auf uns auf und stellen sich schützend vor uns. Aber es gibt Momente, da müssen auch wir auf sie aufpassen. Und ich habe den Eindruck, das solltest du bei Lorainne gerade tun.
Ich kann mir vorstellen, dass das nicht einfach ist und dass es schwierig ist, dass sie dir zuhört. Aber ich finde, du solltest es immer wieder versuchen und zur Not müsstest du derjenige sein, der sie davon abhält ihn zu töten. Derjenige sein, der sie auch sonst an ihren Schwur erinnert, wenn du den Eindruck hast, dass sie vom Weg abkommt nach allem, was sie durchgemacht hat. Sie daran erinnert, dass sie besser ist als er und sich deshalb nicht zu solchem Handeln hinreißen lässt. Zumindest, wenn die Situation eine Festnahme zulassen sollte. Ich glaube, sie braucht dich jetzt mehr denn je."
Vanion:
Stellas letzte Worte trafen Vanion tief. Es tat ihm in der Seele weh, jedes einzelne Wort brannte wie ein glühendes Eisen in seinen Eingeweiden. Ohne es zu wissen, hatte die Magierin sehr genau getroffen.
"Aber so war es doch!", stieß er hervor, plötzlich laut. "Genau so war es! Ich lernte, sie lehrte, und doch hab ich sie genauso beschützt wie sie mich! Auf dem verfluchten Schützenturnier meines Onkels, wo wir alle fast gestorben wären, da rannte sie wie wild los, um Silas zu schützen. Sie brüllte mir, selbst verwundet und blutbespritzt, zu, Silas in Sicherheit zu bringen, und wider alle meine Instinkte hab ich Silas gepackt und fortgezerrt. Ich sah sie fallen, weiter vorn, und wurde selbst niedergestreckt! Ich wusste genau, für mich und für Silas und für viele andere würde sie alles geben. Sie HAT alles gegeben! So wie jeder von uns für sie! Ich dachte, ich würde dieser Frau folgen, und wenn es meinen Tod bedeutete. Wenn es Folter bedeutete. Ich dachte, ich würde jeden Preis für sie zahlen."
Aber weil du einen Verbrecher, einen Folterknecht, Mörder und Szivarspaktierer nicht töten willst, hast du sie verraten. Es klang hohl, so unendlich hohl und leer. Stellas Worte nagten an ihm wie Ratten an einer Leiche. Als ob sie ihn vor Gericht stellen würde. Niemals tut sie das! Sie hat nichts gegen ihn in der Hand, und wenn er freigesprochen würde.. nein! Vanion war felsenfest davon überzeugt, dass Lorainne nicht das geringste Risiko eingehen würde, dass sein Onkel mit heiler Haut davon kam.
"Ich bin fortgelaufen. Nennen wir's beim Namen. Ich hab den Schwanz zwischen die Beine geklemmt und bin gerannt."
Er spie diese Sätze aus mit einer Bitterkeit, wie Stella sie noch nie gehört hatte.
"Ich musste mich entscheiden und hab diese Entscheidung lange und immer wieder herausgezögert. Selbst wenn es eine falsche Entscheidung war und ich zurück wollen würde - ich hab jedes Recht auf einen Platz in Lorainnes Reihen verwirkt. Ich hab Eide geschworen und gebrochen. Silas hat sein Leben für mich gegeben, und ich spucke durch mein Verhalten auf dieses Opfer. Und doch kann ich nicht anders handeln, als ich es getan habe!"
Er versuchte, es zurück zu halten. Er wollte nicht weinen, wollte nicht schwach und selbstmitleidig erscheinen. Doch in ihm steckten nach wie vor die Ideale, die er stets versucht hatte, hoch zu halten. Sein Ehrgefühl verbot ihm, hier ein friedliches Leben zu führen. Seine Loyalität ließ ihn hoffen und beten, dass Lorainne und den ihren kein Leid geschehen würde. Doch vor allem warf er sich selbst vor, feige gehandelt zu haben. Immer wieder rief er sich ins Bewusstsein, dass es richtig gewesen war, zu gehen! Wie konnte er Ritter sein, wenn er seinen Onkel tötete? Alles, alles hatte er aufgegeben, um das Leben eines Mannes zu schonen, den er nie kennengelernt hatte. Eine einzelne Träne rann über seine Wange. Mit einer abrupten Bewegung wischte er sie weg.
"Es gibt keinen Weg zurück. In dem Moment, als ich mich entschied, zu gehen, war es vorbei. Der einzige Weg, der für mich nach Caldrien führt, ist der an die Seite Savarics. Nur so würde ich meinen Platz als Roquefort einnehmen. Und auf dieses Vermächtnis spucke ich, dreifach."
Sandra:
"Dass du diese Wahl überhaupt in den Mund nimmst... " Ihre Stimme klang resignierend, traurig und dennoch nahm sie ihn in den Arm. Er schien so hin und her gerissen mit seinen Gefühlen, nicht glücklich über seine Entscheidung aber dennoch davon überzeugt.
"Aber wenn es tatsächlich Beweise irgendwo für deine Abstammung gäbe - warum hättest du dann nur Ansprüche an Savarics Seite? Mal angenommen, Lorainne hat Erfolg und dieser Mann wird wirklich vor Gericht gestellt.
Es klingt allerdings eh so, als könnte man dich nicht umstimmen - dafür bin ich allerdings auch gar nicht hier. Das müsste eh von dir kommen. Ich kann nur Fragen stellen und dich ggf. zum Nachdenken bringen. Und mir deine Sicht erzählen lassen. Dennoch denke ich, dass du besser mit ihr geredet hättest statt einfach nur wortlos zu verschwinden."
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