Nur einmal hatte man sie nach Vanion gefragt.
„Er ist fort“, hatte sie geantwortet und ihr Blick hatte Bände gesprochen.
Sie war nicht wütend oder verbittert. Nur tief verletzt. Selbst die Geschehnisse in der Höhle schienen plötzlich nicht mehr so schmerzhaft im Lichte seiner Entscheidung. Er war ihre Familie gewesen, ihr Spiegel.
Er hatte ihr so nahe gestanden, wie kein anderer.
Anders Worte in Westmynd fielen ihr wieder ein:“Wenn ich Dein Licht bin, also Deine Hoffnung, und Benjen Dein Herz. Dann muss Vanion Deine Treue sein, bei dem, was er für Dich getan hat.“
„Er ist meine Seele“, war ihre Entgegenung gewesen.
Und es stimmte. Seitdem er fort war, war sie ein Schatten ihrer selbst geworden. Sie schien sich kaum von der Frau zu unterscheiden, die man im Foret fand, nachdem man sie entführt und gequält hatte.
Doch verstand sie ihn. Er konnte nicht gegen seine Familie kämpfen, gegen sein Blut in die Schlacht ziehen. Er war nicht wie sie. Oder Simon.
Tief in ihrem Inneren fragte sie sich, was wäre, wenn sich der Sturm, der sich über Marnois und Blanchefleur zusammenbraute, entladen würde. Würde sie gegen ihren Onkel in die Schlacht ziehen, gebunden an einen Lehnsherrn, der sie mit ihrem ärgsten Feind vermählen wollte?
Oder würde sie sich auf die Seite ihrer Familie stellen, die sie im Geheimen unterstützt hatte, als ihr Vater des Verrats beschuldigt wurde.
Mit einem Kopfschütteln riss sie sich aus den Gedanken, sie würde sich ja doch nur im Kreis drehen. Zudem hatte sie wichtigere Probleme, denen sie sich zuwenden musste.
Sie spürte einen schmerzhaften Stich, als sie an seien Blick dachte. Trauer, Verzweiflung, Schmerz. Und dieses stumme Flehen.
Sie war selbst erschrocken gewesen, wie kalt sie ihm begegnen konnte.
Sie spürte seine Blicke, voller Sorge, und wich ihm aus.
Sein Vorwurf, dass ihre Rache wichtiger war als alles andere.
Und tags darauf hatte Vanion sie verlassen, weil er nicht gegen seinen Onkel kämpfen wollte.
War ihr die Rache so wichtig? Lorainne musste den Gedanken verneinen. Sie hatte tatsächlich, Vanions wegen, nicht vorgehabt, Savaric zu töten. Doch sie würde Beweise finden und ihn vor ein Gericht bringen. Damit Vanion sein Erbe antreten könnte.
Auf das er nun verzichtet hatte.
Endlich hatten sie das Gasthaus, in dem sie die Äxte treffen wollten, erreicht.
Lorainne schwang sich vom Pferd und drückte die Zügel einem Knecht in die Hand.
Es war noch ein Tag bis Donnerheim, wenn das Wetter hielt. Von Dort aus würden sie der großen Reichsstraße folgen, die einen zurück nach Firngard in den Wald, die anderen nach Engonia und Lorainne würde mit Mina, Tankred und Anders weiter reisen. Vermutlich erstmal nach Donnerheim, denn Fanada und Jelena kamen nicht mehr in Frage. Denn in Fanada war Vanion.
Lorainne klopfte sich den Staub ab und betrat das Gasthaus. Ihr Blick glitt über den rustikalen Raum hinweg, ein Feuer brannte, über dem ein dampfender Topf hing. Die Fenster waren weit geöffnet und ließen die noch warme Abendluft herein.
Ulrics hochgewachsene Gestalt war kaum zu übersehen und neben ihm die Großaxt Branwin. Tatsächlich stahl sich ein herzliche Lächeln in ihr Gesicht, als sie auf sie zuschritt.
„Bonsoir, mes amis.“