Ein Abend im Labor...
Der Tag war Ereignisreich. Die Vorbereitungen für das große Fest zu Ehren des Gottes Manto, dem Schutzpatron der Schattenwall, liefen bereits seit einigen Tagen auf hochtouren. Wie jedes Jahr wurden Räumlichkeiten hergerichtet und es sollte ein Fest abgehalten werden. Die meisten Mitglieder der Schattenwall waren guter Stimmung. Selbst Magister Flammbart schien weniger grumpig als er es sonst war. Doch zeitgleich mussten die letzten Prüfungen für die Abgänger vorbereitet werden und die "normale" Arbeit konnte ja nicht liegen bleiben. Als er nach einem ganzen Tag der Vorbereitungen der Alchemieprüfungen in seinem Labor am Schreibtisch saß, seine Pfeife rauchte und einige alte Unterlagen sortierte fiel ihm ein Brief in die Finger, den er vor einer gefühlten Ewigkeit erhalten hatte. Die Schrift war sauber und gründlich und er musste schmunzeln als er an die Person zurückdachte, die ihm diesen Brief hatte zukommen lassen.
Eine fleißige Schülerin
dachte Flammbart bei sich. Zugleich stach ihm der Gedanke ein wenig im Herzen. Er konnte das Gefühl nicht einordnen. Es war mehr als eine Verbundenheit im wissenschaftlichen Interesse, mehr als ein einfaches Vermissen. Ein inneres Band, was ihn scheinbar in seinem Herzen mit ihr verknüpfte und das doch so unwichtig in seinem Kopf verblasst. Er fühlte eine innere Zerrissenheit aufkommen, eine seelisch starke Diskrepanz, die ihm zu schaffen machte, vielleicht sogar die stärkste seit seinem wiedererwachen. Er fühlte eine innere Wärme und gleichzeitig fröstelte es ihn vor Schuldgefühlen. Er musste den Brief beiseite legen und massierte sich die Nasenwurzel gegen den aufkommenden schmerz in seinem Schädel.
Er erhob sich und begann in gewohnter Manier nachdenklich auf- und abzulaufen. Die Erinnerungen waren so zwiespältig und nagten an ihm.
Dann kam ihm ein Gedanke. Er zog einen relativ jungen Wälzer aus dem Regal seiner Privatsammlung. Das Buch mit dem Titel "Animismus und Animantie" hatte er sich zur Recherche angeschafft als sein kleines Seelenproblem noch einer Lösung bedurfte und er hatte eine Meditation zur Seelenreise darin gesehen, welche ihm vielleicht zu einer selbstfindung führen konnte.
Geschickt zog er schnell die nötigen Schutzkreise auf dem Boden und lies sich im Schneidersitz darin nieder.
Er begann mit der inneren Leerung seiner Gedanken und der üblichen Meditation, die an der Schattenwall gelehrt wurde. Anschließend begann er sich auf seine Körperliche Mitte zu konzentrieren und verlagerte diese aus sich und seinem Körper heraus, projezierte sich selbst in den Astralraum hinein und darüber hinaus. Als er seine "Augen" öffnete bot sich ihm ein interessanter, neuer Anblick.
Ähnlich wie bei einer Sphärischen Astralsicht sah er vor sich nun allerdings die Ausprägungen des Menschlichen seins. Seine Sicht zeigte ihm Schemen von Studierenden und Magistern, Angestellten und beseelten Artefakten und... sich selbst. Er konnte seinen Körper beziehungsweise das darin enthaltene Bewusstsein von außen betrachten. ein komisches Gefühl. Er lies seinen Blick schweifen.
Die Schattenwall war hervorragend geschützt gegen Magische Einflüsse und der Magisch versiegelte Stein wirkte auf seine Sicht ein, jedoch waren leuchtende Flecken zu sehen, wo die Kraft der Seelen durch die Wände strahlte. Ein faszinierendes Spiel aus Farben und Formen. Näheres zu den einzelnen Personen und ihrem Bewusstsein lies sich sicher erst sagen, wenn sie im gleichen Raum wären.
Was jedoch gerade seine eigene Aufmerksamkeit weitaus mehr faszinierte, war sein eigenes Bewusstsein. Alsob man dem flirren der Sonnenhitze auf einer Steinplatte zusehen würde, konnte seine Sicht an den Rändern das Bewusstsein nicht genau ausmachen. Offenbar ein Effekt, den sein vermischtes und verworrenes Bewusstsein hervorrief. Egal wie sehr er versuchte sich zu fokussieren, er konnte sein eigenes Bewusstsein nicht genau erfassen.
Schnell ermüdete sein Geist und so kehrte der Magister in seinen Körper zurück. Es war eine ungewohnte Art der Magieanwendung und sie zehrte an den Kräften. Dennoch war es eine lehrreiche Übung gewesen.
Er eilte zurück zum Schreibtisch um seine Erfahrungen zu notieren, als es plötzlich an der Türe klopfte. Flammbart zog verärgert die Augenbrauen zusammen. Er erwartete keinen Besuch und wollte eigentlich jetzt nicht gestört werden.
Was ist denn?
Polterte er genervt. Die Tür wurde geöffnet. Eine Scolaria steckte etwas ängstlich ob der genervten Stimme den Kopf zur Tür herein.
Magister, ich soll euch vom Komitee für die Feierlichkeit fragen, ob Ihr bereits einen Fördergast ausgewählt habt, den Ihr zu unseren Feierlichkeiten einladen wollt oder ob wir wieder jemanden für euch auswählen sollen, wie es die letzten Jahre der Fall war.
Flammbart rollte mit den Augen.
Immer kommen die mit so unwichtigem Blödsinn, wenn man gerade etwas wichtiges zu tun hat.
Er setzte bereits zu einer Erwiederung an, um die Scolaria dazu aufzufordern den nächstbesten Bauern einzuladen, als sein Blick erneut auf den Brief mit der guten Handschrift fiel. Ein spitzbübisches Lächeln huschte über sein Gesicht. Er wusste nun, warum er in sich so zerrissen war und er was nun zu tun ist. Er hatte einer Person, die einem Teil seiner selbst sehr wichtig war weh getan und sie stark verstört mit seinem Wissen. Er sollte ihr im Sinne des Ausgleichs zeigen, dass er und die Schattenwall mehr zu bieten haben, als die dunklen Schatten, dass auch wir Licht und Heilung bringen konnten. So wie es im Sinne Mantos ist, dem Herrn über die Magie, die Erschaffung und die Zerstörung, dem Gott des Schicksals.
Kommt herein Scolaria und nehmt euch Federkiel und Tinte. Wir werden euch einen Brief diktieren. Diesen werdet ihr auf schnellstem Wege an die Ayd'Owl nach Engonien bringen lassen!
Mit dem ersten Morgengrauen wurde ein Bote mit der als "Eilig" gekennzeichneten Post nach Engonien entsandt.