Die Gebiete in Caldrien > Das Caldrische Imperium
Winter 266, in einem Gasthaus nahe Voranenburg
Vanion:
Einige Meilen vor Voranenburg kreuzten sich zwei der größten Straßen dieser Gegend hier. Es war nur natürlich, dass an dieser Kreuzung irgendwann ein Gasthaus errichtet worden war, um Reisende unterzubringen. Mit der Zeit war dieses Gasthaus um einige Gebäude gewachsen, bis man fast schon von einem kleinen Gehöft sprechen konnte. Drei solide, zweistöckige Gebäude bildeten ein zur Kreuzung hin offenes 'U', und der ermüdete Reisende konnte direkt von der Straße aus über einen fest gepflasterten Weg in den Innenhof gelangen.
Dort waren auch Vanion und Damian angelangt und hatten sich entschieden, Rast zu machen. Die Reise war beschwerlich gewesen, vor allem zu dieser Jahreszeit. Nun saß der ehemalige Knappe in seiner Kammer und begutachtete seine Bardike. Sie war erneut voller Kerben, das Holz an mehreren Stellen gesplittert.
Es mag an der Zeit sein, die Waffe zu wechseln. Traurig begutachtete Vanion die schwere Axt näher. Eine der Nieten, die den Axtkopf mit dem Holzstab sicherte, war locker. Die Schneide, so oft geschliffen, wirkte abgenutzt und stumpf. Das Holz des Stiels war trocken und spröde. So viele Kämpfe hatte er gefochten. Jahrelang war die Bardike eine verlässliche, gute Waffe gewesen, zwar aus Holz, aber doch stabil.
Aber am Ende war diese Bardike das Handwerkszeug eines Knechts, keines - ja, was war er nun eigentlich? Kein Ritter. Aber bemüht, ritterlich zu handeln. Kein Söldner. Und doch in der Begleitung eines Höhergestellten. Kein Bauer. Und doch - nein, definitiv kein Bauer. Was war von Vanion übrig geblieben, nachdem er die Ritterwürde aufgegeben hatte? Nachdem er seine Geburt aufgegeben hatte?
Sein altes Leben als Knappe war beendet. Das Leben davor, das Bauernleben, ebenfalls. Beide Lektionen waren auf ihre Art hart gewesen, aber beide Lektionen hatte er verstanden. Nun galt es also, seinen Platz in der Welt zu finden. Damian würde ihm helfen, Entscheidungen zu treffen. Herauszufinden, was richtig, was falsch war.
Nüchtern stellte Vanion fest, dass seine idealistischen Auffassungen der Rittertugenden nach wie vor seinen moralischen Kompass bildeten. Er hatte es sich einfach machen wollen: mochte er auch kein Ritter werden, so würde er doch die Tugenden befolgen und damit zumindest im Inneren ritterlich sein. Die anderen Ritter, so hatte er gedacht, die Ritter durch Geburt, die ihre Lehnseide schworen, die waren keine wahren Ritter. Doch dann war er Yezariel wieder begegnet.
'Ich habe meine weltlichen Besitztümer, meine Titel, aufgegeben, Vanion! Um das wahre Rittertum zu erreichen!'
Vorwurfsvoll hatte Yezariel diese Worte gesprochen. Und doch hatte er Vanion, der ihn enttäuscht hatte, die Chance gegeben, sich einem Kampf zu stellen, seine Rechtschaffenheit zu beweisen. Yezariel hatte ihm eine zweite Chance gegeben. Dagegen stand das Wort der Dame von Goldbach. Isabeau würde mich hängen, sollte ich auch nur einen Fuß nach Goldbach hinein setzen.
So viele Hoffnungen waren enttäuscht, so viele Hoffnungen waren erfüllt worden. Vanion hatte an Vielem seinen Anteil gehabt, im Guten wie im Schlechten. Damians Absolution und der ehrenhafte Kampf, den Vanion im Winter ausgefochten hatte, hatten seinen inneren Frieden wiederhergestellt. Einzig die Tatsache, dass er seinen Onkel umgebracht hatte, machte ihm zu schaffen. Seit Monaten hatte er kein Wort mehr an Lavinia gerichtet, aus Angst und Scham. Sein Glaube hatte ihm stets geholfen, schwere Zeiten zu überstehen, doch würde Lavinia ihn wohl kaum loben für das, was in den letzten Monaten geschehen war. Und so schwieg er, sprach nicht zu ihr.
Ein Ruf riss den ehemaligen Knappen aus seinen Gedanken. "Es ist angerichtet!" Ein Lächeln glitt über seine Lippen, und rasch stand er auf und ging nach unten, in den Speiseraum. Neugierig schaute er sich um, ob Damian schon dort war.
Jeremias:
Damian saß bereits an einem der Tische und sprach mit Lothar gerade eine der Heiligengeschichten durch. Er winkte Vanion freundlich zu und fuhr dann weiter in der Erklärung fort.
"Wenn man also den Kontext betrachtet, ist diese relativ simple Geschichte doch erstaunlich mehrschichtig. Kelos' Handeln ist natürlich die Ermahnung an den alamargetreuen Kämpfer. Setz dich dazu, Vanion! Aber gleichzeitig ist es auch ein Versprechen an seine Gefährten: Vertraue ihm und er wird sich vor euch stellen. Und es ist ein Hinweis an das übrige Volk: Auch wenn ihr euch nicht immer alamargerecht verhalten habt, so werden Seine Recken immer zwischen euch und dem Dunklen Feind stehen. Und letztlich noch das Versprechen an die eigenen Streiter: Befolgt ihr die Gebote, dann wird Alamar euch Kraft schenken.
Und das findet man auch in den übrigen Kelosgeschichten..."
Damian wurde von dem Essen unterbrochen, das jetzt aufgetischt wurde. "Ah, das können wir auch später machen. Vanion, wenn du so freundlich wärest, das Brot zu brechen?"
Vanion:
"Gewiss doch."
Vanion sprach ein kurzes Tischgebet, dann reichte er den Brotkorb herum.
"Kelos? Was für eine Geschichte ist das?"
Skynex:
"Eine von vielen, Kelos wird öfter erwähnt. Geboren als Sohn des Herzogs von Hanekamp war er ursprünglich nicht so alamargefällige, wie er heute geachtet wird. Ein eitler Geck, der die Vorzüge seines Lebens genoß, bis er vor eine Wahl gestellt wurde und sich dann Alamar zuwandte.
Mittlerweile gehört er zu den bekanntesten Heiligen Alamars, er hat auch Halia getroffen, quasi gerettet aus ihrer düsteren Welt und berufen, auch in Alamars Namen zu leben. Ich mag Halia, auch wenn Kelos mich oft an mich selbst erinnert. Das Heiligenzeug natürlich ausgenommen, nicht jeder ist stolz auf seine vergangenen Taten, oder hat genug gutes getan, um dies vergolten zu haben."
*stopft sich Brot zwischen die Zähne und füllt den Teller*
Vanion:
"Also warst du ein leichtlebiger Sohn eines Adligen, bevor du dein Noviziat begonnen hast?" Vanions Grinsen nahm die Schärfe aus seinen Worten. Er war neugierig auf Lothar. "Woher kommst du eigentlich? Ich erinnere mich an ein Gespräch mit dir in Brega, du trugst dort bereits den Sonnenanhänger um den Hals. Du bist Jeldrike, nicht wahr? Dem Pilgerzug bist du also ferngeblieben?"
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