Langsam neigte sich der Sommer dem Ende zu. Das Getreide stand gold gelb und wartete nur darauf von vielen, vielen Händen eingesammelt zu werden. Wie Ameisen würden die Menschen aus ihren Häusern kommen und alles abschneiden, dreschen und was man sonst noch damit machte. Die meisten Feldblumen strahlten noch einmal in den letzten wirklich warmen Tagen die Naduria in ihrer guten Laune über dem Land verteilte.
Die Karren und Wagen auf der Straße waren meist mit gut gelaunten Menschen gefüllt und den Erträgen ihrer Felder. Oder eben leer wenn sie gerade von eine Markt kamen. Gegen Abend sah man die Bauern mit dem Werkzeug über der Schulter heimkehren.
Für die Vogelkinder war es eine spannende Zeit. Sie waren jetzt flügge und konnten frei entscheiden wo sie hingehen wollten. Ihr Zwitschern erfüllte die Luft, vor allem in den frühen Morgenstunden.
Auf der breiten, von aber tausenden Füßen fest getretenen Straße zockelte langsam ein kleines, leicht rundliches Pferd entlang. Das alleine wäre nichts außergewöhnliches Gewesen, allerdings hatte sich jemand sehr viel Mühe gegeben seine Mähne mit vielen bunten Bändern, Federn und Zöpfchen zu verzieren. Auch im Schweif konnte man die ein oder andere geflochtene Strähne finden. Die Fesseln waren staubig und beim Gehen kaute es gemütlich auf einem Büschel Gras herum. Wenn das Pferd schon Blicke auf sich zog, so tat es die Reiterin erst recht. Sie saß breitbeinig, aber falsch herum auf dem Rücken des Pferdes und hatte ihren Oberkörper auf dem starken Hals abgelegt. Hinter dem Sattel konnte man ein Schlafbündel ausmachen, so wie eine Reisetasche. Die Reiterin ihrerseits trug eine Hose aus rotem und grünem Stoff, die ihr an den oberen Beinabschnitten viel zu groß zu sein schien und dann in einem paar abgewetzter Lederstiefel verschwand. Dazu trug sie ein einfaches, aber kurz ärmliches weißes Hemd und um den Bauch ein Mieder aus Leder auf dem große verschiedenfarbige Sterne prangten. Diese passten übrigens sehr gut zu dem Hut der auf dem Kopf des Ponys platziert worden war. Um die Taille hatte sie einen dicken Gürtel mit einigen Taschen gebunden, aber wenn man genau hinsah konnte man auch ein paar Dolche sehen. Das Haar trug sie halb offen, halb geflochten und hin und wieder tauchten die Spitzen Ohren unter der lockigen blonden Mähne auf. Über dem Gürtel trug sie eine bunte Weste auf deren rechter Seite ein grünes Wappen angebracht war welches eine weiße Diestel darauf hatte.
Auch um den Hals konnte man bei genauerem Hinsehen einen Metallenen Anhänger mit dem selben Wappen entdecken. Die eine Hand hinter dem Kopf verschränkt und in der anderen einen fast ganz gegessenen Apfel betrachtete die Kenderin den Himmel.
Anders hatte freillich nicht ihre ganze Reise verkehrt herum auf Springers Rücken verbracht. Aber vor einiger Zeit war sie an einer Wagenkollone vorbei gekommen und hatte sich umgedreht um den Kindern darauf zu winken und mit ihnen um die Wette Fratzen zu schneiden. Und jetzt beobachtete sie eine Gruppe Kraniche die laut schreiend am Himmel entlang schwebte. Anders dachte nach. Im Vergleich zum letzten Jahr, war dieses doch sehr sehr ruhig und auch sehr angenehm gewesen. Bis auf ein zwei Ausnahmen hatte niemand versucht sie oder ihre Freunde umzubringen und bisher war auch keiner Gestorben. Ganz im Gegenteil. Viele ihrer Freunde schienen dieses Jahr genutzt zu haben um zu wachsen oder sich anders weitig die Zeit zu vertreiben. Anders hatte oft an den ein oder anderen gedacht und auch wenn sie manche schon lange nicht mehr gesehen hatte so hatte sie am Rande doch mit bekommen, dass es allen die ihr am Herzen lagen gut ging. Anderen falls wäre sie jetzt bei ihnen und nicht auf dem Weg nach La Follye.
Sie hoffte, dass sich bald eine Gelegenheit bekam alle wieder zu sehen. Nur mit Geistern sollte es am besten nichts zu tun haben. Oder mit in einem Teich ertrunkenen Frauen. Oder mit Glöckchen. Nein das waren wirklich keine fröhlichen Anlässe um sich über den Weg zu laufen.
Das mit La Follye war sowieso eine merkwürdige Sache gewesen. Natürlich hatte sie immer wieder an das Gut gedacht, aber wirklich viel Platz hatte es bis vor ein paar Tagen nicht in ihrem Kopf gehabt. Und dann hatte sie vor einigen Nächten diesen Traum gehabt. Sie hatte von La Follye geträumt, von einer großen Eiche über einigen Steinhaufen, von den Ställen und Fulk. Sie hatte von der großen Halle geträumt, nur ohne blutige Hochzeit und Glöckchen. Und als sie aufgewacht war hatte sie beschlossen nach La Follye zurück zu kehren. Es war sowieso eine gute Sache so sagte sie sich. Wenn sie es schon bewachen sollte, sollte sie es auch richtig kennen lernen. Abgesehen davon war Fulk recht als und würde sich sicher über Hilfe freuen. Und auch die anderen Menschen auf La Follye sollten sie ruhig kennen lernen. Doch bevor sie sich auf den Weg nach La Follye gemacht hatte sie Lorainne aufgespürt. Das war nicht wirklich schwer. Als Ordensritterin fiel sie den meisten auf. So hatte sie auch noch einmal die kleine gesehen. Irgendwie hatte sie dabei das Gefühl beschlichen, dass es vielleicht eines Tages ihre Aufgabe sein würde diese kleine Maus nach Hause zu bringen. Ein merkwürdiges Gefühl.
Sie hatte sich viel mit Lorainne unterhallten. Diese war natürlich nicht begeistert gewesen, dass sie einen großteil des Sommers in Valkenstein in Galorias Zirkel verbracht hatte, aber Anders hatte ihr versichert nichts über La Follye erzählt zu haben. Schließlich hatte ihr die Ritterin einen Brief für Fulk mitgegeben den Anders jetzt nah an ihrem Herzen trug.
Springer streunte vom Weg ab und wollte lieber grasen, aber die Kenderin korrigierte ihn mit einem sanften Schenkeldruck. Mit einem prüfenden Blick auf den Himmel und in die Umgebung setzte sie sich auf. Es war nicht mehr weit. Geschickt schwang sie ein Bein auf Springers Seite und eines über seinen Hals um sich wieder richtig herum auf seinen Rücken zu setzen. Dann beugte sie sich vor und nahm ihren Hut von seinem Kopf. Er stand ihm gut, aber ihr stand er definitiv besser. Sie klopfte ihm ein paar mal den Hals und beugte sich zu seinem Ohr vor. "Na mein Dickerchen. Glaubst du wir schaffen ein bisschen schneller? Es ist nicht mehr weit. Ja? Und heute Abend kriegst du von mir ein bisschen Hafer und die letzte Möhre."
Springer wieherte als ob er sie verstanden hätte. Das tat er oft. Anders war davon überzeugt das ihr treuer Reisegefährte alles verstand was sie sagte. Die beiden schlugen einen leichten Trab an, soweit wie es mit dem Gepäck eben ging und zogen eine leichte Staubspur hinter sich her.
Gegen Abend erreichten sie das Gut. Das Tor stand offen da viele von den Feldern und anderen Aufgaben zurück nach Hause wollten und Anders und Springe fädelten sich geschickt durch den kleinen Strom. Ein paar der Leute die sie sahen runzelten die Stirn, flüsterten. Einige schienen sich an sie zu erinnern zumindest nickten sie ihr zu. Im Hof herrschte geschäftiges Treiben. Anders sprang aus dem Sattel und führte Springer zur nächsten Tränke. Sie nahm ihm Geschirr und Gepäck ab. Das würde er jetzt erstmal nicht mehr brauchen.
Sie fragte sich ob der Bote hier angekommen war den sie mit einer kurzen Nachricht an Fulk losgeschickt hatte. Sie hatte ihm im Tausch für seinen Dienst dein hübsches Armband aus Muscheln gegeben. Wahrscheinlich hatte er eine Freundin oder so. Noch während sie Springers Hals tätschelte und sich bei ihm für die lange Reise bedankte hörte sie hinter sich ein leises Räuspern.
"Sie mal einer an was der Wind und hier herein geweht hat."
Ein breites Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Kenders aus und sie drehte sich zum alten Waffenmeister La Follyes um. Mit den Worten: "Hallo Fulk, da bin ich wieder." umarmte sie ihn lang und fest. Ein paar Vögel flogen über das Gut und Springer stampfte mit den Füßen auf den Hof wo sich die Menschen auf die Nacht vorbereiteten.
>>Vielleicht kann La Follye dein Zuhause werden.<<, hatte Lorainne einmal gesagt und jetzt gerade fand Anders das sie damit sogar recht haben könnte.