Autor Thema: In Engonia und Brega  (Gelesen 5265 mal)

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Offline Jeremias

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In Engonia und Brega
« am: 29. Okt 16, 11:33 »
Zur Einstimmung etwas zum Alamarschrein:

Seufzend blickte Damian durch das Fernrohr, dass er vor vielen Jahren von Algonkin geschenkt bekommen hatte, auf den verwüsteten Säulenschrein. Näher wollte er eigentlich nicht heranreiten, auch die drei gerüsteten Soldschwerter schauten unruhig auf das Niemandsland zwischen Tangara und Hanekamp. Sogar Vanion, der ja eigentlich nach vielen Kriegsjahren abgebrüht sein sollte, schien das Land sehr genau ins Auge zu fassen. Vielleicht auch wegen seiner eigenen Erinnerungen. Dort, auf dem Schlachtfeld vor Ahrnburg, hatte der Herzog einen Schrein aufgestellt, zu Ehren Alamars und des Friedens. Damals war Damian noch ein gern gesehener Gast und hatte der Zeremonie beigewohnt. Aber das Verhältnis war abgekühlt. Er hatte extra ein Fischerboot von Engonia nach Brega genommen, als er von dem nächtlichen Überfall gehört hatte. Durch Hanekamp wollte und konnte er im Moment nicht reisen.
Er zog die Augenbrauen zusammen und drehte sich zu den Söldnern. "Also gut. Wir müssen dorthin, die Aussagen des Bauern waren zu lückenhaft. Da ich befürchte, dass jemand, der einen Schrein angreift, auch mich angreift, zählt das als gefährliche Mission und ihr erhaltet den entsprechenden Sold. Vanion, wenn wir dort sind, nimm mein Fernrohr und beobachte die Gegend."
Damian sprach kurz einige Schutzgebete und lockerte seine gesegnete Klinge.

Eine Stunde später waren sie am Schrein angelangt. Während die drei Söldner die Gegend im Auge behielten, stieg Damian vom Pferd. Sein Fernrohr gab er Vanion, der sofort gewissenhaft die Umgebung absuchte und dann fing Damian an, sich umzuschauen. Er war kein Waldläufer, aber er erkannte die Kampfesspuren vor Ort. Offenbar hatte ein wilder Mob das Tor eingerissen und die Anwesenden überrascht. Er fand einige wenige Leichen, alles Bauern aus der Umgebung. Ihre Wunden deuteten auf wilde Schläge hin, nicht auf Soldaten. Mehr konnte Damian aufgrund des Verwesungszustandes nicht sagen. Der Säulenschrein war eigentlich eine offene Fläche, mit nur drei Gebäuden: Einem Haus für den Flamen, einer Gästeunterkunft und dem eigentlichen Schrein, eine dachlose Steinkonstruktion um die Säule herum, auf der das uralte Sonnenszepter ausgestellt war.
Damian schaute sich um und betrachtete die ausgebrannten Hüllen der beiden Häuser. Dann lenkte er seinen Blick wieder auf den Schrein, der unbeschädigt schien. Als er sich ihm näherte, sah er aber, dass das Szepter verschwunden war.

Auch nach längerer Suche fand Damian im Hof weder Reste der Angreifer noch die Leiche von Flamen Julius. Wer auch immer hierfür verantwortlich war, hatte gründlich aufgeräumt und seine Spuren gut verwischt. Der Säulenschrein selber schien in Ruhe gelassen worden zu sein, aber der Diebstahl der Reliquie hatte den Schrein trotzdem entweiht. Langsam schritt Damian durch den kleinen Schrein und strich mit den Fingern über das rauhe Gestein der Opferstätte. Hier hatte man ihn vergangenes Jahr geheilt, nach der Verletzung in Westmynd. Altes, getrocknetes Blut war in der Rinne zu sehen, Blut von den geopferten Tieren zu Ehren des Sonnengottes. Als er sich vor der Säule hinkniete, um zu beten, fiel sein Blick auf einen abgerissenen Fetzen Stoffes. Damian nahm den Fetzen in die Hand und drehte ihn langsam. Kein Fetzen, sondern eine Armbinde, aus weißem und gelben Stoff. Leise murmelte er vor sich hin: "Die einzige Spur, die ich hier gefunden habe."
Er richtete sich wieder auf und überlegte gerade, ein Segensgebet zu sprechen, als er einen Warnruf von Vanion hörte. Schnellen Schrittes eilte Damian zum Pferd und blickte durch das Fernrohr in Richtung des ausgestreckten Zeigefingers. Aus Richtung Barebury kommend sah er mehrere Pferde, bestimmt ein knappes Dutzend, weißgekleidete Gestalten drauf sitzend.
"Alles gut. Die sind weit genug weg und ich bin hier fertig. Wir gehen." Damian wusste genau, dass in Barebury keine Freunde mehr saßen. Lothar hatte es ihm auch schon bestätigt, aber der letzte Sargnagel war, als Flamen Magnus Henus nach seinen vielen Jahren Dienst endlich zu Alamar ging und er es erst über den Tempel in Engonia erfuhr. Als sie gen Brega galoppierten, weg von dem traurigem Überrest des Säulenschreins, kochte Damian innerlich. Wenn er nicht Feuerschlag vor ein paar Jahren hätte gehen lassen... Aber nein, Blutvergießen auf den Stufen eines Tempels wollte er nicht.

Nach einer Übernachtung in Brega zahlte er die drei Söldner aus, besuchte die morgendliche Andacht im Breganer Alamartempel, wo er einst zum Flamen Magnus ernannt wurde und bestieg dann das Fischerboot, dass ihn zurück nach Engonia bringen sollte. Als das Boot langsam ablegte, schaute er mit nostalgischen Gefühlen auf Brega, die Stadt, vor deren Toren einst die Götter selbst Konars Ende verlangten. Er schaute kurz zu Vanion, der ebenfalls viele Erinnerungen mit Brega verband und legte ihm die Hand auf die Schulter. "Vanion, schau dir Brega an. Die Wunden des Krieges sind verheilt. Mit der Götter Hilfe heilen letztlich alle Wunden, ob bei Städten oder Menschen."

Zurück in Engonia, eine Stadt, die von einer Hauptstadt zum neutralen Grund für alle Parteien geworden war, traf er sich mit Leonie, die ihm aufgeregt von den Problemen in der Nähe eines Laviniaspitals erzählte. Merkwürdige Geschichten von Gespenstern und eine sichtbare Präsenz der Inquisition waren eine explosive Mischung. Dummerweise war es in Hanekamp, wo er nichts tun konnte, ohne seinen Vater in eine schwierige Position zu bringen. Aber wenn Leonie, als Priesterin Lavinias, eine Expedition dorthin schicken würde... Er schaute seine geliebte Gefährtin an: "Lass uns einen Aufruf starten. Briefe an unsere Freunde und Verbündeten, öffentliche Aufrufe, all das. Du wirst sie offiziell schicken und ich nutze meine Kontakte hier in Engonia, um die ganze Sache zu unterstützen."


Drei Wochen später beobachteten die beiden, wie ein langer Heerzug sich Richtung Spital aufmachte. Schweren Herzens hatten sie ihre engsten Freunde mitziehen lassen, nicht ohne dass Leonie ihnen Ärger anzudrohte, wenn sie nicht lebend zurückkämen. Sie hatten gelacht und gescherzt, wie so oft. Aber Damian kam nicht umhin, die dunklen Wolken zu sehen, die sich im Westen auftürmten...