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Das Exil - Drakonias Reise in den Mittellanden

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Drakonia Noximera:
Auf dem Weg von Tessamar zurück in die Mittellande,
267 n.J
Tessamar war hinter ihr. Sie konnte sich nicht zwingen, ihren Blick nach hinter zu wenden. Sie wollte vor Wut schreien, aber Stimme hatte sie keine mehr. Sie wollte etwas zerbrechen, aber ihre Hände bluteten schon von den mehreren Schlägen in zufälligen Bäumen. Sie hätte auch weinen wollen, hätte sie nicht vor einigen Monaten für sich gesehen dass Tränen keine Gnade von Menschen oder Göttern erzeugen konnten.

Sie hatte wieder versagt. Schlimmer noch – die Hammerburger, das Imperium, alle in Krusk hatten ihre Taten gefeiert, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass sie in der einen Sache, in der sie nicht versagen durfte, versagt hatte.

”Nein, ich lasse Euch nicht sterben, Drakonia!“

Hatte er auch nicht. Sie ihn aber schon. Kaan, der Heiler, der ihr das Leben gerettet hatte, der Trauzeuge von ihrer Hochzeit, ein guter Freund von Arkatosh, war tot. Vergiftet, nachdem sie ihm versprochen hatte, seine Leibwache für die Zeit in Krusk zu sein, und dann irgendwann eingeschlafen war. Sie konnte es sich nicht verzeihen.

Und das war nicht mal das schlimmste. Von Tessamar war sie direkt zu Sukhara, einem kleinen Dorf in den Mittellanden geritten, weil ihr gesagt wurde, da gäbe es vielleicht Arbeit für sie. Sie stand jetzt in den Ruinen von diesem Dorf. Leichen lagen überall, Blut und Asche hatten die Erde bedeckt. Sie war zu spät gekommen.

Es war schon Sonnenuntergang. Langsam, mit leeren Augen, ging sie zu den Resten einer zufälligen kleinen Leiche. Höchstwahrscheinlich ein Kind. Sie kniete nieder und schaute sich die Leiche an. Die Wunden sprachen definitiv von Typ 2, Stufe zwischen 2 und 4 – ein Dämon mit eigenem Körper und Stärke, vermutlich auch die Form eines Wildtiers. Einen Werwolf schloss sie aus, da es kein Vollmond war. Plötzlich sah sie etwas Kleines, Weißes in einer der Wunde, das nicht da sein sollte und zog es mit dem Handschuh raus. Ein Zahn. Sie sah es genauer an und seufzte. Jetzt hatte sie eine Ahnung, was das Viech sein konnte.

Sie stand auf und ging richtungslos zwischen die Leichen rum. Zu viele. Sie spürte keine Präsenz von etwas lebendiges – kein Dorfbewohner, auch kein Tier. Um genauer zu sein, hatte sie auch keine Tiere in der Gegend gesehen oder gehört - der Dämon musste noch hier sein, aber seine Präsenz konnte sie viel zu schwach und sanft spüren. Er war schon weit in den Wald, auch wenn nicht zu weit. Aber schon weit genug, um ihr entkommen zu können, wenn sie sich nicht beeilte. Sie wusste, dass sie wenige Stunden hatte, um ihn aufzuhalten, bevor er das nächste Dorf erreichte. Sie ließ ihren Pferd dort, wo er stand, und lief in die Richtung, in die die Spur vom Dämon ging, aber ein kleines Geräusch vom Pferd ließ sie sich umdrehen um das Tier anzuschauen. Es wirkte irgendwie traurig und ein bisschen erschrocken. Sie warf ihm einen beruhigenden Blick.

Dann erinnerte sie sich plötzlich, dass ihre Hand im Faust geballt war und schaute bewundert das kleine, weiße Dingchen, was sie immer noch in der Hand hatte, an. Ein Dämonenzahn, den sie von der Wunde eines toten Kindes rausgezogen hatte. Eine Erinnerung daran, dass sie nicht immer alle retten konnte. Sie ballte ihre Hand wieder im Faust.

“Ich werde dich finden und du wirst leiden.“, sprach sie leise an das Viech, das sich im Moment irgendwo weit im Wald befand. Dann warf sie einen letzten Blick auf das Dorf und verschwand in den Wald.

In Travien hatte Cai, der ehemalige Reisegefährte von Arkatosh, gesagt, dass sie schnell sogar für ihre Art war, aber nicht mal er hatte sie nachts im Wald gesehen. Das war einer der Gründe, warum sie für ihre Aufträge passend war – Dinge nachts durch den Wald zu verfolgen war nichts Wildes für sie. Und um ehrlich zu sein, war das ihr beliebtester Teil von der Verfolgung. Es gab ihr ein Gefühl von Freiheit und Kontrolle über ihren eigenen Körper, die ihr wenige andere Dinge gaben.

Die Sonne sollte jetzt fast vom Himmel verschwunden sein – durch die Äste sah sie nur noch Teile von brennenden Wolken und Schatten. Je näher die Nacht, desto stärker war die Spur vom Dämon – nicht, dass das Viech nah genug dran war, sondern als würden seine Kräfte mit der Dunkelheit wachsen. Und irgendwann spürte Drakonia auch was anderes, eine andere Spur. Aber es war kein zweiter Dämon. Es war ein zweiter Jäger.

Sie hielt nicht auf, um auf ihn zu warten oder suchen. Wenn er gut genug war, dass die Zusammenarbeit sich lohnen würde, würde er das Viech selber finden und sie würden sich eh nah am Ziel treffen, und wenn nicht, dann würde sie eben keiner bei der Arbeit stören. Aber je deutlicher seine Spur wurde, desto entsetzter wurde sie und desto mehr sie sich auf diese Präsenz fokussierte. Es war definitiv kein Magier, das konnte sie auf jeden Fall erkennen. Etwas wildes und mächtiges konnte sie aber spüren, etwas altes, etwas bekanntes.

Das letzte Licht war weg vom Himmel, als sie den Dämon endlich mal hörte. Weniger als eine Sekunde Zeit hatte sie, um aus dem Weg zu springen, damit sie nicht in seinen Krallen endete. Sie fiel auf dem Boden, rollte schnell zur Seite und stand schnellstmöglich wieder auf, zog ihr Schwert und sah den Dämon an. Er stand etwa zwanzig Schritte von ihr entfernt, zu ihr gewendet und bereit, wieder anzugreifen. Er sah wie eine Mischung zwischen Mensch und Tier, mit dunklem Fell bedeckt und mit Krallen, die länger und schärfer waren als ihre Dolche. Seine Augen brannten in der Nacht. Kein magisch begabtes Wesen, zum Glück, aber nicht weniger gefährlich. Sein Maul breitete sich in einem gruseligen Grinsen.

Das war der Anfang des besten Teiles für sie - er Moment, als sich Jäger und Dämon trafen. Denn jetzt war es Jäger gegen Jäger, und wer als erster ein Fehler machte, würde zu Beute werden. Drakonia grinste nicht weniger grausam. Sie war eine Mörderin und sie genoss das Gefühl, diese Wesen zu töten. Einmal hatten sie ihr Leben zerstört, sie zu Sklavin gemacht, sie gezwungen, zuzuschauen, während sie ihren Körper zu ihrer Waffe gemacht hatten. Jetzt hatte sie die Kontrolle.

Der Dämon war mit einem Sprung bei ihr und ihr Schwert war schon da, um seine Krallen zu treffen. Er schlug mit dem anderen Arm zu, aber die Elfe war schon weg von seinem Weg und griff ihn von der Seite an. Trotzdem war sie um einen Teil der Sekunde zu langsam und eine der Krallen ließ eine tiefe Spur in ihre Schulter. Sie schrie und schlug mit reiner Hass mit dem Schwert zu, wurde aber von einem Schlag zum Boden geworfen, wobei sie schwer auf der Seite fiel.

Der nächste Schlag des Dämons hätte sicherlich ihre Kehle getroffen, wäre er nicht von einem anderen Schwert getroffen. Drakonia, die endlich mal wieder Luft geholt hatte und schon aufstand, sah endlich mal den anderen Jäger, den sie seit einiger Zeit in der Nähe gespürt hatte. Und der Blick machte ihr in dem Moment mehr Angst, als jeder Dämon je würde. Es war derselbe Krieger, der sie in der gestellten Situation in Rabennest und in ihrem Traum verfolgt hatte. Nur statt ein Speer hatte er ein Schwert in der Hand. Jetzt war er verdammt echt und sie fürchtete, dass der Dämon gerade das kleinere Problem war.

Sie war nicht die schlechteste Jägerin, die gegen Dämonen gekämpft hatte. Sie kannte auch viel bessere Jäger als sich. Aber sie hatte bisher nie so einen gesehen. Er war definitiv nicht der beste Schwertkämpfer, den sie gesehen hatte, aber er schien jede Bewegung vom Dämon zu kennen, noch bevor der Dämon etwas unternommen hatte. Jetzt, wenn sie das Viech von der Seite beobachten konnte, merkte sie, wie elegant und schnell es eigentlich war. Sie hatte vor sich zwei Kämpfer, jeder davon genau täuglich, um den anderen zu beseitigen. Den Zweitkampf würden wenige Leute als schön bezeichnen, aber sie konnte so was einschätzen. Es war sehenswert.

Da ihre Schulter zu viel wehtat, nahm sie ihr Schwert mit der anderen Arm, merkte aber, dass sie bei dem Blutverlust geschwächt war. Sie schob die Waffe zurück in die Schwertscheide und sammelte ihre Kraft für einen Eisball. Verfehlen durfte sie nicht, denn Zeit für einen zweiten würde sie keine haben, wenn sie den Dämon nicht treffen würde. Ob der Zauber aber wirklich was genützt hatte, erfuhr sie nie – in dem Moment, als sie den Dämon traf, stach das Schwert vom anderen Jäger ins Herz des Wesens und es schrie laut zum letzten Mal, bevor es stumm war. Drakonia schimpfte und setzte sich zurück auf der Erde. Der Jäger zog das Schwert von dem Körper raus und der Dämon fiel tot zur Seite. Sein Körper begann sofort, zu Asche zu werden.

”Hättest etwa durchdachter handeln können.“, sagte der Mann ruhig. Seine Stimme klang zu ihrer Überraschung in keinem Fall feindlich oder bedrohlich, sogar etwa… Freundlich?

”Verpiss dich.“

”Und etwa kritikfähiger sein.“ Er ließ seine Waffe auf dem Boden und kam langsam ein Schritt näher, dann nahm er die Kapuze endlich ab. Es war der älteste Elf, den Drakonia je gesehen hatte. Sein Gesicht war zwar unveraltet, aber in seinen Augen konnte sie die ruhigen Flammen, die Trauer und die Geduld von tausenden Jahren sehen. Er war blass, mit langen, dunkelgrauen Haaren. Sein Gesichtsausdruck wirkte irgendwie beruhigend.

”Ich kann mir deine Wunde anschauen, wenn du nichts dagegen hast.“

Sie nickte mit ihren Zähnen stark zusammengequetscht. Nicht nur wegen dem Schmerz, sondern auch aus Wut – sie hatte auch dieses Mal ein Fehler gemacht und wäre er nicht da, wäre sie höchstvermutlich tot. Sie ließ eine Kugel aus magischem Licht über sie leuchten. Der Elf kniete neben ihr und fing vorsichtig an, die Wunde mit Wasser und Alkohol zu reinigen. Drakonia wunderte sich wie lange ihre Zähne noch aushalten würden, bevor sie brechen. Sie ließ den Schmerz aber nicht sichtbar auf ihrem Gesicht werden.

”Was war dieses Viech eigentlich?“ fragte sie stattdessen.

”Ein Knochentänzer. Lästige Viecher.“

”Und wer bist du, zum Teufel? Warum hast du mich verfolgt?“

”Mein Name ist Kaztan Sa‘alda. Sei geduldig, alles wird dir erklärt, aber erstmals würde ich gerne weg von diesem Wald gehen.“

Er lächelte freundlich. Sie sah ihn sauer an, konnte aber nichts anderes tun, als sich wie ein Kind fühlen. Sie war in der letzten Zeit zwar gewachsen und definitiv kein Kind mehr, aber für einen so alten Elf wären sogar ihr Großvater und Magister Halsir Kinder. Dann hörte sie ein ruhiges Geräusch und sah ihren hellgrauen Pferd, der gerade vom Waldpfad kam. Kaztan nickte als Zusage, dass er das Tier auf dem Weg gewiesen hatte und half ihr, aufzustehen.

Drakonia Noximera:


Sie erinnerte sich an fast nichts von der nächsten Stunden, als dass die beiden dann zum nächsten Dorf geritten waren. Kaztan sollte sie in das Zimmer gebracht haben, wo sie am nächsten (oder übernächsten?) Tag erwachte. Anscheinend hatte ihr jemand irgendwelche Tränke gegeben, weil sie keine Schmerzen in der Schulter hatte, sich dafür aber wie besoffen fühlte. Als sie versuchte, aufzustehen, merkte sie, dass die Wunde jetzt gereinigt und verbunden war und sie ihren Arm kaum bewegen konnte. Nach einigen Minuten schaffte sie es endlich, sich auf dem Bett zu setzen. Das Zimmer war klein, aber sauber und gemütlich. Durch das offene Fenster kamen die frische Luft und das sanfte Licht eines Frühlingnachmittags. Drakonia sah sich um, fand aber keinen anderen im Zimmer, Schon fing sie an, sich zu wundern, ob sie alles im Traum gesehen hatte, dann sah sie den alten, gerissenen dunklen Umhang mit dem Widderschädelwappen auf dem Stuhl neben ihrem Bett. Kaztan hatte sie also wirklich vom Tod gerettet, hierhin gebracht und war vermutlich die ganze Zeit neben ihr geblieben, um sicher zu stellen, dass sie die Nacht überlebt. Und sollte immer noch in der Nähe sein.

Sie stand vorsichtig auf, lenkte sich an ihrem Stab, der für sie neben dem Bett gelassen war, und ging langsam draußen. Dort stellte sie fest, sie war auf der zweiten Etage der Taverne, wo die ein paar kleinen Gästezimmer waren. Als sie runter ging, war die Taverne noch leer, nur die Wirtin ordnete die Becher und Tassen auf den Regalen hinter der Theke. Als sie Drakonia sah, erkannte die Elfe für einige Sekunden Angst in ihren Augen, dann brachte sich die Frau unter Kontrolle, lächelte – auch wenn etwa gezwungen – und nickte freundlich. Die Dorfbewohner sollten erfahren haben, was die Jäger gemacht hatten, aber die Angst vor den Elfen konnten sie nicht so einfach überwinden und Drakonia hatte Verständnis dafür. Sie nickte der Frau zurück und ging nach draußen.

Sie fand Kaztan etwa weiter im Hof – er saß unter einem Baum und schien zu dösen, allerdings merkte sie, als sie näher kam, dass er komplett wach war und in ihre Richtung schaute. Auf dem Boden neben ihm lagen sein Schwert, einen Langdolch und ein kleines Messer, aber andere Waffen merkte sie nicht. Er schien nicht so viele Waffen mit sich zu tragen wie sie, trotzdem hatte man das Gefühl, dass er bereiter für Kampf war als sie. Der Elf nickte ihr zu, dass sie sich setzen soll, und sie machte das widerstandslos. Im Licht des Tages konnte sie ihn besser anschauen. Irgendwie kombinierte er problemlos den Auftritt eines Dämonenjägers mit der Ausstrahlung eines Elfen. Seine Kleidung war alt, aber sauber und sie merkte sofort wieder den Wappen auf der graublauen Tunika und noch einmal am Ärmel des Gambesons. Was sie erstaunte war aber sein Gesicht. Es war blasser, als sie gedacht hatte, und sie war nicht sicher, ob das gesund war. Da er aber im Moment gesünder als sie schien, dachte sie, es könnte wegen seiner Art sein – soweit sie von seiner Präsenz in der Astralebene einschätzen konnte, sollte er ein Frostelf sein.
”Ich hoffe es geht dir um einiges besser. Gut. Du hast etwas Blut verloren. Knochentänzer hinterlassen Wunden, die sich nicht von selbst schließen. Da ich auch keinen magischen Heiler gefunden habe, sollen die alchemistischen tränke helfen und du musst einige Zeit die Nähte erdulden.“

”Danke für Eure Hilfe.“

”Nicht dafür.“ er gab ihr ein kleines Gegenstand und als sie es anschaute, sah sie überrascht den Dämonenzahn. ”Ist von dir im Wald gefallen. Ich dachte, du würdest es wieder haben wollen.“

”Wofür denn? Um ein winziges Messer draus zu bauen? Heh.“

Für ihre Überraschung, lächelte er. ”Ich wollte dir eine Schülerstelle anbieten. Und wenn du den Zahn als Trophäe nimmst, hast du deine erste Prüfung in der Lehre bei mir bestanden. Ordus Varaga verlangt ja von jedem Jäger, dass er eine Trophäe von einem Dämon immer bei sich trägt. Eine Voraussetzung aber – muss aus der Wunde eines Opfers rausgezogen werden, dass du nicht retten konntest.“ Er nahm eine Kette von seinem Hals, die sie die ganze Zeit nicht gemerkt hatte. Es war ein Teil einer zerbrochenen Kralle und eine kleine Haarperle aus Messing. ”Habe ich seit langer Zeit. Vermutlich länger, als deine Urgroßväter gelebt haben. Ich war damals noch sehr jung und habe lange Zeit gebraucht, um mir verzeihen zu können, dass ich jenes Opfer nicht gerettet habe. Ich habe es seitdem immer an der Kette getragen, so dass es mich ersticht, wenn ich nicht aufpasse. Und jedes Mal, wenn ich auf der Jagd bin, erinnert es mich, dass ich scheitern kann und dass es schlimmeres gibt als meinen verletzten Stolz, und nämlich – Opfer. Jeder von uns muss so eine Trophäe tragen wenn er die wichtigste Lektion gelernt hat – dass wir nicht alle retten können.“

”Wer hat gesagt, dass ich überhaupt Eure Schülerin werden möchte?“

Der Elf schaute sie lange in die Augen, bevor er wieder sprach. ”Du bist zu nichts gezwungen. Ich lade dich zu Ordus Varaga ein. Ob du annimmst, ist deine Entscheidung.“

”Warum soll ich annehmen? Ich passe zu keiner Gruppierung, hat sich festgestellt. Am Ende schmeißt ihr mich raus, wenn ich zu unbequem für eure Ziele werde, oder ich verlasse euch selbst, weil ich keine Befehle folgen will.“

”Sehr wahrscheinlich wirst du dein ganzes Leben ein Einzelkämpfer bleiben, wenn du von vergangenen Situationen ausgehst bei allem, was du machst. Irgendwann musst du auch anderen Lebewesen wieder vertrauen. Ich biete dir vielleicht genau das, was dir andere angeboten haben, an, ohne garantieren zu können, dass es anders sein wird – eine neue Familie aus Leuten, die alles verloren haben und jetzt nur noch einander haben. Traditionen haben wir, klar, aber unsere Regel sind eher einfach – uns gibt es, damit andere nicht zu Opfern von Dämonen werden müssen, wir opfern was wir haben, damit andere das nicht tun müssen, wir beschützen wen Schutz braucht, sind zu unseren Leuten bis zum Tod loyal und wir nehmen jeden, der zu uns passt, in unseren Reihen auf. Wenn du lieber alleine arbeiten möchtest, lasse ich dich das tun, wenn du klare Strukturen bevorzugst, setze ich dich in einer Armee ein und du wächst an deine Taten. Ich kann dir nur ein Ding versprechen – egal was passiert, du wirst nicht alleine gelassen.“

”Das klingt irgendwie zu gut. Ich habe den Namen Ordus Varaga vor einiger Zeit irgendwo gelesen, aber viel erinnere ich mich nicht daran. Ihr scheint nicht besonders bekannt zu sein, wenigstens in den Gebieten, wo ich tätig bin.“

”Nein, sind wir nicht. Um ehrlich zu sein, sind wir derzeit nicht so bekannt wie wir waren, was daran liegt, dass wir viel weniger Leute haben. Vor etwa vier Jahrhunderten sind die meisten von uns im Krieg gefallen. Wir haben uns danach zurückgezogen. Wenig sind wir heute, aber die Welt ist nicht weniger düster geworden als damals… Und langsam wird es auch Zeit, dass ich mein Orden wieder versammle.“

Drakonia lachte kurz und unlustig. ”Bei der heutigen Konkurrenz?“

”Konkurrenz gibt es bei einem Geschäft“, sagte er ruhig. ”Für uns sind andere Sachen wichtiger. Es ist kein Beruf, den wir machen, weil wir nichts Besseres zu tun haben. Von uns ist keiner Jäger geworden, weil wir kein anderes Leben kennen. Wir haben ein anderes gekannt, und es wurde uns entnommen.“

”Wenn die Frage nicht zu wie geht… Warum habt Ihr Euch zu diesem Leben entschieden?“

Drakonia merkte, wie Melancholie in seine Stimme reinkrabbelte. ”Wegen eines Verlustes, der mir alle andere Perspektiven entnommen hat. Ob du mir glaubst, ich war einmal auch ein Kind, das richtungslos durch das Leben gewandert ist. Mein Dorf wurde zerstört, meine Familie geschlachtet, ich war derzeit im Wald und bin zu spät zurückgekommen… Und was hätte ein Kind eh tun können. Ich bin eines Tages aufgewacht, um zu sehen, dass das Land, das ich kannte, kein Zuhause mehr war. Das ganze Leben verbrannt, alle Hoffnung verloren. Und in jener Asche habe ich die ersten Schritte auf meinem Weg gemacht. Jeder von uns hat seine Gründe, sich für dieses Leben zu entscheiden. Ich habe meine, du hast deine; aber im Endeffekt, was wir gemeinsam haben, ist das wir alle unser Leben zu Asche zerstört gesehen haben, und wir sind aufgestanden, um unsere Rache nachzustreben. Und dennoch, Rache ist selten was wir als unser Leuchtfeuer erkennen, eher ist es der Winsch, dass unsere Erlebnisse nie zum lebenden Alptraum für andere werden.

Eine einsame Reise, unser Weg, denn diese, die an unsere Seite zu gehen wagen, selten realisieren, dass wir bereits auf der verlierenden Seite in diesem Krieg stehen. Wir sind diejenigen, die den Tod grüßen, damit er keine andere mitnimmt. Wir sind diejenigen, die in der Nacht kämpfen, damit alle andere ihre Welt nicht zu Asche gebrannt finden, wenn sie am Morgen ihre Augen aufmachen.

Und wenn wir gefallen sind, dann soll die Welt unsere Namen vergessen. Keiner soll glauben, dass unser Weg ein Weg von Helden ist. Ein Weg der Ehre, sicherlich… Aber wir sind nicht besser als die Dinger, die wir jagen. Wir haben bloß die andere Seite gewählt.“

Sie sah wie für einige Sekunden grausame Flammen in seinen dunklen Augen tanzten. Sie glaubte, von diesen Flammen mehr über ihn erfahren zu haben, als von dem ganzen Gespräch. Und das war der Moment, als sie ihre Entscheidung traf.

”Und wofür steht der Wappen?“

”Genau wie wir keine gemeinsame Schwur haben, haben wir auch keine gemeinsame Erklärung des Wappens, denn jeder von uns soll seine Werte selbst legen und ihnen folgen. Ich kann dir nur sagen, wie ich den Wappen sehe und was ich geschworen habe. Du wirst allerdings einen anderen Schwur ablegen und kannst beliebige Werte im Wappen sehen.“ Als sie nickte, redete er weiter. ”Der Widder lebt im höhen Gebirge, wo wenige Tiere je wagen zu gehen. Aber nicht nur lebt er – er springt von Rock zu Rock mit einer jahrelang ausgearbeiteten Perfektion, mit dem klaren Bewusstsein, dass der kleinste Fehler ihn nach unten zu seinem Tod werfen wird. Aber es ist kein Widderkopf, was auf dem Wappen steht, es ist ein Schädel. Rate mal selbst, welches Wert ich erkenne.“

”Perfektion?“

”Demut.“

Er schwieg und für einige Minuten blieben die beiden ruhig. Drakonia dachte an die Leute, die ihr diesen Weg gezeigt hatten – Redannter in Ferumgard und später die Schattenwäller. Der Mann, der vor ihr stand, war etwas anderes als diese Leute. Tausende Jahre hatte er seinem Weg gefolgt. Er kannte nicht nur seine eigene Stärken und Schwächen, sondern auch diese von seinen Untergeordneten und seinen Gegnern. Er hatte sich die Leute für seinen Orden ausgesucht, hatte hunderte Jäger ausgebildet, sie in Krieg und Frieden geleitet; er wusste wann Stolz angebracht war und wann nicht, denn sein größtes Wert war die Demut. Kaztan war ein Anführer. Und ohne dass er ihr das sagte, wusste sie, was er in ihr sah – eine junge und unerfahrene Jägerin, die gerade am Anfang ihres Weges war, keine andere Zukunft für sich erkannte und daher ein passendes Mitglied für seinen Orden.

”Ich habe geschworen, nie wieder die Waffe für jemanden anderen zu sein.“

”Ich brauche keine Waffen. Eine Waffe kann keine Verantwortung für die Taten ihres Trägers übernehmen. Ich brauche eine Person, der die Verantwortung bewusst ist.“

”Wolltet Ihr mir nicht Eure Schwur nennen?“

Kaztan lächelte kurz, irgendwie traurig. ”Ich habe meine Seite gewählt.“


”Und ich soll meine Seite auch wählen?“ Der Elf nickte.
”Dann nehme ich Eure Einladung an.“

Ende Teil 4

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