8. Tag des 6. Monats im Jahre 267 n. Jeldrik
Laut läuteten die Glocken der Burg, die Glöckner mühten sich um die Melodie und Schweiß sammelte sich über ihren Augenbrauen. Heute sollte ein Freudentag sein und es wäre ein schlechtes Omen, wenn die Glocken falsche Töne über die Stadt geschickt hätten. Aber die Götter lächelten hinab und während die goldenen Strahlen der aufgehenden Sonne ganz Voranenburg in ein warmes Licht tauchten, erklang die feierliche Melodie der bronzenen Körper in jeder Straße und weckte die Menschen.
Im Alamartempel fingen die geschickt platzierten Glaskörper die morgendliche Sonne ein und tauchten den Altar in ein helles Licht. Leonie und Damian standen in Hochzeitskleidern gekleidet, er in goldener und grüner Livree, über und über bestickt mit kleinen Sonnen, sie in einem mit Rosen und Kirschblüten verzierten hellblauen Kleid, vor dem Opferstein und hatten die Köpfe gesenkt. Der alte Priester, der Vorsteher des örtlichen Tempels, dessen Haare schneeweiß leuchteten, sprach mit kräftiger Stimme den Morgengruß um dann das Paar vor ihm zu segnen. Die goldenen Funken, die seine Hände bei der Segensgeste umspielten, sprach für alle zu sehen von dem Wohlwollen der Götter. Hinter den beiden standen die Gäste, bis an die Wände war der große Tempel mit Menschen vollgepackt. Caldrischer Adel, Tangarianische Patrizier, Edle aus fernen Ländern standen dort, im Festtagsgewand angetan. Vorneweg standen die Familien der beiden Brautleute, die kleine Familie Talen hinter Leonie und die gräfliche Familie hinter Damian.
Die letzten Worte verklangen, Worte, die den Segen Alamars für diese gerechte Verbindung herabbeschwörten und ein vielstimmiges „Alamar, erhöre mich“ erklang im Tempel. Die großen Türen öffneten sich und begleitet von einer Prozession von Gästen verließen Leonie und Damian langsam und gemessenen Schrittes den Tempel. Ihr Trauzeuge Vanion blieb noch kurz zurück und setzte seine Unterschrift unter das Ehedokument, dann eilte er der Gesellschaft hinterher und begab sich hinter das Brautpaar. Draußen erwartete sie eine inzwischen gewachsene Menschenmenge, die den beiden zujubelten. Gesäumt durch eine Reihe Gardisten schritten sie langsam auf den großen, im sanften Blau des Himmels und dem zarten Rosa der Kirschblüten gehaltenen Tempel Lavinias. Die Mutter der Menschen und Schirmherrin der Liebenden sollte ihre Verbindung besiegeln, denn Liebe und nicht Pflicht hatte die beiden Brautleute zusammengebracht.
Vor ihnen öffneten sich die beiden Flügel des Tempeltores und zwei Akolythen fassten die beiden Brautleute fest an den Armen und führten sie zu der erhobenen Plattform des Tempels. Vanion schritt hinter ihnen her, in seinen Händen trug er die Hochzeitsmäntel. Die Laviniatempel benötigten keinen Opferschrein, nur eine Statue Lavinias, erhaben und stolz, stand auf einem Tisch im hinteren Teil des Tempels, umgeben von Kerzen und Blütenblättern. Die vielen Gäste verteilten sich um im Halbkreis um den Tisch herum und der aus Engonia angereiste Hohepriester, Amatus Tallion, sprach mit fester Stimme die ersten Sätze der Lobpreisungen.
Leonie schaute Damian unverwandt an, dessen sonst so steife Mine sich aufgelockert hatte und der sich ihr ebenfalls zugewandt hatte, lächelnd und die braunen Augen viel weicher, als sie sonst gewohnt war. Sie hörten die Worte des Amatus, aber noch viel mehr spürten sie die Hand der Göttin Lavinia, die sie beide berührte. Als die Akolythen nach vorne traten und den beiden die Mäntel umlegten und dann die Hände mit einem Band umwickelten, fasste Damian Leonies Hand fest und drückte sie. Beide öffneten sie ihren Geist füreinander und sie spürten, wie der Andere jeweils zu ihnen gefunden hatte, von der ersten Begegnung während des Pilgerzugs in der Nähe von Tiefensee, zu den Geschehnissen im Wald von Arden, über den Moment des Kusses, als sie eingeschneit waren in diesem Gasthaus, bis hin zu den vielfältigen Prüfungen und Versuchungen der letzten Jahre, die sie gemeistert hatten. Nur kurz währte dieses Wunder der ewigen Mutter, aber es hinterließ tiefe Ruhe und Vertrauen in beiden, denn erneut war ihnen bewusstgeworden, wie tief ihre Liebe wirklich ging.
Wie durch einen Nebel verließen die beiden Brautpaare, die Hände immer noch fest umklammert, den Tempel, die Gesellschaft folgte ihnen. Draußen erwartete sie die inzwischen gewaltig angewachsene Menge, die in frenetischen Jubel ausbrach. Noch langsamer als vorher, denn die Gardisten konnten nur langsam einen Weg durch die Menge bahnen, bewegte sich die ganze Gesellschaft in Richtung Grafenburg. Am Schluss der Prozession wanderten mehrere Pagen des Grafen, die aus vollen Börsen Kupferstücke und verpacktes Zuckerwerk in der Menge verteilten. Mindestens einmal brach um die geworfenen Spezereien ein handfester Streit aus, aber die sich prügelnden Kontrahenten verschwanden in der Menschenmenge. Stahläugige Gardisten hielten die der Prozession folgende Menschenmenge davon ab, ihnen bis in die Burg hinein zu folgen, aber die großen Fässer, die der Keltermeister der Burg von mehreren Tagelöhnern hinaustragen ließ, befeuerten die freudige Stimmung weiterhin.
Das Brautpaar schritt währenddessen in den großen Grafensaal, wo vor dem Grafenthron zwei kleinere Throne aufgebaut waren. Leonie und Damian schritten bis dorthin und ließen sich mit Vanions Hilfe auf den weichen Kissen nieder. Damians Vater, Graf Heinrich von Voranenburg, trat nach vorne und hob die Hände. Sobald die Gesellschaft ruhig geworden war, hielt er eine kurze Ansprache. Er wandte sich zum Schluss an Damian und Leonie: „Es freut mich außerordentlich, dass Lavinia selbst euch zusammengeführt hat. Meinen jüngsten Sohn so glücklich zu sehen, dass erfreut mein Herz. Lasst mich einer der ersten sein, der euch am heutigen Tage beschenkt!“ Er winkte kurz und einer der Pagen brachte ihm ein gefaltetes Stoffbündel. „Mein Sohn, ich weiß, dass du bei deiner Priesterweihe den Erbanspruch auf Voranenburg aufgegeben hast. Aber in all den Jahren warst du, auch zu den dunkelsten Zeiten, treu zu deiner Familie und hast dich unermüdlich für uns, deine Eltern und deine Geschwister und all ihre Kinder eingesetzt. Ich möchte daher euch, als Familie, ein Banner mit dem Voranenburger Wappen verleihen. Damit sei auch das Recht für euch beide verbunden, als Hofräte in meinem Namen zu sprechen. Ihr beide habt viel Erfahrung in den Angelegenheiten Engoniens und der Welt und diese Grafschaft kann diese Erfahrung gut gebrauchen.“
Nach dem Grafen folgten erst die übrigen Familienmitglieder und dann die übrigen Gäste der Gesandtschaft und beglückwünschten die Brautleute und überreichten ihnen Geschenke, die von aufmerksamen Pagen sofort auf bereitgestellten Tischen ausgestellt wurden. Währenddessen wurde bereits Backwerk aus Voranenburg bereitgestellt, damit sowohl Wartende wie auch das Brautpaar selber versorgt werden konnte. Schließlich verneigte sich der letzte Gast vor dem Brautpaar und überreichte sein Geschenk. Vanion trat in seiner Eigenschaft als Trauzeuge nach vorne und lud die Gäste ein, sich an den dargebrachten Süßspeisen zu vergnügen, das Brautpaar würde sich nun kurz zurückziehen. In zwei Stunden würde man zum gemeinsamen Bankett rufen, an welches sich ein Ball anschließen würde. Danach begleitete er Damian und Leonie in ihre jetzt gemeinsamen Gemächer und stellte sich vor ihre Tür, um Störungen abzuwimmeln.
Zwei Stunden später hatten die Bediensteten des Grafen die Tatsache ausgenutzt, dass die Gäste sich selber kurz zurückgezogen hatten und alles für das Bankett vorbereitet. Als das Stunde geschlagen wurde, sammelten sich die offiziellen Gäste langsam in dem großen Saal und wurden von aufmerksamen Pagen an ihre zugewiesenen Plätze gebracht. Das Grafenpaar saß bereits am Tisch, für heute jedoch nicht am Kopf, und wachten mit Adleraugen darüber, dass keine Probleme auftauchten. Schließlich betraten Leonie und Damian den großen Saal, und die Gesellschaft erhob sich. Beide gingen zum Kopf der größten Tafel, zu ihrem Platz. Dort blieben die beiden stehen und Damian wandte sich an die Anwesenden. „Meine Frau und ich danken euch alle für eure vielfältigen Glückwünsche und für eure kostbare Anwesenheit. Möge der Segen Alamars und Lavinias immer auf euch und euren Häusern sein! Erfreut euch nun an den Speisen und Getränken, als kleiner Dank von unseren Familien an euch, dafür, dass ihr an diesem Tag Zeuge unserer Verbindung wart.“ Danach half er erst Leonie auf den Stuhl und setzte sich dann selber, mit ihm auch die gesamte Gesellschaft. Auf das Zeichen des Kastellans brachten die Bediensteten reiche Speisen zu den verschiedenen Tischen, wildes Schwein und gebratenes Rind, während aufmerksame Diener bereit standen mit verschiedenen Kelchen von Wein und Bier. Ein fröhliches Geplaudere füllte den großen Saal und die Gäste machten sich über die dargebotenen Speisen her. Zum Abschluss wurde gekühltes Sorbet und süßes Gebäck gereicht und über diese Nachspeise standen auch mehrere hohe Herren und Damen auf und prosteten dem Paar zu. Als schließlich auch diese Speise beendet war, ging die Sonne langsam unter und helle Lampen wurden im gesamten Saal entzündet. Leonie und Damian standen auf und leiteten die anwesenden Gäste im Abendgebet an, während die Bediensteten schnell und effizient die Tische an den Rand brachten. Nach dem Gebet betraten einige Spielleute den Raum und mit ruhigen und langsamen Stücken begann der Ball.
Beide Brautleute tanzten lang und ausdauernd, aber als die Mitternacht sich näherte, zogen sie sich, die Hände haltend und mit einem Lächeln, in ihre Gemächer zurück. Nach und nach zogen sich dann auch die Gäste in ihre jeweiligen Quartiere zurück, während vor den Toren der Burg die Feier bis in die Morgenstunden weiterging.
9. Tag des 6. Monats im Jahre 267 n. Jeldrik
Viele Gäste nutzten den heutigen Tag zur Erholung von den gestrigen Feierlichkeiten oder zu den bei solchen Feierlichkeiten immer anfallenden Gesprächen. Auch die Voranenburger Bürger nutzten den Feiertag, den der Graf ausgerufen hatte und daher war die Stadt erstaunlich ruhig. Auch das Brautpaar machte sich erst zum Mittagsgebet in die kleine Burgkapelle auf, um dort im Kreise der Familie einige weitere Segen von den Priestern zu empfangen.
Danach begaben sich die Mitglieder der nun zusammengewachsenen Familien Voranenburg und Talen in den großen Saal. Man merkte Leonies Eltern durchaus an, dass es für sie immer noch etwas Besonderes war, dass ihre Tochter in eine Grafenfamilie geheiratet hatte, auch wenn sie schon mehrfach auf der Burg eingeladen waren. Um die Familie herum spielten die ersten Urenkel des Grafenpaares, die Enkel von Rutger und Gerlach, denn sogar die jüngsten Enkel, Agnes‘ Kinder, waren wenigstens 10 Jahre alt und damit wurde von ihnen erwartet, am Tisch mitzusitzen und den Erwachsenen zuzuhören. Selten hatten die Familien, einfach nur einen Tag für sich zu haben und den mit Gesprächen zu füllen.
Gegen Abend füllte sich die Burg wieder etwas mehr, da zum langen Abendessen nicht nur die direkte Verwandtschaft, sondern auch Oheime und verschwägerte Verwandtschaft eingeladen war, was bei den Verflechtungen der adligen Familien auch schon eine beachtliche Zahl Menschen war. Zum Sonnenuntergang beteten die Anwesenden dann wieder zu Lavinia, die ihre schützende Hand über Familien hält und begab sich dann wieder zu Bett.
10. Tag des 6. Monats im Jahre 267 n. Jeldrik
Diesmal war das Brautpaar deutlich früher auf und verbrachte den Vormittag im gräflichen Archiv, um verschiedenste Dokumente zu sichten und zu siegeln, die ihre Verbindung belegen sollten. Darunter auch lange Verträge, die im Detail die Pflichten und Rechte belegten, die Leonie durch die Heirat in die Familie gewann und die beide durch das Geschenk des Grafen erhalten hatten.
Nach diesem staubigen Vormittag begaben sich beide wieder in die Burgkapelle zum Mittagsgebet und wanderten danach durch die Stadt Voranenburg. Die Menschen waren nach dem beiden Tagen wieder im normalen Trott angekommen und überall wurden die Stoffbahnen eingeholt, die die Wege säumten. Vor den Toren waren immer noch die Zeltstädte zu sehen, die sich in der Woche vor der Hochzeit gebildet hatten, aber eifriges Hämmern und Klopfen verriet auch hier, dass das fahrende Volk sich wieder auf die Reise machte. Langsam wanderten sie wieder zur Burg, denn heute Abend sollte noch eine Feier stattfinden, diesmal mit den Gästen, die sie selber eingeladen hatten. Den Leuten, denen sie ihr Leben oder ihr Glück zu verdanken haben, mit denen sie zu verschiedenen Zeiten ihres Lebens gefeiert hatten. Ihren Freunden eben. Beide schauten sich an und lächelten, in freudiger Erwartung des kommenden Abends.