((Potenzielle Spoiler für Tage des Lernens.))
Erst als Marius weit außer Sichtweite des Herrenhauses war, war er sich sicher, dass sein Vater ihm keine Hunde hinterhergeschickt hatte. Er blieb stehen, lehnte sich erschöpft an einen Baum und erlaubte sich endlich, zusammenzubrechen.
Später wusste er nicht, wie lange er da gesessen hatte. Irgendwann bemerkte er, dass seine Augen nass waren, und wischte die Tränen trotzig weg.
Die Reise war schon von Anfang an anstrengend gewesen. Die Konfrontation mit Antonius hatte sie dann zu einem regelrechten Alptraum gemacht. Zwar hatte er in dem Moment selber genug Energie gehabt, um seinen Vater zu konfrontieren, ja, ihn sogar zu bedrohen - doch jetzt, wo die Aufregung nachließ, fühlte Marius sich vollkommen leer. Ausgelaugt. Wäre jetzt Szivar persönlich vor ihm erschienen, der junge Mann hätte ihn wohl nur teilnahmslos angeblickt. Doch nichts derartiges geschah, nur einige Wolken zogen auf und verdunkelten den Mond.
Marius spürte, dass er Hunger hatte. Er kramte in seinem Rucksack nach einem Apfel. Dazu musste er die Schatulle abstellen.
Richtig. Die Schatulle. Er hatte sie auf der Flucht fast vergessen. Die ganze Zeit hatter seine sie linke Hand sie umklammert, und nun wurde er sich dessen bewusst, dass sein Preis für die ganze Aufregung vor ihm auf der Erde lag. Eine kleine Schatulle aus Holz. Sie war etwas größer, als er sie geschätzt hatte - etwa dreiviertel Handspannen in der Tiefe, zwei in der Breite und dreiviertel in der Höhe.
Er aß erstmal einen Apfel, pickte die Kerne raus, knackte sie mit den Zähnen und aß auch deren Inhalt. Dabei beäugte er die Schatulle nachdenklich mit einer gewissen Vorsicht, so wie man eine Katze beäugt, die sich in das eigene Haus eingeschlichen hat - ungebeten, wie Katzen das nun mal so tun, aber auch friedfertig, solange man sie nicht reizt.
Nach dem ersten Apfel ging es ihm... nicht mehr schlimm. Nicht gut, aber nicht mehr schlimm.
Er aß noch einen Apfel. Diesmal wusste er bewusst zu schätzen, dass es Essen war, für das man nicht albernerweise, wie im Norden üblich, extra Utensilien wie Messer und Gabeln brauchte. Damit hätte er in seinem Zustand nun wirklich nicht hantieren wollen.
Danach fühlte er sich stark genug, um seinen Lichtzauber zu wirken. Die Schatulle war nur mit einem Haken verschlossen, und sah in jeder Hinsicht aus wie eine ganz normale Schatulle.
Marius holte tief Luft und machte sie auf.
Er wusste nicht, was er erwartet hatte, aber nicht das. In der Schatulle lagen diverse Beutel und Säckchen.
Einer enthielt ein bisschen Schmuck, unter anderem einen Anhänger mit einem kleinen roten Edelstein, der wie in einem Käfig aus Silber eingefangen war. Marius lächelte - für Schmuck hatte er schon immer eine Schwäche gehabt, und das würde ihm nun hoffentlich mehr Ansehen an der Ayd'Owl bringen. Ohne darüber nachzudenken zog er das Lederband des Anhängers über seinen Kopf.
Sein Grinsen wurde breiter, als er den Inhalt eines weiteren Beutels identifizierte, ein paar Münzen diverser Stückelung und Währung. Ein bisschen extra Geld konnte nie schaden.
Dann wurde seine Suche zielstrebiger, er durchwühlte förmlich die Schatulle, in der Hoffnung, Marius der Dritte hätte seinem Enkelsohn auch ein paar Worte hinterlassen, doch da war nichts derartiges. Stattdessen kullerten bei seiner Suche ein paar rundgeschliffene Steine aus einer Tasche auf den Boden der Schatulle.
Die meisten der Kugeln waren kaum größer im Durchmesser als sein Daumennagel. Sie waren perfekt rund, ein Meisterwerk der Schleifkunst, oder einer magischen Macht, die am Werk gewesen sein musste. Die Farbe war ein dunkles karmesinrot, mit schwarzen Mustern darauf, die wie Rauchschwaden aussahen.
Marius runzelte verwirrt die Stirn. Die anderen Sachen in der Schatulle hatten einem offensichtlichen Zweck gedient, waren etwas gewesen, was man seinem Enkel hinterließ, wenn man wollte, dass es ihm finanziell gut ging und er als Mann von Stand auftreten konnte. Die Steine aber waren zwar irgendwie faszinierend, doch war es eine sehr spezielle Art von Schönheit, und ihm war klar, dass er wohl kaum einen Abnehmer dafür finden würde. Und wenn sein Großvater sie ihm wegen des Wertes hätte hinterlassen wollen, warum hatte er sie nicht schon zu Lebzeiten in Geld umgetauscht und in die Truhe gelegt?
Dann kam ihm ein Gedanke... von seinem Großvater hatte er sein magisches Talent geerbt. Vielleicht... er hob eine der Kugeln zögerlich auf und hielt sie zwischen Daumen, Mittel- und Zeigefinger, wie um sie zu betrachten.
"Magia Theruc", murmelte Marius. Das Training mit Runa und Ildiko hatte sich gelohnt, der Zauber verbrauchte kaum noch was von seiner Energie.
Sofort spürte er den sanften Druck von Magie auf seinen Fingerspitzen. Und einen Geschmack in seinem Mund, der nichts gutes verhieß, nach Blut und Metall.
Sein erster Reflex war es, auszuspucken, doch auf dem Boden landete nur sein Speichel. Dann verfluchte er seine Dummheit und hob den Analysezauber auf.
Das Gefühl im Mund hörte schlagartig auf.
"Magia Theruc". Blutgeschmack.
Aufheben. Kein Blutgeschmack.
"Magia Theruc". Blutgeschmack.
Aufheben. Kein Blutgeschmack. Das führte zu nichts.
Halbherzig versuchte der junge Magier einen stärkeren Analysezauber zu weben, doch er konnte förmlich spüren, wie das Gebilde in seinen Händen zerfaserte und ihn wieder völlig erschöpft zurückließ. Darüber hinaus begannen nun erste Wassertropfen aus den Wolken zu fallen, und nach einem Blick gegen Himmel war klar, dass es nur schlimmer werden würde. Damit verwarf Marius auch seinen ursprünglichen Plan, noch das Grab.... noch seinen Großvater zu besuchen. Dazu würde es noch Gelegenheit geben.
Der Magierlehrling packte zusammen und machte sich auf den langen Weg zurück nach Ayd'Owl. Die Identifikation der seltsamen Steine, die nach Blut und Magie schmeckten, würde warten müssen.
Zum Glück kannte er ja jemanden, der sich mit Blut und Magie auskannte.
((Ende dieses Kapitels. Danke an Kern fürs Korrekturlesen diesen und des letzten Teils. Konstruktives Feedback zum Schreibstil gerne in meine DMs.
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Später, nach den Tagen des Lernens, in Runas Zimmer... ))