Sie war ziellos fortgerannt. Svenjas Worte hämmerten hinter ihren Schläfen auf sie ein, hallten in ihrem Bewusstsein wieder.
Svenja hatte sie nicht einmal angesehen, hatte getan als sei sie gar nicht da, hatte nicht einmal ihren Namen benutzt, während sie über sie sprach.
.. als sei sie gar nicht wirklich hier.
Ninim tastete erneut nach der kleinen Glasflasche, während sie stehen blieb und unschlüssig auf das Lagerfeuer starrte, welches vor ihr aus der Dunkelheit auftauchte.
Das Fläschchen war noch da..
Sie war noch da..
Wieder da..
Rasche Schritte näherten sich und dann redete Balerian leise auf sie ein.
Er brachte sie zu dem Feuerkreis vor ihr, Ardor, Lyra und Riane saßen dort, doch die meisten Gesichter hier waren ihr unbekannt. Das war gut.
Es lenkte ab, wenigstens für ein paar wenige Stunden.
Irgendwann hatte sie sich verabschiedet, hatte Balerian gebeten ihr ein paar Decken zu besorgen und eine Möglichkeit sich zu reinigen.
Er hatte ihr versprochen heute Nacht über ihr Schlaflager zu wachen. Ihren Protest, er solle beim Rudel bleiben hatte er ignoriert und eigentlich war sie auch froh darum.
Er hatte Decken gebracht und wohl irgendwessen Wasservorräte geplündert und sogar saubere Kleidung aufgetrieben, dann hatte er sie in dem kleinen Verschlag alleine gelassen, damit sie sich waschen konnte.
Sie sah zu wie sich das Wasser langsam rot färbte.
Hörte Sasha ihren Namen schreien, hörte Maugrimm Worte brüllen, deren Bedeutung sie erst im allerletzten Moment begriff.
Rot.
Wie Blut.
Wie Feuer.
Ein kleiner Gegenstand flog auf sie zu und sie fing ihn. Starrte darauf und verstand nicht. Ein Fläschchen, aus Glas, gefüllt mit silbernem Staub.
Die Flammen rasten auf sie zu und schienen im selben Moment vor ihr inne zu halten, in dem sie die Hände hoch riss und all ihr Kraft dagegen stemmte.
Dann war es vorbei.
Sie kniete.
Vor ihr war der Boden mit Raureif bedeckt, doch nur einen Schritt weiter war alles schwarz. Versengt. Glut loderte. Es roch nach verbranntem Fleisch, verbrannten Knochen.
Und immer noch hielt sie dieses Fläschchen in der Hand.
Sie sah es an.
Und sie erinnerte sich.
Sie bekam kaum noch Luft, als der Schmerz in ihr aufstieg und sich über sie ergoss. Sie einhüllte, zerdrückte, auseinanderriss. Etwas zerrte an ihr, wand sich in ihrem Inneren, erschlaffte plötzlich und verschwand.
Da waren Stimmen. Sie kannte sie. Namen, Gesichter, Erinnerungen.
Echte Erinnerungen?
Jemand schrie unartikulierte Schmerzlaute in die Nacht hinaus.
Sie verstand, dass sie selber der Urheber war.
Sie war hier.
Das hier war echt.
Wo war hier?
Blut.
Nicht ihr Blut.
Sashas Blut.
Sasha lag einige Meter vor ihr über einem weiteren Körper. Regunglos.
Und wieder brach eine Welle über ihr zusammen.
Nein!
Maugrimm!
Sie hörte sich immer noch schreien, ihre Fingenägel schnitten in das Fleisch ihrer Hände, ihr Körper zuckte und krampfte.
Dann waren da plötzlich Stella und Ysander und hielten sie fest.
Das Wasser in der Schüssel war dunkelrot. Zu dunkel.
Und ihre Arme schmerzten.
Sie hatte sich die Unterarme aufgekratzt, frisches Blut klebte unter ihren Fingernägeln und trocknete langsam auf ihrer Haut.
Wenigstens war es diesmal ihr eigenes. Die Kratzer waren tief und brannten, aber das war gut. Es war echt. Es bedeutete, dass sie wirklich hier war.
Hier in einem kleinen Schuppen, an dessen Tür jemand hämmerte und ankündigte hineinzukommen, wenn sie nicht bald Antwort gäbe, schließlich sei sie bestimmt eine Stunde schon darin.
Balerian.
Ninim seufzte und tupfte vorsichtig ihre Arme ab, dann zog sie das lange und viel zu weite Nachthemd über und hoffte die Kratzer würde nicht wieder aufgehen und Balerian beunruhigen.
Sie schlief. Nicht ruhig und ganz gewiss alles andere als traumlos. Aber sie schlief, was man in dieser Nacht sicherlich nicht von allen sagen konnte.