Nur wenig später waren Galeya und Ronja wieder unterwegs. Ronja betrachtete besorgt ihre Geliebte, die ihren Gedanken nachhing.
Ihr Besuch bei Jelena war kurz gewesen. Genau genommen hatte er nicht stattgefunden. Man hatte sie zwar herein gebeten, doch die Hausherrin hatte sich entschuldigen lassen. Die ganze Stimmung im Kontor war gedrückt gewesen. Natürlich hatte Galeya nicht nachgefragt, das gebot die Höflichkeit. Aber ihr war klar, das irgendetwas geschehen sein musste. Ob Jelena erkrankt war? Aber dann hätte man ihr vermutlich von Anfang an gesagt, dass die Heilerin und Händlerin sie nicht empfangen wurde. Die Aussage, dass sie nicht zu sprechen sei, war aber erst nach ihrem Einlass in den Kontor getätigt worden. Vielleicht war jemand anderes erkrankt. Oder schlimmeres.
Zurück im Gasthaus setzten sich Galeya und Ronja an einen Tisch in der Nähe des Kamins und ließen sich Abendessen bringen.
"Morgen werden wir zu den Stoffhändlern gehen. Ich bin gespannt, ob wir das richtige finden...", sinnierte Galeya.
"Etwas graues dürfte doch wohl nicht so schwer sein!", meinte Ronja pragmatisch.
Galeya nickte und fuhr fort: "Es gibt eine ältere Schwester, die sich mit Perlen ganz hervorragend auskennt. Zu der reisen wir, wenn wir in Engonien fertig sind."
Ronja lächelte Galeya verliebt an. "Das werden wunderbare Gewänder!"
Galeya strahlte zurück. Für einen Augenblick waren alle Sorgen vergessen.
"Was ist noch zu tun, während wir hier sind?", wollte Ronja wissen.
"Ich hätte gerne über Jelena ein Pony für Amalia erworben. Das müssen wir jetzt woanders finden. Und dann würde ich mich gerne weiter nach allem möglichen erkundigen. Das alte Reich hatte ja den Pegasus auf seinem Wappen. Ich möchte herausfinden, ob es die wirklich hier gibt. Und was für andere Kreaturen in diesen Landen hausen. Wer weiß, vielleicht finden wir etwas für den Laden..."
Am nächsten Morgen besuchten die beiden Frauen verschiedene Stoffhändler. Glücklich und zufrieden kehrten sie zum Mittagessen in das Gasthaus zurück. Wenig später brachte ein Bote den gekauften Stoff vorbei.
Am Nachmittag ließen sie sich von einem Bauern auf seinem Karren ins Umland der Stadt mitnehmen, um einen Pferdehändler zu besuchen.
Im Gespräch mit dem Mann, der sie freundlicherweise mitfahren ließ ("Ach was, die Kürbisse, den Kohl und die Rüben hab ich zur Akademie gebracht. Jetzt ist Platz, da könnt ihr auch mitfahren!"), erfuhren sie nicht nur, dass bald die Tage des Lernens an der Akademie stattfinden würden, sondern auch, dass es eine Familie namens Grünacker gab, die in der Nähe Fanadas eine Pferdezucht betrieben. Die Tiere seien natürlich nicht annähernd so edel, wie die der Meisterin Jelena, aber es wären gute, brave Tiere dabei. Ob die auch Ponies hätten? Och, bestimmt!
Es stellte sich heraus, dass die Grünackers tatsächlich ein paar Ponies besass, doch keines davon kam für Galeya in Frage. Amalia hätten die kurzbeinigen, runden, zotteligen Tiere, die es in weiß, grau, braun, gescheckt und schwarz gab, sicherlich gefallen, doch die Händlerin aus Aldradach suchte nach etwas anderem.
Schließlich nahm Frau Grünacker Galeya und Ronja zur Seite.
"Ich hätte da vielleicht doch noch etwas...", murmelte sie geheimnisvoll und führte Galeya und Ronja in einen abgelegenen Schuppen. Darin stand eine Stute mit ihrem Fohlen, das fast schon ein Jährling war. Die Stute war klein für ein Pferd, alt und hatte offensichtlich viele Fohlen gehabt. Ihre Augen waren trüb und das Fell struppig. Doch sie kam sogleich an und wieherte sanft. Galeya runzelte die Stirn. Wollte Frau Grünacker ihr etwa dieses arme, alte Geschöpf verkaufen? Oder ging es ihr um das Fohlen? Was sollte sie mit einem Fohlen?
"Das ist unsere Polly. Sie hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel, aber sie ist das netteste Geschöpf unter dem Himmel. Sie hat uns viele Fohlen geschenkt - dieses hier wird wohl ihr letztes sein. Vor einigen Jahren schenkte sie einem zu klein geratenen Hengstchen das Leben. Genauso wundervoll vom Wesen, wie sie. Zu klein für ein Pferd, zu groß für unsere Ponyzucht. Wir haben den kleinen Kerl legen lassen, aber es wollte ihn niemand kaufen. Zu der Zeit war hier in Tangara - damals noch Engonien - alles ein bisschen schwieriger. Wir haben ihn also behalten. Jetzt gerade ist unser Sohn mit ihm unterwegs. Aber Fiann wird langsam zu groß für den Kleinen. Mit Fianns Einverständnis würde ich Euch gerne diesen Wallach anbieten."
Galeya runzelte die Stirn. Ronja fing ihren Blick auf und nickte.
Die dunkelhaarige Händlerin trat zu der Stute und betrachtete sie eingehend. Von den üblichen Alterserscheinungen abgesehen, machte diese einen guten Eindruck. Sie hatte den Bau eines Pferdes, ging jedoch gerade einmal bis an ihre Brust. Der Kopf war schmal, die Beine lang und schlank, die Hufe waren gut.
Erneut nickte Ronja.
Frau Grünacker lächelte. "Bitte kommt ins Haus! Es ist frisch hier draußen und wenn wir schon auf Fiann warten müssen, dann können wir das auch bei einem heißen Getränk tun."
Galeya zögerte. Sie mussten noch nach Fanada zurück...
Als hätte Frau Grünacker ihre Gedanken gelesen, bot sie ihnen sogleich eine Bleibe für die Nacht an. "Ich schicke meine Älteste zu Eurer Unterkunft, sie ist schnell dort und kann alles erklären, wenn Ihr wünscht."
Ronja gab an, wo sie untergekommen waren und das Gesicht der Pferdezüchterin erhellte sich. "Ach, dann ist das GAR kein Problem! Ich kenne die Wirtin gut, sie wird das verstehen! Also, bleibt Ihr?"
Ronja sah ihre Geliebte an und diese fügte sich dem Schicksal. "Na, meinetwegen."
Spät am Abend kehrte Fiann zurück und man besah sich bei Fackelschein den hübschen, braunen Wallach. Ronja war sofort überzeugt und auch Galeya fand das Tier sehr ansprechend.
Der restliche Abend wurde mit Verhandlungen verbracht. Galeya bestand darauf, mit Fiann zu handeln, schließlich ging es um sein Tier. Mit Stolz in den Augen sahen Frau und Herr Grünacker zu, wie ihr Sohn Galeya ordentlich ins Schwitzen brachte.
Schließlich jedoch wurden sie sich einig und die Händlerin und der junge Mann besiegelten die Transaktion per Handschlag, wie es üblich war.
Am nächsten Tag wurden Galeya und Ronja von der ältesten Tochter der Grünackers, begleitet von Fiann auf dem Wallach, zurück nach Fanada gefahren. Man verabschiedete sich herzlich und Fiann gab seinem Pferd einen letzten Apfel. "Mach's gut, Kleiner! Und sieh zu, dass du deiner neuen Besitzerin viel Freude bereitest!"
Galeya versprach Finn, dass sie den Kontakt zwischen ihm und Amalia herstellen würde, so dass er ihr beim Umgang mit dem Pferdchen helfen konnte.
Am Nachmittag schickte Galeya einen Boten zum Haus Gutenböckig und ließ mitteilen, dass sie Amalia in den kommenden Tagen zu sehen wünschte.
Der nächste Tag war kalt und grau, als Ronja sich auf den Weg zur Akademie machte...