"Also gut. Vor über 250 Jahren lag Engonien brach. Es hatte einen großen Krieg gegeben, den Brüderkrieg. Die meisten Dörfer und Städte kämpften für sich selber ums Überleben. Räuberbanden, Wegelagerer, all das Gesindel, was sich in einem kriegsversehrten Land wächst, machten dem Volk zu schaffen. Das alte caldrische Imperium lag in Trümmern. Zu dieser Zeit geschah es, dass ein Heerzug von Orken aus dem Süden heranzog.
Heute gibt es in Engonien keine Orks, aber damals stellten sie eine gewaltige Gefahr für alle guten Menschen dar. Denn der Krieg hatte einen hohen Blutzoll gefordert. Jeldrik machte sich also auf den Weg von Dorf zu Dorf, um zu bewaffnen, wer zu bewaffnen war. Jedes Dorf sollte zumindest einen Kämpfer stellen. So kamen sie in auch in die Baronie Halen, und dort gab es ein kleines Dorf, wo der Großbauer Torfmann der Dorfvorsteher war. Torfmann hatte zwei junge Burschen, grade alt genug, um in den Krieg zu ziehen. Alle anderen waren zu jung, oder zu alt, vielleicht bis auf Marthilda, die hagere Tochter eines Tagelöhners. Weil im Imperium immer nur die Männer in den Krieg zogen und alle caldrischen Kämpfer bis auf den letzten Männer waren, wusste der schlaue Torfmann schon, wer zu den Waffen gerufen werden sollte und weil er seine Söhne nicht in den Krieg ziehen lassen wollte, besann er sich einer List: Er holte sich den Tagelöhner an den Hof und versprach ihm abends, ihn fest anzustellen, wenn er seine Tochter für die Armee Jeldriks melden würde. Der Tagelöhner wollte zuerst nicht, aber Wein und gutes Zureden taten ihr übriges.
Als nun der Tag gekommen war, da Jeldrik mit seiner Armee von dem Dorf stand um zu sehen, welchen Kämpfer dieses Dorf stellen würde, da versteckten sie die beiden Söhne im Wald und schickten Marthilda vor. Ausgehungert, dürr und in den abgetragendsten Kleidern stand sie vor Jeldrik, als man sagte, dass sie der beste Kämpfer sei, den das Dorf aufzubringen hatte.
Die anderen Ritter um Jeldrik hoben an, dass das nicht wahr sein könne man sich nicht betrügen lasse, eine Frau doch nicht kämpfen könne und überhaupt!
Aber Jeldrik stieg von seinem Ross und ging zu dem Mädchen, blickte sie an und sprach:
"Euer Dorf ist in großer Gefahr. Wenn aus dem Süden die Orken einfallen, dann wird sich keine Stadt und kein Dorf und keine Burg ihrer erwehren können. Die einzige Möglichkeit, dieses Dorf zu beschützen, ist es, den Orken entgegenzureiten, sie am Eisenwall zu stellen und ihnen den weiteren Weg zu verwehren. Das werden wir machen und wir brauchen jede Hilfe, die wir bekommen können. Sollten uns nicht genug helfen, dann werden wir scheitern und ihr und wir werden sterben.
Doch zwinge ichh niemanden, zum Schwert zu greifen. Deshalb frage ich dich, Marthilda: Willst du uns begleiten, als der beste Kämpfer dieses Dorfes?"
Marthilda dachte an all die Menschen im Dorf. Die paar Male, da man ihr, der zerlumpten Tochter des Tagelöhners, etwas Gutes getan hatte, konnte sie an einer Hand abzählen. Ihre Mutter war tot, ihr Vater ein Säufer, der sie gerade verkauft und dem sicheren Tode überantwortet hatte, und so sagte sie mit fester Stimme:
"Nein, Herr Jeldrik, ich möchte nicht in den Krieg ziehen, ich möchte nicht kämpfen und ich möchte nicht sterben. Aber, Herr Jeldrik, ich werde mitkommen und helfen so gut ich kann, denn ich kann helfen und daher muss ich helfen, die Menschen zu beschützen."
Jeldrik nickte und erwiderte: "Wahr gesprochen und auch mutig, vor allem mutig! Knie nieder!"
Und vor allen Anwesenden, vor dem ganzen Dorf und dem ganzen Heer schlug er das Lumpenmädchen zum Ritter, zum ersten weiblichen Ritter, den das Land jemals gesehen hatte. Dann wandte er sich zum Dorfvorsteher und sprach:
"Ihr ehrt uns, guter Mann. In diesen Zeiten habe ich noch kein so kleines Dorf gesehen, das einen wahren Ritter stellen konnte. Aber ich fürchte, sie trägt noch nicht all ihre Ausrüstung am Leibe! Ein jeder Ritter hat doch ein Pferd, das beste des Dorfes. Und eben habe ich doch noch diesen schwarzen Rappen gesehen. Kleider taugen auch nicht, sie braucht gute wollene Hosen, die warm sind, so wie eure. Gute Schuhe, ein dickes Wams und Mantel, Brot und Schinken und Rüben und Zwiebeln, als Verpflegung und einen guten Gürtel."
Dann wandte sich Jeldrik an seine Knappen, von denen er mehr als ein halbes Dutzend hatte, da jeder Adlige um die Ehre buhlte, seinen Sohn in die Knappschaft bei Jeldrik zu geben.
"Ein Ritter braucht einen Knappen. Du, Arnd von Hanekamp, du wirst der Knappe von Marthilda von Rappenau sein und ihr alle kleidet sie ein! Gestepptes Wams, die Brust von diesem Junker hier, und sein Schwert ebenfalls. Hopp hopp, zack zack!"
Als sie Marthilda gekleidet und gegürtet hatten und sie auf dem besten Pferd des Dorfes saß, mit den besten Kleidungsstücken des Dorfes und fast all seinen Vorräten versehen, sah sie immer noch wie eine kleine Feldmaus aus, die in Sachen steckte, die ihr viel zu groß waren. Jeldrik dankte erneut dem Dorfvorsteher, der nun ohne Hosen vor der versammelten Ritterschaft stand, und zog mit dem Heer weiter.
Was aber in dem Dorf geschehen war, das sprach sich schneller herum, als das Heer reiten konnte, und jeder Bursche hob nun an, mitzukommen und auch die beiden Söhne des Dorfvorstehers Torfmann liefen den Rittern hinterher. Auch hätte vorher nie jemand gedacht, was nun passierte, denn nicht nur die jungen Burschen schlossen sich dem Heer an, sondern auch viele Mädchen und junge Frauen. In den Burgen des Adels nahmen die Töchter die Rüstungen und Waffen ihrer Väter und Brüder, die tot im Brüderkrieg geblieben waren, und zogen auch aus und nannten sich Ritter und trugen stolz die Farben ihrer Häuser und Geschlechter in die Schlacht."