Er sah auf und einen Moment lang leuchtete sein Gesicht auf mit einer Art Mutwillen. Vielleicht auch diebische Freude.
Als wäre er gerade der Einzige, der die Pointe einer besonders guten Geschichte verstanden hatte.
Schnell stand er auf und schob Arienne bestimmt auf einen Stuhl.
"Ma NOOOON. Ihr MÜSST noch bleiben n´est pas? Nun wollen wir die Verstorbene ehren, indem wir Geschichten erzählen, Lieder singen!"
Er liess sich mit einem Seitenblick auf Vanion wieder auf seinen Sitz fallen.
"Und beginnen, Mademoiselle, sollte man immer am Anfang!
Alors...
Es waren einmal zwei Ritter, die stritten für den Baron von Blanchefleur in seiner mesnie...das ist die Turniermannschaft.
Der Eine war älter. Ein hochgewachsener Mann mit vielen Siegen und grossen Ehren.
Der jüngere aber war voller Tatkraft und Ruhmsucht und wollte es ihm gleichtun.
Und sie waren Freunde. Gegner manchmal, Konkurrenten, ja...doch niemals Feinde.
Und so begab es sich aber, dass der Ältere, der der Schwarm vieler junger Damen war, eine Dame seines Herzens fand.
Doch weh! Sie war die Tochter eines Barons, unerreichbar für ihn, überdies die Tochter des grössten Feindes seines Lehensherren!
Doch übler noch: Sie liebte Bücher und Geschichten. Das Lanzenstechen nötigte ihr nur ein müdes Lächeln ab. Die Schwertkunst...die Jagd....
Und DOCH, er warb um sie. Und sie verlangte einen Preis, eine minnigliche Tat, eine Reise..."
Er unterbrach sich und trank einen Schluck.
"Eine Reise auf für ihn unbekanntes Gebiet. Schrecklich und schwer die Aufgabe!"
Er grinste
" Der Ritter sollte lesen lernen!...Und das tat er, quälte sich tage-, wochenlang mit Bernardus, Gisbert sogar Osric!
Und dann...
Als er sie eines Tages auf der Tribüne sitzen sah...da scherte er aus aus der Turnierbahn, blieb vor ihr stehen...Und las ihr da und dort vor!"
Er kicherte
"Manche sagen sein Gegner...der jüngere Ritter, von dem wir sprachen...habe drei Lanzen an ihm zerbrochen, und er sei lesend im Sattel verblieben."
Erneut trank er , schnaubend diesmal.
"Unsinn, natürlich, ich muss es wissen, ich war dabei!
Aber dennoch...
Die gute Catherine verfiel ihm nach dieser Tat.
Und gegen den Willen der Eltern und der Lehensherren heirateten sie, doch Lavinia lächelte.
Andere aber lächelten nicht.
Der Ritter wurde aus der mesnie geworfen, fiel bei seinem Lehensherren in Ungnade und lebte fürderhin zurückgezogen auf seinem kleinen Lehen.
Der jüngere ruhmsüchtige Ritter, der stieg nun auf im Ansehen. Doch auch er fand die Liebe."
Sein Blick wanderte an den beiden vorbei.
"Eine wunderschöne Frau.
Mit rabenschwarzem Haar.
Spitzer Zunge.
Und leuchtenden Augen.
Besonders wenn sie wütend war.
Ja.
Die fand er.
Und heiratete Sie.
Und es war gut. Eine wunderbare Zeit lang.
Eine kurze Zeit lang.
Und da trug sie dann ein Kind von ihm unter dem Herzen.
Doch seine Ruhmsucht trug ihn noch einmal fort.
Auf den Turnierplatz.
Fort von Lavinias Gnade ....zu Ruhm und Ehre.
Und als er nach Hause widerkehrte...
Da wartete Lavinia Admonetas Strafe.
Das Kind tot geboren, die Frau ihm gefolgt.
Da wurde dem jungen Ritter klar, wie weise der ältere gewesen war."
Er schwieg und blinzelte einige Male.
Dann lächelte er beide an.
"Der ältere Ritter aber, der hatte grosse Freude an seiner Frau. Und sie gebar ihm Kinder.
Und als Jules de la Follye schliesslich nach vielen Jahren starb, da tat er es um seiner Tochter Lorainne de la Follye das Leben zu retten.
Denn er wusste was Liebe bedeutet."
Er sah Vanion an
"So sollte jeder von uns den einen Menschen suchen, der für ihn bestimmt ist. Kein Schatten des Vergangenen, keine Gier nach Zukünftigem sollen unseren Blick auf ihn verschleiern.
Sonst schallt das Lachen des Täuschers und kein Auge leuchtet uns."