Jelena gab ein unfeines Geräusch von sich.
Sie nahm Anders sanft am Ellenbogen, setzte sie an den Tisch und gab ihr was zu trinken. Sie goß sich selber einen Becher ein und setzte sich ihr gegenüber.
"Ich war mal da wo du jetzt bist, damals, als der Krieg uns alle veränderte. Irgendwie war in meinem Kopf die Vorstellung, dass ich dafür verantwortlich war, dass sie alle heil blieben. Nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch generell..."
Sie lächelte Anders schief an und schüttelte ein wenig belustigt den Kopf über sich selbst.
"Du hast meinen Sohn niemals kennen gelernt. Luthor war ein sehr begabter Heiler, einer meiner Lehrlinge, meiner Welpen. Im Laufe des Krieges wurden sie erwachsen. Luthor, Temris, Alvias, Wydh..."
Ihre Stimme verlor sich ein wenig und sie strich wieder unbewusst über die Narben an ihrem Handgelenk, bevor sie weiter sprach.
"Ich liebte sie alle wie meine eigenen Kinder, aber Luthor... Luthor wurde ein so großer Teil meines Herzens, dass ich ihn als Sohn annahm, ihm meinen Namen gab, ihn zum Erben von all dem hier machte. Der Krieg zog vorüber, er beendete seine Lehren, legte seine Gesellenprüfung ab und entschloss sich auf Wanderschaft zu gehen."
Sie sah Anders mit schmerzerfüllten Augen an:
"Es ist über 5 Jahre her, dass ich ein Lebenszeichen von ihm bekommen habe. Er ist fort, Alvias ist in seine Heimat zurückgekehrt, Temris ist tot und Wydh in der Wildnis verschollen... und in der ersten Zeit habe ich mir das Hirn zermartert, was ich denn falsch gemacht habe, dass sie alle es so leicht fanden mich zurück zu lassen? War die Liebe und Freundschaft zwischen uns denn nur eine Einbildung meinerseits gewesen? Hatten sie mich vielleicht nur als Mittel zum Zweck gesehen, um Hilfe zu erhalten, Wissen zu bekommen, den Krieg bestmöglich zu überleben? Ich habe viele Nächte wach gelegen und mir viele solcher Fragen gestellt, die Schuld und die Gründe für das alles bei mir gesucht."
Sie nahm einen Schluck aus dem Becher und sprach dann leise weiter:
"Ich habe lange gebraucht, bis ich begriffen habe, und zwar nicht nur hier" sie zeigte auf ihre Schläfe, "sondern auch hier," sie zeigte auf ihr Herz, "dass ich an Nichts davon die Verantwortung trug. Luthor ist erwachsen geworden und fortgegangen. Er entscheidet sich jeden Tag aufs Neue dafür mir nicht zu schreiben. Ich habe ihn nicht fortgetrieben und nichts was ich getan habe, oder tun werde, hat einen Einfluß auf diese Entscheidung. Atos hat Temris getötet. Er hat mich nicht freiwillig verlassen und auch hier ist es nichts was ich getan oder nicht getan habe, was dies hätte verhindern können."
Sie seufzte.
"Ich kenne Vanion jetzt schon sehr lange. Länger als du ihn kennst, und auch anders als du ihn kennst. Du hast ihn kennen gelernt, als er das erste Mal in seinem Leben einen Sinn und eine Zusammengehörigkeit entdeckte und glaubte, dass dies an eine bestimmte Person gebunden war. Aber das war es nicht. Er ist nicht aus Zufall Ritter geworden, sondern weil etwas in ihm sich nach den rigiden Idealen gesehnt hat und weil er die Welt in schwarz und weiß unterteilen möchte. Du und ich, wir wissen sehr gut, dass sie viele Schattierungen von Grau hat. Sashas Welt ist auch schwarz und weiß. Aber sie ist kein Ritter, sie ist ein Paladin des Askar und diese Dinge sind nicht deckungsgleich. Was ich sagen möchte: es war unvermeidlich, dass die beiden irgendwann aufeinander prallen, denn Sasha war die Treue zu ihrem Rudel und ihrem Gott immer über die Treue zur Sache und dem Ideal stellen. Und Vanion wird das nicht tun."
Sie nippte wieder an ihrem Becher und gab Anders Zeit alles das zu verarbeiten, bevor sie fortfuhr:
"Keine Ahnung wer von den beiden Recht hat. Aber das ist für mich auch nicht wichtig. Du musst verstehen, dass die Entscheidungen von beiden nicht deine Verantwortung sind. Du musst für dich selbst entscheiden ob du einen von beiden unterstützen möchtest. Und falls ja, weshalb. Wenn du das für dich geklärt hast, dann solltest du bei dem Kampf anwesend sein. Sonst nicht."