"Robert war ... einzigartig."
Vanion empfand eine Art angeekelte Bewunderung für diese schillernde Zwergengestalt, die Robert abgegeben hatte. Der Valkensteiner war ein Kriegsheld gewesen - doch die Stimmen, die ihn einen Kriegsverbrecher schimpften, waren bis heute nicht gänzlich verstummt. Zuviel wurde ihm angelastet, und der Robert, den Vanion kennengelernt hatte, war kein Held gewesen. Ein Krieger, ja. Und was für einer. Ein Anführer, dem Edlere als er selbst freudig in die Schlacht gefolgt waren. Aber ein Held? Keinesfalls.
"Ich erinnere mich noch an diesen Abend im Goldkrug, an dem ihr geheiratet habt. Damals dachte ich, ihr seid betrunken. Nun, ihr wart betrunken. Aber ich hielt es für einen schlechten Scherz, darum wollte ich dich auch davon abhalten."
Er hob den Becher und stieß mit Kydora auf Robert an.
"Nun - ihr habt mich eines Besseren belehrt."
Beide schwiegen einen Moment und Vanion ließ Kydoras Worte noch einmal Revue passieren.
Was sie sagte, stimmte. Es waren gute Ratschläge, einer wie der andere. Und doch sagte Kydora ihm nichts, was er nicht schon gehört hatte, von anderen, die ebenso wie sie fühlten, dass er Lorainne vermisste, und die genau wie sie dieses Loch, diese Leere, die ihn gepackt hielt, nicht füllen konnte. Schon spürte er dieses Gefühl wieder heranbranden, das er sorgfältig in eine Ecke gezwängt hatte, damit es ihn nicht vom Leben abhielt.
Er entschied sich, offen zu sein.
"Als ich sie sah, wie sie dort lag ... wie sie sie aufgebahrt hatten, da ist etwas in mir zerbrochen. Ich habe geweint wie noch nie in meinem Leben. Viele meiner Freunde und Gefährten waren dort, und sie alle sprachen Worte des Trosts oder schwiegen einfach. Die Luft war zäh vor stummem Leid, ein Schwert hätte sie schneiden können. Ich nahm nichts wahr, für eine Zeit war ich ... fort. Ich muss ein jämmerliches Bild abgegeben haben."
Der Ritter schnaubte.
"Am nächsten Morgen, da ... war's, als ob sich ein Nebel über die Welt gelegt hätte. Nichts hatte mehr einen Wert. Versteh mich recht - ich hab das Leben nicht verachtet! Aber die Bedeutung, die so Vieles für mich hatte, war verschwunden. Es war, als ob die Jahre, die ich mit ihr verbracht hatte, fortgewischt waren. Wir wollten immer nur La Follye zurückgewinnen, damals. Ein Stück Land, das ich nicht kannte, nie besucht hatte. Aber durch sie, durch ihre Erzählungen, durch ihre Liebe zu ihrer Familie und den ihr Anvertrauten, lernte ich sie kennen, die Hügel und Höfe und heiligen Orte dort oben. Und als sie ihr Lehen zurückgewonnen hatte, da ... Nun, du kennst die Geschichte. Ich war bis heute nicht wirklich oft auf La Follye."
Den letzten Satz hatte Vanion in einem harten Ton gesprochen, der konträr zu der melancholischen Erzählstimme stand, der er sich vorher befleißigt hatte. Sein Blick bohrte sich scharf in Kydoras Augen.
"Ich hab auf alles da oben verzichtet, was mir zustand, und ich bereue es nicht. Und doch hab ich mich Firngard immer verbunden gefühlt, es war Teil meiner Identität. Nun ist sie, der ich dieses Erbe verdanke, fort. Und ich sitze hier und habe meine Pflichten und meine Freunde und meine Familie, und alles ist gut."
Wie kann ich es ihr begreiflich machen?
"Natürlich trauere ich um sie. Doch ich weiß, dass sie nun dort ist, wo sie sein wollte. Sie hat endlich Frieden gefunden. Wahrscheinlich trinkt sie grade mit Benjen um die Wette, während ihr Vater stirnrunzelnd zusieht, was weiß ich. Aber durch sie habe ich Firngard kennen und lieben gelernt, sie war das Band, was mich an die Geschicke von La Follye gebunden hat. Dieses Band ist durchtrennt. Irgendwie hatte ich diesen kindischen Traum, dass wir irgendwann einmal Seite an Seite reiten würden, darüber wachen würden, dass die Kinder der Ahnen von Guy und Mathilde einander lieben würden, und diese unselige Fehde ein für alle Mal beendet würde."