Der Städtebund von Tangara > Brega
Frühjahr 269 n.J. - Goldene Nachtigall in Brega
Kydora:
"Ich wollte nicht unhöflich sein und den Fokus auf mich ziehen, wo du es doch bist, der mich aufsuchte." Sie schwieg kurz. "Mag sein, dass sie am Ende auf einen herab lächelt... doch was bringt all das, wenn sie einen auf dem Weg dorthin so viel Leid erfahren lässt? Wie soll man Kraft aus einem Glauben schöpfen, wenn die nächste Prüfung nur noch schwerer ist als die vorherige? Ich bewundere all jene, die stark sind. Stark im Glauben, stark im Geist. Doch fällt es mir von mal zu mal schwerer."
Als er den Wein lobte, huschte ein Schmunzeln über Kydoras Gesicht. Sie musste unweigerlich an ihre erste Begegnung mit Rikhard denken, der ausschweifend über die Vorzüglichkeit des Weines gesprochen hatte. Wobei der Tropfen damals nun wirklich nicht sonderlich gut gewesen war. Es war hier in dieser Stadt gewesen... im kleinen Bregaholz.
Sie nahm ihrerseits einen Schluck und stellte den Becher anschließend wieder beiseite.
"Die Tage mögen dunkler sein, doch du hast einen Weg. Und auch wenn er dir dunkel erscheint... Vielleicht ist es nur die Nacht, die im Kreislauf vorüberziehen wird. Vielleicht ist es der Schatten eines Baumes, der auf deinem Weg liegt. Doch du hast einen Weg vor dir liegen, dem du von Herzen folgst. Mag es auch noch so dunkel sein..."
Kydora hob den Blick und sah Vanion ernst an.
"Dein Herz kennt den Weg und du wirst ihm folgen. Im Notfall auf allen vieren tastend nach dem Wegesrand, um nicht abzukommen. Oder an der Hand eines Führers, der dich ein Stück begleitet und dir halt gibt. Oder weil du einfach weißt wohin du gehen musst. Vanion, du bist Ritter geworden. Vanion de Roquefort..."
Sie machte eine kurze Pause.
"Die dunklen Tage werden irgendwann vorüber ziehen... lass sie nur nie dein Herz vergiften. Denn dein Herz ist es, dass dich auf deinem Weg halten wird."
Vanion:
"Lavinia ist es nicht, die dich leiden lässt. Sie ist es, die dir Trost spendet, wenn du nur darum bittest, und die dich segnet, wenn du dich ihrer Umarmung nicht verweigerst. Allein Admoneta ist streng mit uns allen, doch du hast gewiss nichts getan, was sie herbeigerufen hätte."
Er schüttelte den Kopf.
"Die Götter stehen uns bei, dessen bin ich mir sicher. Sie schauen auf unsere Entscheidungen, und es sind diese Entscheidungen und manchmal auch die von anderen, die unsere Leben bestimmen."
Kydoras letzte Worte brachten ihn zum Lächeln.
"Weißt du, es ist nicht so, dass ich noch Zweifel hätte. Diese Dunkelheit, von der du sprichst, hindert mich nicht daran, meinen Weg zu gehen und meine Eide zu erfüllen. Und seien wir ehrlich - wir sind beide aus dem Alter raus, in dem wir ständig hinterfragt haben. Ich kann nicht lange hier bleiben - oder irgendwo, heutzutage. Meine Pflichten dulden selten Aufschub."
Was mich nicht stört. Mir war klar, was mich erwartet.
"Als ich dir vor Monaten diesen Brief geschrieben habe ... ich will nicht leugnen, dass es mir schlecht ging. Lorainnes Tod hat Wunden hinterlassen, und ganz verheilt sind sie noch nicht. Ich erhoffte mir, ganz egoistisch, dass du mir beistehen würdest. Einerseits aufgrund der Vertrautheit, die uns verbindet ..." Oder verbunden hat. "... andererseits ... Du hast gelernt, mit Roberts Tod umzugehen. Ich habe Lorainne nicht begehrt, aber ich habe sie geliebt."
Kydora:
Auf seine Worte hin schwieg sie zunächst, überbrückte die Stille indem sie einen Schluck aus ihrem Becher nahm.
Entscheidungen... Gewiss nichts getan...
Sie schüttelte den Kopf, um die Gedanken fortzuwischen und nahm einen weiteren Schluck. Anschließend stellte sie den Becher seufzend beiseite.
"Roberts Tod war nicht leicht und wie gern hätte ich noch viele Jahre mit ihm verbracht, wirklich. So absurd es auch klingen mag... Ihm hat mein Herz gehört... Mein einziger Trost ist das Wissen darum, dass er bei seinem Gott an der Tafel sitzt und seine Seele nicht leidet. Den mit dem Verlust verbundenen Schmerz... den kann mir keiner nehmen und auch wenn ich mit einer gewissen Leichtigkeit darüber zu sprechen scheine..."
Sie schüttelte erneut leicht den Kopf und atmete tief durch.
"Es ist nicht einfach, aber mit der Zeit lernt ein jeder auf seine Weise mit so was umzugehen... auch wenn ich niemandem wünsche, dass er diese Erfahrung machen muss. Ich hätte dir gerne beigestanden... euch allen, die ihr so schreckliches Leid erfahren habt. Doch wie kann ich euch eine gute Stütze sein und Halt bieten, wenn ich selber derzeit keinen finde und ruhelos bin?" Fragend sah sie ihn einen Moment lang an bevor sie dann jedoch fortfuhr. "Ich habe mich zurück etwas gezogen und angefangen hier-" sie machte mit der Hand eine ausladende Bewegung. "Kraft und Energie hineinzustecken. Um ein Fundament zu haben. Bei den ganzen Abenteuern und offenen Schlachten bin ich ohnehin meistens keine große Hilfe. Meine Talente liegen woanders und selten sind sie bei kleinen Scharmützeln von Vorteil."
Mit einem verschlagenen Grinsen ließ sich Kydora in die Kissen sinken und stütze sich mit den Ellenbogen am Boden ab. Dann nahmen ihre Gesichtszüge wieder einen sanften Ausdruck an.
"Bewahr dir die guten Zeiten, die du gemeinsam mit Lorainne hattest. Bewahr dir auch die schlechten. Halte sie alle in deinen Erinnerungen und erzähle die Geschichten der Ritterin, denn es gibt nichts Schlimmeres als vergessen zu werden. Betrachte, was sie dich gelehrt hat und gib es weiter. So wird ihr Andenken nicht verloren gehen. Scheue dich nicht davor von ihr zu sprechen. Lache, weine... aber verschließ niemals dein Herz vor den Gefühlen, die dich begleiten. Der Kreislauf mag dir grausam vorkommen... und ja, das ist er. Doch wo an der einen Stelle Tod und Vergänglichkeit stehen, stehen an anderer Stelle Neubeginn und Anfang. Das ist der Ausgleich, der alles umgibt..."
Ihr Blick suchte den Seinen.
"Gibt es Neuanfänge, die dich begleiten? Aus denen du Kraft schöpfen kannst?"
Vanion:
"Robert war ... einzigartig."
Vanion empfand eine Art angeekelte Bewunderung für diese schillernde Zwergengestalt, die Robert abgegeben hatte. Der Valkensteiner war ein Kriegsheld gewesen - doch die Stimmen, die ihn einen Kriegsverbrecher schimpften, waren bis heute nicht gänzlich verstummt. Zuviel wurde ihm angelastet, und der Robert, den Vanion kennengelernt hatte, war kein Held gewesen. Ein Krieger, ja. Und was für einer. Ein Anführer, dem Edlere als er selbst freudig in die Schlacht gefolgt waren. Aber ein Held? Keinesfalls.
"Ich erinnere mich noch an diesen Abend im Goldkrug, an dem ihr geheiratet habt. Damals dachte ich, ihr seid betrunken. Nun, ihr wart betrunken. Aber ich hielt es für einen schlechten Scherz, darum wollte ich dich auch davon abhalten."
Er hob den Becher und stieß mit Kydora auf Robert an.
"Nun - ihr habt mich eines Besseren belehrt."
Beide schwiegen einen Moment und Vanion ließ Kydoras Worte noch einmal Revue passieren.
Was sie sagte, stimmte. Es waren gute Ratschläge, einer wie der andere. Und doch sagte Kydora ihm nichts, was er nicht schon gehört hatte, von anderen, die ebenso wie sie fühlten, dass er Lorainne vermisste, und die genau wie sie dieses Loch, diese Leere, die ihn gepackt hielt, nicht füllen konnte. Schon spürte er dieses Gefühl wieder heranbranden, das er sorgfältig in eine Ecke gezwängt hatte, damit es ihn nicht vom Leben abhielt.
Er entschied sich, offen zu sein.
"Als ich sie sah, wie sie dort lag ... wie sie sie aufgebahrt hatten, da ist etwas in mir zerbrochen. Ich habe geweint wie noch nie in meinem Leben. Viele meiner Freunde und Gefährten waren dort, und sie alle sprachen Worte des Trosts oder schwiegen einfach. Die Luft war zäh vor stummem Leid, ein Schwert hätte sie schneiden können. Ich nahm nichts wahr, für eine Zeit war ich ... fort. Ich muss ein jämmerliches Bild abgegeben haben."
Der Ritter schnaubte.
"Am nächsten Morgen, da ... war's, als ob sich ein Nebel über die Welt gelegt hätte. Nichts hatte mehr einen Wert. Versteh mich recht - ich hab das Leben nicht verachtet! Aber die Bedeutung, die so Vieles für mich hatte, war verschwunden. Es war, als ob die Jahre, die ich mit ihr verbracht hatte, fortgewischt waren. Wir wollten immer nur La Follye zurückgewinnen, damals. Ein Stück Land, das ich nicht kannte, nie besucht hatte. Aber durch sie, durch ihre Erzählungen, durch ihre Liebe zu ihrer Familie und den ihr Anvertrauten, lernte ich sie kennen, die Hügel und Höfe und heiligen Orte dort oben. Und als sie ihr Lehen zurückgewonnen hatte, da ... Nun, du kennst die Geschichte. Ich war bis heute nicht wirklich oft auf La Follye."
Den letzten Satz hatte Vanion in einem harten Ton gesprochen, der konträr zu der melancholischen Erzählstimme stand, der er sich vorher befleißigt hatte. Sein Blick bohrte sich scharf in Kydoras Augen.
"Ich hab auf alles da oben verzichtet, was mir zustand, und ich bereue es nicht. Und doch hab ich mich Firngard immer verbunden gefühlt, es war Teil meiner Identität. Nun ist sie, der ich dieses Erbe verdanke, fort. Und ich sitze hier und habe meine Pflichten und meine Freunde und meine Familie, und alles ist gut."
Wie kann ich es ihr begreiflich machen?
"Natürlich trauere ich um sie. Doch ich weiß, dass sie nun dort ist, wo sie sein wollte. Sie hat endlich Frieden gefunden. Wahrscheinlich trinkt sie grade mit Benjen um die Wette, während ihr Vater stirnrunzelnd zusieht, was weiß ich. Aber durch sie habe ich Firngard kennen und lieben gelernt, sie war das Band, was mich an die Geschicke von La Follye gebunden hat. Dieses Band ist durchtrennt. Irgendwie hatte ich diesen kindischen Traum, dass wir irgendwann einmal Seite an Seite reiten würden, darüber wachen würden, dass die Kinder der Ahnen von Guy und Mathilde einander lieben würden, und diese unselige Fehde ein für alle Mal beendet würde."
Kydora:
"Robert war halt Robert..." beließ sie es bei dem Thema. Ob er wirklich so einzigartig war...? Wenn doch auch sie selbst mittlerweile des Öfteren zu hören bekam teilweise wie er zu klingen... aber nun, das war ein anderes Thema und gehörte nicht zu diesem Abend.
Sie lauschte seinen offenen Worten geduldig und gab ihm alle Zeit und Ruhe, die er brauchte. Und auch als er geendet hatte, antwortete sie ihm nicht sogleich.
Behutsam und sanft klang ihre Stimme, als sie schließlich zu einer Antwort ansetzte. Erinnerte eher an einen leichten Windhauch, wenn es denn überhaupt noch an Wind erinnerte. Hatte sie doch verlernt ihm zu lauschen, hatte sich selbst zu einem gewissen Teil verloren... Doch auch dies war eine andere Geschichte, für einen anderen Moment.
"Ich war dort, ich habe all diese Menschen gesehen und auch Lorainne... Ich war an deiner Seite, habe deinen Schmerz gesehen... Und habe ihn verstanden..."
Sie sah Vanion mit ernstem Blick an, sprach sanft weiter.
"Etwas zerbricht und reißt ein Loch in einen hinein. Reißt eine Lücke, die nichts auf dieser Welt zu füllen vermag. Und alles scheint bedeutungslos. Völlig ohne Sinn."
Ihr Blick glitt weg und sie sah zum Feuer im Kamin, schien dennoch nicht wirklich die Flammen zu fixieren. Man hörte an ihrer Stimme, dass sie nur zu gut wusste welche Lücke sie meinte.
"Alles was man tun kann, ist dafür zu sorgen, dass dieses Loch nicht noch größer wird. Dass man Dinge findet, die einen erfüllen, damit die Schwärze des Abgrunds einen nicht verschlingt... Träume sind wichtig, denn Träume geben uns die Hoffnung und Kraft weiter zu machen. Versuche Kraft zu schöpfen aus deinen Träumen..."
Und mach nicht meine Fehler.
Sie wendete sich ihm wieder zu und gab ihm durch eine längere Pause Raum, um etwas zu sagen oder auch nicht, wenn ihm nicht danach war. Ihre Körperhaltung und Mimik ließ die Ruhe zwischen den Beiden keinesfalls unangenehm erscheinen.
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