Es war ein heißer Tag.
Nesrine hatte Dienstfrei und stand vor den Stallungen und putzte ihren Jaques in der Sonne.
Das Maultier hatte einen Hinterhuf aufgestellt und ließ die langen Ohren entspannt hängen, während es mit halb geöffneten Augen vor sich hindöste. Ab und an wedelte es halbherzig mit dem Schweif oder wackelte mit dem Kopf, um Fliegen zu verscheuchen.
Gerade kratzte die Gardistin die breiten Hufe ihres Kameraden aus, als sich ein kleines Gesicht in ihr Blickfeld schob.
"Salut!", sagte Amelíe grinsend.
Nesrine richtete sich ächzend auf und begrüßte das Mädchen.
"Na, sind die Gänsö wiedär im Stall?"
"Non, Hugo passt alleine auf sie auf.", sagte die Kleine und ihr Ausdruck wurde trotzig.
Nesrine zog die Augenbrauen hoch und stemmte die Hände in die Seiten.
"Was ist passiert?", verlangte sie zu wissen.
Amelíe krauste ihre kleine Stirn und presste die Lippen zusammen bei dem Versuch, böse zu blicken.
"Wir haben uns gestritten.
Das Kind holte tief Luft.
"Also, ich hatte Hunger und Hugo hatte zwei kleine Brotlaibe und Käse dabei. Ich hab ihm gesagt, er soll was abgeben, aber er wollte nicht. Da hab ich ihm gesagt, dass er ein blöder Hundsfott ist. Er hat mich ausgelacht und gesagt, ich wüsste ja gar nicht, was das bedeutet. Ich wäre ja nur ein dummes, kleines Mädchen!"
Inzwischen schimmerten Tränen der Wut in Amelíes Augen.
Nesrine seufzte und hockte sich nieder, um auf Augenhöhe mit dem Kind zu sein.
"'ör mal. Das Wort, das du da benutzt 'ast, ist wirklisch nischt nett! Das sollte man nischt sagön! Abär isch bin mir sischär, dass du KEIN dummös, kleinös Mädschen bist! Überleg doch mal, wie toll du schon auf Jaques reitön kannst!"
"Hugo sagt, dass das eh nichts für kleine Mädchen ist und dass Jaques... ", plötzlich verstummte sie und schlug sich die Hand vor den Mund.
Die Gardistin zog die Augenbrauen hoch. "Was?!?"
Amelíe presste die Lippen zusammen, behielt die Hand krampfhaft vor ihrem Mund und schüttelte entschlossen den Kopf.
"Was 'at 'ügo gesagt?", bohrte Nesrine nach.
"Dass... dass... dass Jaques eh nur ein müder, dummer Esel wäre.", quetschte das Mädchen schließlich zwischen den Fingern hervor. In den Augen der Kleinen zeigte sich die Sorge, dass Nesrine nun böse sein könnte.
Ein Schatten glitt über deren Gesicht, doch dann fing sie sich rasch wieder. Verschwörerisch lehnte die Frau sich vor.
"Und, was glaubst du - wer von eusch 'at mehr Ahnung von meinöm Jaques? Du odär diesär Rotzlöffel?"
Sie grinste Amelíe an und diese grinste zurück. "Ich?"
"Genau!"